Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REPORT


BERICHT/203: Minenfeld Afghanistan - Die Haftung des Westens ... (SB)


Endlose Kette der Kriege - Alptraum finale Dominanz

Tagung Afghanistan 2015. Frieden in Afghanistan? Vergessen? am 13. Juni 2015 in Düsseldorf


Wie in Strategiepapieren führender US-amerikanischer Denkfabriken nachzulesen ist, suchte man nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem proklamierten Ende der Konkurrenz der Gesellschaftssysteme ein neues Feindbild. Die Wahl fiel nicht von ungefähr auf den Islam. Zum einen ließ sich auf diese Weise der absolute Vormachtsanspruch der USA und ihrer Verbündeten vom für überwunden erklärten Klassenkampf auf eine kulturalistische Schiene lenken. Zum anderen waren es überwiegend islamische Staaten, die es im Zuge geostrategischer Expansion zu überrollen galt. Langfristiges Ziel blieb die Einkreisung und letztendliche Niederwerfung Rußlands und Chinas, die der angestrebten globalen Dominanz der westlichen Mächte im Wege stehen.

In seinem vor wenigen Tagen veröffentlichten ersten Strategiebericht seit vier Jahren stuft das US-Militär Rußland und China als Bedrohung für die nationalen Sicherheitsinteressen ein. US-Generalstabschef Martin Dempsey spricht darin von einer "geringen, aber wachsenden" Wahrscheinlichkeit, daß die USA einen Krieg mit einer Großmacht führen könnten, der "immense" Auswirkungen hätte. Gleichzeitig zeigt sich Dempsey besorgt über einen schleichenden Machtverlust der US-Armee: "Unser vergleichsweiser militärischer Vorteil hat zu erodieren begonnen." Den Streitkräften müßten ausreichende finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, um ihrer "globalen Verantwortung gerecht zu werden". Mit einem Jahresbudget von rund 600 Milliarden Dollar sind die US-Streitkräfte die mit Abstand bestfinanzierte Armee der Welt. [1]

Als Präsident George W. Bush im Gefolge des 11. September 2001 der Welt einen langen Krieg ohne absehbares Ende ankündigte, war das keine bloße Drohgebärde oder Übertreibung. Unter dem Vorwand, man kämpfe gegen den internationalen Terrorismus und nicht etwa gegen Nationalstaaten, frißt sich seither eine ununterbrochene Abfolge von Waffengängen in einem Keil voran, der den Mittleren Osten durchdringt und auf Zentralasien weist. Um Rußland und China in die Flanke zu fallen und zugleich zu spalten, führt die NATO Kriege mit dem unmittelbaren Ziel, die Ausgangsbedingungen für die künftigen Kriege zu verbessern.

Ob die jeweilige Intervention und Okkupation erfolgreich verlief oder gescheitert ist, läßt sich daher nicht nach dem klassischen Muster von Eroberung und dauerhafter Einverleibung bemessen. Selbst die gewaltigste Militärmacht weltweit läuft angesichts des größtmöglichen strategischen Entwurfs Gefahr, sich zu überstrecken, zu verausgaben und so ihren eigenen hegemonialen Interessen zum Opfer zu fallen. Wenngleich das Wunschbild westlicher Militärs, mit geballter Wucht zuzuschlagen und zu siegen, um sich möglichst schnell dem nächsten Angriffsziel zuzuwenden, nirgendwo realisiert werden konnte, läßt sich der lange Feldzug nur so und nicht anders führen. Das Gros der Kampftruppen muß früher oder später abgezogen werden, die Sicherung des Terrains sollen Stützpunkte, Spezialkommandos und insbesondere einheimische Militär- und Polizeikräfte übernehmen.

Wenngleich die Militärausgaben explodieren, die Staatsverschuldung der USA ins Astronomische wächst und die Schneise der Verwüstung in den Kriegsgebieten aller Propaganda aufzubauender Staatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte Hohn spricht, ist aus Perspektive imperialistischer Aggression doch kein Aufwand zu groß und jedes Mittel recht, sofern sich durch diesen Kraftakt die Eliminierung der Konkurrenz und damit künftig die alleinige Verfügung über die schwindenden Lebensmöglichkeiten auf dem Planeten erringen läßt. Überlegene Waffengewalt samt einer allseits gefürchteten Bereitschaft, von ihr Gebrauch zu machen, bleibt das Fundament einer Vorherrschaft, die dann auch weit über militärische Gewaltakte hinaus ökonomische, politische und ideologische Dominanz befördert.

So wenig die bloße Hoffnung, das US-Imperium werde über kurz oder lang von selbst kollabieren, Handhabe für die Herbeiführung dieses Prozesses schafft, so wenig handelt es sich beim skizzierten strategischen Entwurf der westlichen Mächte um eine unabweisliche Entwicklung, die vor Niederlagen gefeit wäre. Ob das Kriegsgeschrei im Vorfeld der nächsten Offensive den Blutzoll und die Verheerungen der zurückliegenden vergessen macht und die Reihen des Aufmarsches fest schließt, entscheidet sich von Fall zu Fall. Woran die Kette dieser Kriege bricht, bleibt solange im Ungewissen, wie man die Deutungsmacht an der Heimatfront den Protagonisten einheimischer Partizipation am großen Feldzug überläßt.

Anzunehmen, daß der deutsche Imperialismus harmloser, weil ein zivileres Korrektiv in der Arbeitsteilung der NATO sei, wäre verhängnisvoll. Gerade weil die Altlast zweier Weltkriege dem hiesigen Bellizismus eine Stufenfolge ideologischer Zwischenetappen abnötigte, ehe er wieder uneingeschränkt in die Offensive gehen konnte, ist er außerordentlich findig und robust, gerade was die Kreation der Kriegsvorwände betrifft. Niemand würde den Amerikanern die Behauptung abnehmen, sie seien nach Afghanistan gekommen, um Aufbauhilfe zu leisten. Niemand sonst könnte die zivil-militärische Zusammenarbeit so homogen stricken wie die deutsche Hand. Wer überträfe die hierzulande perfektionierte Logistik der Kriegsführung an fernen und wechselnden Schauplätzen? Wo fände man eine effizientere Ausbildung in Sachen innerer Sicherheit samt der zugehörigen Technologie deutscher Unternehmen, von diversen Rüstungsgütern ganz zu schweigen? Auch sagt man dem BND eine langjährige Präsenz und Kompetenz in dieser Weltregion nach. Schon bevor man also auf die deutlich sichtbaren Auslandseinsätze der Bundeswehr selbst wie auch die zumeist im Verborgenen angesiedelten Aktivitäten der KSK zu sprechen kommt, fehlt es nicht an Anhaltspunkten, trotz der Einbindung in die NATO von einem tendenziell eigenständigen deutschen Imperialismus zu sprechen.


Verheerende Zwischenbilanz nach vierzehn Jahren Krieg

Zieht man eine Zwischenbilanz nach vierzehn Jahren Krieg am Hindukusch, so erweist sich die Lage als verheerender denn je. Die Studie "Costs of war" der US-amerikanischen Brown University spricht von rund 68.000 Todesopfern, seit die internationalen Truppen in das Land eingerückt sind. Etwa genauso viele Menschen seien seitdem verletzt worden. Zieht man die Zahlen aus Afghanistan, dem Irak und Pakistan zusammen, fällt der Blutzoll noch wesentlich drastischer aus. Seit 2001 starben dort rund 350.000 Menschen, darunter etwa 220.000 Zivilisten, die meisten von ihnen im Irak. In der Realität fallen die Zahlen mit Sicherheit weit höher aus, zumal die Todesopfer unter den Zivilisten nur schwer zu erheben sind. Während die Zahlen über getötete Soldaten der westlichen Mächte penibel aufgezeichnet werden, gibt es nur vage Schätzungen hinsichtlich der getöteten "Aufständischen" und zivilen Opfer. [2]

Allein für Afghanistan gehen andere Schätzungen von weit über 100.000 Todesopfern aus. Auch ist die Unterscheidung zwischen "Taliban" und Zivilbevölkerung in erheblichem Maße fiktiv: Zum einen subsumieren westliche Militärs jegliche Fraktionen des afghanischen Widerstands gegen das Besatzungsregime unzulässigerweise unter den Sammelbegriff "Taliban", zum anderen werden Todesopfer häufig pauschal den "Aufständischen" zugeordnet. Der erhobene Vorwurf, zahlreiche Afghanen seien tagsüber Bauern und nachts Taliban, verweist auf einen Guerillakrieg, in dem die Besatzungsmacht mehr oder minder die gesamte Bevölkerung ins Visier nimmt und zynisch von Kollateralschäden spricht, wo ihre Angriffe nachweislich zivile Opfer fordern. Bezeichnenderweise ist gerade der als präzise verkaufte Drohnenkrieg dafür bekannt, daß in der Regel mit jedem ausgewiesenen Ziel der abgefeuerten Raketen eine Vielzahl weiterer Menschen in der unmittelbaren Umgebung getötet wird.

