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BERICHT/108: Kongreß Kurdischer Aufbruch - Der verleugnete Krieg gegen die Adivasi in Indien (SB)


Indigene Völker stehen den Rohstoffinteressen transnationaler Konzerne im Weg

Vortrag von Felix Padel am 4. Februar 2012 in der Universität Hamburg

Felix Padel - Foto: © 2012 by Schattenblick

Felix Padel
Foto: © 2012 by Schattenblick
Was haben das kurdische Volk und die indischen Ureinwohner, die Adivasi, obgleich Tausende Kilometer voneinander entfernt, dennoch miteinander gemein? Felix Padel hat sich auf der Konferenz "Die kapitalistische Moderne herausfordern - Alternative Konzepte und der kurdische Aufbruch" unter anderem dieser Frage eingehend gewidmet. Der Sozialanthropologe lebt seit vielen Jahren in Indien und begreift sich vor allem als Mahner gegen die durch den Bergbau hervorgerufenen ökologischen Katastrophen und die im Zuge sozialer Kämpfe im indischen Vielvölkerstaat drohenden gesellschaftlichen Verwerfungen. Eigens zu dem Themenkomplex verfaßte er zwei Hauptwerke, "Sacrificing People: Invasions of a Tribal Landscape" (1995/2010) und zusammen mit dem indischen Aktivisten Samarenda Das "Out of This Earth: East Indian Adivasi and the Aluminium Cartel" (2010). Darin prangert er nicht nur die schier grenzenlos menschenverachtende und kartellorganisierte Landenteignung der ansässigen indigenen Bevölkerung an, sondern setzt sich auch generell mit der im Zeichen des globalisierten Kapitalismus wachsenden Kumpanei zwischen Kapital- und Staatsinteressen akribisch auseinander, wobei die Bergbau- und Waffenindustrie verstärkt in den Fokus seiner Kritik fallen.

Adivasi ist eine Selbst- und Sammelbezeichnung der indigenen Bevölkerungsanteile Indiens mit der Bedeutung "erste Bewohner" oder "erste Siedler". Sofern sie in traditionellen Dorfgemeinschaften leben, verwendet man für sie auch den ethno-kolonialistischen Begriff Stammesvölker. An der indischen Gesamtbevölkerung sind sie anteilig mit 7 Prozent oder etwa 70 Millionen Menschen vertreten. Heutzutage beherbergt der im Jahr 2000 aus dem Bundesstaat Bihar ausgegliederte Unionsstaat Jharkhand die größte Bevölkerungsgruppe der Adivasi. Ihr Verständnis für Zugehörigkeit bezieht sich auf geographische Kulturräume, in denen sie seit Jahrhunderten Ackerbau, Viehzucht und Handwerk betreiben und enge Verwandtschaftsbeziehungen aufgebaut haben. Die größten Adivasigemeinschaften sind die der Koli und Bhil im Westen, der Gond, Khond, Savara, Gadaba in Zentralindien, Dafla, Naga, Khasi, Garo im Nordosten, Oraon, Munda, Ho, Santal im Osten und der Chenchu, Sholega, Toda, Kota, Irula, Kurumba und Kadar im Süden Indiens.

Padel sieht sich als Vertreter eines ökologischen Universalismus. Bedingungslosen Fortschritt durch den ungehemmten Ausbau von Industrieanlagen und die Vergabe von Erzabbaulizenzen an ausländische Minengesellschaften auf Kosten der eigenen Landbevölkerung zu erzwingen, die in ihren Kulturtraditionen einen schonenden Umgang mit den Ressourcen Land, Wasser und Umwelt pflegen und Anbauflächen nach ökologischen Gesichtspunkten bewirtschaften, kann nicht gutgeheißen und muß entschieden bekämpft werden. Wer ohne Gewissen und Verantwortlichkeit auch gegenüber nachfolgenden Generationen oder den Existenzrechten ursprünglicher Lebens- und Gemeinschaftsformen Landraub, massenhafte Vertreibung und irreversible Zerstörung über lange Zeiträume gewachsener Ökosysteme in den Menschen-, Tier- und Pflanzenwelten betreibt, begeht nach Padel "kulturellen Völkermord" und einen "Ökozid", dessen Konsequenzen für das Leben auf dieser Welt nicht anders als verheerend sein können. Padel läßt keinen Zweifel daran, daß der Kapitalismus als rigoroses Wirtschaftssystem zur bedenkenlosen Maximierung des Profits der Erzfeind aller ökologischen Gesellschaften und alternativen Sozialprojekte ist.

Indien ist trotz der vernetzten Informationsdichte ein weißer Fleck auf der medialen Karte des Westens. Kaum jemand ahnt die Gewaltexzesse und akuten Überlebenskämpfe, denen die Stammesvölker, Dalits (Nachfahren der Adivasi aus den niederen Kasten der "Unberührbaren") und marginalisierten Armutsschichten in den urbanen Mega-Cities Tag für Tag ausgesetzt sind. So war es Padel ein inneres Bedürfnis, zur Konferenz zu kommen, die weite Reise aus Indien auf sich nehmend, um der Sache der Adivasi eine Stimme zu geben und das Stillschweigen der Weltöffentlichkeit gegenüber den an ihnen begangenen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu brechen.

Was sich in der Türkei seit Jahrzehnten abspielt, die kemalistische, kulturalistische und rassistische Unterdrückung der Kurden als ganzes Volk, die systematische Verleugnung ihrer Muttersprache und Negierung ihres Anrechts auf autonome Selbstbestimmung, weist laut Padel Parallelen zur Repressionspolitik Indiens gegenüber den Adivasi auf. Während die Türkei auf dem armenischen Auge seit fast einem Jahrhundert blind ist und sich ihrer historischen Verantwortung mit bisweilen aberwitzigen Argumenten entzieht, zwingt sie die konfessionellen und nichttürkischen Minderheiten unter ein rigides Assimilationsregime, von der als größte Minorität im Lande insbesondere die Kurden am schwersten betroffen sind.

