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BERICHT/183: Weggenossen unverdrossen - Fortschrittslohn und Eurofron (SB)


"EU - überwinden oder neu gründen?"

Podiumsdiskussion auf dem UZ-Pressefest am 28. Juni 2014 in Dortmund



Die Europäische Union dient der Völkerverständigung und dem Kulturaustausch, schafft Frieden und Wohlstand, fördert die Begegnung der Jugend und eröffnet eine hoffnungsvolle Zukunft weit über den Kontinent hinaus. Wer diese Ideologie verwirft, sie aber durch die Hintertür wieder hereinbittet, indem er die Reformierbarkeit der EU im Sinne eines sozialen und demokratischen Europas postuliert, macht die Rechnung ohne den Wirt. Seit Anbeginn ihrer Vorläufer war die EU nie etwas anderes als ein strategischer Entwurf, der die Verwertungsbedingungen der führenden nationalen Kapitale verbessern und mit Hilfe einer Bündelung der einzelstaatlichen Ökonomien eine Weltmacht hervorbringen soll. Schon in ihren Gründungsdokumenten wurde die EU nach bestimmten Prinzipien wie insbesondere der Schaffung eines großen Binnenmarktes organisiert. So waren die vier Grundfreiheiten, also Kapitalfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, freier Güterverkehr und Personenfreizügigkeit, bereits in den Römischen Gründungsverträgen fest verankert. Für ein Europa von unten, wie es von Teilen der EU-Kritiker als Ziel formuliert wird, ist in diesem Projekt zwangsläufig kein Platz.

Die ungleiche Entwicklung der Staaten Europas macht einen Zusammenschluß wie die EU zu einem Gefängnis für die schwächeren Mitgliedsländer, die andererseits mit einer in Aussicht gestellten Bevorteilung gegenüber Drittstaaten bei der Stange gehalten werden. Mit jedem weiteren Vertragswerk wurde das administrative Geschirr enger gezurrt, bis das Bündnis den Charakter der Unausweichlichkeit angenommen hatte. Herrschaft zu sichern und fortzuschreiben, also die gesellschaftlichen Widersprüche bis an die Grenze ihrer Unumkehrbarkeit voranzutreiben und zugleich ihre Sprengkraft einzuhegen, zeichnet die deutsche Führungsposition in Europa in besonderem Maße aus. Dieser hochentwickelte Komplex von Ausbeutung und Verfügung gewährleistet eine politische und ökonomische Übermacht, die sich zu Lasten der europäischen Peripherie mästet, während sie die Kontrolle über sie perfektioniert.

Im Zuge imperialistischer Expansion trägt die EU dasselbe konkurrenzbefeuerte Profitstreben zunehmend aggressiv nach außen, wobei sie wechselweise auf ökonomische und militärische Machtmittel setzt. Die bellizistische Einkreisung und Bezichtigung Rußlands ist über die angestrebte Okkupation ukrainischer Ressourcen hinaus aus Sicht zentraleuropäischen Machterhalts um so notwendiger, als die krisenhaften Verwerfungen das Konstrukt vorgeblich schrankenloser Kapitalverwertung und sozialer Befriedung in seinen Grundfesten erschüttern. Unter dem Trommelfeuer der Propaganda droht die virulente soziale Frage als maßgeblichster Beweggrund der Menschen, sich der herrschenden Ordnung zu fügen oder ihr die Stirn zu bieten, im Feuer eines vom Zaun gebrochenen Krieges verbrannt zu werden.

Auf dem Podium - Foto: © 2014 by Schattenblick

Leo Mayer, Patrik Köbele, Hans Christian Stoodt
Foto: © 2014 by Schattenblick


Ist das imperialistische Staatenbündnis reformierbar?

Auf dem 18. UZ-Pressefest in Dortmund, das vom 27. bis 29. Juni 2014 im Revierpark Wischlingen stattfand, widmete der Parteivorstand der DKP eine Podiumsdiskussion dem Thema "EU - überwinden oder neu gründen?". Es diskutierten Patrik Köbele (Vorsitzender der DKP), Sevim Dagdelen (Die Linke MdB) und Leo Mayer (DKP/ISW). Als Moderator warf der Frankfurter Pastor Hans Christian Stoodt die zu erörternde Frage auf, ob die EU, wie sie sich heute darstellt, im Sinne der Mehrheit der Menschen, die in den Mitgliedsstaaten leben, reformierbar sei oder im Gegenteil überwunden werden müsse. Im Wahlprogramm der DKP sei diese Frage insofern klar beantwortet, als die EU dort als imperialistisches Staatenbündnis charakterisiert wird, das nicht reformierbar ist.

Leo Mayer sieht die EU als ein Feld des Klassenkampfs, auf dem es zu immer tieferen Eingriffen in das Leben der Nationalstaaten bis hinunter auf die kommunale Ebene kommt. Veränderungen auf nationaler Ebene seien nur möglich, wenn sich auf europäischer Ebene etwas ändert, und umgekehrt. Wünsche man eine Rückkehr zu Nationalstaaten, halte er das angesichts der Ergebnisse der Europawahl mit den besorgniserregenden Erfolgen der Rechten für gefährlich. Die Linke dürfe nicht mit nationalistischen Ressentiments spielen. Marxistische Politik müsse alles tun, um die arbeitende Klasse der Mitgliedsländer zusammenzuführen und dürfe nicht die Spaltung vertiefen. Es gelte, europaweit gemeinsame Programme und Strategien zu entwickeln, die dann auf der nationalen Ebene umgesetzt werden müssen. Ob die EU dann überwunden oder neu gegründet wird, sei nachrangig.

Der Neoliberalismus sei in die Struktur der EU eingebrannt, und jede vertragliche Veränderung erfordere eine Zustimmung aller 28 Mitgliedsländer, was illusionär sei. So bliebe nur die Möglichkeit des Austritts aus der EU, die den nationalistischen Kräften Aufwind verschaffte. Es gebe immer Alternativen wie sie gegenwärtig in der europäischen Linken diskutiert würden: Man könne in einem Land beginnen, die neoliberalen Verträge gezielt zu verletzen, und diese Strategie auf eine Gruppe von Mitgliedsländern oder sogar deren Mehrheit ausweiten, um über einen Bruch der Verträge zu einer neuen EU zu gelangen.

Leo Mayer auf dem Podium - Foto: © 2014 by Schattenblick

Neoliberalismus in die Struktur der EU eingebrannt
Foto: © 2014 by Schattenblick

Der Maastricht-Vertrag sei das Resultat eines jahrelangen Ringens zweier Entwicklungsmöglichkeiten der EU gewesen. Von Maastricht über Lissabon führte der Weg zu einer Ankopplung an die NATO, zum Fiskalpakt, der die Haushaltsrechte der Nationalstaaten an die EU-Kommission überträgt, und die Bundesregierung wolle als nächsten Schritt einen Wettbewerbspakt einführen, der die EU-Kommission ermächtigt, jeden nationalen Haushalt zu überprüfen. Er halte es mit dem Parteiprogramm der DKP, das die Entstehung supranationaler Strukturen kritisiert, die mehr als ein Bündnis imperialistischer Staaten darstellten.

Ungeachtet der Generalstreiks in Griechenland, Frankreich oder Spanien mit massenhafter Beteiligung habe sich nichts geändert. Die griechische Bourgeoisie sei eng mit den anderen Bourgeoisien Europas zu einem transnationalen Machtapparat verflochten. Die transnationalen Konzerne und Banken hätten politisch entschieden, die EU zusammenzuhalten, weil sie weltpolitisch den Euro und die Integration brauchen. Programme des Ungehorsams seien daher ein schwaches, aber dennoch mögliches Druckmittel in Händen einer Linksregierung, die sich auf soziale Bewegungen stütze. Dem stünden im Staatsapparat Griechenlands starke faschistische Kräfte entgegen, weshalb es der Solidarität und Kooperation der europäischen Linkskräfte bedürfe, so Leo Mayer.


Militaristisch, neoliberal und wenig demokratisch

Sevim Dagdelen zitierte aus einem Strategiepapier des aktuellen EU-Gipfels, das noch stärkere Investitionen in die Sicherheits- und Verteidigungskooperation vorsieht, "um unsere Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten in aller Welt zu erfüllen". Die gemeinsame Nutzung von Rüstungskapazitäten solle auf einer stärkeren Verteidigungsindustrie gründen. "Um unsere Werte und Interessen zu verteidigen, ist ein stärkeres Engagement der EU in Weltangelegenheiten entscheidend", heißt es weiter. Es gehe also um den Ausbau der EU als ein Instrument imperialistischer Interessensdurchsetzung durch die Mitgliedsstaaten, jedoch natürlich nicht der Interessen Zyperns oder Maltas, sondern jener Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens an der Seite der USA, aber auch in Konkurrenz zu den USA und insbesondere den aufstrebenden Mächten wie China, Rußland und den übrigen BRICS-Staaten.

Im Hinblick auf den hegemonialen Neoliberalismus nehme der Nützlichkeitsrassismus eine zentrale Rolle ein. Es geht darum, Migration in all ihren Aspekten auszusteuern, nämlich die Attraktivität für Fachkräfte aus anderen Erdteilen zu erhöhen und die sogenannte irreguläre Migration durch effizientere Abkommen mit Drittstaaten und ein noch wirksameres Grenzsicherungssystem abzuwehren. Investitionen in das "Humankapital" sollen zunehmen und soziale wie ökologische Standards über das Freihandelsabkommen mit den USA abgesenkt werden.

"Phänomene wie Terrorismus und organisiertes Verbrechen rufen nach einer stärkeren EU-Kooperation", heißt es im Strategiepapier. Eine Orientierung auf Partizipation oder eine Verteidigung von Grundrechten sucht man darin vergebens. Die Unterstützung der repressiven Golfstaaten, des Erdogan-Regimes in der Türkei und der ukrainischen Regierung, an der Faschisten beteiligt sind, werde ausgeblendet.

Sevim Dagdelen auf dem Podium - Foto: © 2014 by Schattenblick

Seit wann ist Nationalstaat gleich Nationalismus?
Foto: © 2014 by Schattenblick

Wenngleich das Europawahlprogramm der Linkspartei eine deutliche EU-Kritik enthalte, hätte sie sich den Erhalt des Satzes gewünscht, daß die EU einen militaristischen, neoliberalen und wenig demokratischen Charakter hat. Teile der Partei wie das Forum Demokratischer Sozialismus erklärten, daß man nicht zum Nationalstaat zurückkehren könne, weil man dem Nationalismus keinen Vorschub leisten dürfe. Doch seit wann sei Nationalstaat gleich Nationalismus? Es gebe keinen supranationalen Staat Europäische Union, da die Nationalstaaten die Herren der Verträge seien.

Sie habe die Grünen-Spitze wegen ihrer Verharmlosung von Faschisten in der Ukraine im Bundestag scharf kritisiert. Zwei Tage vorher hatte ein Treffen der Parteiführung Der Linken mit dem Parteivorsitzenden der SPD stattgefunden, um eine künftige Regierungsbeteiligung auszuloten. Sie bezweifle, daß es eine linke Regierung wäre, mit SPD und Grünen zu koalieren. Diese Parteien beschließen Auslandseinsätze der Bundeswehr und Rüstungsexporte in alle Welt, während sie die soziale Frage nicht stellen. Sie befürworten die EU mit ihrer Austeritätspolitik, mit ihren Rettungsringen aus Blei für die Länder des Südens, weil sie für das deutsche Kapital als Verstärker organisiert wird. Die EU sei ein Mittel des deutschen Imperialismus. Nicht Brüssel entscheide über die Krisenpolitik, sondern Berlin. Man dürfe sich und den Bürgerinnen und Bürgern in der Analyse der EU nichts vormachen. Mehr Kompetenzen für die EU zu fordern, gehe in die falsche Richtung, da das gleichbedeutend mit noch größeren Kompetenzen für das deutsche Kapital sei. Diese EU sei nicht reformierbar, so Sevim Dagdelen.


Linksregierungen binden revolutionäre Kräfte als Feigenblatt ein

Patrik Köbele erinnerte an Lenins Imperialismusanalyse, denn wer im Zusammenhang mit der EU nicht darüber rede, gehe in der Analyse fehl. Es gibt gemeinsame Interessen der Mitgliedsstaaten, aber auch gegensätzliche Interessen. Gemeinsame erlebten die Menschen, die an den Grenzen umkommen, gegensätzliche jene Menschen, die wie in Griechenland nicht selten zu Tode gebracht werden. In einem imperialistischen Staatenbündnis wie der EU habe man es nicht mit 28 gleichberechtigten Partnern zu tun: Deutschland, Frankreich und Großbritannien bestimmen als führende Mächte das EU-Interesse. Es gehe einerseits darum, gegenüber den USA an Boden zu gewinnen, aber gleichzeitig verschaffe sich insbesondere Deutschland die Möglichkeit, mit seiner Exportweise die Peripherie der EU auszubluten.

Man dürfe nicht Stimmen für einen Austritt aus der EU mit Nationalismus gleichsetzen. Wenn die KP Portugals erkläre, sie verteidige die Souveränität des Landes gegen die Troika, und als Losung "Demokratie, Patriotismus, Sozialismus" ausgibt, sei es nicht legitim, den portugiesischen Genossen Nationalismus zu unterstellen. Linksregierungen stellten kein Rettungskonzept dar, weil sie stets versuchten, revolutionäre Kräfte als Feigenblatt für die Abwälzungsstrategie der Krisenlasten einzubinden. Die EU in ihrer Gesamtheit zu etwas Progressivem reformieren zu können, sei eine Illusion. Das schließe nicht aus, auch auf dieser Ebene Abwehrkämpfe gegen die Übertragung von nationalen Souveränitätsrechten auf die EU oder gegen TTIP zu führen.

Die nationalen Bourgeoisien der EU-Staaten seien nicht zu einem transnationalen Komplex verschmolzen, da jene Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens klar dominierten. Bei den Verträgen von Maastricht und Lissabon habe es nicht zwei Entwicklungsmöglichkeiten der EU, sondern allenfalls Nuancenunterschiede gegeben. Auch teile er die Auffassung nicht, wonach die Massendemonstrationen nur deshalb zu nichts führen, weil man die supranationale Ebene noch nicht entdeckt habe. Sie blieben vielmehr folgenlos, weil in den führenden imperialistischen Zentren die Arbeiterklasse schlafe.

Patrik Köbele auf dem Podium - Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Machtfrage stellen ...
Foto: © 2014 by Schattenblick

Der deutsche Imperialismus habe sich klug auf die Krise eingestellt. Die Niedriglohnpolitik befriede nach innen Teile der Bevölkerung und grenze andere zur Wehrlosigkeit aus, während nach außen die Peripherie ausgebeutet werde. Die in der Gewerkschaftsbewegung hegemonialen Teile der Arbeiterklasse, also vor allem die unbefristet Beschäftigten der Großbetriebe, glaubten gut durch die Krise zu kommen, solange sie Interessensidentität mit den Herrschenden anstreben. Solange das in den führenden imperialistischen Ländern nicht aufgebrochen werde, lasse sich auf europäischer Ebene nichts verändern. Man habe es nicht mit einem supranationalen Staat zu tun, sondern mit supranationalen Institutionen, die von bestimmten nationalen Bourgeoisien ausgenutzt werden, um ihnen Dinge zuzuschieben, die dann angeblich nicht abzuwenden sind, weil sie von der EU kommen.

Für fatal halte er die in Syriza gesetzten Illusionen. Es handle sich um eine linkssozialdemokratische Organisation, die an die SPD in der Vorphase der Willy-Brandt-Regierung erinnere: Verbalradikalismus, gepaart mit einer Übereinkunft mit den herrschenden Kräften. Die Rolle der Sozialdemokratie sei die des Arztes am Krankenbett des Kapitalismus, und zwar nicht, weil sie moralisch böse sei, sondern weil sie die Machtfrage nicht stellen wolle. Wer die Machtfrage, auch im Verhältnis zur EU, nicht stellen wolle, brauche sich über fortschrittliche Transformierungen keine Gedanken zu machen. Den EU-Skeptizismus den Rechten zu überlassen, halte er für einen großen Fehler. Man müsse die Hegemonie in der sozialen Frage wiedergewinnen, zumal Teile des Kapitals auf die AfD und damit eine Gruppe setzten, die mindestens eine Scharnierfunktion zum Faschismus habe, so Köbele.


Ausverkauf der Lebensinteressen außen wie innen

Im Osten die Frontstellung gegen Rußland, im Westen das Freihandelsabkommen mit den USA, im Süden der kalte Tod im Mittelmeer, die in ihr blutiges Gegenteil verkehrte Arabellion in Ägypten, die in ihren Grundfesten erschütterten Gesellschaften Libyens, des Irak und Syriens, die heiße Aufstandsbekämpfung in Gaza. Die EU mischt nicht nur mit, indem sie diese und andere beklagenswerten Entwicklungen im Sinne der eigenen Hegemonialinteressen für akzeptabel erachtet und damit gutheißt. Sie ist in einer wachsenden Anzahl sozialer und militärischer Konflikte maßgeblicher Akteur, wobei der Palette der Begründungen menschenfeindlicher Maßnahmen und gewaltsamer Interventionen von der sogenannten Schutzverantwortung über den Wettbewerbs- und Wachstumsprimat bis hin zu offener imperialistischer Landnahme reicht.

Inwiefern die EU überhaupt handelndes Subjekt oder eher Transmissionsriemen ihrer größten Nationalstaaten ist, ist für das Ergebnis des Ausverkaufs der Lebensinteressen der Menschen zweitrangig. In jedem Fall fungiert sie als Verstärker einer administrativen Verfügungsgewalt, die die Interessen des Kapitals mit staatsautoritären Mitteln durchsetzt, die sich zusehends gegen die vertragsrechtlichen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft richten. Die Aushebelung arbeitsrechtlicher, ökologischer und gemeinwirtschaftlicher Standards durch den Marktprimat des TTIP erfolgt weitgehend hinter verschlossenen Türen, das gilt auch für die dem Abkommen eigene Entwicklungslogik, laut der der weitergehende Abbau sogenannter Handelshemmnisse auch nach Vertragsabschluß ohne umfassende Beteiligung der betroffenen Bevölkerungen vorgenommen werden kann.

Die Entrechtung von Erwerbslosen durch das Workfare-Regime Hartz IV europaweit zu verallgemeinern, ist erklärtes Ziel der Bundesregierung. Auch dies stellt einen qualitativen Wechsel von der sogenannten sozialen Marktwirtschaft hin zu einer Form der Arbeitsverwaltung dar, die die Armut der Menschen in das zentrale Zwangsmittel kapitalistischer Kostensenkung und gesellschaftlicher Herrschaftssicherung verwandelt hat. Die Ausgrenzung eines wachsenden Teils der Gesellschaft in den Limbus notdürftiger Existenzerhaltung soll als ungleich größere Strafe den letzten Widerstand gegen entfremdete Arbeit brechen. Dankbar zu sein dafür, sich als Objekt der Mehrwertabschöpfung unter jeder nur denkbaren und undenkbaren Bedingung verkaufen zu dürfen, soll die Grundverfassung der Lohnabhängigenklasse sein.

Das immer unerträglicher werdende Leben in einer Erwerbsarbeit, die trotz anwachsender Leistungsverdichtung nichts als Armut einbringt und das Personal der neofeudalen Eliten dennoch nicht von deren sozialchauvinistischer Verachtung verschont, schürt eine Wut, die zu kanalisieren der Haß auf den Konkurrenten im Rennen um verbliebene Lebenschancen nicht mehr ausreicht, um die Gesellschaft dauerhaft zu befrieden. So kehrt die Demütigung der "Pleitegriechen" postwendend zu den Urhebern zurück, wenn sie merken, daß es ihnen nur relativ besser geht als diesen, aber sehr viel schlechter als den eigenen Eliten. Auch der Fußballnationalismus wirkt keine Wunder mehr, wenn die damit transportierte Klassenordnung in Brasilien auf so viel Widerstand stößt, daß das dort herrschende Elend einfach nicht mehr ignoriert werden kann.

Auf dem Nährboden dieser Widersprüche gedeiht eine Bereitschaft zum Aufbegehren, die, wenn sie nicht erfolgreich in die Hände nationalistischer und rassistischer Demagogen gelegt werden kann, die Gefahr des sozialen Widerstands virulent macht. Die im Rahmen der EU geschaffenen Arsenale der Aufstandsbekämpfung und Agenturen der Terrorismusbekämpfung lassen erkennen, daß dieser Gefahr seit langem präventiv entgegengetreten wird. Insofern sind die Sozialkämpfe der südlichen Peripherie der EU oder der vorgelagerten Staaten des Maghrebs oder Osteuropas auch Experimentierfelder für innovative Formen der Herrschaftssicherung unter der keinesfalls diskutablen Bedingung einer Austeritätspolitik, die der Masse der Menschen die Kosten für den Bestand der herrschenden Gesellschaftsordnung aufbürdet.

Gerade weil die Produktivitäts- und Verwertungsniveaus innerhalb der EU nach wie vor national ausdifferenziert sind, bedürfen sie einer großen administrativen Klammer. Um zu verhindern, daß es zu grenzüberschreitenden Streiks und Blockaden kommt, die etwa im Transportsektor erhebliche Wirkung zeigen könnten, daß sich das virtuelle Subjekt der EU-Bevölkerung in internationalen Massendemonstrationen konkretisiert oder daß soziale Widerstandsbewegungen Zufluchtsmöglichkeiten in europäischen Staaten erhalten könnten, die auf diese Weise eigene Interessenpolitik betreiben, bedarf es rechtlicher und exekutiver Strukturen, die supranational entscheidungs- und handlungsfähig sind. Gleiches gilt für den derzeitigen Aufmarsch gegen die Russische Föderation, die kein einzelner europäischer Staat wagte, wenn er nicht neben den USA über den ganzen EU-Apparat verfügte.

Aus linker und sozial widerständiger Sicht gibt es daher zahlreiche Gründe, diese EU als strukturelle Gewalt und regulative Instanz der Verschärfung ohnehin herrschender Widersprüche nicht nur zu kritisieren, sondern im Grundsatz abzulehnen.

Transparent der KKE: 'Wenn deine Hand es will, stehn alle Räder still!' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Zur Erinnerung ...
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


Zur Kontroverse über die Position der Linken zur EU siehe im Schattenblick:

BERICHT/010: Links der Linken - Internationalismus und Antikapitalismus vs. EU und Euro (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0010.html

BERICHT/011: Links der Linken - Euro, Wettbewerb und Armut (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0011.html

BERICHT/012: Links der Linken - EU solidar (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0012.html

BERICHT/013: Links der Linken - Keine Kompromisse (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0013.html

Zur imperialistischen Struktur der EU siehe im Schattenblick:

BERICHT/168: Herrschaft in der Krise - Zweckform Euro (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0168.html


Bisherige Beiträge zum 18. UZ-Pressefest in Dortmund im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

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INTERVIEW/226: Weggenossen unverdrossen - Partnerschaft und Kernerhalt, Patrik Köbele im Gespräch (SB)
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22. Juli 2014