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INTERVIEW/022: Ex-MI5-Agentin Annie Machon (SB)


Interview mit Annie Machon, einer ehemaligen Mitarbeiterin des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5, am 9. Mai in Hamburg


1996 sorgten in Großbritannien Annie Machon und ihr damaliger Lebensgefährte David Shayler für einen schweren politischen Skandal, als sie über die Presse kriminelle Aktivitäten bei den britischen Geheimdiensten bekanntmachten. Konkret ging es um die Nicht-Verhinderung bestimmter terroristischer Anschläge in Großbritannien und die Verwicklung des MI6 in einen gescheiterten Mordanschlag auf Muammar Gaddhafi. Wegen der Aufregung um die Affäre mußte das Paar nach Kontinentaleuropa fliehen. Nach einem gescheiterten Auslieferungsantrag Londons kehrten Shayler und Machon 2000 aus Frankreich nach Großbritannien zurück. 2002 wurde Shayler wegen der unerlaubten Preisgabe von Staatsgeheimnissen verurteilt, erhielt jedoch nur eine geringfügige Freiheitsstrafe. 2005 hat Machon ihre Erinnerungen an ihre Zeit beim Geheimdienst und danach, "Spies, Lies and Whistleblowers: MI5 and the David Shayler Affair", veröffentlicht. Die 1968 geborene Publizistin und Friedensaktivistin lebt inzwischen in Deutschland. Als Mitorganisatorin der Europa-Vortragsreise des 9/11-Skeptikers David Ray Griffin war Machon am 9. Mai in Hamburg, bei welcher Gelegenheit die Schattenblick-Redaktion folgendes Interview mit ihr führen konnte.

Annie Machon  - © 2009 by Schattenblick

Annie Machon
© 2009 by Schattenblick

SB: Hier in Deutschland haben wir aufgrund unserer Geschichte eine strikte Trennung von Geheimdiensten und Polizei - etwas, das im Rahmen der allgemeinen Entwicklung im gesamten Sicherheitsbereich allmählich aufweicht. Wie ist es in Großbritannien? Gibt es dort ein Gesetz, wonach man Polizei- und Geheimdienste auseinanderhalten muß?

AM: In Großbritannien gibt es keine Gewaltenteilung im Sinne von Legislative, Exekutive und Jurisprudenz. Das Vereinigte Königreich hat nicht einmal eine schriftliche Verfassung, sondern einen Korpus an Gesetzen und institutionellen Verfahren, der zum Teil Jahrhunderte alt ist. Was den Sicherheitsapparat betrifft, herrscht auf der Insel ein sehr britisches Durcheinander, ein regelrechtes Chaos, das historisch entstanden ist. Man hat verschiedene Dienste, die um Macht, Status und Mittel miteinander wetteifern, obwohl sie zusammen die nationale Sicherheit schützen sollten. Es gibt drei primäre Spionagedienste: den MI5, den britischen Inlandsgeheimdienst; den MI6, den britischen Auslandsgeheimdienst; und das Government Communications Headquarter (GCHQ), den elektronischen Abhördienst. Dazu kommen 56 verschiedene Polizeibehörden über das Land verteilt, denn jede Grafschaft im Vereinigten Königreich hat eine Polizeibehörde, die wiederum eine eigene Sonderpolizei, die sogenannte Special Branch, hat. Darüber hinaus gibt es die Serious Organised Crime Agency (SOCA), eine Mischung aus Zoll und Nachrichtendienst, die für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens zuständig ist. Nicht zu vergessen ist natürlich der Militärgeheimdienst. Es gibt also eine ganze Ansammlung konkurrierender Behörden, die sich nicht vertragen.

Etwas anderes, was es in Großbritannien niemals gegeben hat, ist eine gesetzliche Definition der nationalen Sicherheit bezüglich dessen, was offen diskutiert und im Parlament erörtert werden kann bzw. welche Informationen zu welchen Themen überhaupt geschützt werden müssen. Deswegen hat es niemals eine angemessene Diskussion darüber gegeben, was die großen, realexistierenden Bedrohungen der nationalen Sicherheit Großbritanniens sind und wie man sich davor am besten schützen könnte. Wegen dieser urbritischen Entwicklung der Geheimdienste geschieht es, daß beim Wegfall eines ihrer Betätigungsfelder, wie beispielsweise nach der Auflösung der Sowjetunion oder dem Ende der Troubles in Nordirland infolge des sogenannten Friedensprozesses, daß die Geheimdienste sich, statt sich zu fragen, wofür man all diese Spione und Mittel benötigt, gegenseitig bekämpfen und versuchen, neue, interessante Bereiche zu identifizieren, die sie untersuchen können, um den Erhalt der Macht, des Personals und natürlich der Mittel zu rechtfertigen. In der Folge herrscht inzwischen das absolute Durcheinander. Also was Ihre Frage nach der Gewaltenteilung zwischen Geheimdienst und Polizei betrifft, lautet die Antwort nein, in Großbritannien gibt es sie nicht.

Eine weitere bedenkliche Entwicklung der letzten Jahre im Sicherheitsbereich ist die explosionsartige Verbreitung privater Sicherheitsfirmen. Das amerikanische Äquivalent wäre Blackwater. Das Personal besteht teils aus Söldnern, teils aus Ex-Militärs, teils aus Ex-Spionen. Solche Firmen betreiben Industriespionage, machen aber auch Dinge, bei denen die offiziellen Dienste nicht unbedingt erwischt werden wollen: die zu leugnenden Operationen. Es gab kürzlich einen großen Skandal in Großbritannien, als bekannt wurde, daß eine private Sicherheitsfirma Bürgergruppen infiltrierte und politische Aktivisten in Bereichen wie Umwelt und Frieden - 9/11 wahrscheinlich auch - ausspionierte.

Und das bringt zusätzliche Probleme mit sich. Ich meine, die Kontrolle der offiziellen Geheimdienste ist ohnehin schwindend gering. Es gibt keine wirkliche Beaufsichtigung. Das einzige, was es in Großbritannien gibt, ist im Parlament das Intelligence and Security Committee, das kein regulärer Ausschuß ist, sondern ausschließlich dem Premierminister gegenüber rechenschaftspflichtig ist und lediglich befugt ist, sich bei den Geheimdiensten mit den Fragen der Finanzierung, der Verwaltung und der politischen Linie zu befassen. Das Komitee kann keinen Vorwürfen hinsichtlich krimineller Machenschaften, verpfuschter Operationen oder sonst irgend etwas nachgehen. Das ist die einzige Aufsicht, die es gibt. Dann kommen diese ganzen geleugneten privaten Sicherheitsfirmen, die am Rande der Geheimdienste existieren und sich selbst regulieren sollen, wenn man überhaupt in diesem Zusammenhang davon reden kann. Also ist es ein richtiges Chaos.

SB: Was machen politische Aktivisten, wenn sie durch irgendeinen Dienst überwacht werden? Wie können sie sich dagegen wehren und welche rechtlichen Möglichkeiten haben sie, wenn es keine schriftliche Verfassung gibt?

AM: Rechtliche Möglichkeiten gibt es im Grunde genommen nicht. Technisch existiert das Regulation of Investigatory Powers Act 2000, das sicherstellen soll, daß das Abhören von Kommunikationen nicht mißbraucht wird. Wenn die Behörden Telefongespräche eines Bürgers abhören wollen, müssen sie sich der demokratischen Aufsicht unterwerfen und eine Unterschrift oder eine Ermächtigung des Innenministers oder des Außenministers bekommen. Die Spione können allerdings lügen, um diese zu erreichen. Sie müssen keine handfesten geheimdienstlichen Verdachtsmomente vorlegen. Wenn jemand also glaubt, illegal durch den MI5 überwacht worden zu sein, kann er oder sie sich bei dem dafür vorgesehenen Tribunal beschweren. Aber bisher wurde keiner einzigen Beschwerde stattgegeben. Das Tribunal stellt sich immer auf die Seite der Spione, so daß die Beschwerdeführer niemals in irgendeiner Weise entschädigt werden. Was die Schnüffelaktivitäten privater Sicherheitsfirmen angeht, so existieren letztere im Grunde nicht, sie operieren aus einer Grauzone heraus. Es gibt nichts, was man tun kann, um sich vor ihnen zu schützen und keine staatliche Institution, an die man sich wenden kann.

SB: Wie beurteilen Sie die Entwicklung in Großbritannien seit dem 11. September 2001? Soweit man es mitbekommt, haben dort die Repressionsgesetze unter dem Vorwand der Terrorabwehr und Verbrechensbekämpfung große Sprünge gemacht, so daß inzwischen Leute wegen ihrer Überzeugungen oder ihrer politischen Ansichten kriminalisiert werden. Glauben Sie, daß es seit dem 11. September einen großen Sprung gegeben hat oder erleben wir lediglich die normale Entwicklung der inneren Sicherheit?

AM: Tatsächlich hat der Sicherheitsapparat in Großbritannien seit dem 11. September seine Macht und seine Befugnisse enorm ausgebaut. Die Ereignisse jenes Tages haben als Rechtfertigung für alle möglichen unheilvollen Entwicklungen herhalten müssen. Nicht allein, daß der Kampf gegen den Terrorismus als Rechtfertigung für die Kriege im Nahen Osten benutzt wird, sondern er hatte auch zur Folge, daß unsere Bürgerrechte in Großbritannien drastisch beschnitten wurden. Es werden inzwischen Leute ohne Prozeß ins Gefängnis gesteckt, sogar ohne Anklage in Hochsicherheitsgefängnisse. Man nennt es internment. Die Anzahl von Tagen, die Terrorverdächtige ohne Anklage festgehalten werden können, wurde auf 28 erhöht. Auf dem Höhepunkt der IRA-Bombenkampagne hatte man sie lediglich auf 7 erhöht - und selbst dieser Schritt hatte damals einen heftigen politischen Streit ausgelöst. Von daher ist es lachhaft, wenn nun die regierende Labour Party argumentiert, man brauche 28 Tage, 48 Tage oder gar 90 Tage, um Beweise für eine eventuelle Anklage zu erhalten. Darüber hinaus hat man in den letzten Jahren mitansehen müssen, wie britische Flughäfen und der britische Luftraum für Folterflüge der CIA benutzt worden sind. Inzwischen machen einige Opfer der Praxis der "extraordinary renditions" wie die beiden britischen Moslems und Ex-Guantánamo-Häftlinge Moazzem Begg und Binyam Mohamed die Details ihrer Mißhandlungen bekannt. Der Fall Binyam Mohameds insbesondere bringt derzeit den MI5 in große Verlegenheit.

Während der IRA-Bombenkampagne in den siebziger und achtziger Jahren war es die irische Gemeinde in Großbritannien, die schickaniert wurde. Heute ist es die moslemische. Es ist in diesem Bereich in den letzten Jahren soviel passiert. Den besten Überblick darüber hat gerade Gareth Peirce, die wahrscheinlich bekannteste Menschenrechtsanwältin Großbritannien, geliefert. In der jüngsten Ausgabe der London Review of Books, datiert auf den 14. Mai, hat sie eine überwältigende Anklage gegen das, was in Großbritannien vor sich geht, veröffentlicht. Der Artikel, den man im Internet lesen kann, ist zwar lang, aber Peirces Kritik der Erosion grundlegender Bürgerrechte ist absolut zutreffend. Sie bringt es genau auf den Punkt.

Es gibt auch weitere Gesetze wie zum Beispiel das Terrorism Act 2005, Abschnitt 44, demgemäß man von der Polizei angehalten, durchsucht und inhaftiert werden kann, wenn man ihr seinen Namen nicht nennt. Es gibt etwas, das sich Civil Contingency Act 2005 nennt, das im wesentlichen beinhaltet, daß jeder Minister einen örtlich begrenzten oder nationalen Notstand ausrufen kann und dies nicht vor Ablauf von 30 Tagen gegenüber dem Parlament rechtfertigen muß. Konkret heißt das, daß die Behörden Quarantäne über die Bürger verhängen können, ihnen die Teilnahme an politischen Versammlungen verbieten können, sie daran hindern können, sich frei im eigenen Land zu bewegen, und ihre Häuser beschlagnahmen und demolieren können, ohne sie zu entschädigen - alles im Namen der nationalen Sicherheit.

Dann gibt es ein weiteres Gesetz, das 2006 verabschiedet wurde, namens Legislative and Regulatory Reform Act. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf, den die Labour-Regierung vorlegte, hieß der Abolition of Parliament Bill. Demnach hätte jeder Regierungsminister mit nur einem Federstrich eine Verfügung erlassen können, die jedwedes vorangegangene, vom Parlament verabschiedete Gesetz aufgehoben hätte, was siebenhundert Jahre nominelle Demokratie in England abgeschafft hätte. Dieser Passus wurde fallengelassen und war nicht mehr in dem Gesetz enthalten, das dann später in Kraft trat. Der einzige Grund, weshalb er entfernt wurde und das Gesetz revidiert wurde, war, daß sich das Oberhaus, jene Bastion der Demokratie, weigerte, das Gesetz zu verabschieden. Seitens der Labour-Regierung hat es Zeichen gegeben, daß sie das Gesetz jetzt überarbeiten, die Befugnisse erweitern und den ursprünglichen Entwurf wieder aufgreifen will. Natürlich wird dies alles mit dem Antiterrorkrieg begründet. Daher war der 11. September ein wahrer Segen für die Spione. Der Etat für die britischen Geheimdienste, der sich vorher auf 200 Millionen Pfund im Jahr belief, ist inzwischen auf 1,6 Milliarden hochgeklettert, weil man das Personal kräftig aufgestockt, die Ressourcen vervielfacht, die Technologie ausgebaut und die Befugnisse erweitert hat. Auf diese Weise hat sich das Vereinigte Königreich in Richtung Schnüffelstaat entwickelt, was auch der Grund ist, warum ich nach Deutschland gezogen bin.

Annie Machon  - © 2009 by Schattenblick

Annie Machon
© 2009 by Schattenblick

SB: Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang Entwicklungen wie die jüngsten Gesetze gegen asoziales Verhalten und das ganze Problem gesellschaflicher Konfrontationen, die jetzt, während der ökonomischen Krise, verstärkt auftreten? Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Anti-Terror-Kampagne und den anwachsenden sozialen Problemen?

AM: Auf jeden Fall, ja. Vor kurzem sorgte ein Bericht in der britischen Presse für Schlagzeilen, wonach die Polizei vor einem "Sommer der Wut" wegen der Ängste über die wirtschaftliche Lage, ansteigender Arbeitslosigkeit sowie des Unmuts über den Krieg warnte. Ganz gezielt vermengen die Behörden verschiedene Dinge und behaupten, sie bräuchten alle diese Vollmachten, um strenger gegen Demonstranten vorgehen zu können. Nun, welche Form das annehmen kann, haben wir kürzlich bei den Protesten gegen den G20-Gipfel Anfang April in London gesehen, als die Polizei friedlichen Demonstranten offene Brutalität entgegenbrachte.

Letztes Jahr besuchte George W. Bush London im Rahmen seiner europäischen Abschiedstournee als US-Präsident. Natürlich kamen viele Leute, um gegen ihn zu demonstrieren (wobei man inzwischen eine Erlaubnis haben muß, um innerhalb eines Kilometers rund um das Parlamentsgebäude demonstrieren zu können, wegen der Gefahr, daß man Abgeordnete belästigen könnte). Unter den Demonstranten gab es einen Typen, der altmodische Slogans wie "Fuck the Pigs!" und ähnliches brüllte, was kein moderner Protestierer, die eher "Give peace a chance" singen, mehr tun würde. Jedenfalls wurde der Typ identifiziert, und es stellte sich heraus, daß er Inspektor bei der Londoner Polizeibehörde war, der die Demonstranten unterwandert hatte und als Agent provokateur unterwegs war. Das ist nur ein Beispiel aus jüngerer Zeit, aber natürlich geschieht es seit Jahrzehnten, daß die Behörden versuchen Unruhe zu erzeugen, um zu gewährleisten, daß die Protestszene als gefährlich und anti-britisch angesehen wird, während es im Grunde sie selbst sind, denen man diesen Vorwurf machen müßte.

SB: Berichten Sie uns bitte von der Affäre um David Shayler und darüber, welche persönlichen Konsequenzen sie für Sie hatte.

AM: David und ich lernten uns beim MI5 kennen, verliebten uns und zogen zusammen. Wir waren Teil einer ganz neuen Generation von Beamten, die Anfang der neunziger Jahre angeworben wurden, nachdem der Inlandsgeheimdienst zum erstenmal auf eine rechtliche Grundlage gestellt worden war. Als wir in den Dienst aufgenommen wurden, hat man uns gesagt, daß wir das Gesetz zu befolgen hätten, womit man zu erkennen geben wollte, daß der MI5 politisch Andersdenkende nicht mehr bespitzele und drangsaliere, wie es in den achtziger Jahren der Fall gewesen war.

SB: Wie beispielsweise während des Bergarbeiterstreiks 1985.

AM: Genau. Unter anderem deshalb hatte sich der MI5 einen üblen Ruf erworben. Das war auch der Grund, warum 1988 ein Gesetz verabschiedet wurde, das den Namen Security Service Act trug. Es stellte den MI5 zum erstenmal auf eine gesetzliche Grundlage und schrieb vor, daß sich die Agenten an die Gesetze halten müssen. Als wir 1990, 1991 rekrutiert wurden, hat man uns dies alles erklärt. Das Rekrutierungsverfahren war sehr intensiv. Sie untersuchten den Lebenslauf eines jeden Kandidaten ganz genau bis auf das zwölfte Lebensjahr zurück und fragten Leute aus seinem jeweiligen Umfeld aus, wie er sei und so weiter. Mich hat es eigentlich überrascht, das ganze durchgestanden zu haben, denn ich habe niemals einen Hehl aus meinen persönlichen Ansichten gemacht. Schließlich fing ich dort an zu arbeiten, und bekam allmählich mit, wie die Sache aus dem Ruder lief. In gewisser Weise gewöhnt man sich daran, je schwerwiegender und je problematischer die Fälle sind, mit denen man es zu tun bekommt.

SB: In Ihrer Einleitung zu David Ray Griffins Vortrag sprachen Sie von Falsche-Flagge-Operationen, die auch in Großbritannien stattgefunden hätten. Können Sie uns etwas Konkreteres darüber berichten?

AM; Ja, es geht um einen Anschlag 1994 auf die israelische Botschaft in London mittels einer Autobombe. Es handelt sich um einen der Fälle, die David bewogen haben, Missetaten der britischen Geheimdienste publik zu machen. Das Auto mit einer besonderen Sorte Bombe wurde vor der Botschaft geparkt und anschließend in die Luft gejagt. Zwei junge Palästinenser, eine Frau namens Samar Alami und ein Mann namens Jawad Botmeh, die in London Ingenieurswesen studierten und in einem Netzwerk zur Unterstützung der Bevölkerung auf der Westbank und in Gaza politisch aktiv waren, wurden zusammen mit einigen anderen Mitgliedern der Gruppe verhaftet. Anschließend hat man gegen die beiden Anklage erhoben. Später wurden sie wegen Beteiligung an der Verschwörung zum Anschlag verurteilt. Man konnte sie nicht dafür verurteilen, den Anschlag durchgeführt zu haben, denn sie hatten wasserdichte Alibis. Während des Gerichtsverfahrens stellte sich heraus - auch in diesem Fall trat Gareth Peirce als Anwältin der Verteidigung auf -, daß sich eine dubiose Figur namens Reda Moghrabi mit den beiden angefreundet und Botweh um Hilfe beim Erwerb eines Gebrauchtwagens gebeten hatte. Jener Wagen wurde beim Anschlag verwendet. Nach dem Anschlag verschwand Moghrabi auf Nimmerwiedersehen, während Alami und Botweh, die stets ihre Unschuld beteuerten und allem Anschein nach unschuldig sind, zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurden, die sie heute noch verbüßen.

Der Hauptgrund für die Annahme, daß es sich hier um einen Anschlag unter falscher Flagge gehandelt hat, ist, daß ein leitender MI5-Beamter mit der Code-Nummer G91, der für die Untersuchung des Falls verantwortlich war und der alle Beweise und geheimen Informationen über dem Anschlag gesehen hat, in seinem offiziellen internen Bericht für den Inlandsgeheimdienst zu dem Schluß gekommen ist, daß der Mossad selbst den Anschlag ausgeführt hatte. Es hört sich vielleicht pervers an, aber die Täter haben eine kontrollierte Explosion durchgeführt. Dadurch wurde niemand getötet, gleichwohl jedoch wurden automatisch die Sicherheitsbedürfnisse Israels zum politischen Thema in Großbritannien. Darüber hinaus waren Alami und Botweh sehr stark in Netzwerke zur Unterstützung der Palästinenser eingebunden. Dadurch, daß sie verhaftet und verurteilt wurden, wurde auch das Netzwerk zerschmettert. Also hat der Anschlag einen wichtigen politischen Zweck erfüllt, wenn auch der Preis das Leben dieser beiden Leute war.

SB: Die andere wichtige Sache, die David enthüllte, war ein Komplott zur Ermordung Muammar Gaddhafis, das vom britischen Auslandsgeheimdienst MI6 finanziert wurde unter Einsatz von Leuten, die man heute als Al-Kaida-Mitglieder bezeichnen müßte.

AM: Stimmt. 1995/96 war David Leiter der Libyen-Abteilung beim MI5 und hatte ein gutes Arbeitsverhältnis zu seinem Gegenpart beim MI6, was ungewöhnlich ist, denn in der Regel reden die beiden Dienste kaum miteinander. Jedenfalls wurde David die ganze Zeit über über diesen möglichen Anschlag unterrichtet, bei dem ein Beamter des libyschen Militärgeheimdienstes angeboten hatte zu versuchen, Ghaddafi zu ermorden, wenn man ihm die finanziellen Mittel zur Verfügung stelle. Daraufhin hatte der MI6 unverzüglich damit begonnen, dem Typen - sein Codename war Tonworth - Geld zuzuschieben.

David wußte nicht, was er davon halten sollte, denn in den entsprechenden Kreisen hört man ständig eine Menge wichtigtuerischen Geredes bezüglich der toll ausgeklügelten Pläne des MI6, von denen die meisten niemals umgesetzt werden. Also dachte er, dies wäre einer davon. Nichtsdestotrotz war er besorgt genug, um seine Vorgesetzten beim MI5 davon in Kenntnis zu setzen. Gleichwohl fügte er hinzu, daß er nicht wisse, was da beim MI6 vor sich gehe, ob der Plan legal sei, was im einzelnen geschehen solle und ob die Verantwortlichen die Genehmigung des Außenministers eingeholt hätten. Danach vergaß er die Sache wieder, bis er etwa vier Monate später Berichte verschiedener Quellen auf den Tisch bekam, die besagten, daß es tatsächlich zu einem Anschlag gekommen war. Eine Explosion hatte sich unter einem Fahrzeug in Ghaddafis Autokonvoi ereignet, nur daß es das falsche Fahrzeug war. Unschuldige Leute waren in dem Auto durch die Explosion wie auch durch die Kugeln bei der anschließenden Schießerei ums Leben gekommen.

SB: Es gab also einen Anschlag, und auf die Bombenexplosion folgte ein Überfall?

AM: Nein, es waren die Sicherheitsleute, die befürchteten, in einen Hinterhalt geraten zu sein, in die Menschenmenge schossen und dabei unschuldige Passanten töteten.

SB: Gab es nur die Bombe - waren keine Schützen an dem Attentat beteiligt?

AM: So war es. Es gabe eine Explosion unter einem Auto, und dann begannen die Leibwächter Gaddhafis, in die Menge zu feuern. So hat David es gelesen. Wie ich sagte, der Anschlag war nach britischem Gesetz illegal. Es starben offensichtlich unschuldige Menschen. Wir konnten es nicht glauben, und darum verließen wir den MI5. Wir traten aus dem Dienst aus, machten den Anschlag sowie die Tatsache, daß er unter falsche Flagge erfolgt war, in Großbritannien publik.

SB: Und waren durch die Umstände gezwungen, aus Großbritannien zu fliehen?

AM: Ja. Nun, rein rechtlich kann man mit Hinweisen auf solche illegalen Aktivitäten des Geheimdienstes zu niemandem gehen - außer natürlich zur Leitung desjenigen Dienstes, über den man sich beschweren will. Man kann so etwas seinem Parlamentabgeordneten nicht anvertrauen. David hatte Angst, weil er dieses alles wußte. Er dachte, daß die Presse ihm ein gewisses Maß an Sicherheit verschaffen würde, also ging er zu der einen Zeitung und sagte denen, daß im MI5 und MI6 einiges schieflaufe und daß ihm dies Sorgen bereite.

SB: Um welche Zeitung handelte es sich?

AM: Es war die Mail On Sunday. Sie druckten die Geschichte und sorgten damit für einiges an Aufsehen. David ging es von Anfang an um Fragen der Verantwortlichkeit, der Menschenrechte sowie um die Einhaltung des Gesetzes.

SB: Aber die britische Regierung versuchte die Sache zu vertuschen und hat doch durch die Verhängung sogenannter D Notices [geheime Anweisungen des Innenministers an die britischen Medien, über bestimmte Inhalte zu berichten oder sie zu erwähnen] die Affäre soweit wie möglich aus der Presse herauszuhalten, nicht wahr?

AM: Ja, sicher. David und ich waren auf dem europäischen Festland auf der Flucht, buchstäblich für Monate. Nach einer Weile ging ich zurück nach England, wurde verhaftet und ausgiebig befragt, weil ich zu der Zeit Davids Freundin war. Die Behörden durchsuchten unsere Wohnung, als wäre sie ein Terroristenversteck, und demolierten sie. Sie erhoben jedoch keine Anklage gegen mich, weshalb ich zurück nach Frankreich ging, um bei David zu sein. Dort lebten wir zehn Monate versteckt. Dann wurde er jedoch aufgrund eines britischen Auslieferungsantrages verhaftet und mußte vier Monate in einem französischen Gefängnis verbringen. Die Franzosen lehnten das Ersuchen mit der Begründung ab, daß David staatliche Mißstände publik gemacht hätte und daß sie keine Leute, die so etwas machten, auslieferten, denn diese seien eine Art politischer Dissidenten. Insgesamt verbrachten wir zwei weitere Jahre in Paris und versuchten das Beste daraus zu machen. Im Laufe der Zeit tauchten neue Beweise auf, welche den MI6 belasteten und die besagten, daß der Anschlag auf Ghaddafi tatsächlich stattgefunden hatte. Dadurch entstand im Jahr 2000 eine Menge Druck seitens der britischen Medien, die von der Regierung eine Untersuchung der Vorgänge forderten. Doch ungeachtet der Tatsache, daß es sich bei dem neuen Beweisstück um ein offizielles MI6-Dokument handelte, blockten die Behörden in London einfach ab und verbarrikadierten sich hinter ihrem Standpunkt, wonach David ein Phantast sei, und erklärten, es gebe weder etwas hinzufügen noch etwas zu streichen.

SB: Aber infolgedessen machte doch David tatsächlich einen Deal, um nach Großbritannien zurückzukehren?

AM: Sein Anwalt sorgte dafür, daß er, wenn er freiwillig zurückkäme, um sich der britischen Justiz zu stellen, gegen Kaution freikäme und die Zeit bis zum Prozeßauftakt nicht in Untersuchungshaft verbringen müßte. Damit hat er großes Glück gehabt, denn obwohl er nur aufgrund der ganz frühen Enthüllungen - und natürlich nicht aufgrund der Gaddhafi-Geschichte, die sie vor Gericht nicht behandelt haben wollten - wegen Verstoßes gegen das Official Secrets Act angeklagt wurde, dauerte es bis zur eigentlichen Prozeßeröffnung mehr als zwei Jahre. Von unserer Rückkehr aus Frankreich im August 2000 bis zum Prozeßauftakt im November 2002 gab es jede Menge richterlicher Anhörungen, die der Vorbereitung des Prozesses dienten. Dies hatte zur Folge, daß David, als er schließlich im eigentlichen Prozeß und damit vor den Geschworenen auftrat, wegen der bis dahin verhängten Teilurteile nicht offen erklären konnte, warum er gehandelt hatte, wie er gehandelt hatte. Er konnte sich nicht gegen die Vorwürfe verteidigen. Auf keinen Fall durfte er den Namen Gaddhafi auch nur erwähnen. Und als es zum Kreuzverhör der relevanten MI5-Mitarbeiter kam, von denen einige als ausgemachte Lügner bekannt waren, durfte er keine der Fragen, mit denen er Zweifel an deren Glaubwürdigkeit wecken wollte, stellen.

SB: Und wie lautete am Ende das Urteil?

AM: Ach, der Richter wies die Geschworenen an, ihn schuldig zu sprechen, was diese auch taten.

SB: Nach englischem Gesetz hätten sie nicht gehorchen müssen, nicht wahr?

AM: Stimmt, hätten sie nicht.

SB: Aber sie gehorchten trotzdem?

AM: Nun, der Richter gab ihnen die Anweisung, einen Schuldspruch zu fällen, und das taten sie auch, auch wenn einige der Geschworenen bei der Urteilsverkündung tatsächlich den Tränen nahe waren.

SB: Also wurde er verurteilt - weswegen?

AM: Er wurde schuldig gesprochen, in drei Anklagepunkten gegen das Staatsgeheimnisgesetz verstoßen zu haben, und bekam dafür eine sechsmonatige Freiheitsstrafe. Das Urteil fiel aus zwei Gründen milde aus. Erstens hat der Richter, glaube ich, die Zeit berücksichtigt, die er bereits in Paris abgesessen hatte, als sie versuchten ihn ausgeliefert zu bekommen. Zweitens bin ich im Prozeß als Zeugin der Verteidigung aufgetreten und habe auf mildernde Umstände plädiert. Das war das einzige Mal in dem gesamten Verfahren, daß einer von uns erklären durfte, warum wir getan hatten, was wir getan hatten. Trotz der Schwere des Vergehens - auch ich konnte das Gaddhafi-Komplott nicht erwähnen - ließ der Richter gelten, daß David niemandes Leben gefährdet hat, daß er es nicht des Geldes wegen getan hat und daß er wirklich geglaubt hat, im öffentlichen Interesse zu handeln. Dies erklärte er in seinem formellen Richterspruch am Ende des Prozesses, als er David zu sechs Monaten Gefängnis verurteilte. Nichtsdestotrotz lauteten die Schlagzeilen am nächsten Tag: "Shayler setzt für Geld das Leben von Agenten aufs Spiel".

Annie Machon  - © 2009 by Schattenblick

Annie Machon und SB-Redakteur
© 2009 by Schattenblick

SB: 2001 wurden die Angaben Shaylers bestätigt, als Jean-Charles Brisard und Guillaume Dasquié als erste bekanntmachten, daß Interpol tatsächlich einen internationalen Haftbefehl gegen Osama Bin Laden wegen seiner Verwicklung in den gescheiterten Anschlagsversuch auf Gaddhafi ausgestellt hatte. In der Zwischenzeit sind weitere Vorwürfe hinsichtlich einer Zusammenarbeit zwischen dem MI6 und Leuten, die Al Kaida zuzurechnen wären, laut geworden. Man denke zum Beispiel an den Briten pakistanischer Herkunft, Omar Sheikh, der in islamistische Terroranschläge in Indien verwickelt gewesen ist, der im Sommer 2000 im Auftrag des Chefs des pakistanischen Geheimdienstes ISI 100.000 Dollar von Dubai an den zu jenem Zeitpunkt in den USA weilenden 9/11-Hijacker in spe, Mohammed Atta, überwiesen haben soll und der derzeit in Pakistan im Gefängnis wegen seiner Rolle bei der Ermordung des Wall-Street-Journal-Reporters Daniel Pearl im Jahre 2002 sitzt. General Pervez Musharraf, als er noch Präsident Pakistans war, hat erklärt, daß der Absolvent der London School of Economics ein Doppelagent des MI6 sei. Haben Sie dazu eine Meinung?

AM: Darüber weiß ich nichts, aber es würde mich nicht überraschen. Es erinnert ein bißchen an den Fall von Haroon Rashid Aswat, von dem vermutet wird, daß er der führende Kopf hinter den Anschlägen auf das öffentliche Verkehrsnetz in London am 7. Juli 2005 war und gleichzeitig MI6 Agent ist. Zwar gibt es dafür bisher keine Beweise, die eine gerichtliche Überprüfung bestehen würden, aber solche Dinge passieren. Es wäre naiv zu glauben, sie passierten nicht. Das wirklich Interessante an der Ghaddafi-Intrige ist, daß man, als Dave darüber informiert wurde, ihm erzählte, daß Tonworth Verbindungen zu islamisch-extremistischen Terroristen in Libyen hätte, aber daß erst durch die Veröffentlichung des Buchs "Die verbotene Wahrheit" von Brisard und Dasquié (*) bekannt wurde, daß es sich hier um Al Kaida, wie immer man sie definiert, handelte. Haben wir es hier tatsächlich mit einer terroristischen Vereinigung oder mit einer CIA-MI6-Front zu tun? Ich weiß es nicht - vielleicht ist es ein bißchen von beidem.

SB: Bezüglich der Europäischen Union, was wissen Sie über den Ausbau der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Geheimdiensten wie z.B. zwischen dem deutschen Verfassungsschutz und dem MI5 oder zwischen dem Bundesnachrichtendienst und dem MI6?

AM: Davon weiß ich leider nichts. Da kann ich Ihnen nicht helfen.

SB: Wie sehen Sie den Fortgang der europäischen Integration? Glauben Sie, daß es zu einer weiteren Verschärfung oder zu einer Lockerung der Sicherheitsgesetze kommen wird, sollte sich Großbritannien, das sich in den letzten Jahren als Vorreiter in Sachen Überwachungsstechnologie und Repressionsmanagement hervorgetan hat, dem Integrationsprozeß verschließen?

AM: Ich denke, daß das Verhältnis Großbritanniens zur EU zumindest mittelfristig ein gespaltenes bleiben wird. Ein rascher Beitritt Großbritanniens zur Eurozone unter den momentanen Bedingungen, wo doch die britischen Staatsfinanzen in einer katastrophalen Verfassung sind, ist undenkbar. Erschwerend kommt bei uns eine chauvinistische "England zuerst"-Mentalität hinzu, deren Vertreter stets die Gefahr eines europäischen Superstaates in grellen Farben an die Wand malen. Die beiden Faktoren, der finanzielle und der politisch-kulturelle, werden wahrscheinlich dazu führen, daß die Beschränkungen erhöht werden und bei uns die Sicherheitsarchitektur noch weiter ausgebaut wird. Ich meine, Großbritannien ist bereits jetzt die am meisten überwachte Gesellschaft der Welt, und vermutlich wird es viel schlimmer kommen.

SB: In Deutschland erlebt man derzeit Spannungen innerhalb der politischen Elite zwischen den sogenannten Atlantikern und denjenigen, die eher kontinental-europäisch ausgerichtet sind und irgendeine Art Kooperation mit Rußland befürworten. Wenn sich Großbritannien dem europäischen Festland nicht weiter anschließt, wird es nicht immer mehr zum Trabanten der Vereinigten Staaten?

AM: Nun, ich glaube, daß Großbritannien wirtschaftlich derart mit den USA verstrickt ist, daß auf absehbare Zeit keine grundlegende Umorientierung zu erwarten ist. Deshalb ist Großbritannien immer mehr atlantisch ausgerichtet gewesen als die anderen EU-Staaten. Daher auch der berechtigte Verdacht der führenden EU-Mitgliedsländer, daß London innerhalb der Gemeinschaft die Rolle des Strohmannes Washingtons spielt. Vor diesem Hintergrund ist der Handlungsspielraum Großbritanniens sehr beschränkt.

SB: Wie gehen die Briten mit der Überwachung um? Aus deutscher Sicht ist es eine schwere Beeinträchtigung der persönlichen Bewegungsfreiheit, wenn überall Kameras stehen und man von der Polizei ermahnt wird, weil man gerade einen Linienbus fotografiert, wie es vor kurzem in London einem österreichischen Touristen widerfahren ist. Gibt es gegen diesen Überwachungswahn nicht eine anwachsende Opposition, oder glauben die Briten wirklich, daß das alles zu ihrem Besten sei?

AM: Meines Erachtens gibt es in Middle England, wie man die Mitte der Gesellschaft nennt, eine breite Mehrheit, die sich der zunehmenden Einschnitte in ihre Freiheit bewußt ist und die sich immer mehr über den niederschwelligen Mißbrauch der Sicherheitsstechnologie wie zum Beispiel über die Telefonüberwachung durch die lokale Grafschaftsverwaltung aufregt. Inzwischen ist es so weit, daß jetzt in England über achthundert behördliche Stellen die Telefonate des einfachen Bürgers belauschen können, wenn sie dazu die Befugnis erhalten. Ursprünglich sollte dies ausschließlich den Geheimdiensten vorbehalten sein und das auch nur in Fällen, in denen die nationale Sicherheit auf dem Spiel stand. Immer mehr Bürger regen sich zum Beispiel über die Nachspionage, ob sie ihren Müll in die richtigen Container sortiert haben, oder darüber, wenn ein Polizist sie daran hindert, Fotos vom Buckingham Palace - oder wie Sie selbst sagten, vom Linienbus - zu schießen, auf. Eine solche Erosion der traditionellen Freiheiten sorgt in Middle England für immer mehr Unmut. Deswegen genießen Organisationen wie Liberty, Campaign Against Common Purpose, Direct Democracy, Free Man Campaign und ähnliche, welche zurück zu den traditionellen Bürgerrechten wollen, wachsenden Zulauf. Viele Briten können sich mit der Idee der Einführung eines nationalen Ausweises nicht anfreunden und mögen nicht ausspioniert werden, doch leider haben sich die wenigsten Gedanken über drastischere Maßnahmen wie Internierung, Folter, extraordinary renditions, das Civil Contingency Act und so weiter gemacht - vermutlich, weil man fälschlicherweise annimmt, davon seien lediglich "Terroristen" betroffen.

SB: Und das, obwohl Großbritannien geschichtlich doch eine starke liberale Tradition aufzuweisen hat.

AM: Nun, wir haben ein solches Image, aber wieviel von dieser Tradition übriggeblieben ist, kann ich nur schwer sagen. Ich denke, die meisten Briten sind zufrieden, wenn sie über die Runden kommen und man sie in Ruhe läßt. Allmählich beginnt jedoch die liberale Intelligentia, auch über diese Dinge nachzudenken. Gruppen wie Conventional Modern Liberty befassen sich mit solchen Themen, lassen jedoch den Blick für die größeren Zusammenhänge missen und gehen der Frage nach der Begründung des Antiterrorkrieges nicht nach. Von dem Berg an Beweisen, welche der offiziellen Version der Ereignisse vom 11. September 2001 widersprechen, wollen sie nichts wissen, weil sie Angst haben, als Verschwörungstheoretiker abgestempelt zu werden.

SB: Also kaufen sie der Regierung die Linie ab, daß die Gefahren aus Übersee sozusagen aus der muslimischen Welt kommen, und sehen die Notwendigkeit strenger Grenzkontrollen ein?

AM: Ja. Da kommt wieder die "England zuerst"-Mentalität zum Vorschein. Der Engländer sitzt in seiner Inselfestung und muß nur die Zugbrücke über den Ärmelkanal hochziehen, um sich vor den EU-Bürokraten und sonstigen fremdländischen Gefahren zu retten. Die britischen Medien, die seit Jahren eine extrem euroskeptische Position einnehmen, verstärken diese Mentalität, derzufolge Großbritannien nicht wirklich europäisch ist und gegenüber der EU stets seine Kultur und seine Werte verteidigen müsse.

SB: Ein wichtiges politisches Ereignis, das in Großbritannien stattfand, war der Tod David Kellys im Juli 2003. Es hat den Anschein, als wäre er ermordet worden, weil er Andrew Gilligan, damals ein Reporter der BBC, gesteckt hatte, daß die Begründung für den Einmarsch in den Irak - nämlich die angebliche Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen - erstunken und erlogen war. Darüber wußte Kelly bestens Bescheid. Schließlich war er der führende Biowaffenexperte des britischen Verteidigungsministeriums und hatte in den neunziger Jahren als UN-Waffeninspekteur im Irak gearbeitet. Haben Sie über diesem brisanten Fall irgendwelche Informationen von früheren Kollegen beim Geheimdienst erhalten?

AM: Nein, aber ich kenne persönlich Dr. David Halpin. Er ist Mitglied einer Gruppe von Ärzten, welche die medizinischen Fakten untersucht haben und zu der Schlußfolgerung gekommen sind, daß Kelly nicht auf die Weise zu Tode hätte kommen können, in der er gestorben sein soll.

SB: Er konnte nicht Selbstmord begangen haben?

AM: Nein, er hätte sich so nicht töten können.

SB: Die Verletzung am Handgelenk, die er sich im Wald mit einem Taschenmesser zugefügt haben soll, hätte niemals ausgereicht?

AM: So ist es. Der ganze Vorgang der anschließenden Hutton- und Butler-Untersuchungskommission riecht geradezu nach Vertuschung - die Tatsache, daß es keine echten Beweise für die offizielle Version, keine eidesstattlichen Erklärungen und so weiter gab. Im Grunde genommen weiß es doch jeder, daß hier vertuscht wurde, und zwar im großen Stil.

SB: Das Fatale am Kelly-Fall sind jedoch die negativen Auswirkungen, die er auf die BBC gehabt hat, die ursprünglich Kellys belastende Aussage hinsichtlich der Irakkriegslügen der Regierung Tony Blairs publik gemacht hatte.

AM: Dem stimme ich total zu. Die BBC ist durch das, was ihr infolge der Hutton-Untersuchung und der Rücktritte des Vorstandsvorsitzenden Gavyn Davies und des Generaldirektors Greg Dyke völlig eingeschüchtert worden und hat einen nicht geringen Teil ihres redaktionellen Selbstvertrauens verloren.

SB: Wie ist Ihre Meinung zu den Anschlägen auf Londons öffentliches Transportsystem am 7. Juli 2005. Können Sie sich auch da eine Verwicklung der Geheimdienste vorstellen?

AM: Ich denke, wenn man einmal das Konzept der "Falsche-Flagge-Operationen" als politische Realität akzeptiert - was einer der Gründe ist, warum ich ausgepackt habe -, dann muß man bei jeder terroristischen Schreckenstat die Frage im Hinterkopf haben: Wer profitiert, und was ist seitdem geschehen? Ich würde sagen, daß es beim 11. September einen Berg von Beweisen gibt, die dem Bericht der 9/11-Kommission widersprechen, doch bei 7/7 sind es viel weniger Gegenbeweise.

SB: Sie bezogen sich vorhin auf die Aktivitäten nicht-staatlicher Sicherheitsunternehmen, und wie man weiß, führte an dem Morgen des besagten Anschlags in London eine private Sicherheitsfirma in Zusammenarbeit mit mehreren großen Konzernen eine Anti-Terror-Übung durch, deren Szenario mit den Ereignissen, wie sie sich an jenem 7. Juli 2005 in der britischen Hauptstadt zutrugen, identisch war.

AM: Absolut. Sie wurde von einem Mann namens Peter Power durchgeführt, der früher Leiter der Antiterror-Abteilung bei der Metropolitan Police [dem Londoner Polizeipräsidium] war. Er leitet seitdem eine Beratungsfirma namens Visor Consultants. Zwar hat er später die Namen seiner Klienten bei der Übung niemals preisgegeben, doch am selben Abend nach dem Anschlag erklärte er live im Radio, daß sie am Vormittag eine Übung durchführten, bei der imaginäre Explosionen in genau denselben U-Bahn-Stationen zu genau denselben Zeiten passieren sollten, wie es in Wirklichkeit geschah. Bezeichnenderweise hat man ihn offiziell dazu niemals befragt. Des weiteren weist die offizielle Darstellung der Anschläge und ihrer Hintergründe erhebliche Lücken auf. Der Thameslink-Zug zum Beispiel, der um 7.40 Uhr von Luton Richtung London abfahren sollte und mit dem die mutmaßlichen Täter die Rucksackbomben transportiert haben sollen, ist an dem Tag gar nicht gefahren. Er wurde gestrichen. Dadurch gab es bei allen nachfolgenden Zügen von Luton Verspätungen. Das bedeutet, daß die mutmaßlichen Täter es niemals geschafft hätten, die richtigen Verbindungen zu bekommen, um "kurz vor 8.30 Uhr" von den Sicherheitskameras im Bahnhof King's Cross fotografiert zu werden. Das bedeutet nicht zwingend, daß der Anschlag ein Inside Job oder eine Falsche-Flagge-Operation war, aber es liefert einen weiteren Grund, warum wir eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse brauchen, um weitere derartige Vorfälle zu verhindern.

SB: Nun, es gibt jedenfalls eine Verbindung zwischen 9/11 und 7/7 und zwar in Person von Benjamin Netanjahu. Am 11. September gab Netanjahu CNN ein Interview, in dessen Verlauf er erklärte, die gerade geschehenen Flugzeuganschläge seien für sein Land "gut", weil sie den US-Bürgern näherbringen würden, womit sich Israel tagein, tagaus konfrontiert sehe. Am 7. Juli 2005 hielt er sich in London wegen einer Wirtschaftskonferenz auf, und später erschienen in der Presse vereinzelte Berichte, wonach am frühen Morgen die israelische Botschaft vor den Anschlägen eine Warnung - woher auch immer - erhalten hätte, derzufolge der damalige israelische Finanzminister vorerst in seinem Hotel bleiben und es erst verlassen sollte, wenn alles vorbei sei. Haben Sie davon gehört, oder wissen Sie irgend etwas darüber?

AM: Wie Sie sagten, es wurde berichtet, doch Genaueres weiß man nicht. Deswegen brauchen wir eine erneute, diesmal unabhängige Untersuchung. Ich würde das nicht kommentieren wollen.

SB: Was machen Sie heute? Wie ist Ihre Arbeit abgesehen von ihrer Teilnahme an der 9/11-Bewegung?

AM: Ich würde mich selbst als politische Aktivistin und Publizistin bezeichnen. Ich bin bei der Friedensorganisation Make Wars History sehr engagiert. Sie befaßt sich mit den internationalen Kriegsgesetzen, die klar besagen, daß jeder Angriffskrieg illegal ist. Darüber hinaus schreibe ich als Expertin jede Menge Artikel für die Medien.

SB: Wo werden Ihre Beiträge veröffentlicht?

AM: In verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen und in letzter Zeit zunehmend im Internet - unter anderem auf meiner eigenen Website anniemachon.com.

SB: Frau Machon, wir bedanken uns für dieses Interview.

(*) Siehe hierzu im Schattenblick unter BUCH\SACHBUCH:

REZENSION/118: Brisard/Dasquié - Die verbotene Wahrheit (Bin Laden)

25. Mai 2009