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BERICHT/161: Quo vadis NATO? - Hegemonialmilitarismus auf dem Weg? (SB)


Abwehrschirm offensiv - Teil 2

Forum "Der neue Anti-Raketen-Schirm der NATO in Europa - sicherheitspolitische Kalküle und das Recht" auf dem Bremer Kongreß "Quo vadis NATO? - Herausforderungen für Demokratie und Recht" am 28. April 2013

2. Teil zu den Wortbeiträgen von Jürgen Rose und Nikolay V. Korchunov


Übersetzerin, Referenten und Moderatoren des Forums nebeneinander an einem Tisch sitzend - Foto: © 2013 by Schattenblick

Kristine Karch, Nikolay Korchunov, Bernd Hahnfeld, Prof. Dr. Götz Neuneck, Paul Schäfer, Jürgen Rose (v.l.n.r.)
Foto: © 2013 by Schattenblick

Im Oktober 1917 - der später als Erster gezählte Weltkrieg war im vollen Gange und ging in sein viertes Jahr - ereignete sich in Rußland aus Sicht der damals führenden kapitalistischen Staaten eine Katastrophe. Die Kommunistische Partei übernahm die Macht in dem kriegsgeschundenen Land und blies zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. Mit der Geburtsstunde der Sowjetunion wurde die Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Kommunismus, bis dato in den westeuropäischen Staaten von kommunistischen Bewegungen und Parteien getragen, auf eine neue Stufe gehoben. Die alteingesessene Staatengemeinschaft sah sich mit einem Herausforderer konfrontiert, an dessen bloßer Existenz und sozialistischer Aufbruchstimmung sich viele Völker um der Utopie einer klassen- wie herrschaftslosen Gesellschaft willen ein Beispiel zu nehmen drohten.

Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs machte Adolf Hitler keinen Hehl aus seinen Absichten. "Alles, was ich unternehme, ist gegen Rußland gerichtet; wenn der Westen zu dumm und zu blind ist, um dies zu begreifen, werde ich gezwungen sein, mich mit den Russen zu verständigen, den Westen zu schlagen und dann nach seiner Niederlage mich mit meinen versammelten Kräften gegen die Sowjetunion zu wenden", erklärte er am 11. August 1939 gegenüber dem Schweizer Diplomaten und Völkerbundsbeauftragten Carl Jacob Burckhardt. Der wenige Wochen später mit dem Überfall auf Polen begonnene Zweite Weltkrieg nahm seinen insofern angekündigten Verlauf und ging nach 1945 alsbald in einen Zustand über, für den der Begriff "Kalter Krieg" etabliert wurde und als dessen Auftakt manche Historiker den Abwurf der ersten Atombomben durch die USA auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki bezeichneten.

Der damalige US-Präsident Harry S. Truman befahl nicht nur die ersten nuklearen Massentötungen der Menschheitsgeschichte, er legte am 12. März 1947 in seiner Kongreßrede den ideologischen Grundstein für den Kalten Krieg, indem er eine unversöhnliche Teilung der Welt in zwei feindliche Lager postulierte. Das war Klassenkampf pur und führte zu einer Eindämmungspolitik (Containment) gegenüber der Sowjetunion auch auf militärischem Gebiet. Die Gründung der NATO im April 1949 zeugte ebenso davon wie die gegen massive innenpolitische Widerstände durchgesetzte Wiederbewaffnung des Frontstaates Bundesrepublik Deutschland. Zwischen 1959 und April 1962 stationierte die NATO in Italien und in der Türkei auf die Sowjetunion gerichtete Atomwaffen. Da diese dagegen über keinerlei Abwehrwaffen verfügte, stationierte sie im Oktober 1962 auf Kuba Kurzstreckenraketen, die die USA hätten erreichen können. In dem von westlichen Interessen dominierten Teil der Weltöffentlichkeit wurde dies als ungeheurer Affront gewertet, die Welt stand am Abgrund eines weiteren Weltkrieges.

Aufnahme der bis auf einige wenige stehengebliebene Häuser totalzerstörten Stadt - Foto: freigegeben via Wikimedia Commons - public domain, work of the U.S. federal government

Das zerstörte Hiroshima auf einer von dem US-Piloten Paul Tibbets signierten Autogrammkarte
Foto: freigegeben via Wikimedia Commons - public domain, work of the U.S. federal government

Seit 1989/90, dem Ende der Sowjetunion und des von ihr angeführten realsozialistischen Blocks, gilt der Kalte Krieg als beendet, doch die Eindämmungspolitik wurde, nun gegenüber der Russischen Föderation, keineswegs beendet, sondern modifiziert und unter Ausnutzung der veränderten Rahmenbedingungen sogar intensiviert. Die NATO, assistiert von einer sich ebenfalls nach Osten ausbreitenden Europäischen Union, dehnte ihren Einfluß in geradezu aggressiver Weise aus, nicht ohne zu behaupten, nun in einem partnerschaftlichen Verhältnis zu Rußland zu stehen. In der Folgezeit wurde ein bis heute andauernder Pseudozustand etabliert, gekennzeichnet durch das Postulat einer friedlichen Koexistenz und Kooperation, das jedoch durch politische Schritte, aber vor allen Dingen auch militärische Maßnahmen immer wieder konterkariert wird.

