Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REPORT


BERICHT/245: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - ein Abwasch und los ... (1) (SB)


Imagekampagne einer wirtschaftlich intakten Scheinwelt

Veranstaltung zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte am 27. September 2016 in Berlin



Wehende Brot-für-die-Welt-Fahne an hohem Gebäude - Foto: © 2016 by Schattenblick

Brot für die Welt - humanitäres Engagement in hochprofessioneller Form
Foto: © 2016 by Schattenblick

Die humanitäre Karte hat sich als echter Trumpf erwiesen. Humanität und Menschenrechte werden als generelle, die gesamte Menschheit betreffende und ihr zustehende Werte dargestellt. Die Frage nach Macht und Ohnmacht, wirtschaftlichem Wohlstand und größter sozialer Not, nach Hegemonie und Unterwerfung auch in den internationalen Beziehungen tritt, scheinbar zwangsläufig, in den zweiten Rang. Westliche Hegemonialstaaten und internationale Institutionen, die auf der Basis ihrer politischen, wirtschaftlichen und nicht zu vergessen militärischen Vormachtstellung tonangebend sind, scheinen, was ihre angeblich humanitär ausgerichteten Absichten und Interessen betrifft, über jeden Zweifel erhaben zu sein.

Daß vielfach von wachsendem Hunger und Armut auch in den sogenannten Wohlstandsregionen und von unkalkulierbaren Umwelt- und Klimaschäden und -gefahren berichtet wird, vermag die humanitär bemäntelte westliche Dominanz nicht anzufechten. Dabei ist unklar, ob die verfügbaren Fakten, Zahlen und Daten nicht ihrerseits das tatsächliche Ausmaß der Globalkatastrophe noch verharmlosen. Ungeachtet dieser offenen Frage ist ein starkes Anwachsen institutionell regulierter Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu verzeichnen. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist im Zuge dessen eine Scheintransparenz entstanden, die weder überprüft noch auf die ihr angeblich zugrundeliegenden Faktenerhebungen hin abgeklopft werden kann.

Immer mehr wird die weltweit anwachsende sogenannte soziale Ungleichheit beklagt. Einer Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam zufolge besitzen 62 Menschen so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. "Wir leben in einer Welt, deren Regeln für die Superreichen gemacht sind. Nötig ist dagegen ein Wirtschafts- und Finanzsystem, von dem alle profitieren. Konzerne dürfen sich nicht länger aus ihrer Verantwortung stehlen", lautete die von Tobias Hauschild (Oxfam) erhobene Forderung. [1] Immer mehr Unternehmen stellen sich ihrer Verantwortung oder behaupten es zumindest. Da sich humanitäre Werte und Begründungsketten, wie sich beispielsweise im Irakkrieg gezeigt hat, als starke Argumente erwiesen haben, wenn es gilt, die tatsächlichen Absichten und Interessen von den vorgeblichen zu trennen, kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, daß es sich bei den proklamierten humanitären Unternehmenspflichten ebenfalls um derartige Manöver handelt.


Die Wölfe fressen Kreide

Zivilgesellschaftliche Organisationen wie auch supranationale Gremien haben sich schon seit längerem aufgemacht, nach Abhilfe zu suchen angesichts der wachsenden Kritik insbesondere an großen, weltweit agierenden Konzernen, gegen die vielfach Vorwürfe wegen gravierender Verstöße gegen Arbeits- und Menschenrechte und schwerer Umweltvergehen erhoben werden. Im Zuge dessen wurde eine internationale Debatte entfacht zu der ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen Verantwortung der Wirtschaft. Im Juni 2014 setzte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen schließlich eine Arbeitsgruppe ein, die ein rechtsverbindliches Instrument (Treaty) vorbereiten soll, durch das transnationale, aber auch andere Unternehmen bei Menschenrechtsvergehen wirksamer als bisher zur Verantwortung gezogen werden können.


Die Genannten nebeneinander an kleinen Tischen sitzend - Foto: © 2016 by Schattenblick

Vereint im Engagement für Wirtschaft und Menschenrechte - Julia Duchrow, Ferdinand Muggenthaler, Bärbel Kofler und Johannes Merck
Foto: © 2016 by Schattenblick

Nach einer ersten Zusammenkunft im Sommer 2015 steht nun vom 24. bis 28. Oktober in Genf die zweite Tagung dieser Arbeitsgruppe bevor. Aus diesem Anlaß fand am 27. September im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. in Berlin eine Podiumsveranstaltung statt, auf der nach Angaben der veranstaltenden Organisationen [2] über den derzeitigen UN-Treaty-Prozeß informiert und über das Für und Wider eines solchen Instruments gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft diskutiert werden sollte.

Zur Begründung hieß es, daß Politik und Wirtschaft auf globaler Ebene bislang auf freiwillige Initiativen gesetzt hätten, um Menschenrechtsvergehen durch Unternehmen zu verhindern. Dabei hätten die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von 2011 eine besondere Rolle gespielt, allerdings hätten auch sie "die Kluft zwischen dem menschenrechtlichen Anspruch und der Wirklichkeit fortgesetzter Menschenrechtsvergehen" nicht überbrücken können. Angesichts der Schwäche der bisherigen Instrumente seien immer mehr Regierungen, Menschenrechtler/innen und auch manche Unternehmen zu dem Schluß gekommen, daß die Leitprinzipien durch ein rechtsverbindliches internationales Instrument ergänzt werden müßten. [3]


Die Metapher vom Boot, in dem "wir" alle säßen

Offiziellen Verlautbarungen zufolge ist die deutsche Bundesregierung in diesen Prozeß längst involviert. Auf der Webseite des Auswärtigen Amtes ist nachzulesen, daß die Bundesregierung mit der Erstellung eines Nationalen Aktionsplans für "Wirtschaft und Menschenrechte" begonnen hat mit dem Ziel, die UN-Leitprinzipien, die von einer menschenrechtliche Verantwortung im Zeitalter einer global verflochtenen Wirtschaft ausgehen, umzusetzen. Unter Federführung des Auswärtigen Amtes hätten Expertenanhörungen stattgefunden, die einen umfassenden Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen ermöglichten. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier wird zum Thema mit folgenden Worten zitiert: [4]

Nicht nur Regierungen, auch Unternehmen stehen in ihrem globalen Handeln in Verantwortung für Menschenrechte. Was für einzelne profitabel ist, das sollte für alle anderen nicht schädlich sein! Mit dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte wollen wir dafür einen Rahmen abstecken. Dabei wird es darum gehen, als Bundesregierung gemeinsam mit Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Unternehmen unser aller Handeln zu überprüfen und dort aktiv zu werden, wo wir Lücken feststellen.

Daß der Profit des einen nicht der Schaden des anderen sein solle, ist kein frommer Wunsch, sondern kommt einer gezielten Verdrehung der Tatsachen gleich. Wie anders, wenn nicht zu Lasten anderer, sollte Profit erwirtschaftet werden können? Auf der Berliner Veranstaltung wurden Fragen dieser Art nicht thematisiert. Einhelliger Konsens zwischen den an der Podiumsdiskussion Beteiligten schien die Metapher vom Boot, in dem "wir" alle säßen, zu sein. Dabei wurde unter "wir" offenbar die auch von Steinmeier formulierte angebliche Gemeinsamkeit zwischen Bundesregierung, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und (menschenrechtsbewußten) Unternehmen verstanden. Kritische Positionen, denen zufolge von einem solchen "wir" nicht die Rede sein könne, weil damit fundamentale Interessengegensätze ignoriert werden, wurden seitens der Podiumsteilnehmenden nicht thematisiert.


Vorbild Straßenverkehrsordnung?

Jens Martens, Leiter des Europa-Büros des Mitveranstalters Global Policy Forum und Vorstandsmitglied des New Yorker Global Policy Forums, begann seine Erläuterungen zum Treaty-Prozeß mit der Feststellung, er habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute sei, daß die überwiegende Mehrheit deutscher Unternehmen die Menschenrechte respektiere; die schlechte sei, daß einige es nicht täten. Einer Untersuchung der Maastricht-Universität zufolge würden 87 von 1.800 Beschwerden über Menschenrechtsvergehen im Zeitraum von 2005 bis 2014 deutsche Unternehmen betreffen, womit Deutschland hinter den USA, Großbritannien, Kanada und China auf dem 5. Rang liege. Nach einer Studie des International Peace Information Service von 2014 sind innerhalb von zehn Jahren gegen 23 der 30 Dax-Unternehmen Menschenrechtsbeschwerden erhoben worden.

Dieses Problem sei, so Martens, ein bißchen wie im Straßenverkehr, wo es auch Rowdys gäbe, die sich nicht an die Straßenverkehrsregeln hielten, weshalb es eine Straßenverkehrsordnung gäbe. Genauso bräuchten wir auch für die globale Wirtschaft und transnationale Unternehmen eine internationale "Straßenverkehrsordnung", damit diese die Menschenrechte einhielten. Martens erwähnte in diesem Zusammenhang auch die vielen Investitions- und Handelsabkommen, durch die die Interessen von Unternehmern und Investoren besonders geschützt werden. Ihnen werden Rechte zugesprochen, durch die sie in sogenannten Streitschlichtungsverfahren klagen und Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe erheben und durchsetzen können.

