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INTERVIEW/094: Petersberg II - Paschtunische Demonstranten (SB)


Interview mit Rahim Ullah und Manzur Mohammad vom Haus der afghanischen Kultur e. V. am 5. Dezember in Bonn


Daß auch die afghanischen Kriegsgegner nicht immer einer Meinung sind, konnte man am 5. Dezember bei der Demonstration gegen die große Afghanistan-Konferenz im ehemaligen Bonner Bundestag miterleben. Als der Protestmarsch das Rheinufer erreichte und bevor sich die Teilnehmer auf das von der Fraktion der Linkspartei im nordrheinwestphälischen Landtag gecharterte Ausflugsboot begaben, kam es zu einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen der afghanischen Politikerin und Frauenrechtlerin Malalai Joya und mehreren ihrer Landsmänner aus dem paschtunischen Süden. Worum es bei dem Streit ging, blieb trotz Nachforschungen unklar.

Nach Angaben der Paschtunen, die sich als Mitglieder einer Organisation namens Haus der afghanischen Kultur e. V. identifizierten, hatte sich Joya - die aus der westafghanischen Provinz Farah stammt und daher vermutlich Dari als Muttersprache spricht - darüber aufgeregt, daß ein Schriftzug auf einem ihrer Transparente auf Paschtunisch geschrieben war. Warum das ein Problem sein sollte, wo doch Dari und Paschto die beiden Amtssprachen Afghanistans sind, eines Landes mit mehr als 40 Sprachen und über 200 Dialekten, ist für den Außenstehenden nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Gegenüber dem Schattenblick hat Joya ihre Kritik an den Paschtunen damit begründet, daß sie Partikularinteressen verfolgten und damit der Sache der Afghanen als Ganzes schadeten. Derselben Meinung war auch Said Mahmoud Pahiz von der Solidaritätspartei Afghanistans. Nach dem Ablegen des Rheinschiffes sprach der Schattenblick auf dem Oberdeck mit den beiden Paschtunen Rahim Ullah und Manzur Mohammad, die den Standpunkt ihrer Gruppe in der Afghanistan-Frage erläuterten.

BUBL: Eine Gruppe Paschtunen beklagt am Rheinufer die ausländische Einmischung in Afghanistan - Foto: © 2011 by Schattenblick

Die Mitglieder des Hauses der afghanischen Kultur e. V. demonstrieren
Foto: © 2011 by Schattenblick

Schattenblick: Was sind Ihre Motive für die Teilnahme an der Demonstration gegen die Afghanistan-Konferenz?

Manzur Mohammad: Wir protestieren dagegen, daß die Nachbarländer uns in Afghanistan nicht einfach in Frieden leben lassen. Die westlichen Mächte einschließlich der USA wissen, daß die Iraner und Pakistaner in unserem Land Krieg führen, unternehmen jedoch nichts dagegen.

SB: Gehören Sie auch zu den Gegnern der NATO-Truppenpräsenz in Afghanistan?

Rahim Ullah: In Bezug darauf haben wir uns nicht festgelegt. Was man aber sagen kann, ist, daß wir in unserem Land endlich Frieden haben wollen. Seit ich auf der Welt bin, tobt in meiner Heimat der Krieg. Deswegen leben wir hier im Exil. Alle machen die Paschtunen für den Krieg in Afghanistan verantwortlich. Tatsache ist jedoch, daß die Paschtunen die Hauptleidtragenden dieses seit mehr als 30 Jahren andauernden Militärkonfliktes sind. Wir fordern unsere Rechte und den freien Gebrauch unserer Sprache ein. Obwohl die Paschtunen in Afghanistan die größte ethnische Gruppe bilden, sind sie nur mit 10 Prozent bei den nach Bonn angereisten zivilgesellschaftlichen Gruppen vertreten. Wir sind ganz klar unterrepräsentiert.

SB: Als ich Ihre Transparente mit der Aufschrift, die Gewalt gegen Paschtunen zu unterbinden, las, war mein erster Gedanke, daß Sie damit auch gegen die per Drohne durchgeführten Raketenangriffe der CIA gegen Ziele in den paschtunischen Siedlungsgebieten in der pakistanischen Grenzregion zu Afghanistan protestieren. Stimmt meine Annahme oder liege ich da völlig falsch?

MM: Natürlich sind wir auch dagegen. Schließlich handelt es sich dabei um Luftangriffe, die in der Hauptsache Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern. Die Raketen töten nicht nur Männer im wehrfähigen Alter, sondern auch Frauen, Kinder und Greise.

RU: Jeder Mensch hat das Recht auf Leben - sei es in Afghanistan oder Pakistan. Die Paschtunen auf der afghanischen und auf der pakistanischen Seite der Grenze müssen endlich ein Leben ohne Angst, infolge irgendwelcher kriegerischer Handlungen getötet zu werden, führen können.

SB: Befürchten Sie nicht, den USA mit Ihren Vorwürfen bezüglich der Einmischung der Iraner und der Pakistaner in Afghanistan propagandistische Schützenhilfe zu leisten? Schließlich wirft das Pentagon Teheran und Islamabad seit langem vor, die Taliban finanziell und waffentechnisch zu unterstützen. Meinen Sie nicht, mit Ihren Argumenten unabsichtlich militärischen Strafmaßnahmen der USA gegen den Iran und Pakistan den Boden zu bereiten?

Interviewszene am Tisch auf dem Oberdeck - Foto: © 2011 by Schattenblick

Rahim Ullah und Manzur Mohammad mit Schattenblick-Redakteur
Foto: © 2011 by Schattenblick
MM: Afghanistans längste gemeinsame Grenze liegt mit Pakistan im Süden und Osten und mit dem Iran im Westen. Wir sind sowohl gegen den Krieg bei uns als auch gegen seine Ausweitung über die Grenzen Afghanistans hinaus, denn wir wissen, was Krieg bedeutet, daß er Schrecken bringt und letztlich viele Opfer unter der Zivilbevölkerung fordert. Die Politiker und Diplomaten, die sich hier in Bonn versammeln und über Leben und Tod entscheiden, haben keine Ahnung vom Krieg und seinen Auswirkungen, denn sie bleiben davon unbetroffen. Die einfachen Menschen dagegen sind die Hauptleidtragenden. Wir sind daher prinzipiell gegen jede Form der Gewalt. Wir fordern ein Leben in Frieden und daß unser Volk, die Paschtunen auf der afghanischen und der pakistanischen Seite der Grenze, von den Anrainerstaaten und Großmächten nicht mehr als geopolitischer Spielball mißbraucht wird.

SB: Verstehe ich Sie richtig, daß Ihnen also nicht die Schaffung eines vereinten Paschtunistans auf den Siedlungsgebieten Ihres Volkes beiderseits der Durand-Linie vorschwebt?

MM: Wir sind keine Verfechter eines paschtunischen Nationalismus, sondern verstehen uns zuerst als Afghanen und treten für einen Frieden mit allen Menschen in Afghanistan ein. Wir mußten aber feststellen, daß unser Volk am meisten unter dem jahrelangen Krieg gelitten hat. Wie mein Freund bereits erwähnte, sind wir hier alle im Krieg geboren worden und haben seinetwegen unsere Heimat verlassen müssen. Wir wollen in Afghanistan Frieden, Freiheit und Demokratie. Wir sind zwar Moslems, aber das schließt die Demokratie für uns keineswegs aus. Wir wollen in Afghanistan Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit und daß unser Volk vereint in Frieden leben kann, damit unsere Kinder, unsere Frauen, unsere Schwestern und Brüder in die Schule gehen und ein ganz normales Leben führen können.

SB: Presseberichten zufolge streben die USA eine Verständigung mit den Taliban an, um den Krieg in Afghanistan beenden zu können. Käme es tatsächlich dazu, dann könnte das eventuell auf eine Beteiligung der Taliban an den politischen Institutionen in Afghanistan hinauslaufen, nicht nur in den Provinzen wie zum Beispiel in Kandahar, sondern auch an der Regierung in Kabul. Wären Sie mit einer solchen Entwicklung einverstanden?

MM: Wir sind der Meinung, daß diejenigen unter den Taliban, die keine terroristischen Anschläge verüben und keine Zivilisten töten, ein Teil des afghanischen Volkes sind und daher an einer politischen Lösung beteiligt werden müssen. Seit zehn Jahren erleben wir Tag für Tag mit, was passiert, wenn man sich den Gesprächen mit den Taliban verweigert und sie auf militärischem Wege zu bezwingen versucht. Darum treten wir für Verhandlungen unter Teilnahme aller Konfliktparteien ein. Unser Ziel ist das Ende des Bürgerkrieges und die Schaffung einer Regierung in Afghanistan, die alle Bevölkerungsgruppen repräsentiert.

SB: Wenn eine Verständigung mit den Taliban zur Errichtung dauerhafter US-Stützpunkte in Afghanistan führen sollte, wäre das für Sie akzeptabel?

RU: Wir halten es für sinnvoller, wenn die Amerikaner das Geld in die Ausbildung der neuen Armee und Polizei Afghanistans investieren, statt es für die Unterhaltung irgendwelcher US-Basen bei uns auszugeben. Wenn unsere eigenen Sicherheitskräfte für Ordnung in Afghanistan sorgen könnten, bräuchten wir keine ausländische Militärpräsenz mehr.

SB: Herr Manzur und Herr Ullah, vielen Dank für das Interview.

Friedensaktisten samt Transparent 'Afghanistan raus / Bring the Troops Home' mit dem Rheinboot im Hintergrund - Foto: © 2011 by Schattenblick

Kriegsgegner vor dem Protestausflug auf dem Rhein
Foto: © 2011 by Schattenblick

21. Dezember 2011