Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REPORT

BERICHT/079: Petersberg II - Stimmen und Positionen (SB)


Demonstration "Truppen raus aus Afghanistan" am 3. Dezember 2011 in Bonn

SDAJ-Block - Foto: © 2011 by Schattenblick

Aufbruch in Bonner Innenstadt
Foto: © 2011 by Schattenblick

Eine Demonstration ist immer auch ein Ort der Begegnung zahlreicher Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen, die, ungeachtet aller ideologischen Differenzen, für die gemeinsame Sache streiten. Dies gilt insbesondere bei einer so grundlegenden Frage wie der des Krieges, wirkt sich militärische Aggression doch auf die direkt Betroffenen mit so elementarer Gewalt aus, daß alle anderen Fragen politischer und gesellschaftlicher Art dahinter zurückstehen. In Bonn gingen am 3. Dezember bis zu 5000 Personen auf die Straße, um ein Zeichen gegen den Krieg in Afghanistan und gegen Krieg überhaupt zu setzen. Mag man diese Beteiligung in Anbetracht dessen, daß die Bundesrepublik am Hindukusch seit zehn Jahren Krieg führt, für eher mager halten, so stehen die Demonstrantinnen und Demonstranten doch für eine gesellschaftliche Avantgarde von eigenem Gewicht. Wer den Kampf gegen Krieg und Militarismus ernst nimmt, wer lange Bus- und Zugfahrten in Kauf nimmt, um gemeinsam mit Gleichgesinnten die Stimme zu erheben, der sorgt dafür, daß die tagtäglich erlebte Ohnmacht des Lebens im Kapitalismus und das um sich greifende Vergessen der Grauen des Krieges nicht unumkehrbar werden.

Militärdrehkreuz Flughafen Leipzig/Halle - Foto: © 2011 by Schattenblick

Deutsche Logistik für Kriege in aller Welt
Foto: © 2011 by Schattenblick

So konnte man auf der Demo etwas über die wenig bekannte Tatsache erfahren, daß der Flughafen Leipzig/Halle sich zu einer Art logistischer Militärdrehscheibe entwickelt hat. Eine Demonstrantin vom Friedenszentrum Leipzig klärte den Schattenblick darüber auf, daß auf dem Leipziger Flughafen täglich Hunderte US-amerikanischer Soldaten abgefertigt werden. Sie reisen in Zivilmaschinen an, die dort zum Auftanken zwischenlanden, oder aber steigen dort in andere Maschinen um, um in die Einsatzgebiete oder die USA zu gelangen. Die Initiative "Nein zum Kriegsflughafen" [1] zeigt mindestens einmal im Monat dort Präsenz, um auf diese Praxis und ihre rechtlichen Widersprüche aufmerksam zu machen.

So wurde im Zwei-Plus-Vier-Vertrag zur sogenannten Wiedervereinigung festgelegt, daß keine ausländischen Truppen auf dem Gebiet der DDR stationiert oder dorthin verlegt werden dürften. Für die Bundesregierung handelt es sich jedoch um keine Truppenverlegung, wenn in Leipzig/Halle US-GIs auf dem Weg nach Afghanistan oder einen der zahllosen US-Stützpunkte in aller Welt zwischenlanden, weil es sich ja um zivile Transportflugzeuge handelte. Zwar werden diese von der US-Regierung bezahlten Flüge vom deutschen Verteidigungsministerium genehmigt, zwar sitzen in den vom Pentagon gescharterten Flugzeugen uniformierte Soldaten, doch macht man dies und die geringe Dauer des Aufenthalts geltend um zu behaupten, daß der Zwei-Plus-Vier-Vertrag damit nicht verletzt werde.

Bezeichnenderweise ist es dem Widerstand irischer Kriegsgegner gegen die Nutzung des an der Atlantikküste gelegenen Airports Shannon für US-Militärtransporte geschuldet, daß der Flughafen Leipzig/Halle heute zu einem wichtigen Drehkreuz der US-Kriegslogistik geworden ist. Nachdem Aktivistinnen und Aktivisten dort 2006 einige US-Militärflugzeuge mit Hämmern beschädigt hatten, wurden sie von einem irischen Geschworenengericht mit der Begründung freigesprochen, daß es sich um einen legitimen Akt zivilen Widerstands handelte. Seitdem hat die Zahl der in Ostdeutschland zwischenlandenden Truppentransporter schlagartig zugenommen.

Zudem stehen in Leipzig/Halle ständig zwei Militärtransporter vom Typ Antonov-124 für den schnellen strategischen Einsatz im Rahmen von NATO und EU bereit. Schließlich unterhält das für die Bundeswehr tätige Transportunternehmen DHL dort ein Logistikdrehkreuz, über das unter anderem deutschen Truppen in Afghanistan mit Nachschub versorgt werden [2]. Die Leipziger Bevölkerung reagiert, wie die dort lebende Aktivistin berichtete, kaum auf diesen Sachverhalt, obwohl die mit dem Anschluß der DDR an die BRD wiederhergestellte staatliche Handlungsfähigkeit nichts anderes bedeutet, als daß auch von deutschem Boden wieder Krieg ausgehen soll.

ATIK - Neue Demokratische Jugend - Foto: © 2011 by Schattenblick

Aufruf an die Jugend
Foto: © 2011 by Schattenblick

Das war allerdings bereits in der alten BRD der Fall, wie die militärische Unterstützung etwa des südafrikanischen Apartheidstaats durch westdeutsche Rüstungsunternehmen unter Umgehung des UN-Waffenembargos belegt [3]. Neben Israel, dem wichtigsten militärischen Stützpfeiler des weißen Regimes in Johannesburg, gehörte die Bundesrepublik zu den auch ökonomisch bedeutsamen Förderern des postkolonialen Rassismus, der in Südafrika herrschte. Der ehemalige ANC-Aktivist am Rande der Demo, der aktiv gegen die Apartheid gekämpft hat, ist gerade deshalb ein entschiedener Kriegsgegner, weil er weiß, wovon er redet. Der seit über 20 Jahre in Deutschland lebende Gewerkschafter ist Mitglied bei der Partei Die Linke und bestätigt gegenüber dem SB, daß es in Südafrika keine Apartheid mehr gebe, allerdings noch der Rassismus in den Köpfen beseitigt werden müsse. Zumindest beteiligt sich Südafrika nicht mehr an regionalen Kriegen, damit sei sich die ehemalige Befreiungsbewegung ANC treu geblieben.

Die schwarze Bevölkerung Südafrikas hat das Joch der Apartheid aus eigener Kraft abgeschüttelt, allerdings mit starker internationaler Unterstützung. Beschränkte man sich damals auf friedliche Möglichkeiten des diplomatischen und ökonomischen Boykotts, so werden Kriege heute unter dem Vorzeichen eines humanitären Interventionismus geführt, der alle emanzipatorische Ideale gegen sich selbst kehrt. Wenn Frauen in Afghanistan vom patriarchalischen Diktat muslimischer Orthodoxie befreit werden sollen, indem ihre Familien einem langwierigen Krieg zum Opfer fallen, dann dokumentiert die Mißachtung ihres Lebensrechts durch militärische Gewalt und die Zerstörung der Grundlagen ökonomischer Reproduktion nicht nur die Instrumentalisierung fortschrittlicher Ideale. Der eklatante Unterschied in der Bewertung des Lebens der Menschen in den Ländern, in denen die NATO Krieg führt, und dem der Soldatinnen und Soldaten der kriegführenden Staaten allein läßt einen inhärenten Rassismus erkennen, der die beanspruchte Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten Lügen straft. Wo die Familien namenloser afghanischer Kriegsopfer im besten Fall mit einigen tausend Euro für den Verlust ihrer Angehörigen entschädigt werden, während wortreich über Posttraumatische Belastungsstörungen der NATO-Truppen geklagt wird, wo die Bevölkerung Afghanistans Hunger leidet, während die Luxusgüter der Shopping Malls auf US-Militärbasen unter erheblichem Aufwand um die halbe Welt herangekarrt werden, wo rundum versorgte und als Helden glorifizierte Bundeswehrsoldaten eine Gefahrenzulage von fast hundert Euro am Tag erhalten, während ihre in Plastiksandalen kämpfenden afghanischen Gegner als Terroristen dämonisiert werden, wo in Kabul eine hochbezahlte Elite aus zivilen Funktionären von Regierungsinstitutionen und NGOs ein Luxusleben führt, während afghanische Mütter nicht wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen, da hat man es mit nichts anderem als der rassistischen Zweiteilung in Opfer und Nutznießer imperialistischer Kriegführung zu tun.