Die Frage, wie bei einer solchen Gesetzeslage Regierungen kleinerer Staaten etwa in Afrika oder Lateinamerika beispielsweise ihr Verständnis einer humanitären Sozialpolitik durchsetzen können, wenn ihre nationale Souveränität in der Folge solcher, auf die Interessen westlicher Großkonzerne zugeschnittenen Verträge faktisch eingeschränkt wird, wurde an dieser Stelle nicht tiefer erörtert. Wie Jens Martens schilderte, habe sich Ecuador immensen Schadenersatzforderungen ausgesetzt gesehen und sei deshalb im UN-Menschenrechtsrat initiativ geworden. Dem Vorschlag, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die einen rechtsverbindlichen Vertrag zur Durchsetzung der Menschenrechte gegenüber Unternehmen vorbereiten solle, schlossen sich schließlich 85 weitere Staaten an, die Arbeitsgruppe konnte gegen den Widerstand der USA und der EU-Staaten inklusive Deutschlands durchgesetzt werden.

Wie Martens darlegte, befänden sich die Aktivitäten dieser UN-Arbeitsgruppe noch in der Brainstorming-Phase. Form und Inhalt eines solchen Abkommens seien noch völlig unklar und würden zum Teil sehr heftig diskutiert. Zur Unterstützung und Mitgestaltung dieses Prozesses habe sich eine Treaty Alliance gebildet, ein Zusammenschluß von über 600 Organisationen, Gruppen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Geleitet werde die Arbeitsgruppe von der ecuadorianischen Botschafterin in der Schweiz, Mariá Fernanda Garcés. Geplant sei, daß sie beim dritten Treffen 2017 den Entwurf eines Rechtsinstruments vorlegt, der auf den zuvor geführten Diskussionen beruht. In der Arbeitsgruppe seien neben der Zivilgesellschaft auch die G77-Staaten stark vertreten und inzwischen auch Wirtschaftslobbyisten, sprich Vertreter der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), die am bevorstehenden zweiten Treffen teilnehmen.


J. Martens in Großaufnahme - Foto: © 2016 by Schattenblick

Jens Martens
Foto: © 2016 by Schattenblick

Jens Martens kritisierte die Bundesregierung, weil sie an ihrer Haltung, den Diskussionsprozeß in der UN-Arbeitsgruppe zu boykottieren, festhalte. Nicht nur Deutschland, auch die übrigen EU-Staaten, die USA, Japan und weitere Industriestaaten verweigerten die Mitarbeit an diesem Projekt, was äußerst problematisch sei. Seiner Auffassung nach sei es wichtig, daß sich die Bundesregierung der Diskussion stelle. Sie könne ja hingehen, so sein Rat, und erklären, daß sie eine andere Meinung zum Thema habe. Aber gar nicht hinzugehen und damit deutlich zu machen, daß sie den Treaty-Prozeß insgesamt nicht akzeptiere, sei für die Reputation Deutschlands nicht förderlich gerade auch vor dem Hintergrund des angestrebten Sitzes im UN-Sicherheitsrat.

Im weiteren Verlauf der Veranstaltung schilderte Caroline Ntaopane von ActionAid Südafrika die Situation der Menschenrechte in Unternehmen ihres Landes, bevor die Teilnehmer der Podiumsrunde zu Wort und ins Gespräch miteinander sowie im Anschluß auch mit dem Publikum kamen. Unter Moderation von Ferdinand Muggenthaler, dem Amerika-Referenten der Rosa-Luxemburg-Stiftung, nahmen Dr. Julia Duchrow, Referatsleiterin Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt, Dr. Bärbel Kofler, Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, und Dr. Johannes Merck, Direktor für Soziale Unternehmensverantwortung bei der Otto Group, an der Runde teil.

Zu einer kontroversen Diskussion der Fragestellung, ob wir ein internationales Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte bräuchten oder nicht, kam es an diesem Abend allerdings nicht. Dabei wären Zweifel mehr als angebracht, verdichten sich doch die verfügbaren Anhaltspunkte mehr und mehr zu der Frage, ob es sich bei dem Projekt, Unternehmen durch ein verbindliches und sanktionsbewehrtes UN-Abkommen menschenrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, nicht um eine Imagekampagne einer wirtschaftlich intakten Scheinwelt handelt, die mit Gewißheit erstrangig kein Interesse daran hat, die grundlegenden und nicht regelbaren Widersprüche zu diskutieren.

(Fortsetzung folgt)


Fußnoten:

[1] httpd://www.oxfam.de/ueber-uns/aktuelles/2016-01-18-62-superreiche-besitzen-so-viel-haelfte-weltbevoelkerung

[2] Die Diskussionsveranstaltung "Der Treaty-Prozeß bei den Vereinten Nationen - Brauchen wir ein internationales Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte?" wurde gemeinsam veranstaltet von Brot für die Welt, Global Policy Forum, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, MISEREOR, FIAN International und dem CorA-Netzwerk.

[3] http://info.brot-fuer-die-welt.de/termin/treaty-prozess-bei-vereinten-nationen-brauchen

[4] http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Aussenwirtschaft/Wirtschaft-und-Menschenrechte/NAPWiMr_node.html

7. Oktober 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang