Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REPORT


BERICHT/292: Es geht ums Ganze - Koordination fortschrittlicher Kräfte zu Grundrechtsaktivität ... (SB)


Seit dem G 20 stehe ich an der Seite der Linken. Denn wieder läuft in unserer Republik eine Kampagne gegen links, wie sie einst dem Nationalismus und Faschismus den Raum gab, der zur Katastrophe des Dritten Reichs führte. Und es trifft die der Extremismusvorwurf, die sich gegen religiös-konservative und nationalistische Tendenzen und Wirtschaftsinteressen zur Wehr setzen, mit ihren Köpfen und Körpern für Solidarität und Gerechtigkeit in der Welt einstehen und sich bunt den schwarzen Blöcken unseres Staates in den Weg stellen.
Dr. Alexander B. Ernst, Dozent für Biblisches Hebräisch und Rektoratsmitglied der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel [1]


Mit Staatsgewalt konfrontiert, die ihr repressives Arsenal unterschiedslos gegen radikale Linke, zivilen Ungehorsam und moderaten Bürgerprotest in Stellung brachte, um den G20-Gipfel in Hamburg zu exekutieren, sieht sich die vielschichtige Gegenbewegung unter das Extremismusverdikt gestellt. Mag sie diesen ideologischen Kampfbegriff auch zurückweisen, bleibt ihr die letztendliche Auseinandersetzung mit der Machtfrage doch nicht erspart, die ihr mit administrativen, polizeilichen und juristischen Zwangsinstrumenten drastisch vor Augen geführt wird. Die Überzeugung, in einem Land wie der Bundesrepublik herrsche noch immer ein Äquivalent der beiderseits eingesetzten Mittel vor, auf das man sich im Zweifelsfall berufen könne, ist tiefem Entsetzen gewichen. Der Ausnahmezustand ist Realität, und dies nicht nur für jene, die der Terrorverdacht schon seit langem mit Verfolgung überzieht, sondern gleichermaßen für jegliche Opposition, die ihre verfassungsrechtlich verbürgten Grundrechte entschieden in Anspruch nehmen möchte.

Formiert sich nun eine Bewegung, die den massiven Angriffen auf die Grundrechte mit einer breiten und dauerhaften Kampagne die Stirn bieten will, ist ihr der Stand der Auseinandersetzung in Hamburg gleichsam ins Stammbuch geschrieben. Mit voller Wucht lektioniert, zu welcher Drangsalierung empörten Aufbegehrens sich der Krisenstaat systematisch ermächtigt, um einzuschüchtern und abzustrafen, was immer sich ihm in den Weg zu stellen trachtet, ist der Status quo ante obsolet, ein Rückzug in die vermeintliche Normalität nur um deren Preis der Unterwerfung zu haben. Viel wird zu diskutieren und zu organisieren sein, um zwischen äußeren und inneren Widerspruchslagen zu navigieren, die das zu schmiedende Bündnis um so heftigeren Zerreißproben aussetzen werden, je mehr es an Fahrt gewinnt. Der Kurs ist angelegt, doch wohin er letztendlich führen soll, gilt es im Zuge kommender Kämpfe zu präzisieren.


Podium des Abschlußplenums - Foto: © 2017 by Schattenblick

Defensive inakzeptabel
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schockstarre überwinden - Gegenmacht organisieren

Die weitreichenden Angriffe auf die Grundrechte und die massive polizeiliche und juristische Repression im Kontext des G20-Gipfels in Hamburg hatte den Protest zeitweise in einen Zustand versetzt, der vielfach als "Schockstarre" beschrieben wurde. Mit dem bundesweiten Grundrechtekongreß der Initiative "Demonstrationsrecht verteidigen!" am 7. Oktober 2017 in der Volkshochschule Düsseldorf hat sich die Bewegung auf die Fahnen geschrieben, nicht nur den Zustand der Lähmung und Defensive zu überwinden, sondern darüber hinaus eine kontinuierliche Weiterarbeit in Angriff zu nehmen, um dem Abbau der Grundrechte auf breiter Front etwas entgegenzusetzen.

Auf dem Abschlußplenum des Kongresses wurden zunächst die Berichte aus den vier Arbeitsgruppen vorgetragen, um deren Ergebnisse allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung zu vermitteln. Daran schloß sich eine gemeinsame Diskussion an, in der die Schwerpunkte und inhaltlichen Aspekte der künftigen Vorgehensweise beraten wurden. Simon Ernst, der das Plenum gemeinsam mit Elke Steven moderierte, stellte seinen anwesenden Vater vor, der in seinem Beitrag persönliche Konsequenzen aus dem Erleben von G20 zur Sprache brachte und damit der Debatte einen frischen Impuls gab. Zum Abschluß ging es schließlich um Struktur und Organisation der Bewegung gegen die Angriffe auf die Grundrechte, die damit weiter Kontur annahm wie auch konkrete Schritte und Aufgaben auf ihre Agenda setzte.


Auf dem Podium mit Mikro - Foto: © 2017 by Schattenblick

Simon Ernst moderiert das Abschlußplenum
Foto: © 2017 by Schattenblick

Berichte aus den vier Arbeitsgruppen

AG 1 (Freiheit für die politischen Gefangenen) wurde von Nils Jansen aus dem Bezirksjugendvorstand ver.di NRW-Süd vorgestellt. Ausgehend von der Lage der Gefangenen aus der Türkei und Nordkurdistan habe man erörtert, daß die Bandbreite der politischen Gefangenen noch wesentlich weiter sei. Durch den Rechtsruck hätten sich die Angriffe auf die Grundrechte verschärft. Das sei jedoch kein Grund, sich einschüchtern zu lassen, denn die aktuelle Entwicklung rufe auch Protest auf den Plan. Die Zeit sei reif, gemeinsam den Kampf aufzunehmen, zu dem man viele Menschen mitnehmen könne. Damit das klappt, dürfe sich die Bewegung nicht am Parteibuch spalten lassen. Es gelte vielmehr, breite Bündnisse zu schließen und zu zeigen, daß Migranten und ihre Unterstützer, Klimaaktivistinnen, G20-Gegner und viele weitere Menschen von den Grundrechtseinschränkungen betroffen seien.

Inhaltlich dürfe man sich die Unterscheidung zwischen "guten" und "schlechten" politischen Gefangenen nicht aufdrängen lassen. Eine Stärke der Bewegung sei die internationale Solidarität, sie habe mit Faschisten nichts am Hut und wolle insbesondere die bedrohten migrantischen Organisationen einbinden. Eine weitere Stärke sei die Verknüpfung mit der Frauenfrage. Frauen seien bei G20 besonders von Repression betroffen gewesen und hätten sich im Gewahrsam aktiv gewehrt. Konkret stehe an, die Unterstützung der Gefangenen von G20 und NAV-DEM/ATIK zu organisieren, also Briefe zu schreiben, Spenden zu sammeln und Kundgebungen vor Gefängnissen durchzuführen. Um auch politisch Zeichen zu setzen, sei ein gemeinsamer Aktionstag für politische Gefangene und gegen die Angriffe auf die Grundrechte geplant. Zusätzlich könnte man 2018 eine Demonstration organisieren, etwa am 18. März, dem Tag der politischen Gefangenen.


Auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Nils Jansen zur Unterstützung politischer Gefangener
Foto: © 2017 by Schattenblick

So unverzichtbar die konkrete Unterstützung sei, dürfe man nicht dabei stehenbleiben. Die Rote Hilfe organisiere seit Jahren eine wichtige Solidaritätsarbeit, doch erreiche sie viele Teile der Gesellschaft noch nicht. Es komme darauf an, noch viel mehr Betroffene in diesen Kampf einzubeziehen, sich langfristig zu vernetzen und den Angriffen eine starke Bewegung entgegensetzen. Zu diesem Zweck sei es erforderlich, in den einzelnen Ländern Strukturen bis hinunter auf die lokale Ebene zu schaffen.

AG 2 (Verteidigung des Demonstrationsrechts) brachte Anna Busl zur Sprache, die im Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein aktiv ist und bei den G20-Verfahren Betroffene vertritt. Wie sie berichtete, habe sich die Arbeitsgruppe mit der Verschärfung durch die Paragraphen 113 und 114 wie auch den Ereignissen bei G20 befaßt: faktisch rechtswidriges Eingreifen der Polizei bei Festnahmen, Festsetzung in der Gefangenensammelstelle, Gefahrenprognose zur Begründung längerer Haft. In den ergangenen Urteilen bediene sich die Justiz einer konfrontativen Sprache, im Sinne eines Feindstrafrechts sei von "Terror" oder intensiv rechtsstaatswidrigem Verhalten die Rede. Der Kampf müsse einerseits auf rechtlicher Ebene geführt werden, doch dürfe man dabei nicht stehenbleiben. Es bedürfe einer Bewegung und Öffentlichkeit, da es sich um einen zentralen Angriff auf die Versammlungsfreiheit handle, die Gefahr läuft, zerschlagen zu werden.


Auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Anna Busl verteidigt Demonstrationsrecht
Foto: © 2017 by Schattenblick

Diese ernste Situation erfordere eine entsprechende Gegenwehr. Wie könnte diese geschaffen werden? Zum einen durch örtliche Komitees, die sich damit beschäftigen und versuchen, Stellungnahmen und Beschlüsse zu erwirken. Hinzu müsse eine zentrale Koordinierung kommen, um eine Kampagne zu führen, die durchaus emotional werden dürfe. Nur wenn diese Bewegung in den Gewerkschaften und um sie kämpfe wie auch die Bevölkerung erreiche, könnte möglicherweise eine Amnestie der G20-Verurteilten erwirkt werden.

Aus AG 3 (Verteidigung des Streikrechts) berichtete Toni Michelmann vom Jugendvorstand ver.di NRW-Süd. Wie er zusammenfaßte, hätten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Erfahrungen ausgetauscht und verschiedene Themenbereiche diskutiert. Zum einen sei es um die Idee der Einheitsgewerkschaft gegangen, die vom Tarifeinheitsgesetz mißbraucht werde. In der Vergangenheit seien verschiedene Strömungen aus der Gewerkschaft gedrängt worden, kleinere rechte Gewerkschaften hätten Teile der Belegschaft vom Kampf abgehalten. Heute seien es hingegen die kleinen aktiven und kämpferischen Gewerkschaften, gegen die sich das Gesetz richte. Der ursprünglich positive Ansatz einer umfassenden Gewerkschaft werde mißbraucht, um diese kleinen Gewerkschaften mundtot zu machen.


Auf dem Podium mit Mikro - Foto: © 2017 by Schattenblick

Toni Michelmann für kämpferische Gewerkschaftsarbeit
Foto: © 2017 by Schattenblick

Des weiteren sei zur Sprache gekommen, was sich innerhalb der Gewerkschaften abspielt, wenn man sich engagiert. Man müsse unterscheiden zwischen den einfachen Kolleginnen und Kollegen, mit denen man tagtäglich zusammenarbeite, und dem Apparat, der nach einem Arbeitgeber/Arbeitnehmerverhältnis aufgebaut sei und beispielsweise Funktionäre besser bezahle. Wer gewerkschaftlich aktiv sein wolle, müsse auch einen Kampf innerhalb der Gewerkschaft führen. Dafür sei viel Zeit, Geduld und Kleinarbeit notwendig, was wiederum die Voraussetzung für große Ergebnisse wie Opel-Bochum, Mercedes in Bremen oder Ford in Genk sei. Auch sei geplant worden, sich zur weiteren Zusammenarbeit zu vernetzen, und ein Kollege habe betont, daß es darüber hinaus unverzichtbar sei, sich zu organisieren. Zudem habe man beraten, die Bereiche, in denen die Einzelnen arbeiten und politisch aktiv sind, zusammenzuführen und aus dem Kongreß mit konkreten Ergebnissen herauszugehen.