Angelika Claußen am Rednerpult - Foto: © 2011 by Schattenblick

Angelika Claußen
Foto: © 2011 by Schattenblick

Zu den maßgeblichen Organisationen des Bündnisses, das die Gegenveranstaltungen zur Bonner Afghanistankonferenz vorbereitet hat, gehört IPPNW Deutschland. Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. sind mit ca. 8000 Mitgliedern ein tragender Bestandteil der deutschen Friedensbewegung und darüberhinaus in das internationale Netzwerk der 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Dachorganisation International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) eingebunden. Die ehemalige IPPNW-Vorsitzende Angelika Claußen, die bereits zum Auftakt der Friedensdemo eine Rede gehalten hatte, antwortete während des Marsches durch die Bonner Innenstadt auf die Frage des SB, welchen Eindruck sie von der Beteiligung und der Stimmung auf der Kundgebung und der Demonstration habe:

AC: Ich finde die Stimmung ausgesprochen gut, und die Teilnahme ist sehr viel besser als ich erwartet hatte. Es zeigt sich, daß es wirklich einen starken Kern von überzeugten friedensbewegten Menschen gibt in der Bundesrepublik, die auch wirklich dabei bleiben, die sich langfristig für den Frieden einsetzen und für das Frieden-schaffen-ohne-Waffen, die gegen zivilmilitärische Zusammenarbeit auftreten, das finde ich so wichtig.

SB: Welche Pläne hat die NATO Ihres Erachtens derzeit in Afghanistan? Will sie bleiben?

AC: Natürlich. Die NATO will bleiben, die NATO will Militärbasen errichten. Die sind ja auch schon im Aufbau, und es dreht sich darum, daß eine langfristige Stationierung von Militär in Afghanistan geplant ist und durchgeführt werden soll.

SB: Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Beteiligung der Bundeswehr?

AC: Unsere Regierung will, daß sich die Bundeswehr dort beteiligt. Das ist heutzutage wie eine Währung: wenn man in der Welt etwas gelten will, muß man Militär und Waffen beisteuern. So wird das wohl in bestimmten oberen Kreisen gesehen. Aber das ist nicht das, was die Menschen wollen. Wir Menschen wollen Frieden und wir wollen, daß die Menschenrechte durchgesetzt werden.

SB: Wie lange wird die NATO Ihrer Einschätzung nach noch in Afghanistan bleiben?

AC: Solange bis sie kaputt ist.

SB: Wie schätzen Sie die Gefahr eines Krieges gegen den Iran ein?

AC: Groß. Sehr groß. Ich bin sehr, sehr erschrocken, wie jetzt eskaliert wird und wie bei den neueren Beschlüssen nach Wirtschaftssanktionen, die auch die Bundesregierung mitträgt, weder die Bundesregierung noch die EU auch nur im Ansatz eine eigene Politik verfolgt. Man muß nicht alle Verrücktheiten und alle Kriege der USA mitmachen, das muß man nicht. Europa kann eine eigenständige Politik machen, und es ist höchste Zeit, daß man damit anfängt.

SB: Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hat sich beim Libyenkrieg zunächst sehr zurückhaltend geäußert, wofür er sehr viel Kritik einstecken mußte.

AC: Nicht von uns, im Gegenteil. Wir haben uns sehr darüber gefreut, daß sich gerade Westerwelle, von dem wir das nicht erwartet haben, so zurückgehalten und aus unserer Sicht eine klare Position vertreten hat, sich nicht zu beteiligen.

Fronttransparent 'Bring The Troops Home!' - Foto: © 2011 by Schattenblick

Den Wind im Rücken ...
Foto: © 2011 by Schattenblick

Eine ältere Demonstrantin zeigte sich dagegen traurig über die ihre Ansicht nach zu geringe Teilnehmerzahl. Sie hätte sich angesichts der von weither angereisten Kriegsgegner, die für ihre Anwesenheit viele Stunden Fahrt in Kauf nahmen, gewünscht, daß mehr Menschen aus Nordrhein-Westfalen zugegen wären, meinte sie dem SB gegenüber. Neben dem regnerischen Wetter und der Vorweihnachtszeit machte sie eine zu geringe Mobilisierung durch Gewerkschaften und Parteien dafür verantwortlich, daß der Protestzug vor allem aus politisch überdurchschnittlich interessierten Menschen bestand.

Ein älterer Demonstrant erklärte, schon vor zehn Jahren, bevor der Afghanistankrieg begonnen hat, auf die Straße gegangen zu sein, weil es absehbar gewesen wäre, daß dieser Krieg geführt werden sollte. Seiner Ansicht nach wurden die Anschläge des 11. September 2001 als Gründe vorgeschoben, da der Krieg gegen Afghanistan schon lange vorher auf der Agenda der westlichen Staaten gestanden hätte. Die NATO-Regierungen seien zur Zeit ziemlich verunsichert, weil sie militärisch in der Sackgasse gelandet wären, und etwa die Waffen, die den afghanischen Polizisten in die Hand gegeben werden, verschwinden und bei den Taliban wieder auftauchen.

Polizist mit Pistole am Gürtel - Foto: © 2011 by Schattenblick

... in Deutschland wie Afghanistan
Foto: © 2011 by Schattenblick

Ein iranischer Demonstrant brachte die Frage, wieso sich so wenige Menschen für die Politik der Bundesregierung in Afghanistan interessierten, unter Verweis auf die vielen Polizisten, die die Demo flankierten, kurz und treffend auf den Punkt: "Hier läuft jeder mit einer 45er herum. Welche Politik?"

Bengalo im internationalistischen Block - Foto: © 2011 by Schattenblick

Die Kämpfe der Zukunft rot illuminiert ...
Foto: © 2011 by Schattenblick

Die starke Beteiligung migrantischer Jugendlicher am internationalistischen Block der Demo dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, daß der neokolonialistische Charakter der NATO-Kriege und der sozialrassistische Anwurf neokonservativer Eliten in der Bundesrepublik zwei Seiten einer Medaille kapitalistischer Herrschaft sind. Die Diffamierung insbesondere türkischer und arabischer Jugendlicher durch die Sarrazin und Broder der Republik scheint Früchte zu tragen, die diesen Herren ganz und gar nicht munden, bildet sich doch gerade unter den am meisten benachteiligten Jugendlichen ein Interesse an antiimperialistischen und antikapitalistischen Positionen aus, die dem sich weltoffen gebenden und ökonomische Ausbeutung meinenden Liberalismus dieser Eliten diametral entgegenstehen.

Auf dem Platz der Abschlußkundgebung präsent ist auch die Organisation Dev Genc/Freiheit und Solidarität, eine linke Organisation, die aus der 68er Bewegung in der Türkei entstanden ist. Ihre Kritik an der Erdogan-Regierung betrifft insbesondere die starke Regulation der Presse, die die türkische Linke um so mehr dazu nötige, Flagge auf der Straße zu zeigen. Die Aktivistinnen und Aktivisten berichten von massiver Repression durch die türkische Regierung etwa als sie in Istanbul zusammen mit der kurdischen BDP eine Kundgebung gegen die Verfolgung kurdischer Bürgermeister abhielten. Es sei zu vielen Verhaftungen gekommen, gleichzeitig jedoch werde kaum über diese Form der politischen Unterdrückung berichtet. Auf die Frage, welche Rolle Deutschland aus Sicht der türkischen Linken spielt, wird die Antwort erteilt, daß man kein Problem mit der deutschen Bevölkerung, wohl aber mit der herrschenden Klasse hierzulande habe. Die Geschichte deutsch-türkischer Zusammenarbeit bei Krieg und Unterdrückung reicht bis vor den Ersten Weltkrieg zurück, so daß hier noch einige Aufklärungsarbeit zu leisten wäre.

Dev Genc-Fahnen - Foto: © 2011 by Susanne Fasbender

Die Polizei schützt die Gesellschaft vor Veränderung
Foto: © 2011 by Susanne Fasbender

Zwei dänische Aktivisten der Organisation Nej Til Krig erklären, daß sie mit insgesamt drei Personen angereist sind, um an der Demo und den weiteren Veranstaltungen des Wochenendes teilzunehmen. Als Vertreter eines kleinen Landes wären sie um so mehr daran interessiert, mit internationalen Bewegungen zusammenarbeiten, so die jungen Männer, die sich als friedensbewegte Linke mit internationalistischer Agenda zu erkennen geben. Erstaunt zeigen sie sich über den Streit, der in der deutschen Linken um das Thema der Palästinasolidarität entbrannt ist und der maßgeblich dafür verantwortlich sein dürfte, daß viele Gruppen der radikalen Linken sich heute nicht mehr an antimilitaristischen Aktionen beteiligen, findet die Kriegführung der NATO doch fast ausschließlich in Ländern statt, die ihrerseits ein eher gespanntes Verhältnis zu Israel unterhalten.

In Dänemark sehe man die Politik der deutschen Bundesregierung vor allem hinsichtlich des von ökonomischer Dominanz geprägten Verhältnisses zu kleineren EU-Staaten kritisch. Gleichzeitig finde in Dänemark selbst ein Rechtsrutsch statt, der auch die fortschrittlichste im Kopenhagener Parlament vertretene Partei, die Red-Green Alliance, betrifft. Sie hat wie alle anderen Fraktionen für die Mandatierung des Libyenkriegs gestimmt, zog ihre Unterstützung später allerdings zurück, weil viele ihrer Wählerinnen und Wähler diese Entscheidung heftig kritisierten.

Transparent 'Solidarität mit den politischen Gefangenen' - Foto: © 2011 by Schattenblick

Politisches Strafrecht - Zivilmilitärische Zusammenarbeit anderer Art
Foto: © 2011 by Schattenblick

Ein Vertreter der Interventionistischen Linken (IL), die ebenfalls zum Bündnis der die Demo organisierenden Gruppen gehört, beantwortete dem SB einige Fragen zur eher dürftigen Beteiligung des breiten Spektrums linksradikaler Gruppen. Auf die Frage, ob der große Rest dieser Gruppen nicht mehr antimilitaristisch sei, antwortete er:

IL: Ja, das ist ein großes Problem, daß ein Teil der radikalen Linken oder die sich als radikale Linke bezeichnen, keine antimilitaristischen oder internationalistischen Positionen mehr vertreten. Wir versuchen mit solchen Demonstrationen oder mit anderen Kampagnen wie "Tatort Kurdistan" genau diese Themen wieder in die Linke und auch darüberhinaus in die Gesellschaft zu bringen.

SB: Woran liegt das zurückgegangene Interesse an internationalistischen Themen eurer Ansicht nach?

IL: Das ist im Prinzip ein 20 Jahre alter Prozeß. Das begann mit dem Golfkrieg, als sich einzelne Linke auf die Seite der USA stellten. Ich kann mir das auch nicht richtig erklären. Ich glaube, daß Teile der Linken die Propaganda der imperialistischen Staaten, die ihre Kriege als Friedensmaßnahmen verkaufen, als Kampf für den Fortschritt oder die westlichen Werte, völlig paradoxerweise aufnehmen.

SB: Ist die Partei Die Linke, die auf der Demo stark vertreten ist, ein potentieller Bündnispartner für euch oder ist sie euch schon zu etabliert?

IL: Grundsätzlich finden wir es richtig, breite Bündnisse zu schließen. Heute ist natürlich die Antikriegsposition unserer Partner von elementarer Bedeutung, deswegen sehen wir zum Beispiel die Rede von Hans Christian Ströbele, die noch kommt, sehr kritisch, weil er einer Partei angehört, die heute eine Kriegspartei ist. In der Linkspartei ist es ja im Moment noch umstritten, auf was für einen Kurs sich die Partei begeben soll, bis jetzt spricht sie sich immerhin noch gegen die Kriege aus, die gerade stattfinden. Wenn das einmal nicht mehr so sein wird, dann verliert die Linkspartei für uns natürlich die Bündnisfähigkeit. Aber momentan können wir das auf jeden Fall noch vertreten.

SB: Ströbele hat kürzlich einen Antrag der grünen Bundestagsfraktion unterstützt, laut dem mehr Frauen aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit in die Bundeswehr sollen. Wie kann so ein Mensch glaubwürdig auf einer Afghanistandemonstration sprechen?

IL: Das frage ich mich auch. Auf jeden Fall sehen wir diese Rede sehr kritisch und lehnen ab, daß so jemandem hier ein Podium geboten wird. Die linken Feministinnen, mit denen wir organisiert sind, fordern die Auflösung der Bundeswehr und betrachten Militarismus natürlich als einen Teil des Patriarchats. Ich denke, dieser Analyse müssen wir uns anschließen.

'Solidarität mit revolutionären Frauen weltweit'  - Foto: © 2011 by Schattenblick

"Herr"schaft wortwörtlich verstanden
Foto: © 2011 by Schattenblick

Nach den lautstarken Protesten gegen die Rede Ströbeles meinte ein junger Aktivist aus Stuttgart auf die Frage, wie er über den Streit um diesen Auftritt denkt:

A: Ich kann beide Seiten verstehen. Einerseits war Bündnis90/Die Grünen die Partei, die damals mit der SPD für den Krieg gestimmt hat. Andererseits war Ströbele jemand bei den Grünen, der immer gegen den Krieg war. Jetzt ist die Frage, ob man ihn kritisiert und sagt, er hätte aus der Partei austreten und sich distanzieren sollen, oder ob man sagt, es ist vorbildlich, wenn er trotzdem in der Partei bleibt und versucht, dort eine Mehrheit zu finden. Ich finde besonders bedauerlich, daß man die Basis der Grünen, die sehr nahe an der Friedensbewegung steht, mit der damaligen Eintscheidung, für den Krieg zu stimmen, enttäuscht oder verraten hat. Das ist meine Meinung.

SB: Wie denkst du über die Entwicklung der Grünen insgesamt, die ja einst als fortschrittliche Antiatompartei angetreten sind?

A: Sie haben sicherlich als relativ radikale, in Anführungszeichen gesellschaftskritische Partei angefangen. Ich kann heute bei den Grünen nichts Radikales oder Gesellschaftskritisches mehr erkennen. Sie haben sich dem System angepaßt. Insofern sind sie für mich persönlich als Partei nicht tragbar.

SB: War es demnach angemessen, Eier auf Ströbele zu werfen, oder ging das zu weit?

A: Das ist eine schwierige Frage, die ich nicht mit ja oder nein beantworten kann. Protest finde ich o.k., aber Eier finde ich doch unangebracht. Man hätte anders damit umgehen müssen und sich vielleicht mit einem Transpi auf der Bühne gegen den Krieg aussprechen können oder Sprechchöre bilden, aber Eier und Tomaten finde ich schon etwas kritisch, weil es tatsächlich eine Person war, die sich seit zehn Jahren gegen den Krieg einsetzt.

DKP-Fahnen - Foto: © 2011 by Schattenblick

Geschichte verpflichtet ...
Foto: © 2011 by Schattenblick

Zwei andere Teilnehmerinnen der Kundgebung waren der Ansicht, daß Ströbele als Mitglied einer Kriegspartei nicht hätte sprechen sollen. Insbesondere die Verantwortung der Grünen für die deutsche Beteiligung am Jugoslawienkrieg war ihnen in schlechter Erinnerung.

Am Infostand der DKP war man mehrheitlich der Ansicht, daß man Ströbele hätte sprechen lassen sollen. Eine Genossin verwies auf den breiten Charakter des Bündnisses, das die Demo veranstaltet hat, und meinte, man müsse froh über jeden sein, der gegen diesen Krieg öffentlich auftritt und etwas dagegen unternimmt. Sie kritisierte den Protest der Ströbele-Kritiker als Bruch mit der vorher bestimmten Konzeption der Abschlußkundgebung. Es wäre ein Gebot der Fairness, die dort eingeladenen Redner auch sprechen zu lassen, ansonsten hätte man Ströbele nicht einladen dürfen. Sie würde sich wünschen, daß Ströbele in seiner Partei wieder mehr Gewicht erhielte.

Lisa im Wagen des Jugendblocks - Foto: © 2011 by Schattenblick

Streitbare Reden in Bewegung ...
Foto: © 2011 by Schattenblick

Wie von ihr befürchtet nahm die Eierattacke auf Ströbele einen großen Teil der Berichterstattung der bürgerlichen Presse ein. Man darf sich allerdings auch fragen, ob die Bonner Friedensdemo ansonsten überhaupt zur Kenntnis genommen worden wäre. Die Vielfalt der dort vertretenen Stimmen und Positionen wäre in den Zeitungen großer Verlagskonzerne und den Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wo man sich monatelang über das Versäumnis der Bundesregierung beschwerte, im UN-Sicherheitsrat nicht für den Krieg gegen Libyen gestimmt zu haben, auch sonst kaum angemessen repräsentiert worden. Von den dominanten Akteuren des kulturindustriellen Legitimationsbetriebs ist kaum zu erwarten, daß sie das eigene Geschäftsmodell dadurch in Frage stellen, daß sie dem Zusammenhang zwischen Krieg und Kapital auf den Grund gehen. Was das Schielen nach Bündnispartnern in den Reihen durch persönliche Karriereambitionen und bequeme Versorgungsposten korrumpierter Parteien und Institutionen betrifft, so machte Lisa vom Bonner Jugendbündnis im Anschluß an die Forderung nach "echtem Widerstand gegen Krieg und Kürzungen" auf der Rednertribüne eine treffende, hoffentlich nicht auf den unverbrauchten Elan der Jugend beschränkte Feststellung: "Wir können uns nur auf uns und unsere Mitstreiter verlassen. Deshalb laßt uns damit beginnen, aus Sympathisanten im Kampf Aktive der Tat zu machen."

Fußnoten:

[1] http://www.nein-zum-kriegsflughafen.de/

[2] http://www.flughafen-natofrei.de/index.php?article_id=1

[3] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14339063.html

[4] http://nejtilkrig.dk/NO-TO-WAR/

HipHop auf Rednertribüne - Foto: © 2011 by Schattenblick

Microphone Mafia ... zurück zu den Wurzeln politischer Kultur
Foto: © 2011 by Schattenblick

13. Dezember 2011