So wurden im Zuge der Staudammprojekte im Osten der Türkei mehr als 3.000 Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und Abertausende Menschen ihrer kulturellen und ökonomischen Wurzeln beraubt. Mit bloßen Almosen dafür abgespeist, die magere, aber doch lebenssichernde Subsistenzwirtschaft sowie den Schutz und Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft für immer verloren zu haben und in den Nöten einer unsicheren Zukunft völlig auf sich allein gestellt zu sein, blieb den meisten als letzter Ausweg nichts anderes übrig, als in die Slumsiedlungen der großen Ballungszentren und Metropolen umzusiedeln. In karger Hoffnung, jemals wieder aus dem Elend der Entwurzelung herauszukommen und in einem eskalierenden Tempo der Verarmung ausgeliefert zu sein, hat sich so ein Millionenheer von Tagelöhnern und prekär Beschäftigten gebildet - die Schattenseite der aufblühenden türkischen Wirtschaft.

Die Kurden als eine der ältesten Kulturen Westasiens haben darunter doppelt zu leiden. Zum einen stehen sie unter dem gesellschaftlichen Anpassungsdruck der türkischen Mehrheitsgesellschaft, die, wo sie auf Gegenwehr stößt, alle Register sozialer Ausgrenzung und Diffamierung zieht, und müssen andererseits ihre politischen Aktivitäten gegen den Generalverdacht, separatistisch zu agitieren und die PKK zu unterstützen, antizipieren. Daß dies unter den Richtlinien eines herkunftsideologischen Ressentiments nicht gelingen kann, läßt sich an Tausenden politischen Gefangenen ablesen, deren einziges Verbrechen darin besteht, die eigene Identität nicht losgelöst von der Zugehörigkeit zu einem Volk, zu seiner Sprache und Kultur, zu denken.

Diese Ungerechtigkeit hat indes eine Stimme, von der die Konferenz in Hamburg Zeugnis ablegt. Daß jedoch in Indien gegenwärtig der schlimmste Krieg tobt, der jemals auf dem Subkontinent entbrannt ist, verhallt, so Padel, in lautloser Leere. Keineswegs mit einem leichten Herzen gestand der englische Gelehrte dies ein. Schließlich kennt sich der Urenkel Charles Darwins in der indischen Geschichte bestens aus, weiß um die blutigen Aufstände gegen die britische Kolonialmacht. Was jedoch in den sogenannten Stammesländern an Willkür und Gewalt staatlicherseits und durch paramilitärische Milizen exerziert wird, grenze an einen Ausrottungskrieg. Widerstand gegen den indischen Machtapparat und seine Institutionen leistet eine maoistische Bewegung, die den Aufstand einiger Stammesvölker gegen ihre Unterjochung und generalstabsmäßige Vertreibung organisiert.

Ihre Entstehungsgeschichte setzte in den späten 1960er Jahren an, als im Bezirk Naxalbari bei Darjeeling in Westbengalen 1967 ein unter der Führung einiger Mitglieder des linken Flügels der Communist Party of India (Marxist) - CPI(M) - organisierter Bauernaufstand von der Polizei mit drakonischen Mitteln niedergeschlagen wurde. Auslöser der Proteste, die im selben Zeitraum auch in anderen Teilen des Landes wie in Srikakulam im südöstlichen Unionsstaat Andhra Pradesh aufflammten, insbesondere der verarmten und hungernden Landbevölkerung, waren neben der Konzentration des Landes in den Händen oligarcher Großgrundbesitzer, deren Reichtum an Grund und Boden noch aus der britischen Kolonialzeit herrührte, im wesentlichen die soziale Diskrimierung und ökonomische Benachteiligung der Adivasi durch die hinduistische Mehrheitsgesellschaft. Zwar hatte die indische Verfassung das System der Kasten und rassistischen Herabsetzung für abgeschafft erklärt und durch verschiedene Artikel und Verfassungszusätze den Schutz der Siedlungsgebiete und Bürgerrechte der Adivasi gesetzlich verankert, aber in der auf dem Rücken des Kastenwesens aufgebauten heterogenen Gesellschaft Indiens wurden und werden sie weiterhin wie Ausgestoßene und Menschen zweiter Klasse behandelt. Nach dem Aufstand in Naxalbari werden die maoistischen Kader auch Naxaliten genannt, die nach wechselnden Phasen des Erfolgs und Scheiterns heutzutage in einem Drittel aller Distrikte und in der Hälfte der indischen Bundesstaaten ihren bewaffneten Kampf für die entrechtete und besitzlose Landbevölkerung sowie für die Lebensinteressen der Adivasi fortsetzen.

Wie in der kurdischen Guerilla sind auch unter den maoistischen Kämpfern sehr viele Frauen - Padel zufolge etwa ein Drittel. Im Daseinskampf der unterdrückten Völker in der Türkei und in Indien gebe es Übereinstimmungen, aber auch Unterschiede. Für die politische Elite gelten indes sowohl die Maoisten als auch die PKK-Kämpferinnen und -Kämpfer als Staatsfeinde, deren Anliegen als Terrorakte verketzert und auf diese Weise delegitimiert werden. So hat der indische Premierminister Manmohan Singh die Maoisten schon vor Jahren als Indiens größtes Sicherheitsrisiko bezeichnet. Angesichts solcher Brandreden kann es nicht verwundern, wenn die Polizeikräfte mit wachsender Härte gegen die Aufständischen vorgehen und im Schatten der Legalität schwerwiegende Greueltaten begehen.

Allerdings ist der massenmedial erweckte Eindruck, bei der Polizeioperation handle es sich um eine notwendige Maßnahme gegen eine terroristische Guerilla, Teil einer langjährigen Aufstandbekämpfungsstrategie. Tatsächlich stammt nur eine Minderheit der naxalitischen Kämpfer aus dem politischen Kader. In der Hauptsache sind es junge Frauen und Männer der Adivasi, die sich gegen die Zwangsevakuierung und den von den Unionsstaaten organisierten und ausgerüsteten Bürgermilizen zur Wehr setzen. In der Bastar-Region im Unionsstaat Chattisgarh beispielsweise kämpften die Adivasi zu Beginn des Konflikts noch mit einfachen Waffen wie Äxte und Speere gegen ihre Vertreibung. Erst als die Maoisten sich ihrer Sache annahmen und ihren Widerstand organisierten, kamen Handfeuerwaffen, Handgranaten, Landminen und Sturmgewehre zum Einsatz, um dem zunehmenden Terror der Salwa Judum, der 2005 von den Mittel- und Oberkasten sowie Großbauern aufgestellten Miliz, die mit Hinrichtungen, Vergewaltigungen und dem Niederbrennen hunderter Adivasi-Dörfer die rohstoffreichen Gebiete zu räumen versuchten, zu begegnen.

Der seit Jahrzehnten andauernde Krieg gegen die Urbevölkerung ist dabei nur ein Puzzlestück weit größerer innergesellschaftlicher Krisenfelder, mit denen sich die Zentralregierung in Neu Delhi konfrontiert sieht und die die Belastbarkeit des Staatswesens bis an die Grenzen treiben. Sprengkraft bergen neben dem nach wie vor großen materiellen Elend der Mehrheit der indischen Bevölkerung, dem Dauerkonflikt in Kaschmir und hinduchauvinistischen Übergriffen auf die islamische Minderheit eine ganze Reihe von Unabhängigkeitsbewegungen im zerklüfteten Nordosten des Landes.

Die angestammte Bevölkerung in den Bundesstaaten Orissa, Chattisgarh oder Jharkand, die trotz des wirtschaftlichen Booms zu den ärmsten im Lande zählen, steht der Erschließung großer Vorkommen an Bauxit, Eisenerz und Kohle im Wege. Weil die Übertragung von Stammesland an Nicht-Adivasi verfassungsrechtlich untersagt ist, spielen die Minengesellschaften die Karte der Gewalt aus, töten oder terrorisieren die Dorfgemeinschaften, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Die jeweiligen Landesregierungen schauen nicht nur weg, sondern spannen im Interesse milliardenschwerer Investitionen den Polizeiapparat für die kapitalgetriebene Erschließung dieser rechtlich geschützten Territorien ein, in Chattisgarh rekrutiert die Regierung Bürgerwehren und rüstet sie in Ausbildungscamps auf. So haben hunderttausende Menschen ihr Land und ihre Existenzgrundlagen ohne Entschädigung verloren.

Über den Krieg gegen die Adivasi regt sich unterdessen in der indischen oder internationalen Presse kaum eine Stimme des Protestes. Artikel in Indiens Gazetten über Massaker an den Adivasi sind rar oder verdrehen, wenn überhaupt darüber berichtet wird, die Fakten bis zur Farce. Vielmehr wird mit dem Primärziel der Bekämpfung der Maoisten in Pressekampagnen und lancierten Stellungnahmen der Regierung eine Art Einschüchterungspolitik betrieben, die zivile Menschenrechtsgruppen und NGOs davon abhalten soll, sich für die Belange der Adivasi einzusetzen. Der Staat droht ihnen mit Repressalien bis zu Haftstrafen auf Rechtsgrundlage der 2005 erlassenen Anti-Terror-Gesetze. Die offen widersprüchliche Politik, den Adivasi einerseits verfassungsgemäße Rechte zuzusichern, sie aber andererseits in den Umbrüchen kapitalistischer Modernisierung ihrer Siedlungsräume zu berauben, hat den Maoisten unter der Urbevölkerung einen ungeahnten Zulauf beschert.

Anders als in der Türkei, wo die kurdische Guerilla bis auf ihre Rückzugsgebiete in den Bergen keine regionale Kontrolle ausübt, existieren in Indien maoistische Territorien mit autonomer Verwaltung und eigenem Schul- und Justizwesen. Auch wenn diese immer wieder hart umkämpft sind und sich ihr Frontverlauf je nach Kriegslage verschiebt, besitzt die Staatsgewalt dort keine Autorität. In der Presse spricht man bereits von einem "Roten Korridor", der sich von der nepalesischen Grenze bis in den südindischen Bundesstaat Karnataka zieht.

Padel kam dann auf einen wesentlichen Unterschied in der öffentlichen Wahrnehmung der Türkei und Indiens zu sprechen. Während die Türkei als augenscheinlich laizistisches Staatswesen in puncto Demokratisierung noch großen Nachholbedarf habe und aufgrund ihrer Kurdenpolitik als Beitrittsland zur EU stark umstritten sei, werde Indien als größte Demokratie der Welt bezeichnet. In dieser Darstellung läge eine gewisse Wahrheit, so Padel, denn in der Türkei, so seine Ausführung, wäre es undenkbar, daß kritische Artikel, etwa mit der Schlagzeile 'Gemeinsam marschieren mit der PKK', erscheinen dürften. Kaum eine Stunde wäre verstrichen, bis die Tür zu den Wohnungen der Herausgeber und Übersetzer aufgebrochen und sie in Militärjeeps zum Verhör oder schlimmeren Dingen abgeholt würden. Auch in Europa, betonte der Referent, wäre es keineswegs einfach, einen unvoreingenommenen Artikel über den Kampf der PKK zu veröffentlichen, geschweige denn über die Motivationsansprüche der afghanischen Taliban.

Padel nahm dabei Bezug auf den von der Schriftstellerin und Globalisierungskritikerin Arundhati Roy, mit der ihn eine langjährige Freundschaft verbindet, im März 2010 im indischen Nachrichtenmagazin Outlook veröffentlichten Artikel "Walking With The Comrades". Darin schildert sie ihre über Wochen gesammelten Erfahrungen mit der Maoisten-Guerilla in den Dandakaranya-Wäldern Zentralindiens, der Heimat mehrerer Stammesvölker, von denen viele zu den Waffen gegriffen haben, um ihr Land, ihr Volk und ihre Lebensweise gegen die vom indischen Staat unterstützten Großkonzerne und deren Raubbau zu verteidigen. Hunderte junger Adivasis hätten sich den Maoisten angeschlossen, um aus dem Schatten einer unkoordinierten Gegenwehr herauszutreten und dem Staat und seinen Marodeuren die Stirn zu bieten.

Dies sei die verschwiegene Seite der Rebellion, deren Beweggrund weder eine politische Ideologie noch die Weihen einer visionären Parteidoktrin wären. Vielmehr ginge es um nichts anderes, als den grausamen Übergriffen der Sicherheitskräfte und Privatarmeen der Großgrundbesitzer und Agromultis, den willkürlichen Abschlachtungen ganzer Dorfgemeinschaften und dem morbiden Hunger nach Bodenschätzen und kapitalistischer Vereinnahmung die Antwort nicht schuldig zu bleiben.

Die Gewalt ist Padel zufolge inzwischen dermaßen eskaliert und extrem geworden, daß die Stammesvölker mit dem Rücken an der Wand nur mehr vor der Wahl stünden, vollends unterzugehen oder für ihre traditionelle Lebenskultur in den solidarischen Kampf zu treten. Padel verwies in diesem Zusammenhang auf die Recherche einer jungen Journalistin aus Mumbai, die sich für die Rechte der Adivasi-Frauen einsetzt. Frauen kämpfen in diesem Krieg an der vordersten Front, sie seien eine Inspiration für die Widerstandsbewegung, aber gleichzeitig auch Angriffsziel und bevorzugtes Opfer des Staatsapparats. Vor zwei Jahren sei es im Dorf einer Frau aus dem Adivasi-Volk zu Mißhandlungen gekommen. Dennoch habe sie sich nicht einschüchtern lassen und Anklage erhoben. Auch die Presse berichtete darüber. Daraufhin wurde sie von der Polizei festgenommen, gefoltert, vergewaltigt. Noch heute können ihre Anwälte sie nicht kontaktieren. Padel nannte sie eine von Hunderten in einer von Männern dominierten Gesellschaft, zu der die Unterdrückung und Erniedrigung der Frau das Gegenstück bildet.

Padel zeigt Titelblatt einer Zeitung - Foto: © 2012 by Schattenblick

Folterung und Vergewaltigung der Adivasi-Lehrerin Soni Sori aus Bastar
Foto: © 2012 by Schattenblick

Widerstand hat bekanntlich kein Geschlecht. Wenn die Männer im Gefängnis sitzen, sind es die Frauen, die sich der Gefahr entgegenstellen. So berichtete Padel von einem der ersten Erfolge im Bundesstaat Orissa gegen die Bergbauindustrie, der auf das Konto mutiger Frauen ging. Als die Bergbaufahrzeuge auf ein Dalit-Dorf zufuhren, haben die Frauen ihre Kinder auf die Zufahrtsstraße gelegt und gesagt, wenn ihr den Berg abtragen wollt, müßt ihr zuerst die Kinder umbringen, denn sie haben keine Zukunft. Lebende Leiber, die die Straße blockierten, zwangen die Mannschaften, unverrichteter Dinge wieder abzuziehen. Man muß indes kein Augure sein, um zu wissen, was alles hätte passieren können in der Abgeschiedenheit eines Fleckens, der nicht durch die Presse ins Licht gerückt worden wäre. Zerquetschte Kinderleichen sind eine schlechte PR-Kampagne. Und doch wären der Bergbau und die Erzförderung in Orissa ohne dieses Aufbegehren der Frauen längst Alltag geworden und die Siedlungen der Dörfler im Staub der Zeit zerronnen.

In Indien passieren diese Dinge immer im Namen des Fortschritts, erläuterte Padel und verwies dabei auch auf die indischen Staudammprojekte. In Indien gibt es Tausende von Dämmen und weitere sind in Planung. In der Theorie der Ingenieure soll das Wasserpotential der Berge zur Stromgewinnung und als Reservoir für die Industrie genutzt werden, unabhängig davon, ob die Öko-Systeme, die vom fließenden Gewässer abhängen, dabei zerstört werden. Auf diese Weise werde das Wasser privatisiert. Da jeder Dammbau zu 70 Prozent aus Anleihen finanziert wird, kommt eine Hypothek auf das Wasser und wird so Eigentum der jeweiligen Unternehmen.

Die Dörfer, die in langer Generationenfolge mit den Flußläufen in enger Koexistenz stehen, werden im Zuge sinkender Wasserstände in ihren Lebensgrundlagen erschüttert. Dabei geht ein über Jahrhunderte ausgeklügeltes System der Wasserbewirtschaftung sprichwörtlich den Bach herunter mit gravierenden Auswirkungen für die Landwirtschaft des ganzen indischen Subkontinents. Entworfen wurde das Staudammprojekt auf den Reißbrettern der Ford Foundation, einer 1936 von Henry Ford und seinem Sohn Edsel Ford gegründeten US-amerikanischen Stiftung, die sich der Verbreitung der Demokratie, Reduzierung der Armut und Förderung der internationalen Verständigung verschrieben hat. Hochentwickelte Pumpsysteme holen das Wasser tief aus dem Boden heraus, was dramatische Konsequenzen hat, denn mittlerweile sind beispielsweise in Punjab nur noch 3 Prozent des Wassers als Grundwasser verfügbar und der Grundwasserspiegel senkt sich kontinuierlich in ganz Indien.

Padel machte darauf aufmerksam, daß die Metallproduktion ein wenig beachtetes Thema in der Weltgeschichte darstelle. Vor allem mit der Aluminium-Industrie hat sich der Referent viele Jahre lang intensiv und kritisch auseinandergesetzt und seine Erkenntnisse in Buchform veröffentlicht. Aluminium hat insbesondere für das Militär eine tragende Funktion, es ist aber auch für den Flugzeug- und Automobilbau unentbehrlich. Der Referent wies darauf hin, daß die Förderung von Aluminium, aber auch anderer Metalle, im engen und unmittelbaren Zusammenhang stehe mit dem Bau großer Staudämme, die in vielen Teilen der Welt wie Pilze aus dem Boden schießen. Das Staudammsystem in der Türkei hängt nicht zufällig mit gewaltigen Eisenverarbeitungsanlagen zusammen. Auch in Brasilien werden zunehmend Staudämme gebaut. Indien überholt darin inzwischen sogar die Industriestaaten.

Der blindwütige ökologische Raubbau, die maßlose Ausbeutung der Arbeit und der hochgradige Verschleiß essentieller Umweltressourcen als auch die hochsubventionierte Preispolitik für Elektrizität sind Padel zufolge Begleitumstände des weltweiten Hungers nach Metallen für den militärisch-industriellen Sektor. Um eine Tonne Stahl zu gewinnen, sind 40 Tonnen Wasser nötig, bei der Aluminiumerzeugung sind es sogar mehr als 1000 Tonnen Wasser.

Sollten die Kapazitäten zum Beispiel der Aluminiumraffinerie der Firma Vedanta in Orissa noch weiter ausgebaut werden, dann würde die Landbevölkerung ihren lebensnotwendigen Zugang zum Wasser endgültig verlieren. Schon jetzt drohen dem Landstrich verheerende Umweltverschmutzungen durch das Überlaufen der Auffangbecken für den hochgiftigen Rotschlamm der Raffinerie. Die ökonomische Wertschöpfung kennt in ihren Bilanzen kein Gewissen. Dem Metall wird das Leben nachgeordnet, auch wenn die Böden vertrocknen, fruchtbare Landschaften zu Wüsten erodieren und im Umkreis der Schornsteine jede menschliche Siedlung durch vergiftete Luft und industriellen Ascheregen unbewohnbar wird. Deswegen kämpfen die Adivasi mit dem Mut der Verzweiflung gegen den Ausbau der Metallindustrie und ihren miasmatischen Atem, der die Früchte der Bäume verfaulen läßt, die Brunnen verseucht und den Kindern frühen Tod und unheilbare Krankheiten bringt.

Padel gab einige Beispiele, die selten erwähnt werden, aber aus seiner Sicht die kapitalistische Triebfeder für den marodierenden Landraub in Indien illustrieren. Eines der größten Unternehmen in Indien, das Bergbau und Metallproduktion betreibt, ist Tata. Wie viele Bergbauunternehmen ist auch Tata an der Londoner Metallbörse notiert und steht in Pflicht gegenüber seinen Aktionären. Nationale Interessen treten somit hinter den Transnationalismus der Wertpapiere zurück. Um sich auf der Bühne weltweiter Konkurrenz zu behaupten und die Reproduktion mit dem Umlauf des Geldes in Deckung zu bringen, kommt Tata nicht umhin, für den Metallhandel alle verfügbaren Ressourcen anzuzapfen, und sei es, daß menschliche Lebensräume in Besitz genommen und die Bodenschätze dort unter maximaler Wertschöpfung ausgebeutet werden. Wenn einige hunderttausend Einwohner dadurch ihre Existenz verlieren, ist das gegenüber dem transnationalen Finanzkapital nicht nur vertretbar, sondern geradezu ein marktwirtschaftliches Erfordernis.

Kalinganagar ist eine kleine Stadt im Distrikt Jaipur an der Küste Orissas, benannt nach dem Volk der Kalinga, die vor 2000 Jahren in Orissa lebten und bereits Formen demokratische Organisation entwickelt hatten. In der indischen Geschichte markierten die Kalinga eine Umbruchphase, weil sie von einem Maurya-Herrscher, Ashoka genannt, besiegt wurden. In den Annalen seiner Dynastie findet sich bestätigt, daß er die Kalinga besiegt, 100.000 Menschen getötet und weitere 150.000 in Sklaverei gebracht habe. Von diesen sollen die meisten unter Auszehrung und Frondiensten umgekommen sein. Nachdem Ashoka Buddhist geworden war, bereute er seine Taten, möglicherweise aus wiedergeburtlicher Furcht vor einer niederen Existenzform in einem späteren Leben, aber er hörte nicht auf, die Menschen, die im Wald lebten, zu bedrohen. Der Name "Kalinga" dient nun einem Zusammenschluß aus mehreren Stahlwerken als Markenzeichen. Die Zeiten wechseln die Masken in diesem zivilisationsalten Konflikt, aber an der Stoßrichtung imperialer Durchsetzung gegen die Lebensinteressen der eigenen Bevölkerung hat sich nichts geändert. Die Region soll zu einem Zentrum für Stahl und Nebenprodukte umgewandelt werden. Die Stahlwerke befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Vollendung.

Am 2. Januar 2006 hatten die Adivasi gegen die Errichtung eines neuen Tata-Stahlwerks in Kalinganagar friedlich protestiert. Die Demonstration eskalierte, als die Polizei plötzlich und ohne Vorwarnung das Feuer eröffnete. 14 Menschen starben im Kugelhagel der Polizisten, 13 Ureinwohner und ein Polizist. Es gab etliche Verletzte. Der Skandal kam in die indischen Nachrichten und ist zum Symbol geworden für den Widerstand einer indigenen Bevölkerung gegen den Goliath der Großkonzerne. An dieser Stelle zog Padel nochmals eine Parallele zwischen den Adivasi und dem kurdischen Befreiungskampf, indem er Öcalans Begriff des kulturellen Genozids, das Einebnen zahlreicher kurdischer Dörfer durch Planierraupen, auf die Adivasi anwandte.

Mit einem Rückblick auf seine Vorrednerin Fadile Yildirim, die in ihrem Vortrag die Geschichte des kulturellen Genozids an den Frauen geschildert hatte, erklärte Padel, daß es auch einen Genozidkrieg gegen die Landschaft und die Öko-Systeme gebe, die auf der ganzen Welt systematisch im Namen einer agrokapitalistischen Usurpation zerstört werden. In vielerlei Hinsicht sei das Land, so Padel, der weibliche Teil von uns. In einem Exkurs ging er auf eine Deklaration in Bolivien ein, in der mehrere Stämme zusammenkamen und die Rechte von "Pachamama" - Mutter Erde in der Sprache der Aymara-Kultur - durchgesetzt hatten. Für Padel war es ein genialer Schachzug, die Rechte der Natur und die Rechte der Menschen zusammenzubringen. In dieser Deklaration, die seiner Ansicht nach gar nicht hoch genug einzuschätzen sei, werde der Kapitalismus in direkter Form als Schuldiger benannt, während die ökologischen Stammesvölker, die noch direkte Wurzeln mit der Erde hätten und synonym stünden für das Verstehen der Öko-Systeme, dagegen ankämpfen, daß die letzten Reste dieser Überlieferung unwiderruflich verlorengehen. Dieses Konzept dürfe jedoch nicht im esoterischen Sinne als Einklang mit der Natur mißverstanden werden, sondern vielmehr als ein noch in Spuren vorhandenes Bewußtsein der menschlichen Spezies. Erst wenn wir dies begreifen und ein Bewußtsein der Erde erlangen, so Padel in einem düsteren Zukunftsszenario, werden wir überleben, ansonsten als vorübergehende Erscheinung in den Entwürfen des Lebens vom Angesicht der Erde verschwinden.

Es sei mithin nicht nur eine Krise des Geldes, die der Kapitalismus hervorbringt, sondern auch eine Krise der Ressourcen. Wenn wir das Moment des Wachrüttelns nicht nutzen, sondern so weitermachen wie gehabt und die weitreichenden Zerstörungen unverwandt verleugnen, so Padel in einem dringenden Appell, werden wir aufs schmerzhafteste den Preis unserer Ignoranz zahlen. Er selbst sei mit dem Flugzeug zur Konferenz geflogen, etwas, das wie eine Selbstverständlichkeit anmutet, aber wieviele Jahre werden wir noch mit Flugzeugen reisen können: Vielleicht 5000 oder doch nur hundert Jahre? Es würde ihn erstaunen, wenn es so wäre. Wir hätten uns eine Infrastruktur geschaffen, um jeden Ort der Welt zu erreichen und Handel zu treiben bis in die entlegensten Regionen - worin liegt der Nutzen und Zugewinn für das Leben? All die Autos auf den Straßen sind für Padel ein verrückter Mißnutz von Ressourcen. Und mit Verweis auf Öcalan fügte er hinzu, daß der industrialisierte Kapitalismus Teil der menschlichen Versklavung sei, wenn wir die eigenen Bedürfnisse über die Lebensperspektiven anderer stellten und für ein kurzfristiges Vergnügen, ob als Tourist oder epikureischer Geist, die Welt narzißtisch in Beschlag nehmen und darüber vergessen, daß die Konsumorientierung und der Luxus des bedenkenlosen Verbrauchs andernorts Millionen Menschen ins Elend stürzt.

Der infrastrukturelle Zugriff, um Aluminium zu fördern, das als Bauxit in den Bergen vorkommt, und die ökologischen Katastrophen hingen untrennbar zusammen. Padel erzählte hierzu eine kleine Anekdote. In Indien wird man manchmal nach seiner Religion gefragt. Die Leute antworten dann, ich bin Christ, Muslim, Buddhist, Hinduist oder auch Animist. Was aber antworten die Stammesvölker? Sie sagen, unsere Religion ist der Berg. Diese Sicht der Adivasi-Völker wird als primitiver Romantismus oder geistiges Parterre verhöhnt. Der zivile Mensch bricht darüber in Gelächter aus, aber Padel zufolge ist es eine hochintelligente Antwort, denn das Wasser kommt aus den Bergen. Das Bauxit wirkt wie eine Tonschicht, wenn es regnet, wird das Wasser im Berg festgehalten und dann über Monate allmählich abgegeben, so daß es im Umland zu keiner Trockenheit kommt. So ist es denn auch nicht erstaunlich, wenn um diese Bauxitberge herum fruchtbares Land existiert. Wird das Aluminiumerz jedoch abgebaut, versickert das Wasser im Gestein und das umliegende Land stirbt in den Dürreperioden, weil das Wasser im Berg nicht gespeichert wurde.

Freilich ginge es nicht darum, die Stammesgesellschaften als ultimative Antwort auf alle Probleme zu nehmen. Allerdings weisen sie in ihrem Pragmatismus, so Padel, einen hohen Grad an Selbstorganisation auf. Sie kommen mit dem zurecht, was sie vorfinden, und verbrauchen nicht mehr, als nötig ist, ohne gewaltige Mülldeponien zu produzieren oder kulturimperialistisch auf andere Völker einzuwirken. Im Umgang untereinander pflegten sie demokratische Prinzipien, und in vielen Stammesgemeinden hätten die Frauen einen gleichberechtigten Platz.

Padel erzählt darüber, wie ein befreundeter Aktivist in einem Adivasi-Dorf in Orissa ein Gespräch mit dem Ältesten führte. Dieser habe auf sein Drängen, daß es doch für sein Volk gut sei, in den Genuß des Fortschritts zu kommen, erwidert: Wir sollen in die indische Mehrheitsgesellschaft integriert werden, gut, aber wo sind eure Heiligen? Wir sehen keine Heiligen bei euch. In diesem Dorf sind wir alle Heilige, wir teilen alles mit allen, niemand muß bei uns hungrig schlafengehen und wir verschwenden nichts.

Diese Art des Selbstverständnisses, die keiner Identität bedarf in Abgrenzung zu anderen Standpunkten, weil alles gemeinschaftlich getragen wird, habe Padel zufolge inspirierenden Charakter und könnte als Anreiz für eine Remedur kapitalistisch-entfremdeter Lebensverhältnisse dienen. Ganz anders dagegen die Prinzipien des Kapitalismus, in der die Übervorteilung der Mehrheit der Menschen durch eine in allen Belangen begünstigte Minderheit mit der intervenierenden Staatsgewalt und bürokratischen Schranken gesichert wird. Vor allem das zivilisatorische Prinzip des Wettbewerbs, das als lebensfeindlich erkannt wird, lehnen die Adivasi-Gesellschaften kategorisch ab. Auch deren Rechtssystem kommt ohne das Strafmittel der Sanktionierung aus. Wird ein Fall vor dem Rat gebracht, dann ginge es in der Hauptsache um Versöhnung. Manchmal hat die eine Seite mehr Recht als die andere, so daß zur Schlichtung des Konflikts ein Geldbetrag genannt wird, um erlittenen Schaden wiedergutzumachen. Das Geld ist dann ein Mittel zur Befriedung. Wer dagegen in unserer Gesellschaft mehr Geld hat, kann sich ein Heer von Advokaten leisten, um das Recht nach Belieben zu beugen.

Felix Padel am Rednerpult - Foto: © 2012 by Schattenblick

Aufschlußreicher Einblick in die sozialen Kämpfe Indiens
Foto: © 2012 by Schattenblick
Dazu gebe es eine Vielzahl von Geschichten und Beispielen, die zu erzählen die Sprache nicht Raum genug habe und der Rahmen der Konferenz bei weitem nicht reiche. Padel kam daher auf Schlüsselpunkte des Kapitalismus zu sprechen, die seiner Ansicht nach nicht genügend herausgestrichen werden. Einen zentralen Platz nimmt dabei das Militär ein. Indem er nochmals betonte, daß die Aluminiumproduktion intensiv mit der Waffenindustrie verknüpft ist, legte er sein Augenmerk auf einen massiven Waffenskandal der neuen ANC-Regierung in Südafrika, an dem auch die Briten beteiligt waren, die, so der Anthropologe leicht süffisant, häufig vorgeben, die ethisch besseren Händler zu sein. Überhaupt drehe sich, wenn man den Blick auf die ganze Welt richte, die Hälfte aller Korruptionsfälle um den Waffenhandel.

Mit der Waffe in der Hand werde auch in Indien das Blutvergießen jeden Tag erneuert. Dabei sei der Kampf gegen die Maoisten in vielerlei Hinsicht eine indes auf beiden Seiten verdeckte Operation zur Aufrechterhaltung des Kapitalismus. Die Rebellenarmee und ihr streng hierachisches Kader reflektierten ebenso den politischen Mainstream. Den Maoisten macht Padel zum Vorwurf, im Kern Vertreter des Materialismus zu sein und den Bergbau nicht prinzipiell zu kritisieren, sondern lediglich die kapitalistische Besitzerklasse zu bekämpfen. Ihr ökologisches Verständnis reiche nicht weiter als bis zur Enteignung der Produktionsstätten.

Padels kritische Haltung gegenüber den Maoisten gründet sich nicht so sehr auf deren bewaffneten Kampf für die Rechte der unterdrückten Landbevölkerung, vielmehr bemängelt er deren ideologische Gesellschaftskritik, die den Ressourcenkrieg gegen die ökologischen Lebensräume der indigenen Bevölkerung nicht wirklich antastet und unter dem revolutionären Deckmantel die Versklavung des Menschen durch maschinengetriebene Produktionsketten fortschreibt. In diesem Sinne hätten die Maoisten laut Padel noch sehr viel von den Kurden und der PKK zu lernen, deren konföderalistisches Modell noch am ehesten Ähnlichkeiten aufweise mit den nicht-hierarchischen Stammes- und Lebensbräuchen der Adivasi-Kultur. Für Padel war Mao ein Monster, der seine Kameraden und Genossen betrogen habe und für Millionen Tote verantwortlich sei im zweiten großen Sprung nach vorne in der historischen Durchsetzung der industriellen Produktion.

Wenn immer mehr junge Männer und Frauen zu den Maoisten überlaufen und die Gegenseite in einer Spirale der Gewalt rapide aufrüstet, drohe der Krieg des Blutes so zu eskalieren wie in Sri Lanka, wo es zu einem Genozid an den Tamilen gekommen sei. In Indiens langsamen Krieg, dessen Fronten noch nicht bis zur Unversöhnlichkeit verhärtet seien und durchaus Verhandlungsspielraum für besonnenere Stimmen und Positionen existiere, könne nach Padels Einschätzung noch ein friedlicher Weg zur Beilegung des Konflikts beschritten werden. Noch marschierten Politik und Militär nicht in die gleiche Richtung. Um dies zu belegen, führte Padel einen Vorfall an, bei dem ein Unionsstaat die Regierung aufgefordert habe, die Armee gegen die Maoisten-Guerilla einzusetzen. Dies habe der indische Verteidigungsminister jedoch mit der Begründung verweigert, daß der Einsatz der Streitkräfte nicht angemessen sei und Kollateralschäden unter der Adivasi-Bevölkerung auf jeden Fall vermieden werden sollten. Ob dies einer höheren Staatsräson oder einem außenpolitischen Kalkül geschuldet war, bleibt indes offen, denn Spezialkräfte der Polizei und Söldnertrupps der Großgrundbesitzer führen seit Jahren einen schmutzigen Kleinkrieg gegen die Urbevölkerung, ohne daß die Regierung Anstalten machte, dem Morden ein Ende zu bereiten.

Von den Maoisten ginge jedenfalls, so Padel, viel weniger Gewalt aus als von den Sicherheitskräften, aber auch innerhalb der indischen Polizei gebe es Führungskräfte, die über Deeskalationsstrategien nachdächten. Der größte Anschlag, der auf das Konto der Maoisten ging, war ein Dschungelhinterhalt im zentralindischen Bundesstaat Chattisgarh. Am 6. April 2010 kamen dabei 76 Angehörige der Central Reserve Police Force (CRPF) ums Leben. Ein Sprecher der Polizei hat später in einem Interview eingeräumt, daß vorangegangene Greueltaten an den Adivasi durch Sicherheitskräfte der größte Beweggrund für die Rekrutierung von Maoisten seien.

Wie das Kriegsrechtszenario im kurdischen Teil der Türkei, vor allem aber die Anschläge Al Qaidas zeigten, spreche der Westen stets vom islamistischen Terror, der die Weltordnung bedrohe und mit allen Mitteln zu bekämpfen sei. Verschwiegen werde allerdings, daß die imperialistische Politik der Industriestaaten den Aufstand der unterdrückten Völker überhaupt erst hervorgebracht habe. In einem gewissen Sinne, so Padel, habe auch der indische Staat die Maoisten erschaffen. Die Menschen in den Dörfern würden in eine Polarisierung getrieben. Wie in Kurdistan seien auch in Indien Hunderte von Adivasi-Dörfern niedergebrannt und Frauen vergewaltigt worden. Ein besonders perfides Mittel in diesem Konflikt besteht in der Rekrutierung von jungen Adivasi-Männern zu Polizeioffizieren, sogenannten SPOs, die dann in speziellen Einheiten gegen die Maoisten eingesetzt werden. Auf der anderen Seite stehen Adivasi-Leute in den Reihen der Maoisten. Gemäß dem Prinzip Teile und Herrsche wird so die Rezeptur für einen Bürgerkrieg gebraut, laut Padel ein analoges Schema zur kurdischen Aufstandsbekämpfung in der Türkei.

Ein weiteres Schlüsselmoment des Kapitalismus ist für Padel der Einsatz von Schulden. Auffälligerweise seien ausgerechnet die Staaten, die über die reichsten Ressourcen verfügen, am stärksten verschuldet. Das sei kein Zufall, sondern ein Kernelement kapitalistischer Intervention. Die Schulden dienten als Hebel, um an die Ressourcen heranzukommen. Schulden lassen sich sowohl auf die folgenden Generationen als auch in einem System gesellschaftlicher Hierarchien von oben nach unten verschieben. Der Zugriffsfaktor sei in beiden Fällen entscheidend. Auf der Ebene der Dörfer oder Gemeinden wirke sich die Schuldknechtschaft in der Weise aus, daß die Bauern ihr Land an die lokalen Kreditgeber verlieren, weil sie einesteils die Pacht nicht mehr bezahlen und zum anderen die Kosten für die Hybridformen lizensierten Saatguts nicht mehr aufbringen können. In ihrer existentiellen Not haben in Indien in den letzten Jahren Hunderttausende Kleinstbauern Selbstmord begangen. Die Enteignung von Land stehe dabei in enger Beziehung zur Staatsverschuldung. So hat der indische Nationalstaat zum Beispiel für den Aufbau infrastruktureller Maßnahmen 14 Milliarden Dollar an Krediten aufgenommen. Das dichte Netz an Verkehrsadern und Überlandverbindungen stehe nicht nur für ökologische Zerstörungen in einem immensen Ausmaß durch das Abholzen von Wäldern und Asphaltieren vordem fruchtbaren Bodens, sondern der Fortschritt der Urbanisierung vernichte auch überkommene Lebenszusammenhänge und Kulturen, die sich durch Autonomie und Selbstorganisation auszeichneten.

In diesem Zusammenhang erklärte Padel, daß die Ökonomie zwar als Königin der Sozialwissenschaften bezeichnet werde, aber vollkommen von der Realität abgetrennt und hochgradig abstrakt sei und sich nicht ernsthaft mit dem System der Schulden auseinandersetze. Auch die enge Verflechtung von Waffenproduktion und Korruption werde dabei weitgehend außer acht gelassen oder bestenfalls im moralischen Sinne mit dem Fingerzeig auf geldgierige Despoten in den Entwicklungsländern thematisiert. So hat Padel diesen Schulterschluß zwischen Militär, Macht und Machismo in seinen Schriften als den gefährlichsten Fundamentalismus der Jetztzeit ausgewiesen, weit gefährlicher als der sogenannte islamistische oder jeder andere religiöse Terror. Die Diskussion über Korruption, den Bankrott unzähliger Bauern, die Dogmatiken der Schuldenwirtschaft und überhaupt den Legalismus der Geldzirkulation seien so abstrakt gehalten, daß es an der Zeit wäre, die Wirtschaftswissenschaften aufzubrechen und auf ihren Nutzen für die Zivilgesellschaft zu hinterfragen. So werde die Weltbank von professionellen Wirtschaftswissenschaftlern geleitet. Von den Ursprüngen der Geld- und Goldprägung, die zur Zahlung von Söldnern dienten, bis ins 20. Jahrhundert hinein hat sich das Geldsystem über alle Produktionsgrenzen hinaus aufgebläht. So vieles wäre noch zu sagen gewesen, aber da jeder Referent nur 20 Minuten Redezeit besaß, mußte Padel seinen lehr- wie auch aufschlußreichen Vortrag kurzerhand abbrechen.

Padel mit Geige  - Foto: © 2012 by Schattenblick

Musikalischer Schlußpunkt eines aufrüttelnden Vortrags
Foto: © 2012 by Schattenblick

Zum Abschluß trug der britische Gelehrte, der auch ein passionierter Musiker ist und die Klangwelt in seiner Wahlheimat Indien studiert, ein kurdisch-armenisches Lied von Aram Tigran vor. Der gebürtige Armenier Tigran sang in Kurdisch, Arabisch und Armenisch und gilt als einer der besten zeitgenössischen Sänger, die sich der kurdischen Sache verpflichtet fühlen. Er starb am 8. August 2009 in Athen und wollte in Diyarbakir/Amed beigesetzt werden, was ihm von den türkischen Behörden verwehrt wurde, so daß sein Grab heute in Brüssel ist. Padel, des Kurdischen nicht mächtig, unterlegte seine Musik mit eigenen Worten, die hier in freier Übersetzung wiedergegeben werden. Das mit seiner Geige begleiteter Lied stieß auf große Begeisterung im Saal.

In Kurdistan, in den Dörfern, in den Bergen,
findet ein Krieg statt.
Die türkischen Soldaten vernichten
viele Dörfer in den Bergen von Kurdistan,
aber in der Welt draußen kümmert sich niemand darum,
sie lassen all das Töten geschehen.
Wie können sie die Freiheitskämpfer
als Terroristen bezeichnen,
die für das Leben der Völker kämpfen,
gegen die Folter und die Unterdrückung.
Wir im Westen verkaufen Waffen der Zerstörung an die Türken,
warum wollen die Türken Kurdistans
alte Dörfer und Menschen zerstören?
Frieden für Kurdistan!

(wird fortgesetzt)

26. März 2012