Die UN-Agentur für Afghanistan dokumentierte im vergangenen Jahr 10.548 zivile Opfer (3.699 Tote und 6.849 Verletzte). Das sind 25 Prozent mehr Tote als im Jahr zuvor und die höchste Zahl an zivilen Toten und Verletzten seit Beginn der Dokumentation durch die UN 2009. [3] Für das laufende Jahr ist ein weiterer Anstieg zu erwarten, so daß seriöse Untersuchungen davon ausgehen, daß der Krieg in Afghanistan keineswegs beendet ist, sondern im Gegenteil wieder an Heftigkeit zunimmt.

Die offizielle Lesart, wonach die "Operation dauerhafte Freiheit" beendet ist und die Verantwortung erfolgreich an die bewaffneten und ausgebildeten einheimischen Sicherheitskräfte übergeben wird, hält der Realität nicht stand. Allein 2014 wurden mehr als 5.000 afghanische Soldaten und Polizisten getötet. US-Militärkommandanten bezeichnen die hohen Verluste und die große Zahl der Fahnenflüchtigen als unhaltbar. Offiziell beträgt die Stärke der afghanischen Streitkräfte 352.000 Mann, doch räumen amerikanische Regierungsvertreter ein, daß sie angesichts der Verluste derzeit erheblich niedriger ist. Im Osten und Süden des Landes, wo der bewaffnete Widerstand den afghanischen Sicherheitskräften die größten Verluste zugefügt hat, stünden diese auf verlorenem Posten, erhielten sie nicht Luftunterstützung durch Kampfhubschrauber und Jagdflugzeuge aus Stützpunkten der US-Truppen in Kandahar. Wenngleich man noch nicht davon sprechen kann, daß die einheimischen Sicherheitskräfte am Rande der Auflösung stehen, haben Pentagon und NATO doch bezeichnenderweise beschlossen, sämtliche Informationen über ihre Kampffähigkeit für geheim zu erklären. [4]

Schlimmer noch als die militärische ist die wirtschaftliche und soziale Lage des Landes. Beim Pro-Kopf-Einkommen rangiert Afghanistan an 215. Stelle der Welt, fast die Hälfte der Bevölkerung lebt in extremer Armut. In Folge des Truppenabzugs und der sinkenden Auslandshilfe, der wichtigsten Einnahmequellen der afghanischen Wirtschaft, beginnt diese zu schrumpfen. Die von US-Organisationen verbreiteten Zahlen über eine deutliche Verbesserung der Lebenserwartung, Bildung und anderer Indizes werden von internationalen Organisationen in Zweifel gezogen und mehr oder weniger als Kriegspropaganda eingeschätzt.


Marionettenregime in Kabul am Tropf der Westmächte

Alles deutet darauf hin, daß sich das Marionettenregime in Kabul aus eigener Kraft nicht halten kann. US-Verteidigungsminister Ashton Carter hat bereits angekündigt, man werde die Operationen zur Aufstandsbekämpfung und den bisherigen Zeitplan für den Truppenabzug noch einmal überdenken. Gegenwärtig befinden sich noch zehntausend US-Soldaten, etwa zwanzigtausend Söldner und mehrere hundert CIA-Agenten im Land. Die USA haben den geplanten Abzug weiterer 5000 Soldaten mindestens bis Ende des Jahres vertagt. Die nächtlichen Mordkommandos durch Special Forces in den Dörfern und die Luftangriffe auf vermutete Stellungen von Aufständischen wurden verstärkt. Beide Kampfmethoden sind bei der Bevölkerung verhaßt und wurden von Ex-Präsident Hamid Karsai offiziell verboten. Sein Nachfolger Ashraf Ghani hat sie wieder erlaubt, was auf die prekäre Lage seines Regimes hinweist.

Der längste Krieg in der Geschichte der Vereinigten Staaten hat bislang je nach Schätzung zwischen 750 Milliarden und mehreren Billionen Dollar gekostet. Die USA haben insgesamt 65 Milliarden Dollar für die Organisation, Ausbildung und Bewaffnung der afghanischen Polizei und des Militärs ausgegeben. Die Sicherheitskräfte werden weiterhin mit vier bis fünf Milliarden Dollar jährlich finanziert, fast dem Dreifachen der Staatseinnahmen Afghanistans, die überdies rückläufig sind. Zudem wurde die Einrichtung eines Hilfsfonds in Höhe von 800 Millionen Dollar angekündigt, der das Land dabei unterstützen soll, selbständig zu werden.

Machen schon diese Zahlenverhältnisse deutlich, daß die Regierung in Kabul keinesfalls über die finanziellen Mittel verfügt, sich ohne massive ausländische Unterstützung an der Macht zu halten, so zweifeln auch hochrangige Experten aus dem Militär- und Sicherheitsapparat Obamas an der proklamierten Übergabe der Sicherheitsverantwortung. So erklärte der nationale Geheimdienstdirektor James Clapper, die afghanischen Sicherheitskräfte würden für den Rest des Jahres vermutlich die meisten großen Bevölkerungszentren unter Kontrolle halten. Ohne weitere Finanzierung durch die USA könnten sie jedoch weder eine stabile noch lebensfähige Kraft bleiben.

Noch deutlicher äußern sich Berater und Militärs, die nicht mehr im aktiven Dienst stehen. Der ehemals hochrangige Kommandant in Afghanistan, David Barno, erklärte in einem Interview, nach dem Abzug der USA könnte es für die Afghanen innerhalb von sechs Monaten vorbei sein, vor allem, wenn auch noch das amerikanische Geld ausbleibe. Und der frühere Pentagon-Beamte und Berater des US-Militärs, Anthony Cordesman, warnte in einem vom Center for Strategic and International Studies veröffentlichten Bericht, die USA liefen Gefahr, bei der Übergabe der Verantwortung an die Afghanen die gleichen gravierenden Fehler wie in Vietnam und im Irak zu begehen.


Propagandaoffensive an der Heimatfront

Die Diskrepanz zwischen den Erklärungen der Regierung in Washington und den tatsächlichen Verhältnissen in Afghanistan könnte größer nicht sein. Ende letzten Jahres hatte Präsident Barack Obama verkündet, der längste Krieg in der amerikanischen Geschichte komme zu einem verantwortungsvollen Abschluß. Die Verringerung der Truppen sei ein Meilenstein für die USA. Die "Operation dauerhafte Freiheit" sei ein Erfolg, da man den harten Kern der al-Qaida-Führung erfolgreich vernichtet, Osama bin Laden zur Strecke gebracht, Terroranschläge verhindert und das Leben zahlloser Amerikaner gerettet habe. Ohne ein Wort über die humanitäre Katastrophe im Land zu verlieren, erklärte der US-Präsident weiter, man habe der afghanischen Bevölkerung geholfen, die Kontrolle über ihre Städte und Dörfer zurückzuerlangen und die eigene Sicherheit wieder selbst in die Hand zu nehmen.

Während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Weißen Haus Ende März äußerten sich beide optimistisch, was den Übergang der Sicherheitsverantwortung betreffe, nach dem die afghanischen Truppen die volle Verantwortung für die Sicherheit im Land haben würden. Zugleich wurde jedoch der Zeitplan für den Rückzug der US-Kampftruppen bereits zum dritten Mal seit Mai 2014 geändert, um der sich verschlechternden Sicherheitslage Rechnung zu tragen.

Daß sich eine derartige Irreführung der eigenen Bevölkerung, um die es bei solchen Erklärungen von Regierungsseite in erster Linie geht, durchaus noch übertreffen läßt, unterstreicht der Internetauftritt des Auswärtigen Amtes in Berlin zur Lage am Hindukusch. Wie es dort heißt, bleibe Deutschland einer der wichtigsten Partner Afghanistans. Nachdem der Einsatz der Internationalen Schutz- und Unterstützungstruppe (ISAF) beendet sei, beteilige man sich als drittgrößter Geber am zivilen Wiederaufbau, und dieses Engagement bekomme ein zunehmend ziviles Gesicht. Wenngleich die Sicherheitslage in vielen Teilen des Landes instabil bleibe und regierungsfeindliche Kräfte teilweise noch handlungsfähig seien, würden doch die Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) immer besser und kompetenter. Sie hätten die Sicherheitsverantwortung vollständig übernommen und würden dabei seit Anfang 2015 durch die "Resolute Support Mission" (RSM) der NATO mit Ausbildung und Beratung unterstützt.

Damit das Erreichte nicht gefährdet wird, hätten Afghanistan und die internationale Gemeinschaft in den vergangenen Jahren durch entsprechende Vereinbarungen gemeinsam Vorsorge getroffen. Auf den internationalen Konferenzen in Bonn (Dezember 2011), Chicago (Mai 2012) und Tokio (Juli 2012) habe Afghanistan Klarheit über die zivile und militärische Unterstützung erhalten. In Tokio seien zudem gegenseitige Rechenschaftspflichten vereinbart worden, um die Reformschritte der afghanischen Regierung anhand festgelegter Ziele und Kriterien überprüfbar zu machen. Wie die letzte förmliche Überprüfung Ende Januar 2014 gezeigt habe, müßten die Reformen mit noch größerem Nachdruck verfolgt werden, doch sei Afghanistan insgesamt auf einem guten Weg.

Deutschland werde sich weiter entschlossen für die friedliche Entwicklung eines demokratischen Afghanistan einsetzen und beteilige sich deshalb mit einem jährlichen Beitrag in Höhe von rund 150 Millionen Euro an der Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte. Darüber hinaus engagiere man sich mit jährlich 430 Millionen Euro an Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen und Stärkung der Regierungsführung. Dauerhafter Frieden sei nicht durch eine militärische, sondern nur durch eine politische Lösung herbeizuführen. Nicht verhandelbar seien der Bruch mit dem internationalen Terrorismus, der Verzicht auf Gewalt und die Anerkennung der afghanischen Verfassung, einschließlich ihrer Gebote zum umfassenden Schutz der Menschenrechte. [5]


Kampf um die Deutungsmacht - Afghanistan nicht vergessen!

Wie dieses brachiale bis filigrane Schmieden der Deutungsmacht in den Hauptstädten der westlichen Welt unterstreicht, ist Vergessen kein ausschließlich passiver Prozeß, dem nicht nachgeholfen werden könnte. Daß die Bevölkerung rasch vergessen muß, was im letzten Krieg geschehen ist, will man sich ihrer Zustimmung zum nächsten versichern, ist in den NATO-Ländern angesichts der galoppierenden Abfolge immer weiterer Waffengänge unverzichtbare Staatsräson. Während die US-Regierung unverfroren längst widerlegte Angriffsvorwände und fiktive Erfolge ohne Rücksicht auf eigene und um so mehr afghanische Verluste wiederkäut, perfektioniert Berlin in einer Mischung aus vasallentreuer Arbeitsteilung und ambitionierter geostrategischer Platzhalterschaft die vorgeblich zivil-partnerschaftliche und humanitäre Larve der Aggression und Okkupation.

Die prolongierte Präsenz von Besatzungstruppen samt Kampfeinsätzen in Afghanistan überlappt sich mit Luftangriffen in Syrien und im Irak, Plänen für eine Großoffensive gegen irakische Städte wie Mossul und einer zeitgleich mit der Türkei angekündigten Initiative, man wolle Tausende syrische Rebellen ausbilden, die vorgeblich gegen den Islamischen Staat (IS) eingesetzt werden sollen, de facto jedoch vor allem das Regime in Syrien bedrohen. Unterdessen erhöht Washington in der Ukraine den Druck auf Moskau selbst auf die Gefahr hin, die zitierte "geringe, aber wachsende Wahrscheinlichkeit" eines direkten Konflikts mit der Atommacht Rußland zu forcieren. Was in Afghanistan geschieht, ist in diesem Szenario keineswegs eine längst überholte und mithin irrelevante Fußnote der Geschichte. Es handelt sich ganz im Gegenteil um ein notwendiges Glied in der Kette vorangetriebener Frontverläufe, dessen Bruch maßgeblich dazu beitragen könnte, den Vormarsch der NATO-Mächte zum Erliegen zu bringen. Aus diesem Grund, und um wieviel mehr noch der drangsalierten Menschen in Afghanistan willen, darf nicht in Vergessenheit geraten, was Krieg und Besatzung am Hindukusch anrichten.

(wird fortgesetzt)


Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/us-militaer-stuft-russland-und-china-als-bedrohung-ein-a-1041660.html

[2] http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-rund-68-000-todesopfer-laut-studie-seit-2001-a-1036670.html

[3] https://www.wsws.org/de/articles/2015/03/26/afgh-m26.html

[4] https://www.wsws.org/de/articles/2015/03/26/afgh-m26.html

[5] http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/AfghanistanZentralasien/Afghanistan-Einstieg-node.html

7. Juli 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang