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BERICHT/233: Treffen um Rosa Luxemburg - angekommen ... (2) (SB)


Quo vadis, Linkspartei? (2)

Politischer Jahresauftakt der Europäischen Linkspartei


G. Katrougalos in Großaufnahme während seiner Rede - Foto: © 2016 by Schattenblick

Prof. Dr. Georgios Katrougalos
Foto: © 2016 by Schattenblick

Beim Jahresauftakt der Europäischen Linken (EL) waren neben dem griechischen Arbeitsminister Katrougalos, den Fraktions- und Partei-Ko-Vorsitzenden der Partei Die Linke nicht viele Repräsentanten weiterer Mitgliedsparteien vertreten. [1] Ungeachtet der guten Stimmung, mit der die Partei- und Fraktionsspitze der PDL diesen Jahresauftakt beging, blieb die Frage offen, inwieweit die insgesamt 25 Parteien und knapp 500.000 Mitglieder der EL dieses Ereignis überhaupt wahrgenommen und für relevant erachtet haben. Diether Dehm, Schatzmeister der EL, hatte neben Katrougalos nur die EL-Vizepräsidentin Maite Mola von der Kommunistischen Partei Spaniens und der Vereinigten Linken sowie Luis Fazenda vom portugiesischen Linksblock als Repräsentanten weiterer Schwesterparteien in Berlin begrüßen können.


Maite Mola und Luis Fazenda jeweils in Porträtaufnahme - Fotos: © 2016 by Schattenblick Maite Mola und Luis Fazenda jeweils in Porträtaufnahme - Fotos: © 2016 by Schattenblick

Maite Mola und Luis Fazenda, Repräsentanten südeuropäischer Linksparteien am Rosa-Luxemburg-Wochenende in Berlin
Fotos: © 2016 by Schattenblick


Hilft vielleicht Plan B ...

Da mit Oskar Lafontaine, dem Schlußredner der Jahresauftaktveranstaltung, auch einer der Initiatoren des von führenden europäischen Linkspolitikern wie Gianis Varoufakis und Jean-Luc Mélenchon entworfenen Plan B zugegen war, hätte eine kontroverse Diskussion unter Linken bzw. den europäischen Linksparteien auf der Agenda stehen können, wenn sie denn gewollt gewesen wäre. Sinn und Zweck der im übrigen vollauf gelungenen Veranstaltung lag offenbar in dem Anliegen, Geschlossenheit und Stärke zu demonstrieren, weshalb dies weder der Ort noch der Zeitpunkt oder eine aus Sicht ihrer Initiatoren angemessene Gelegenheit war, kontroverse Diskussionen zu führen oder kritische Stimmen zumindest zu Wort kommen zu lassen.

Die Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke Sahra Wagenknecht hatte in ihrem Redebeitrag auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz am Tag zuvor [2] den Plan B bereits positiv hervorgehoben und damit die Marschroute ihrer Partei aufgezeigt, soziale und demokratische Fortschritte innerhalb der europäischen Ordnung, sprich dem EU-Gerüst, für prinzipiell durchsetzbar zu halten. Dies allerdings unter der Voraussetzung, daß es den europäischen Linksparteien und etwaigen Mitstreitern schließlich gelänge, eine Neuverhandlung der EU-Verträge zu erreichen, um dann eine tatsächlich soziale und demokratische Union zu etablieren. Sollte sich dies als die Position der Parteien und politischen Linkskräfte erweisen, die das ideologische und klassenkämpferische Erbe Rosa Luxemburgs, der Namensgeberin dieses Januar-Wochenendes, für sich in Anspruch nimmt, bleiben mehr Fragen offen als etwa die nach der politischen Relevanz von Plan B für die von der neoliberalen Agenda der EU besonders stark betroffene Bevölkerung Griechenlands.

Läßt nicht gerade das Beispiel des einzigen EU-Staats, der von einer EL-Mitgliedspartei regiert wird, befürchten, daß Linksparteien, ob sie es nun wollen oder nicht, sukzessive vereinnahmt und eingebunden werden in Belange und Maßnahmen eines Krisenmanagements, dem innerhalb der Europäischen Union eine umso größere Bedeutung beigemessen werden wird, je krasser das Unvermögen der herrschenden kapitalistischen Verwertungsordnung, die bestmögliche Versorgung aller in ihr lebenden Menschen zu gewährleisten, zu Tage tritt? Und steht nicht sogar zu befürchten, daß sich in Staaten wie Griechenland, wo es heute schon unter der Verantwortung Syrizas zu massiven Tränengas- und Prügelattacken der Polizei gegen reformkritische Aufständische kommt, linke Regierungen als die besseren Sachwalter einer von ihnen zwar abgelehnten, aber dennoch vollzogenen Politik erweisen?


Die beiden Genannten nebeneinander auf der Bühne stehend - Foto: © 2016 by Schattenblick

Die Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht
Foto: © 2016 by Schattenblick


... oder DiEM25, die Bewegung für die Demokratisierung Europas?

Die in diesen Fragen anklingende Kritik an den Konzepten parlamentarisch ausgerichteter linker Parteien ist keineswegs neu. Linke Parteien haben schon in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit dem Anspruch, das parlamentarische Standbein oppositioneller und herrschafts- wie kapitalismuskritischer Bewegungen zu sein, mit den bekannten Ergebnissen ihren Marsch durch die Institutionen angetreten. Nur wenige Wochen nach dem Jahresauftakt der Europäischen Linken und anderen Veranstaltungen zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurde am 9. Februar in der Berliner Volksbühne das "Manifest für die Demokratisierung Europas" einer Bewegung für ein demokratisches Europa 2025 (Democracy in Europe Movement 2025 - DiEM25) in einer feierlichen Zeremonie vorgestellt. Um ein explizit linkes Projekt scheint es sich nicht zu handeln, ist es doch so breit aufgestellt zu sein, daß sich Menschen aller Couleur unter dem Begriff der "Völker Europas" einfinden können. [3]

Wir, die Völker Europas, haben die Pflicht, uns die Kontrolle über unser Europa von nicht rechenschaftspflichtigen 'Technokraten', Politikern, die ihre Komplizen sind, und dubiosen Institutionen zurückzuholen. Wir kommen aus allen Teilen des Kontinents und sind vereint durch unterschiedliche Kulturen, Sprachen, Akzente, parteipolitische Ausrichtung, Hautfarbe, Geschlecht, Glaubensüberzeugungen und unterschiedliche Vorstellungen, wie eine gute Gesellschaft aussieht. Wir bilden DiEM25 in der Absicht, von einem Europa nach dem Motto 'Wir, die Regierungen' und 'Wir, die Technokraten' zu einem Europa nach dem Motto 'Wir, die Völker Europas' zu gelangen.


O. Lafontaine während seiner Rede - Foto: © 2016 by Schattenblick

Oskar Lafontaine beim Jahresauftakt der Europäischen Linken am 10. Januar in Berlin
Foto: © 2016 by Schattenblick

Oskar Lafontaine erteilte dem Projekt wenig später seinen Segen. Am 19. Februar begann in Madrid die zweite Konferenz zu Plan B. Das Manuskript der Rede Lafontaines, die er auf dieser Veranstaltung krankheitsbedingt nicht halten konnte, wurde in der jungen Welt am 20.02. veröffentlicht. Darin hieß es unter anderem: [4]

Das Warten darauf, dass die Linke im Europäischen Rat oder in der Europäischen Kommission oder im Europäischen Parlament eine Mehrheit bekommt, ist ein Warten auf Godot. Der Plan von Gianis Varoufakis, mit der neuen Basisbewegung DIEM 25 das europäische Staatenbündnis demokratischer und transparenter zu machen, ist ehrenvoll und man kann ihm nur Erfolg wünschen.

Die Differenzen zwischen Plan B und DiEM25 scheinen indes größer zu sein als auf den ersten Blick vermutet. So hat Oskar Lafontaine kein Problem mit einem etwaigen Austritt Griechenlands aus der Eurozone, während Gianis Varoufakis auf eine im Rahmen herrschender Verträge zu erfolgende Reform und Demokratisierung der EU aus zu sein scheint. Im Ergebnis fällt die Programmatik seiner Initiative deutlich sozialdemokratischer aus als die eines Plan B, der die unausweichliche Machtfrage zumindest im Ansatz zu stellen bereit ist.


G. Varoufakis im Porträt - Foto: by Jörg Rüger (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Gianis Varoufakis als griechischer Finanzminister am 5. Februar 2015 in Berlin
Foto: by Jörg Rüger (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Gianis Varoufakis war denn auch der Star des Gründungsabends von DiEM25 am 9. Februar 2016 in der Berliner Volksbühne und Mitinitiator einer Bewegung, die erst noch eine werden möchte. Die Partei Die Linke, vertreten durch Katja Kipping, zeigte ebenso Präsenz wie grüne und linke Parteien aus Frankreich und Großbritannien, aber auch Aktivistinnen und Aktivisten von Blockupy und Podemos. Mit Gesine Schwan war auch die Repräsentantin einer Sozialdemokratie, die sich Neuerungen gegenüber aufgeschlossen zeigt, zugegen.

Journalisten hatte Varoufakis zuvor erklärt, daß die Europäische Union, wie ihr Umgang mit Griechenland zeige, nicht demokratisch sei. Es drohten Zustände wie in den 1930er Jahren, so Varoufakis. "Die EU muss demokratisiert werden. Oder sie wird zerfallen!" lautete denn auch der Titel des Manifests von DiEM25. Varoufakis zufolge bestünde die Chance, dem entgegenzutreten in einer "Koalition der Demokraten", in der sich Liberale, Sozialdemokraten und radikale Demokraten einfinden sollten. Er könne sich auch "die Teilnahme von Anhängern neoliberaler Ideen vorstellen", "DiEM25 müsse auch sie einschließen, wenn sie die Notwendigkeit von mehr Demokratie spürten." [5]

Den Jahresauftakt der Europäischen Linken in seiner politischen Bedeutung angemessen zu würdigen, scheint kaum möglich zu sein, ohne diese Veranstaltung inhaltlich in einen Kontext zu stellen mit angeblich oder vermeintlich linken Projekten wie dem Plan B und der Bewegung für die Demokratisierung Europas (DiEM), dies schon allein deshalb, weil es sich in der Schnittmenge um dieselben Akteure und Parteifunktionäre handelt. Da die Partei Die Linke im deutschen Bundestag fraglos die einzige Fraktion stellt, die sich kompromißlos gegen die Beteiligung der Bundeswehr an Kriegseinsätzen ausspricht und auch in sozialen Belangen und vielen Angelegenheiten, die die Repression im In- und Ausland betreffen, die linke Fahne hochhält, kann die Frage "Quo vadis, Linkspartei?" gar nicht ernst und nachhaltig genug gestellt und weiterverfolgt werden.


Schautafel mit der Aufschrift 'Europäische LINKE - www.european-left.org' - Foto: © 2016 by Schattenblick

Teil der Lösung oder auch Teil des Problems?
Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Siehe den ersten Teil dieses Berichts im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
BERICHT/232: Treffen um Rosa Luxemburg - angekommen ... (1) (SB)

[2] Siehe den Bericht zur Rosa-Luxemburg-Konferenz im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
BERICHT/223: Treffen um Rosa Luxemburg - Wasser predigen ... (SB)

[3] http://diem25.org/de/

[4] Raus aus dem Käfig. Von Oskar Lafontaine. junge Welt, 20.02.2016, S. 3
http://www.jungewelt.de/2016/02-20/013.php

[5] Viel Demokratie, wenig Soziales. Von Johannes Supe. junge Welt, 10.02.2016, S. 4
http://www.jungewelt.de/2016/02-10/132.php


Treffen um Rosa Luxemburg am 9./10. Januar 2016 in Berlin im Schattenblick
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/223: Treffen um Rosa Luxemburg - Wasser predigen ... (SB)
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10. März 2016


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