Die untergründigen Spannungen zwischen den USA bzw. der NATO und der Russischen Föderation, aber auch China haben sich anläßlich des neuen NATO-Raketenabwehrschirms in Europa abermals Bahn gebrochen. Die offizielle Legende von Freundschaft und Partnerschaft ermöglichte es der NATO, mit dem Aufbau dieses als Defensivsystem gegen behauptete Bedrohungen aus dem Iran oder Nordkorea ausgewiesenen Militärprojekts in Europa zu beginnen, wobei die Stationierung von Abfangraketen in großer geographischer Nähe zu Rußland vorgesehen ist. Die Einwände Rußlands werden ebenso konsequent ignoriert wie die Behauptungen der NATO wiederholt, das neue System richte sich nicht gegen Rußland. "Wir haben keine Absicht, Russland anzugreifen. Es geht über meine Vorstellungskraft hinaus, wie Menschen so denken können." Mit diesen Worten nahm Anders Fogh Rasmussen, Generalsekretär der NATO, im Mai 2012 zu den Protesten Rußlands Stellung. [1] Auf dem Lissabon-Gipfel im November 2010, auf dem US-Präsident Barack Obama von einem Neustart der Beziehungen zwischen Rußland und den USA sprach, erklärte Rasmussen: "Wir haben abgemacht, dass wir uns nicht gegenseitig bedrohen." [2]

Eine Mogelpackung? Einem Bericht der "Welt" vom Februar 2011 zufolge waren die USA bei ihren europäischen NATO-Verbündeten, als sie 2004 ihren Plan eines Raketenabwehrschirms in Europa vorlegten, zunächst auf heftige Kritik gestoßen. Auf der Basis einer unter Verschluß gehaltenen Risikoanalyse über die Bedrohungen der Mitgliedsländer durch ballistische Raketen wurde schließlich innerhalb der NATO ein Kompromiß über die Aufstellung des Abwehrschirms gefunden. 2005 soll der damalige US-Botschafter bei der NATO, Nicholas Burns, aus dieser Risikoanalyse an das US-Außenministerium gekabelt haben, daß neben den Bedrohungen durch Schurkenstaaten wie Iran, Nordkorea und Syrien konkrete Gefahren aus Rußland drohen würden, vor denen die NATO auf der Hut sein müsse. [2]

Gesetzt den Fall, die USA wären tatsächlich imstande, durch ein Raketenabwehrsystem ein Bedrohungsszenario gegenüber Rußland, aber auch China aufzubauen, dem diese nichts entgegenzusetzen hätten, wäre es um die letzten multilateralen Bestandteile einer ohnehin fragilen und ihrerseits fragwürdigen Weltordnung womöglich schlecht bestellt, was schwerwiegende Folgen auch für kleinere Staaten in allen Regionen der Welt nach sich ziehen könnte. So steht, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, einem als Vergeltungsschlag nach einem Chemiewaffenangriff definierten US-Krieg gegen Syrien zu dem Zweck, die Regierung Assad zu stürzen und ein prowestliches Regime zu implementieren, unter anderem auch die ablehnende Haltung Rußlands und Chinas entgegen. Wie brisant also ist der Raketenabwehrschirm in Europa, von dem selbst die kritische Öffentlichkeit bislang wenig Notiz nimmt, gerade auch angesichts der aktuellen Krise um die offenkundig gegen Syrien seit längerem in Stellung gebrachten Kriegspläne?

Über grundsätzliche Fragen zum Raketenabwehrschirm referierte auf dem Kongreß der IALANA, der vom 26. bis 28. April 2013 an der Universität Bremen stattgefunden hat, in dem Forum mit dem Titel "Der neue Anti-Raketen-Schirm der NATO in Europa - Sicherheitspolitische Kalküle und das Recht" der Diplompädagoge, Publizist und ehemalige Oberstleutnant der Bundeswehr Jürgen Rose. Die Debatte um die ballistische Raketenabwehr habe nicht erst 1983 begonnen, sondern sei sehr viel älter, wären doch erste diesbezügliche Überlegungen im Zweiten Weltkrieg bereits von den Briten angestellt worden, als sie mit den sogenannten Vergeltungswaffen Nazideutschlands (V1 und V2) konfrontiert waren, gegen die es keine Abwehrmöglichkeit gegeben hatte.

Die gegenwärtige Diskussion um ballistische Raketen und die Möglichkeiten ihrer Abwehr sei in einer ganz ähnlichen Weise schon in den 1960er Jahren in den USA geführt worden, ausgehend von der Frage, was eigentlich passieren würde, wenn "wir über dem eigenen Territorium Nuklearwaffen abschießen". Zu diesem Zeitpunkt hatten die USA in der Grand Forks Air Force Base in North Dakota ein erstes, mit Interkontinentalraketen bestücktes Abwehrsystem in Betrieb genommen. Allerdings wurde es wegen des Elektromagnetischen Pulses (EMP), durch den bei der Zündung eines 1-Megatonnen-Gefechtskopfs in der Atmosphäre oder im Weltraum das eigene elektrische und elektronische System vollständig lahmgelegt werden würde, ein Vierteljahr später wieder stillgelegt, im Gegensatz zur Sowjetunion, die an einem solchen System festhielt.

Jürgen Rose in Großaufnahme - Foto: © 2013 by Schattenblick

Jürgen Rose, Vorstandsmitglied des Darmstädter Signals und ehemaliger Bundeswehroberstleutnant
Foto: © 2013 by Schattenblick

In der damals in den USA geführten Diskussion habe es Rose zufolge im wesentlichen zwei Fraktionen bzw. bis heute fortwirkende Strukturprinzipien gegeben. Auf der einen Seite waren dies die Anhänger eines Konzepts der wechselseitigen nuklearen Verwüstung ("mutual assured destruction", MAD), auch Abschreckung durch Vergeltung ("deterrence by punishment") genannt, das sich vor allem gegen die Städte, die Bevölkerung und die Infrastruktur des Gegners richtet. Das "Rationale" dieser Abschreckung sei, daß als zweiter stirbt, wer als erster schießt. Der frühere US-Präsident Ronald Reagan habe Anfang der 1980er Jahre, als ihm Frühwarnsysteme vorgeführt wurden, die einen gegnerischen Angriff anzeigen würden, gefragt, was denn in einem solchen Fall getan werden könne. Zu der Antwort, daß außer zurückzuschießen gar nichts getan werden könne, habe Reagan gemeint, es sei aber unmoralisch, gegnerische Frauen und Kinder als Geiseln zu nehmen. Da müsse etwas getan werden, woraus unter Mitwirkung zahlreicher Physiker, Techniker und der Rüstungsindustrie schließlich das Weltraumprojekt SDI (Strategic Defense Initiative) entwickelt wurde, das sich letztlich als "Strategic Defense Illusion" entpuppt habe, wie Rose in seinem inzwischen in den Kongreßmaterialien der IALANA veröffentlichten Textbeitrag [3] ausführte.

Gegen das Konzept nuklearer Abschreckung, das darauf beruhte zu sagen, wenn du mich angreifst, bringe ich uns beide um, habe sich während des Kalten Krieges unter kritischen NATO-Offizieren Protest geregt. Daraus ist auch das "Darmstädter Signal" entstanden, ein kritisches Forum für Staatsbürger in Uniform, in dem der Referent als Vorstandsmitglied tätig ist. Gegenüber der Militärdoktrin der "Flexible Response" hätten diese Offiziere den Standpunkt vertreten, daß es doch nicht sein könne, daß "wir das, was wir verteidigen sollen, zerstören, indem wir flächendeckend auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Atomwaffen einsetzen". Die Kritik wurde nicht zuletzt mit der Unglaubwürdigkeit dieses Abschreckungskonzepts begründet. Die zweite Fraktion, die in den USA von Demokraten und Liberalen bevorzugt wurde, schien dem Rechnung zu tragen, wurde doch ein gegenüber der Vernichtungsabschreckung als glaubwürdiger eingeschätztes Konzept der Abschreckung durch Verweigerung ("deterrence by denial") entwickelt, das nicht mehr das Bombardieren gegnerischer Städte und Zivilbevölkerungen ("countervalue") vorsah, sondern die Bekämpfung des gegnerischen Militärs, also eine Kriegführungsabschreckung ("counterforce") beinhaltete.

Dieses Konzept scheint keineswegs "pazifistischer" zu sein. Wie der Referent in seinem schriftlichen Bericht [3] ausführte, wirkte sich dieses Abschreckungsprinzip in ganz spezifischer Form auf die Beziehungen der Nuklearstaaten aus. Die "praktische Anwendbarkeit" (!) militärischer Machtmittel drohte im Konfliktfall demnach verlorenzugehen und habe zu einer Art Selbstabschreckung geführt. Um Kriege (wieder) führbar zu machen, mußte demnach von der drohenden eigenen atomaren Vernichtung durch die Zweitschlagskapazität des angegriffenen Gegners wieder heruntergefahren werden. Ergo wurde ein Strategiewechsel vollzogen "weg von einer auf Atomwaffen gestützten und auf wechselseitiger Verwundbarkeit beruhenden Strategie der Abschreckung hin zu einer Strategie, die auf der Basis der Fähigkeit, einem Gegner das Erreichen seiner militärischen Ziele verwehren zu können, ein wechselseitig gesichertes Überleben garantieren soll, indem durch die Fähigkeit zur Raketen- und Flugzeugabwehr die Unverwundbarkeit des eigenen Territoriums hergestellt wird". [3]

Zu der neuen Strategie gehörte natürlich auch, wie Rose in seinem Bremer Vortrag ausführte, daß man sich nicht nur ein nukleares Schwert, sondern auch ein Schild zulegte. Im Rahmen eines Systems des Kalten Krieges mit seiner nuklearen Aufrüstung im Offensivbereich haben sich daraus natürlich gravierende Auswirkungen "auf die strategische Stabilität, die Krisenstabilität und die Rüstungskontrollstabilität" ergeben. In diesem Rahmen hätte die Fähigkeit, sich effektiv zu verteidigen, natürlich dazu führen können, erst recht in die Offensive zu gehen, was sich aber nach dem Kalten Krieg verändert habe. Inzwischen leben wir, so Roses Auffassung, in einer anderen Welt, in der sehr stark, aber leider nicht komplett abgerüstet worden ist.

Jürgen Rose spricht mit geballten Fäusten - Foto: © 2013 by Schattenblick

Hochengagierte Diskussionsbeteiligung
Foto: © 2013 by Schattenblick

Da es verschiedene Systeme gäbe, könne nicht pauschal von "der" Raketenabwehr gesprochen werden, stellte der Referent klar. So unterhalte die NATO seit September 2005 ein "Gestaffeltes System zur wirksamen Abwehr ballistischer Raketen auf dem Kriegsschauplatz" (Active Layered Theatre Ballistic Missile Defence, ALTBMD), mit dem gegnerische Kurz- und Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite bis zu 3000 Kilometer erfaßt und bekämpft werden können, das sich vor zehn Jahren während des Irakkriegs im Einsatz gegen taktische Raketen bewährt habe. An diesem System ist die Bundeswehr beteiligt. Zu ihm gehören auch die PATRIOT PAC-3-Abfangraketen, die die NATO jetzt in der Türkei stationiert hat und die angesichts des drohenden US-Krieges gegen Syrien wegen der damit möglicherweise geleisteten Unterstützung Deutschlands inzwischen in die Kritik geraten sind.

Schwierigkeiten gäbe es vielmehr, so fuhr Rose fort, mit Abwehrsystemen, die in größeren Höhen und zum Teil sogar außerhalb der Atmosphäre operierten und bei denen sehr fraglich sei, wie wirksam sie tatsächlich sind. Der Referent machte darauf aufmerksam, daß Rußland sehr viel Protest gegen den neuen Raketenabwehrschirm der NATO artikuliert, gleichzeitig jedoch die eigenen Systeme sowohl im strategischen als auch im gefechtsfeldbezogenen Bereich weiterentwickelt. Noch spannender sei, daß Rußland mit der NATO auf dem Gebiet der Raketenabwehr intensiv zusammenarbeitet. So wurden im NATO-Rußland-Rat die Durchführung einer gemeinsamen Bedrohungsanalyse sowie gemeinsame konkrete Übungen zur Raketenabwehr vereinbart.

Rose bezeichnete die Position Rußlands als "ambivalent" und wagte die These, wie er selbst sagte, daß "die Russen mit fliegenden Fahnen" dabei wären, würde in der Kommandostelle in Kalkar (Airline Air Command) nicht ein US-, sondern ein russischer General sitzen. Seiner Einschätzung nach sehen die Russen ein Problem darin, daß die NATO sie nicht "auf Augenhöhe wahrnimmt und behandelt". Innerhalb der NATO sei dies übrigens genauso. Den Amerikanern sind ihre Verbündeten willkommen, so sie etwas beisteuerten, aber im Prinzip wollten sie die Finger am Drücker behalten, was für Rußland nicht akzeptabel sei und nach Roses Auffassung auch von den Bündnispartnern nicht hingenommen werden sollte.

Den auf der Bremer Forumsveranstaltung zuvor von Bernd Hahnfeld vorgetragenen Standpunkt, die Beteiligung Deutschlands am Raketenabwehrschirm deshalb zu kritisieren, weil sie völkerrechtswidrig sei und vom Bundestag hätte beschlossen werden müssen [4], machte sich der ehemalige Bundeswehroberstleutnant nicht zu eigen. Er fände diesen Ansatz zwar kreativ und originell, warnte aber davor, die Völkerrechtswidrigkeitsargumentation zu inflationieren. Er erinnerte an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, das schon die von der Linken noch in ihrer Zeit als PDS vorgebrachte Klage zum Neuen Strategischen Konzept der NATO abgelehnt hatte. Da Karlsruhe entschieden habe, daß selbst fundamentale Änderungen am NATO-Vertrag der Zustimmung durch den Bundestag nicht bedürften, würden sich die Karlsruher Richter bei einer "Marginalie" (ein, wie Rose selbst anmerkte, etwas überspitzter Ausdruck) wie der NATO-Raketenabwehr "sanft lächelnd zurücklehnen und erklären, die Klage sei unbegründet".

Foto: © 2013 by Schattenblick

Bernd Hahnfeld
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Empirisch, so fuhr der Referent fort, spräche ohnehin nichts für die Behauptung, daß die nukleare Aufrüstung im Offensivbereich von den Entwicklungen im Defensivbereich abhängig sei. Es habe keine Beeinflussung durch Raketenabwehrprojekte im Bereich der Offensive gegeben. In seinem schriftlich verfaßten Textbeitrag hatte Rose ausgeführt, daß Analysten bereits vor Jahren das Ende des Abschreckungsprinzips einer wechselseitigen nuklearen Verwüstung (MAD) postuliert hätten, verursacht durch eine "einseitige Vormachtstellung der USA". Ungeachtet solcher "durchaus besorgniserregenden Diagnosen" hätte "diese strategische Unwucht" im internationalen System keineswegs zum Versagen nuklearer Abschreckung und Selbstabschreckung geführt, so Roses Einschätzung. [3] Könnte diese "strategische Unwucht" nicht gleichwohl dazu geführt haben, daß Rußland seine Sicherheitsinteressen durch diese Entwicklung beeinträchtigt sieht und diese Sorgen durch den neuen Raketenabwehrschirm sogar noch verstärkt werden?

Zu der Frage der Wechselbeziehungen zwischen dem nuklearen Offensiv- und Defensivbereich vertrat Nikolay V. Korchunov, der stellvertretende Ständige Vertreter der Russischen Föderation bei der NATO in Brüssel [5], in seinem auf dem Kongreß im Anschluß an Rose gehaltenen Referat eine konträre Position. Seiner Einschätzung nach besteht bei strategischen Nuklearwaffen ein solcher Zusammenhang. Wenn die eine Seite ihre Defensivkapazität zu erhöhen versuche, entwerte dies die Fähigkeit zur nuklearen Abschreckung auf der anderen Seite, weshalb diese sich genötigt sehen könnte, ihrerseits ihre Offensivkapazitäten zu erhöhen, was zu einer generellen Instabilität und einem Verlust an Sicherheit und Berechenbarkeit für alle Beteiligten führe.

Allem Anschein nach ist dieser Disput kein bloßer Meinungsstreit. Im Herbst 2011 gab der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew der russischen Armee die (später wieder zurückgezogene) Anweisung, Gegenstrategien zum neuen Raketenabwehrschirm der NATO in Europa inklusive der Möglichkeit, Atomraketen in der vom NATO-Staat Polen umgebenen russischen Enklave Kaliningrad zu stationieren. Im Mai 2012 soll der russische Generalstabschef Nikolai Makarow angesichts der bevorstehenden ersten Inbetriebnahme des neuen NATO-Systems mit dessen Zerstörung gedroht und zur Begründung angeführt haben: "Wenn die USA und die Nato es für möglich halten, bei Gewährleistung der eigenen Sicherheit, die Sicherheit ihrer Nachbarn außer Acht zu lassen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als passende Gegenmaßnahmen zu ergreifen." [6]

Der frühere Bundeswehroberstleutnant Rose merkte in seinem Vortrag an, daß die russische Regierung gegen das neue NATO-Projekt in Europa, nicht jedoch gegen die Stationierung eines bodengestützten Raketenabwehrsystems in Alaska (Ground-Based Midcourse Defense) Einwände erhoben habe, obwohl ein potentieller Angriff aus dieser Richtung, da sich die USA und Rußland via Alaska gegenüberstünden, die Zweitschlagskapazität Rußlands beeinträchtigen würde. Dem widersprach der russische Diplomat abermals. Korchunov verwies in seinem Referat darauf, daß Außenminister Sergej Lawrow kurz zuvor erklärt habe, daß zusätzlich in Alaska stationierte US-Raketen aus russischer Sicht sehr wohl ein Grund zur Besorgnis sind und im Zusammenhang mit dem modernisierten und ausgeweiteten US-Globalsystem gesehen werden.

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Nikolay V. Korchunov
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Korchunov widersprach auch der von Rose zuvor geäußerten Auffassung, die russischen Proteste gegen den europäischen Raketenabwehrschirm hätten politische Gründe, die nicht so sehr mit einer tatsächlichen Bedrohung oder Destabilisierung im Zusammenhang stünden, sondern damit, daß die USA mit Rußland nicht auf gleicher Augenhöhe kooperierten. Es stimme nicht, daß die in Polen stationierten Abfangraketen ein politisches Problem darstellen. Als unsere amerikanischen Partner uns Aufzeichnungen zu der tatsächlichen Reichweite dieser Raketen zeigten, so Korchunov, hätte sich nämlich herausgestellt, daß sie den europäischen Teil Rußlands vollständig abdecken würden.

Jürgen Rose ging zum Abschluß seines Referats, da er die Suche nach politischen Lösungswegen als zweckmäßiger erachtet als den Versuch, die Entwicklung im Bereich der Raketenabwehr mit in diesem Fall wohl untauglichen juristischen Mitteln aufzuhalten, auf ein von einem hochrangigen Expertengremium, unter ihnen zahlreiche russische und US-amerikanische Generäle sowie zivile sicherheitspolitische Analysten, im April dieses Jahres erstelltes Papier zur Bildung eines gegenseitigen Sicherheitssystems in der euro-atlantischen Region ein. Darin habe es geheißen, daß der Kalte Krieg endlich komplett beendet werden müsse, in Sachen Raketenabwehr seien Maßnahmen für eine gegenseitige Transparenz vorgeschlagen worden. Diese Initiative passe sehr gut zusammen mit der jüngsten Kurswende des renommierten US-Geostrategen Zbigniew Brzezinski, der inzwischen eine Umarmungsstrategie gegenüber Rußland propagiere, wie Hauke Ritz auf dem Kongreß referiert habe [7].

Das alles sei Rose zufolge ein gänzlich anderer Ansatz als in der Zeit des Kalten Krieges, wo man vor allen Dingen gegeneinander gerüstet hätte. Jetzt würden beide Seite dies kooperativ angehen, was bei der Frage, ob es politisch sinnvoll und wünschenswert sei, sich Instrumente zuzulegen, um notfalls einige wenige anfliegende Raketen oder Gefechtsköpfe abschießen zu können, berücksichtigt werden sollte. Dies habe, so Roses These, mit der umfassenden Raketenabwehr aus dem Kalten Krieg nichts mehr zu tun. Selbstverständlich müsse im Bereich der Nuklearwaffen, so wie es der Nichtverbreitungsvertrag vorsehe, weiter - und zwar bis auf null - abgerüstet werden; wenn das geschähe, ließe sich die Raketenabwehr immer noch zur Abwehr konventioneller Systeme einsetzen. Was also, so wäre als Fazit bzw. rhetorische Frage aus Roses Referat wohl zu ziehen, sei gegen ein solches Defensivsystem überhaupt einzuwenden?

Der Repräsentant Rußlands stimmte, wie sich alsbald herausstellte, schon mit Roses Auffassung, es gäbe inzwischen eine Kooperation zwischen der NATO und Rußland in Fragen der Raketenabwehr, nicht überein. Korchunov erklärte, daß es Rußland bislang nicht gelungen sei, mit der NATO eine solche Zusammenarbeit herzustellen. Ungeachtet dessen werde der im NATO-Rußland-Rat bestehende Dialog über den Raketenabwehrschirm fortgesetzt. Ob daraus in Zukunft eine Kooperation entstehen könne, hinge ganz wesentlich davon ab, ob die NATO Rußland partnerschaftlich in die Entscheidungsprozesse einbinden oder ihre gegenwärtige Politik, erst eine Entscheidung zu fällen und dann Rußland zu kontaktieren, fortsetzen wird.

Nikolay Korchunov macht sich Notizen, neben ihm Kristine Karch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Hochkonzentriert bei den Diskussionsbeiträgen zum Thema Raketenabwehrschirm
Foto: © 2013 by Schattenblick

Als vierter Referent des Forums - vor Jürgen Rose hatten, wie im ersten Teil des Berichts [4] geschildert, Bernd Hahnfeld und Paul Schäfer ihre kritischen Positionen zum Raketenabwehrschirm deutlich gemacht - hatte Korchunov an den Beginn seines Vortrags die seiner Auffassung nach noch immer unbeantworteten Fragen gestellt: Wie soll durch das Raketenabwehrsystem der NATO, von dem gesagt werde, daß es die Sicherheit des Bündnisses stärke, die Sicherheit Europas verbessert werden können? Auf welche Weise kann das neue Raketenabwehrsystem in Europa dazu beitragen, das Prinzip einer unteilbaren Sicherheit aller Staaten zu fördern und nicht die Sicherheit des einen zu Lasten anderer zu gewährleisten? Korrespondieren die Anstrengungen der USA bzw. der NATO beim Raketenabwehrschirm und die Bedenken, die diese hervorrufen, wirklich mit dem Grad einer tatsächlichen Bedrohung?

Wie Korchunov erläuterte, argumentiert die NATO damit, daß über 30 Staaten über Raketen verfügten oder im Begriff stünden, sie zu erwerben, die konventionelle Sprengköpfe, aber auch Massenvernichtungswaffen transportieren könnten, und daß diese Entwicklungen für das Bündnis eine Bedrohung darstellten. Befürworter des Raketenabwehrschirms hätten eingeräumt, daß das Konzept der nuklearen Abschreckung gegen bestimmte Regime und nicht-staatliche Akteure nicht funktionieren würde. Gleichwohl werde behauptet, daß die Sicherheit in Europa für die NATO ohne Raketenabwehr nur schwer zu garantieren sei, was, so Korchunov, zu der Frage führe, warum die NATO in dem auf dem Gipfel in Chicago im Mai 2012 angenommenen Strategiekonzept sowie in dem Abschreckungs- und Verteidigungsprüfbericht gesagt hat, die Sicherheit der Verbündeten werde in erster Linie durch die strategischen Nuklearwaffen der Allianz gewährleistet?

Demnach hätte, so Korchunov, der Raketenabwehrschirm tatsächlich, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle bei der Bewältigung der behaupteten Bedrohungen, wobei zu berücksichtigen sei, daß in vielen Berichten das Risiko eines iranischen oder nordkoreanischen Raketenangriffs auf Europa ungeachtet der vorgebrachten Rhetorik "nahe null" angesiedelt werde. Es gäbe beispielsweise überhaupt keinen Grund anzunehmen, daß die iranische Führung so verrückt sein könnte, Europa anzugreifen, was zu einem Vergeltungsschlag durch die in der Region stationierten US-Waffen innerhalb von 20 bis 30 Minuten führen würde. Diese Widersprüche in der Politik der NATO führten in Rußland und, wie Korchunov vermutet, auch in weiteren Staaten zu anwachsenden Befürchtungen angesichts der tatsächlichen Absichten, die die USA bzw. die NATO mit der Aufstellung des Raketenabwehrsystems in Europa und anderswo verfolgen könnten. Die jüngste Ankündigung der USA, auf die Umsetzung der vierten Phase ihres neuen Raketenabwehrschirms zu verzichten [8], nütze da nicht viel, da die in Europa aufgestellten Einrichtungen Bestandteil der weltumspannenden US-Raketenabwehr blieben. [9]

Nikolay Korchunov während seines Vortrags, Kristine Karch und Bernd Hahnfeld mit im Bild - Foto: © 2013 by Schattenblick

Aufklärung tut not - Raketenabwehrschirm defensiv oder offensiv?
Foto: © 2013 by Schattenblick

Wie Korchunov erklärte, habe Rußland ungeachtet der besorgniserregenden Entwicklung mehrere konstruktive Vorschläge gemacht, um mit der NATO im Bereich der Raketenabwehr zu kooperativen Beziehungen zu kommen, wofür sich die Allianz bedauerlicherweise bislang nicht sehr empfänglich gezeigt habe. So hätten die USA und ihre NATO-Verbündeten den phasenweisen Anpassungs- und Umsetzungsprozeß fortgesetzt, obwohl daraus eine Architektur nuklearer Raketenabwehr entstehen würde, aus der eine ernste Bedrohung der Sicherheit Rußlands erwachsen könnte. Anstatt die Bedenken des Kreml ernstzunehmen und zu entkräften, werde ständig wiederholt, daß der Raketenabwehrschirm nicht gegen Rußland gerichtet sei und es keinen Grund für Rußland gäbe, besorgt zu sein.

In Anbetracht all des Gesagten sei es für die russische Führung von entscheidender Wichtigkeit, wie Korchunov betonte, eine klare und rechtsverbindliche Garantieerklärung zu erhalten darüber, daß das neue Raketenabwehrsystem in Europa nicht gegen Rußland eingesetzt werde. Diese Garantie sollte zudem durch transparente Maßnahmen und objektive militär-technische Überprüfungskriterien abgesichert werden. Nach russischer Auffassung sollte die Architektur einer solchen Kooperation im Dialog entstehen und das Ergebnis gemeinsamer Überlegungen sein und nicht von einer Seite entschieden werden. Zum Abschluß seines Referats machte Korchunov deutlich, daß seine Regierung bereit ist, den Dialog mit der NATO fortzusetzen und Lösungen zu suchen. Er merkte allerdings auch an, daß die verbleibende Zeit, einen Kompromiß zu finden, immer kürzer werde, je weiter die USA bzw. die NATO mit der Umsetzung ihrer Raketenabwehrpläne voranschritten und Fakten schafften.

Die bekundete Dialogbereitschaft Rußlands wurde von den Forumsteilnehmerinnen und -teilnehmern durchweg positiv aufgenommen. Für das eigentlich heiße Eisen, nämlich die in den Wortbeiträgen insbesondere der letzten beiden Referenten deutlich gewordenen Diskrepanzen, über das Maß des Gesagten hinaus womöglich kontrovers zu diskutieren, blieb in der Veranstaltung weder die Zeit, noch bestand, wie es den Anschein hatte, ein ausreichend starkes Interesse. Ein solcher Disput hätte die Anwesenden zu kritischen Erörterungen und deutlichen Stellungnahmen in der Frage veranlassen können, ob der Streit um den Raketenabwehrschirm im wesentlichen auf russische Empfindsamkeiten zurückzuführen ist oder ob die Widersprüche zwischen politischen Verlautbarungen und militärischem Voranpreschen nach wie vor große Unklarheiten darüber hervorrufen, welche Ziele und Absichten die NATO mit diesem Projekt tatsächlich verfolgt, womit eine Problematik berührt worden wäre, die inzwischen, am Vorabend eines drohenden und allem Anschein nach von den USA bereits beschlossenen Krieges gegen Syrien, bei dem Rußland verlangt, daß dem Weltsicherheitsrat die behaupteten Beweise vorgelegt werden müssen, an Aktualität noch gewonnen hat.

Blick von hinten auf die Forumsteilnehmenden - Foto: © 2013 by Schattenblick

Ist der Kalte Krieg wirklich kalt? Brisante Fragen in Seminaratmosphäre berührt
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Fußnoten:

[1] Nato-Raketenabwehrsystem. Die Angst der Russen vor der Aufrüstung im Vorgarten. Von Christopher Ziedler, Stuttgarter Zeitung, 20.05.2012
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nato-raketenabwehrsystem-bedingt-abwehrbereit-page1.affa4f4d-8711-48c7-9d27-3a69bcd6a3f6.html

[2] Geheime Depeschen. US-Diplomaten sehen Russland als Bedrohung. Von T. Strand, P. Johansen und P. Hinrichs, Die Welt, 15.02.2011
http://www.welt.de/politik/specials/wikileaks/article12542602/US-Diplomaten-sehen-Russland-als-Bedrohung.html

[3] Der neue Anti-Raketenschirm der NATO in Europa - Sicherheitspolitische Kalküle und das Recht. Von Jürgen Rose. PDF-File, heruntergeladen am 02.09.2013. Text verlinkt auf der Webseite der IALANA:
http://www.ialana.de/arbeitsfelder/frieden-durch-recht/dokumente-des-nato-kongresses-april-2013-in-bremen/578-liste-der-kongressveranstaltungen

[4] Siehe dazu im 1. Teil des Berichts über das Forum zum Raketenabwehrschirm im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
BERICHT/158: Quo vadis NATO? - recht und billig (SB)
http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0158.html

[5] Siehe auch das Interview mit Nikolay V. Korchunov im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
INTERVIEW/171: Quo vadis NATO? - Hegemonialschaft USA - Nikolay V. Korchunov im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0171.html

[6] US-Raketenschirm. Raketenstreit: Russland droht mit Angriff. Augsburger Allgemeine Zeitung, 04.05.2012
http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Raketenstreit-Russland-droht-mit-Angriff-id19907341.html

[7] Siehe dazu den Bericht über das Referat von Hauke Ritz im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
BERICHT/152: Quo vadis NATO? - Wandel der Feindschaften? (SB)
http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0152.html

[8] Wie Dieter Deiseroth und Bernd Hahnfeld in ihrem in den Blättern für deutsche und internationale Politik 4/2013 veröffentlichten Beitrag "Rüstung ohne Recht: Der neue Raketenabwehrschirm der NATO" (S. 35) ausführten, wurde auf dem NATO-Gipfel in Lissabon im November 2010 der Beschluß gefaßt, das bestehende gefechtsfeldbezogene Raketenabwehrsystem in ein neues, in mehreren Stufen zu realisierendes System überzuführen. In der ersten Phase wurde 2011 auf bereits bestehende Systeme (in Südspanien stationierte und mit SM-3-Raketen bestückte US-Kreuzer) zurückgegriffen und eine mobile Radaranlage in der Türkei stationiert. Die zweite Phase sieht ab 2015 ein Radarsystem sowie 24 Abfangraketen in Südrumänien vor, während in der dritten Phase zwischen 2018 und 2020 die Geschwindigkeit der SM-3-Raketen so weit erhöht werden soll, daß sie Interkontinentalraketen abfangen können, wobei 24 dieser Raketen in Polen stationiert werden sollen. Die vierte, nun von den USA widerrufene Phase hatte ab 2020 die Stationierung modifizierter Abfangraketen und den Einsatz weiterer, mit Raketen ausgestatteter Schiffe vorgesehen.

[9] Wie die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti am 5. April 2013 berichtete, hat der russische Vizeverteidigungsminister Anatoli Antonow auf die Ankündigung der USA, auf die 4. Phase der Raketenabwehr in Europa zu verzichten, zurückhaltend reagiert und darauf hingewiesen, daß er vorläufig keine Voraussagbarkeit der weiteren Entwicklung in bezug auf die US-Pläne sehe. Antonow erwähnte auch, daß er seine Kollegen in der NATO mehrmals gefragt habe, wie sie zu Rußland stünden. Die Frage "Sind wir Feinde, Partner oder Gefährten" habe sie jedoch ständig überrumpelt, sie hätten keine eindeutige Antwort geben können, so Antonow.
http://de.rian.ru/security_and_military/20130405/265872366.html


Bisherige Beiträge zum Kongreß "Quo vadis NATO?" im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/148: Quo vadis NATO? - sowohl als auch ... (SB)
BERICHT/149: Quo vadis NATO? - gedehntes Recht und Kriege (SB)
BERICHT/150: Quo vadis NATO ... Schluß damit! (SB)
BERICHT/152: Quo vadis NATO? - Wandel der Feindschaften? (SB)
BERICHT/153: Quo vadis NATO? - Abgründe der Kriegsrechtfertigung(SB)
BERICHT/154: Quo vadis NATO? - Das Auge der Wahrheit (SB)
BERICHT/156: Quo vadis NATO? - vorbei am Grundgesetz (SB)
BERICHT/157: Quo vadis NATO? - Die Drohnenfront (SB)
BERICHT/158: Quo vadis NATO? - recht und billig (SB)
BERICHT/159: Quo vadis NATO? - Der Film ruft zu den Fahnen (SB)
BERICHT/160: Quo vadis NATO? - Ohne Not und Gründe (SB)
INTERVIEW/166: Quo vadis NATO? - Handgemacht und kompliziert (SB)
INTERVIEW/167: Quo vadis NATO? - Zügel für den Kriegseinsatz - Gespräch mit Otto Jäckel (SB)
INTERVIEW/168: Quo vadis NATO? - Interventionsgefahren (SB)
INTERVIEW/169: Quo vadis NATO? - Desaster der Mittel - Hans-Christof Graf von Sponeck im Gespräch (SB)
INTERVIEW/170: Quo vadis NATO? - Was keiner wissen will - Bernhard Docke im Gespräch (SB)
INTERVIEW/171: Quo vadis NATO? - Hegemonialschaft USA - Nikolay V. Korchunov im Gespräch (SB)
INTERVIEW/172: Quo vadis NATO? - Der Friedensstandpunkt - Gespräch mit Eugen Drewermann (SB)
INTERVIEW/174: Quo vadis NATO? - Hegemonialmißbrauch, Hauke Ritz im Gespräch (SB)
INTERVIEW/176: Quo vadis NATO? - Empire exklusiv - Bill Bowring im Gespräch (SB)
INTERVIEW/177: Quo vadis NATO? - Aufklärungsmangel und Demokratiemüdigkeit - Jörg Becker im Gespräch (SB)
INTERVIEW/178: Quo vadis NATO? - Recht bleibt Recht - Karim Popal im Gespräch (SB)
INTERVIEW/179: Quo vadis NATO? - Kriegsvorwände, Tobias Pflüger im Gespräch (SB)
INTERVIEW/180: Quo vadis NATO? - Trümmerrecht und Pyrrhussiege, Prof. Dr. Werner Ruf im Gespräch (SB)
INTERVIEW/181: Quo vadis NATO? - Cyberwar, Wissenschaftsethik, Chancen, Prof. Dr. Hans-Jörg Kreowski im Gespräch (SB)
INTERVIEW/183: Quo vadis NATO? - Wege zum Anstandsmilitär, Dr. Thomas Henne im Gespräch (SB)
INTERVIEW/184: Quo vadis NATO? - Blinde Kriege, Volker Eick im Gespräch (SB)
INTERVIEW/185: Quo vadis NATO? - Involvenzen, Konsequenzen, Bernhard Trautvetter im Gespräch (SB)
INTERVIEW/186: Quo vadis NATO? - Zwirn für die Kettenhunde, Helga Wullweber im Gespräch (SB)
INTERVIEW/187: Quo vadis NATO? - Glaubhafte Gegenwehr, Peter Bürger im Gespräch (SB)
STELLUNGNAHME/001: Quo vadis NATO? - Ermächtigungsfragen (Norman Paech)


6. September 2013