AG 4 (Verteidigung der Pressefreiheit) brachten ein Aktivist vom Linken Forum und ein Redakteur des Nachrichtenportals Perspektive Online gemeinsam zu Gehör. Die Arbeitsgruppe habe zunächst eine Zusammenfassung des Ist-Standes vorgenommen. Nach G20 werde die Pressefreiheit angegriffen, ohne daß dies eine breitere Diskussion in der Öffentlichkeit nach sich ziehe. Weitere Angriffe wie etwa das Netzwerkdurchsetzungsgesetz würden in Stellung gebracht, neue Straftatbestände geschaffen. Der Status des Journalisten werde umdefiniert, um kleine Blogger und unabhängige Journalisten auszuschließen. Geld verdienen könne nur, wer hauptberuflich und staatstragend tätig sei. Die Entziehung der Akkreditierung bei G20 stehe in diesem Zusammenhang und belege zugleich die Beteiligung der Geheimdienste. Zudem sei es bei G20 auch zu körperlichen Angriffen auf Journalisten gekommen, die von der Presselandschaft als solche erkannt und angeprangert wurden. Indymedia sei mit rechtswidrigen Mitteln ausgeschaltet worden, eine weitere große Sorge gelte der Debatte um Fake News. Üble Nachrede und Volksverhetzung seien immer schon verboten gewesen, doch bereite der neue Rahmen eine massive Zensurkampagne vor und führe zu einer Einheitsmeinung, weil alles andere als falsch definiert werde. In Spanien seien 170 Seiten geschlossen worden, doch die EU habe dies als innere Angelegenheit toleriert. Kritisch sei in der Diskussion angemerkt worden, daß einige Journalisten durch die Vermischung von journalistischer Arbeit und aktivistischer Tätigkeit Maßnahmen gegen sich provoziert hätten.


Zwei Sprecher auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Pressefreiheit verteidigen ...
Foto: © 2017 by Schattenblick

Wie können konkrete Maßnahmen aussehen? Wenngleich teilweise eine Vernetzung existiere und man mitbekomme, wenn es irgendwo eine Hausdurchsuchung gibt, fehle eine gemeinsame politische Reaktion von journalistischer Seite auf diese Angriffe. Von etablierten Vereinigungen komme nicht viel. Man habe des weiteren verschiedene Maßnahmen im Falle von Zensur wie etwa das Spiegeln von Seiten diskutiert. Im Kontext der Konferenz schlage die AG vor, einen Blog zu zu organisieren, der linke Journalisten anspricht. Er diene der Vorbereitung auf eine engere Vernetzung wie auch solidarische und materielle Unterstützung im Falle von Abmahnungen und Klagen.

Zentral koordiniert - lokal umgesetzt

Wie sich in der anschließenden Diskussion im Plenum abzeichnete, fehlt es nicht an Ideen, künftig vor Ort und im Detail anzusetzen, zumal viele der Anwesenden ohnehin in ihren Lebens- und Arbeitszusammenhängen auf die eine oder andere Weise politisch aktiv sind. Manches wurde den Berichten aus den Arbeitsgruppen hinzugefügt, wie etwa der Verweis auf ein bereits bestehendes internationales Bündnis von 16 Migrantenorganisationen, aber auch sexualisierte Gewalt seitens der Polizei, die nie wieder vorkommen dürfe. Angemahnt wurde eine Auseinandersetzung mit dem Antikommunismus und der bei G20 losgetretenen Linksextremismuskampagne, da mit diesem Kampfbegriff jeder Systemkritiker diskreditiert werde. Man müsse klar sagen, wofür die radikale Linke stehe.

Einigkeit herrschte darüber, Aktionstage zu den G20-Prozessen und im kommenden Jahr eine bundesweite Großdemonstration oder alternativ dazu mehrere Demonstrationen in verschiedenen Städten durchzuführen. Zugleich dürften lokale Aktivitäten wie Infostände, Kundgebungen und Veranstaltungen nicht vernachlässigt werden. Wiederholt wurde der Wunsch zum Ausdruck gebracht, die Basisarbeit vor Ort durch Material und Referenten zu unterstützen. Erforderlich sei ein zentrales Forum, das die verschiedenen Angriffe thematisch verknüpft und die Gegenwehr koordiniert. Anklang fand der Ansatz, eine Kampagne auf den Weg zu bringen, die zentral gesteuert und lokal ausgeführt wird. Ressourcen sollten standardisiert und bereitgestellt werden. Die Kampagne müsse so aufgebaut sein, daß unpolitische Leute auch verstünden, worum es geht. Während parteipolitisch oder gewerkschaftlich Organisierte kein Problem mit diesem Konzept hatten, rief die Vorstellung einer zentralen Steuerung bei Menschen aus dem unabhängigen aktivistischen Spektrum natürlich Skepsis auf den Plan. Ein Kompromißvorschlag unterstrich, daß diese Organisationsweise nicht bedeuten dürfe, alles zu bestimmen und vorzugeben, sondern vor allem die Arbeit vor Ort erleichtern und unterstützen solle.

Zuspruch erfuhr die selbstkritische Mahnung, in Hamburg hätten viele junge Menschen einem Staatsapparat gegenübergestanden, dem sie ins offene Messer gelaufen seien. Man habe den hohen Haftstrafen bislang nichts entgegensetzen können. Möglicherweise habe man im Vorfeld nicht erkannt, in welchem Maße die Aufhebung bürgerlicher Rechte schon im Gange ist und ein umfassend vernetzter Polizeiapparat bereitsteht. Diesem permanenten Notstand gelte es etwas Ernsthaftes entgegensetzen. Wesentlich sei, den Kampf in den Gewerkschaften und um die Gewerkschaften zu führen. Ohne die Menschen, die Einfluß auf kritische Infrastruktur nehmen können, sei die Bewegung auf der Straße isoliert und könne kaum den notwendigen Schub entwickeln.


Auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Elke Steven und Alexander B. Ernst
Foto: © 2017 by Schattenblick

Ein Plädoyer von unverhoffter Seite

Dr. Alexander B. Ernst ist Dozent für Biblisches Hebräisch und Rektoratsmitglied der kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel. Wie er zu Beginn seines Vortrags [2], der hier in Auszügen wiedergegeben wird, hervorhob, sei er kein Antifaschist, kein Linksaktivist, politisch seit langem nicht aktiv. Er sei zuletzt 1983 bei der großen Demonstration gegen den Nato-Doppelbeschluß auf der Bonner Hofgartenwiese auf die Straße gegangen. Seither habe er nicht mehr gegen Ungerechtigkeit auf der Welt, gegen Gewalt und Aufrüstung demonstriert, bis er Bilder gesehen habe, die ihn entsetzten und bis heute nicht losließen. Im Folgenden schilderte er auf eindringliche Weise verschiedenste Aspekte und Szenarien der Repression gegen den Protest, um schließlich von einem Jargon der Richter zu sprechen, den er mit der Nazizeit in Verbindung bringe. Politiker der großen Parteien überböten einander mit der Forderung nach drakonischen Strafen, "um uns allen das zu nehmen, was wir uns in unserer Jugend nicht haben nehmen lassen: Das Recht, nein zu sagen, und dafür auf die Straße zu gehen".

Was aus der gegenwartskritischen Religion unserer abendländischen christlichen Tradition geworden sei, was aus der lebendigen Sozialkritik der biblischen Propheten, was aus dem Ruf Jesu nach Gerechtigkeit, fragte der Referent weiter. Habe man vergessen, daß es gerade die von den Herrschenden Denunzierten und Verfolgten waren, die uns die Augen für die Wahrheit öffneten? Die Propheten seien wegen ihrer Kritik ausgewiesen und getötet wurden, Jesus sei von den Römern ans Kreuz geschlagen und Dietrich Bonhoeffer noch in den letzten Kriegswochen von den Deutschen hingerichtet worden, weil er sich dem Rad des Nationalsozialismus in die Speichen geworfen habe. Die Verbrechen der Nazidiktatur seien nicht aus dem Himmel gefallen, sondern durch das Handeln des deutschen Volkes und der Kirchen verschuldet wurden. Unter dem Eindruck der Katastrophe hätten Christen kurz nach dem Krieg deutlich ausgesprochen, wie die Kirche es weder vorher noch später je getan habe. Ernst zitierte aus der 3. und 5. These des Darmstädter Wortes "Zum politischen Weg unseres Volkes" von 1947:

Wir haben das Recht zur Revolution verneint, aber die Entwicklung zur absoluten Diktatur geduldet und gutgeheißen. Wir sind in die Irre gegangen, als wir übersahen, daß der ökonomische Materialismus der marxistischen Lehre die Kirche an den Auftrag und die Verheißung der Gemeinde für das Leben und Zusammenleben der Menschen im Diesseits hätte gemahnen müssen. Wir haben es unterlassen, die Sache der Armen und Entrechteten gemäß dem Evangelium von Gottes kommendem Reich zur Sache der Christenheit zu machen.

Das Darmstädter Wort habe damals Christen vorgehalten, sie setzten den Irrweg, der zur Katastrophe von 1933 führte, nach dem Krieg nahtlos fort, wenn sie sich nicht politisch im Diesseits engagierten, statt im apathischen Konservatismus abermals dem Nationalismus und Faschismus Raum zu geben. Heute werde wieder gegen die Linken polemisiert, wieder treffe der Extremismusvorwurf ausgerechnet jene, die sich gegen die Extreme religiös-konservativer und nationalistischer Provenienz und Wirtschaftshilfe stellten und gegen die Herrschenden protestierten. "Haben sie denn so mächtige Feinde, daß sie so große Geschütze gegen die Linken auffahren? Sind sie wirklich schon so weit nach rechts geschritten? Dürfen sie Freiheit sichern, indem sie sie denen rauben, die sie wahrnehmen? Wie schnell hat unsere Republik vergessen, was sie nie vergessen wollte!" Dabei verfügten wir über das Potential, in einer sich globalisierenden Welt Strukturen ökonomischer Gerechtigkeit zu schaffen. Junge Menschen schlössen sich mit denen anderer Länder zusammen, noch nicht korrumpiert von Geld und Macht und voller Engagement.

Seit August dieses Jahres nehme er jedenfalls wieder an Demonstrationen teil, diesmal an der Seite der Linken - vielleicht schon auf der Seite der Linken! Zu lange habe er geschwiegen, es gehe auch ihm um Solidarität und Freiheit und Gerechtigkeit in der Welt und um diesen Staat, der zum Polizeistaat werde, wenn nicht alle dagegen demonstrierten. Er stehe auf der Seite derer, die mit ihren Köpfen und Leibern für Solidarität und Gerechtigkeit einstehen und sich so bunt sie nur sein können, den schwarzen Blöcken des Staates in den Weg stellten.


'Demonstrationsrecht verteidigen' Buchstaben an Saalwand - Foto: © 2017 by Schattenblick

Volles Plenum bis zuletzt
Foto: © 2017 by Schattenblick

Bündnisfragen beim Rüsten für kommende Kämpfe

Dieser Beitrag fand großen Zuspruch, eröffnete er doch den Blick auf das persönliche Umfeld. Dort finde man die naheliegendsten Ansprechpartner und könne Rückhalt gewinnen. Zugleich mache er deutlich, daß Menschen durch G20 aufgerüttelt worden seien, die sich zuvor nicht politisch engagiert hatten. Dieses Beispiel ermutige und zeige, wie wichtig es sei, Vertrauen in die Menschen zu setzen, die ins Nachdenken gekommen seien.

Um die vorangegangenen Diskussionen umzusetzen, schlug Simon Ernst vor, sich an dieser Stelle in einigen Fragen über das weitere Vorgehen zu einigen. Aktionstage im Kontext der G20-Prozesse und eine bundesweite Großdemonstration oder auch mehrere fanden in einem Stimmungsbild per Handzeichen Zustimmung. Seine Anregung, die bereits aktive Initiative unter Einbeziehung von Organisationsvertretern zu einem Koordinierungskreis zu erweitern, um die bevorstehenden Aufgaben gemeinsam zu stemmen, rief die Frage auf den Plan, ob daran auch nicht organisierte Menschen teilnehmen könnten. Wie in der daraus resultierenden Diskussion geltend gemacht wurde, sei es erforderlich, Vertreter aus Betrieben und anderen gesellschaftlichen Bereichen mit ins Boot holen. Man müsse jedoch Transparenz über alle Beschlüsse des Koordinierungskreises herstellen und solle auch offen für Einzelpersonen sein, die sich beteiligen wollen.

Elke Steven schlug die Übereinkunft vor, den Koordinationskreis weiterzuführen, der den Kongreß vorbereitet hatte, ihn aber im besprochenen Sinne zu erweitern. Seine Aufgabe bestehe zunächst darin, die Diskussionen des Kongresses genauer zu durchdenken und die Umsetzung der Vorschläge in Angriff zu nehmen, dabei aber neben den zentralen Vorhaben auch die breite Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit zu berücksichtigen. Dies griff Anna Busl mit dem Hinweis auf, daß ein Bündnis nicht erdiskutiert werde, sondern in der praktischen Arbeit entstehe: "Wir brauchen doch jeden, wir müssen doch jetzt nicht aussortieren. Laß uns zusammenkommen und die ersten Schritte planen, dann wird sich zeigen, wer in dem Bündnis tatsächlich mitarbeitet - ich hoffe, möglichst viele!"

Zum Abschluß des Plenums zog Simon Ernst mit den Worten Bilanz, man habe mit diesem Kongreß den Versuch unternommen, aus den verschiedenen Bereichen des Grundrechteabbaus anhand des Demonstrationsrechts, in dem verschiedene Grundrechte zusammenfließen, eine Bilanz zu ziehen. Die Initiative "Demonstrationsrecht verteidigen!" werde ihre Arbeit fortsetzen und eine Kampagne auf den Weg bringen mit einem Aktionstag in diesem und einer Demonstration im nächsten Jahr. Zugleich bekomme die Struktur den Auftrag, Material übersichtlich zusammenzufassen, das dafür geeignet ist, nach draußen zu gehen und mehr Menschen anzusprechen, um viele Mitstreiterinnen für den gemeinsamen Kampf gegen einen Staat zu gewinnen, der uns jedes Jahr mehr Rechte wegnimmt. Dieses Programm sollte geeignet sein, auch in den Gewerkschaften Wirkung zu entfalten, denen in dieser Auseinandersetzung eine zentrale Rolle zukomme.


Fußnoten:


[1] http://demonstrationsrecht-verteidigen.de

[2] Vollständiger Text des Beitrags:
http://demonstrationsrecht-verteidigen.de/wp-content/uploads/2017/10/Seit-dem-G20-auf-der-Seite-der-Linken.pdf


Berichte und Interviews zum Kongreß "Demonstrationsrecht verteidigen!" im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT

BERICHT/290: Es geht ums Ganze - der Grundrechte Rückentwicklung ... (SB)
BERICHT/291: Es geht ums Ganze - dem Betriebsfrieden verpflichtet ... (SB)
INTERVIEW/387: Es geht ums Ganze - Besinnung auf die eigene Kraft ...    Gerhard Kupfer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/388: Es geht ums Ganze - den Anlaß zur Hoffnung finden ...    Elke Steven im Gespräch (SB)
INTERVIEW/389: Es geht ums Ganze - Parlament beschnitten ...    Ulla Jelpke im Gespräch (SB)


31. Oktober 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang