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INTERVIEW/123: Will Potter zu den Bedingungen sozialen Protestes in den USA (SB)


Sozialer Aufbruch in den USA nicht mehr aufzuhalten

Interview mit Will Potter am 3. Juni 2012 in Hamburg-Altona

Im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Will Potter
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der US-amerikanische Journalist Will Potter hat ausführlich über die gegen Tierrechts- und Umweltschutzbewegungen gerichtete Repression recherchiert und engagiert sich für die Verteidigung der massiv in die Defensive geratenen Bürgerechte in den USA. Seine Artikel zu diesem Themenkreis wurden unter anderem in der Chicago Tribune, der Huffington Post und dem Vermont Law Review veröffentlicht, und auf seinen zahlreichen Vorträgen sprach er unter anderem vor der Anwälteorganisation New York City Bar Association und der Yale Law School. 2006 trat er als Sachverständiger bei einer Anhörung im US-Kongreß zum Animal Enterprise Terrorism Act auf. Zu Beginn seiner zweiwöchigen Reise zur Vorstellung seines 2011 erschienen Buches "Green Is The New Red: An Insider's Account of a Social Movement Under Siege" besuchte er Hamburg, wo er dem Schattenblick vor seinem von der Assoziation Dämmerung [1] veranstalteten Vortrag einige Fragen beantwortete.

Schattenblick: Seit wir uns das letzte Mal begegnet sind [2], gab es einige Entwicklungen wie den National Defense Authorisation Act (NDAA) und die weitere Militarisierung der Anti-Terror-Maßnahmen. Wie beurteilst du das in Bezug auf die Repression gegen sozialökologische Bewegungen?

Will Potter: Ich denke, die Ausbreitung des Terrorismus-Begriffs und der Einsatz dieses Mittels gegen US-Bürger, muslimische Immigranten und viele andere Menschen sind Teil des gleichen Problems. Die Gefährlichkeit des National Defense Authorisation Acts besteht darin, daß er die politischen Maßgaben der Bush-Administration, die außerhalb des Gesetzes standen, legalisiert und zu Standardverfahren macht. Das Gesetz selbst ist nicht neu, wurde nun jedoch endgültig festgeschrieben. Daher handelt es sich beim NDAA um die Kodifizierung der Antiterror-Politik der Bush-Regierung.

SB: Seit dem Beginn der Occupy-Bewegung im September letzten Jahres hat in den Vereinigten Staaten ein sozialer Umbruch stattgefunden, wie er seit dem Vietnam-Krieg nicht mehr zu beobachten war. Die Menschen machen die sozialen Bedingungen, die sie ansonsten passiv erleiden, zu ihrem Problem und kommen in Bewegung. Siehst du eine Verbindung zwischen dem Ausbau staatlicher Repression und dieser Entwicklung?

WP: Absolut. Einer der Hauptgründe, warum ich mich in meiner Arbeit so sehr auf die staatliche Repression gegen die Tier- und Umweltschutz-Bewegung konzentriere, ist, daß die gegen sie verwendeten Taktiken ohne weiteres auf jede andere soziale Bewegung übertragen werden können. Genau das erleben wir im Augenblick bei der Occupy-Bewegung, die noch sehr jung, aber in unglaublich kurzer Zeit, wie wir auch anhand der internationalen Berichterstattung sehen können, sehr kraftvoll geworden ist. Es zeigt sich, daß die gleichen Greenscare-Taktiken gegen diese Bewegung eingesetzt werden wie zum Beispiel die Überwachung und das Aufstellen von Fallen durch das FBI, die Bedrohung von Aktivisten und die zunehmende Brutalität und Militarisierung der Polizeikräfte bei den Protesten. Allein im letzten Monat wurden in zwei Fällen Aktivistengruppen aus der Occupy-Bewegung unter dem Vorwurf des Terrorismus verhaftet, angeblich wegen der Planung eines Terroranschlags bei einer Demonstration. Tatsächlich hat das FBI diese Gruppen überwacht und infiltriert. Man hat versucht, sie zu illegalen Handlungen zu verleiten. Es war unverhohlene Provokation, und in dem Moment, als jemand etwas Unüberlegtes sagte, etwa eine militante Rede hielt, wurden sie als Terroristen verhaftet. Auf diese Weise produziert die Regierung Terroristen.

SB: Das scheint eine Standardmaßnahme der US-Sicherheitsbehörden zu sein. So sind in den letzten Jahren viele Fälle bekanntgeworden, in denen vor allem junge Muslime von Undercoveragenten oder Informanten des FBI zu kriminellen Handlungen getrieben wurden.

WP: So ist es. Ich habe gerade letzte Woche mit einem ehemaligen FBI-Agenten darüber gesprochen, wie diese Strategie entstanden ist. Er sagte, daß sie in erster Linie gegen die in den USA dämonisierten Muslime während des Anti-Terror-Kriegs entwickelt wurde. Die US-Regierung hat dem FBI die Vollmacht dazu erteilt. Und man war damit erfolgreich, es kam zu Festnahmen und Verurteilungen. Daraufhin wandten auch andere Abteilungen innerhalb des FBI die gleichen Taktiken gegen Umweltschützer, Occupy und anarchistische Bewegungen an. Nun sind sie extrem verbreitet. Der Agent erzählte mir, daß sie inzwischen zum festen Repertoire der FBI-Arbeit gehören.

SB: Das FBI produziert damit die Art von Kriminalität, vor der sie die Gesellschaft zu schützen beansprucht. In Deutschland geht die Rechnung auf jeden Fall auf. Wenn die Sicherheitsorgane erfolgreich sind, haben sie einen Grund zum Ausbau ihrer Strukturen, und wenn sie nicht erfolgreich sind, haben sie ebenfalls einen Grund, ihre Befugnisse und Strukturen zu erweitern. Wie verhält es sich damit in den USA?

WP: Das gleiche Modell existiert auch in den Vereinigten Staaten, aber ich möchte noch etwas hinzufügen. Bei Erfolgen oder Fehlschlägen auf nationaler Ebene kann die Regierung behaupten, weil wir so erfolgreich waren, müssen wir mehr Geld investieren. Wenn wir aber nicht erfolgreich waren, müssen wir die Terroristen um so mehr fürchten und ebenfalls Geld investieren. Diese Mentalität trifft man aber auch auf einer persönlichen Ebene bei Menschen an, die an den Ermittlungen beteiligt sind. Indem sie eine terroristische Bedrohung konstruieren, hoffen sie, ihre Karriere voranzubringen. Wenn sie jedoch keinen Erfolg haben, gehen sie zu ihrem Vorgesetzten und verlangen mehr Befugnisse wie etwa das Stellen von Fallen, worüber wir sprachen, um erfolgreich zu sein. So kommt es zu einer Machtausweitung der Strafverfolgungsbehörden im allgemeinen und zur Verschärfung der Ideologie des Kriegs gegen den Terror auf nationaler Ebene.

SB: Die Medien scheinen eine wichtige Rolle beim Schaffen öffentlicher Akzeptanz für repressive Maßnahmen zu spielen. TV-Serien wie der sogenannte National Security Thriller "24" sind in den USA äußerst populär. Wie beurteilst du den Einfluß dieser Art von Propaganda auf die allgemeine Wahrnehmung der Sicherheitsbehörden und die von ihnen ausgehende Brutalität?

WP: Darin zeigt sich meines Erachtens, welche Alltäglichkeit das bereits angenommen hat. Es ist völlig normal geworden. Kurz nach 9/11 waren Sendungen darüber kontrovers, einzigartig oder einfach anders. Nun wird das Thema in vielen Filmen, Fernsehsendungen, Talkshows, Büchern und Nachrichten behandelt. Ich denke, die Amerikaner sind dadurch völlig desensibilisiert worden, auch hinsichtlich dessen, was auf dem Spiel steht. Nach 9/11 gab es noch viele kontroverse Themen wie den PATRIOT Act oder Guantanamo, an die man sich längst gewöhnt hat. Auch der National Defense Authorisation Act ist das Spiegelbild einer Entwicklung, die inzwischen zur offiziellen Regierungsdoktrin erklärt wurde. Und die meisten Amerikaner denken darüber nicht einmal mehr nach.

SB: Auf der anderen Seite stehen die Occupy-Bewegung und das Anwachsen sozialen Bewußtseins unter den US-Bürgern. So sind ganz normale Bürger in den Occupy-Camps auf Langzeit-Aktivisten getroffen und haben neue Möglichkeiten, für ihre Interessen einzutreten, kennengelernt. Wie beurteilst du die Chance eines davon ausgehenden gesellschaftlichen Wandels?

WP: Selbst in den letzten Monaten hat es kleine Veränderungen gegeben. Noch vor kurzem gab es nicht die geringste Diskussion über das Mißverhältnis in der Verteilung von Besitz zwischen den extrem Reichen und extrem Armen. Heute ist es Teil des öffentlichen Bewußtseins geworden, daß wir zu den 99% gehören. Die Leute bekommen eine Vorstellung davon, welche Macht die Konzerne in unserer Demokratie ausüben. Über diese Dinge wurde auf CNN, Fox News und MSNBC diskutiert. Ich kann nicht genug betonen, wie radikal dieser Wechsel ist, den wir beobachten, selbst wenn die Berichterstattung nicht immer positiv ausfällt. Allein, daß Menschen die Frage stellen, ob der Kapitalismus kompatibel ist mit dem Verständnis von Gleichheit und Fairness in der Gesellschaft, ist erstaunlich. Was sich in den letzten Monaten alles ereignet hat, ist in meinen Augen ein phänomenaler Erfolg.

Will Potter - Foto: © 2012 by Schattenblick

Soziale Bewegungen im Umbruch
Foto: © 2012 by Schattenblick

Aber die Occupy-Aktivisten gehen noch weiter. Sie mischen sich ein, wenn Menschen ihre Wohnungen durch Zwangsräumungen verlieren, und bilden Blockaden gegen die Polizei, um die Räumungen zu verhindern. Sie vereinen darin eine radikale Ideologie mit eine recht radikalen Taktik. Es ist direkte Aktion mit großer öffentlicher Unterstützung. Ich glaube nicht, daß man irgend jemanden in den USA finden wird, der so etwas erleben und dann von sich sagen würde, daß er die Banken unterstützt. Ich denke, die Herausforderung für die Zukunft besteht darin, wie wir das Ganze auf die nächste Ebene bringen. In diesem Sinne wird unterschätzt, wie frustriert und wütend die Amerikaner tatsächlich über die Macht der Banken und Unternehmen sind. Vielleicht sind sie persönlich betroffen oder müssen mitansehen, wie einem Freund das Haus weggenommen wird, aber es ist noch keine grundsätzliche Kritik in Verbindung mit anderen Problemen. Im Laufe des nächsten Jahres wird die Occupy-Bewegung den Menschen dabei helfen, diese Puzzlestücke zusammenzusetzen und zu erkennen, daß es um das gesamte Machtsystem und nicht nur um die Leute, die ihr Haus verlieren, oder die Rettungsaktion für die Bank of America geht.

SB: In der Linken in Deutschland gibt es eine ambivalente Haltung zur Occupy-Bewegung. Manche sagen, sie kann etwas erreichen, andere halten sie für zu reaktionär. Wie siehst du die Entwicklung des sozialen Protests in den USA, der vielleicht mehr von der Grassroots-Ebene ausgeht und weniger in Parteien verankert ist als hierzulande?

WP: Die Occupy-Bewegung hat dem von der Demokratischen Partei ausgehenden Druck widerstanden, sich großen nationalen Organisationen wie MoveOn.Org unterzuordnen. Nachdem Occupy an Bedeutung gewonnen hat, versuchen sie, die Bewegung zu vereinnahmen und sich ihren Erfolg auf die eigene Fahne zu schreiben. Daß Occupy dies komplett verweigert hat, demonstriert ein nicht geringes Maß an Reife. Zudem weigern sich ihre Aktivisten beharrlich, sich programmatisch festzulegen. Die Mainstream-Presse in den USA fragt in jedem Interview, worin genau ihre Forderungen bestehen, um sie in die gleiche Ecke wie Demokraten oder Sozialisten stellen zu können, aber Occupy läßt sich nicht darauf ein. Ich glaube, im Ausland wird das von manchen mißverstanden als Mangel an konkreter Planung, aber ich sehe das überhaupt nicht so. Niemand weiß genau, wo es hingeht, und die Bewegung verschafft sich damit breite öffentliche Unterstützung. Für mich ist das die richtige Entscheidung, denn Occupy wird dadurch nicht in ein politisches Dogma hineingezogen, sondern baut eine breite Bewegung auf.

SB: Es wäre in der Tat widersinnig, Aktivisten einer Partei zuzuordnen, da die USA ein Zwei-Parteien-System besitzt und eine dritte Partei nie eine Chance hatte. Vielleicht ist das ein wesentlicher Unterschied zu dem System, das wir in Deutschland haben, denn hier kann man als kleine Partei durchaus ins Parlament gelangen, was in den USA zumindest auf nationaler Ebene nicht möglich ist.

WP: Ich denke, das ist der Schlüssel, um diesen Unterschied zu verstehen. Es gibt ein weitverbreitetes Gefühl in den USA, speziell auch in der Occupy-Bewegung, daß das gesamte politische System korrupt ist. Demokraten und Republikaner werden von Progressiven und insbesondere der radikalen Linken als Teile einer Partei angesehen. Sie handeln zum Vorteil wirtschaftlicher Interessen. Beide sind für Krieg, für Militarisierung und Imperialismus. In zentralen Fragen liegen sie sehr dicht beieinander. Der Grund, warum sich die Occupy-Bewegung weigert, sich einer Parteistruktur anzupassen, liegt darin, daß ein Drei-Parteien-System seit dem frühen 20. Jahrhundert, als es eine starke Sozialistische Partei gab, nicht funktioniert hat.

SB: Gibt es eine Verbindung zwischen den radikalen ökologischen Bewegungen und dieser Art von sozialem Protest?

WP: Durch das rapide Wachstum von Occupy sind Umwelt-Bewegungen im nationalen Bewußtsein so gegenwärtig wie nie zuvor. Sie treffen an wichtigen Punkten zusammen. In Kalifornien gibt es beispielsweise ein Projekt namens Occupy the Farm, bei dem Aktivisten unbenutztes öffentliches Land besetzen und in Community Farms für alle verwandeln. Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie die Menschen diese Themen miteinander verbinden, weil sie sich sagen, die Konzerne machen Millionen mit ungesunder Nahrung, das sind einige Dinge, mit denen wir anfangen können.

SB: Bereits in den Theorien von Murray Bookchin [3] findet man solche Konzepte, die jedoch nur sehr bedingt Breitenwirkung entfachten. Denkst du, daß die Zeit dazu nun reif sein könnte?

WP: Auf jeden Fall. Das Beispiel von Bookchin paßt gut, denn die anarchistische Bewegung hat einen großen Einfluß auf Occupy. Nicht immer direkt, aber doch in der Art, wie Occupy aufgebaut ist. Es hat keine Hierarchie und gründet sich sehr auf den basisdemokratischen Konsens. Jeder hat eine Stimme, es gibt keinen Präsidenten und in dem Sinne auch keine Struktur. Es ist außerdem in kleine Gruppen aufgeteilt. Das in Kombination mit vielen anarchistischen Denkern wie Bookchin, die ökologische Ideale vertreten, macht den großen Einfluß der Occupy-Bewegung aus. Das gilt auch für den Versuch, ökologische Probleme im Sinne der Selbstermächtigung anzugehen, anstatt auf die Straße zu gehen und vor der Zentrale von ExxonMobil zu demonstrieren. Es gibt Versuche, diese Werte in unserem Leben und unserer Gesellschaft zu verankern, indem gemeinschaftliche Landwirtschaft betrieben wird oder alternative Transportmethoden erprobt werden. In anderen Worten - die anarchistische Betonung der Direkten Aktion und das Persönliche als politisch zu begreifen spielt ebenso eine große Rolle.

SB: Unter den liberalen Eliten der Ost- und Westküste liegt eine ökologisch bewußte Lebensweise durchaus im Trend, wie Hollywoodstars beweisen, die Elektro-Autos fahren und einen veganen Lifestyle propagieren. Gibt es eine Verbindung zwischen der Film- und Kulturindustrie und veganem Aktivismus?

WP: Die Medien haben häufig doppelte Standards, wenn es um die Kulturindustrie und politische Themen geht. Oprah Winfrey hatte eine große Show über Veganismus. Ellen DeGeneres und Bill Clinton leben vegan. Wenn dies in den Nachrichten kommt, wird breit darüber diskutiert. Aber wenn es um politischen Aktivismus geht, über das, was Menschen konkret tun, welche Taktiken sie nutzen und welche Ziele sie haben, wird kaum darüber berichtet. Ich sage damit nicht, daß die Berichterstattung über Prominente schlecht ist, aber es geht dort vorrangig um Gesundheitsthemen und weniger um die ganze Breite ökologischer Probleme. Man muß allerdings auch sagen, daß Umwelt-Organisationen Untersuchungen in Schlachthöfen und Fabrikfarmen durchgeführt haben, die in einem bisher nicht gekannten Ausmaß für Schlagzeilen sorgen. Es scheint, als gäbe es jeden Monat eine neue große Untersuchung. Nach und nach arbeiten sich diese Themen in eine landesweit geführte Debatte vor.

SB: Im letzten Gespräch mit dem SB hat du über den großen Einfluß der Tierversuchs- und Fleischindustrie in den USA berichtet. Wie verhält es sich mit deren Einfluß auf die öffentliche Debatte im Vergleich zu dem von Tierbefreiern und veganen Aktivisten?

WP: Das ist eine schwierige Frage, weil es sehr verschiedene Arten von Einfluß gibt. Es ist nicht abzustreiten, daß die Konzerne mit ihrer Macht übergroßen Einfluß auf jede Art von politischem Diskurs in den USA haben. Aber in den letzten Jahren hat die Tierrechtsbewegung dafür gesorgt, daß vegane Werte immer mehr Einfluß auf jeden Bereich der Kultur bekommen. Es gibt also einen kulturellen Wandel, der zwar noch nicht in der Lage ist, die Macht der Konzerne herauszufordern, aber er legt den Grund für sehr viele positive Veränderungen.

SB: Einer der Hauptgründe dafür, daß radikale ökologische Organisationen als Terroristen verfolgt werden, besteht in ihrer Opposition zu einer technologischen Entwicklung, deren kapitalgetriebener Charakter keine Rücksicht auf andere Ziele als die des Profitmachens nimmt. Sind die Beweggründe für diese Repression deiner Ansicht nach vorrangig finanzieller Art, oder handelt es sich eher um einen fundamentaleren Konflikt, hervorgerufen zum Beispiel durch einen Öko-Anarchisten wie Ted Kaczynski, der jegliche technologische Entwicklung komplett ablehnte?

WP: Ich denke, beides trifft zu, aber in der Hauptsache wird es durch Profitinteressen angetrieben. Das läßt sich bis zur Entstehung des Wortes "Ökoterrorismus" unter maßgeblicher Beteiligung dieser Industrien zurückverfolgen, das spiegelt sich in den Gesetzen, die diese Industrien vorangetrieben haben und darin, wie diesbetreffende Anhörungen im Kongreß verlaufen und wie das FBI agiert. Der Schutz wirtschaftlicher Profite ist sicherlich der Schlüssel, aber das allein reicht nicht aus, um die Feindseligkeit vollständig zu verstehen, die von diesen Personen ausgeht. Es ist auch Teil eines kulturellen Krieges, wie ich es nennen würde, denn viele der Ideologen, die sich dieses Themas annehmen, verstehen den amerikanischen Kapitalismus und das Erwirtschaften von Unternehmensprofiten als unverkennbaren Ausdruck des American Way of Life.

Und diese Ansicht setzt sich auch im christlichen Fundamentalismus fort, der die Begründung für die Beherrschung des Planeten und aller Tiere liefert. Das ist ein sehr am christlichen Fundamentalismus des amerikanischen Heartlands orientierter Standpunkt. Es kommt darauf an, welche Gruppe man betrachtet. Einige streben nach wirtschaftlichen Profiten, andere sind wirklich vom christlichen Fundamentalismus getrieben. Gemeinsam ist ihnen der Standpunkt, daß Umweltschützer und Veganer die amerikanische Zivilisation, wie sie sie kennen, zu zerstören versuchen. Manche Leute sind mit meiner Analyse nicht einverstanden und meinen, daß diese Leute lediglich wütend seien oder ähnliches, doch sie glauben wirklich, was sie tun.

Es ist wie in der Zeit des Red Scare, als man Angst hatte, die sogenannten Kommunisten könnten Staatsgeheimnisse stehlen und die Regierung infiltrieren. Aber die wahre Bedrohung des Red Scare war kultureller Art. Das FBI dachte wirklich, die Staatsfeinde bedrohten den American Way of Life. Selbst wenn sie keine Regierungsbeamten ausspionierten, war ihre bloße Existenz als Staatsfeind eine Gefahr für den amerikanischen Lebensstil. Ich glaube, genau das Gleiche passiert jetzt wieder. Es hat niemals richtig aufgehört, nur waren die Gruppen, gegen die sich dieser Vorwurf richtete, von verschiedener Art.

SB: Sind die radikalen ökologischen Bewegungen in den USA von vornherein antikapitalistisch eingestellt und gibt es eine Zusammenarbeit zwischen ihnen und der eher gemäßigten Linken?

WP: Die Regierung wertet sie eindeutig als antikapitalistisch. In den sozialen Bewegungen der USA gibt es durchaus eine antikapitalistische Linke. Der Großteil der Linken ist aber nicht explizit antikapitalistisch wie vielleicht in Deutschland und vielen anderen Ländern. Es hilft zu verstehen, daß in der antikapitalistischen Linken ein grundsätzliches Verständnis für Umweltprobleme existiert. Aber es ist schwierig zu beurteilen, wie das von der Hauptströmung der Linken gesehen wird. Ich denke nicht, daß sich in den USA ein Linker finden wird, der offen zugibt, kein Umweltschützer zu sein oder kein Interesse an Tierrechten zu haben, aber das bedeutet nicht, daß damit auch der Ruf nach einer radikalen politischen Veränderung, ob sie nun auf einer antikapitalistischen oder tiefenökologischen Analyse beruht, verbunden ist. Diese Frage wird zur Zeit in der Bewegung stark diskutiert. Wenn sich jeder als Umweltschützer bezeichnet, wird die wahre Bedeutung des Wortes verwässert und die Bewegung durch seine Inanspruchnahme geschwächt. Das ist meiner Ansicht nach ein wichtiger Punkt auf dem weiteren Weg der ökologischen Bewegung.

Will Potter - Foto: © 2012 by Schattenblick

Tierrechte für die Zukunft linker Politik unentbehrlich
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Hältst du es persönlich für sinnvoll, wenn sich Linke für den Gedanken der Tierbefreiung oder Tierrechte öffnen?

WP: Ich halte es sogar für unerläßlich. Während meiner Recherche konnte ich in Erfahrung bringen, daß dies einer der Gründe ist, warum die Regierung die Tierrechtsbewegung als spezifische Bedrohung auffaßt. Sie sehen sie teilweise abgekoppelt von der breiten Strömung der Linken und waren daher in der Lage, Strategien zu entwickeln, die sie nachhaltig stören. Ich denke allerdings, es wäre eine große Stärke, nicht nur für die Tierrechtsbewegung, sondern insbesondere für die Linke, diese Werte zusammenzuführen. Ich habe noch keinen Aktivisten der Tierrechtsbewegung getroffen, der nicht eine allgemeine Kritik am Kapitalismus, Imperialismus, Rassismus und all den Fragen übt, die die Linke im wesentlichen ausmachen. Allerdings sehe ich viele Menschen in der Linken, die sich nicht für Tierrechtsfragen oder ernsthafte ökologische Probleme engagieren. Betrachtet man die Geschichte der Linken in den USA, so erkennt man, daß es einen anhaltenden Druck gab, den eigenen Horizont zu erweitern. So wurde in den 60ern darauf gedrängt, die Menschenrechte in die linke Bewegung aufzunehmen. Sie waren nicht immer Teil der etablierten Linken in den USA gewesen. Ohne Zweifel geht von Tierrechten und Umweltschutzfragen ein äußerer Druck aus, dem sich die Linke in den USA stellen muß.

SB: Was hast du in deinen Recherchen über die internationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden herausgefunden? In Europa haben die grenzüberschreitenden Aktivitäten des englischen Polizeispitzels Mark Kennedy Aufsehen erregt. Welche Entwicklungen beobachtest du in diesem Bereich?

WP: Ich kenne viele andere Beispiele. Der Fall der österreichischen Aktivisten [4] war nahezu identisch mit einem Fall in den USA, und dadurch haben die österreichischen Aktivisten begriffen, daß die amerikanischen und britischen Strafverfolgungsbehörden die österreichischen Behörden über ihre angeblich illegalen Aktivitäten informiert hatten. In diesem Bereich gibt es ein breites Feld der Kooperation. Die Linke hat historisch immer von staatlicher Repression gesprochen. Ich glaube, daß wir es heute immer weniger mit staatlicher Verfolgung und immer mehr mit Repression durch Unternehmen zu tun haben. Unternehmen sind nicht durch nationale Grenzen beschränkt. Das Kapital ist an keine Staatsgrenzen gebunden. Die Unternehmen versuchen, ihren Profit in der ganzen Welt zu machen und haben daher ein starkes Interesse, in jedem Land Gegenbewegungen zu stoppen. Wenn wir also eine starke Tierrechtsbewegung in Österreich, der Schweiz oder England haben, benutzen die Konzerne die gleichen Strategien gegen sie, die sie auch in den USA oder anderswo benutzt haben. Wir müssen unser Verständnis von staatlicher Repression daher verändern.

SB: Zum besseren Verständnis nachgefragt: glaubst du, daß die über die Institutionen der Polizei und Justiz organisierte Repression von Konzernen beeinflußt wird oder handelt es sich um eine direktere Form der Repression, die von Unternehmen ausgeht?

WP: Ich sehe beides. In den USA gab es Fälle, in denen Konzerne direkte Lobbyarbeit im Kongreß betrieben haben. Sie haben auch in bestimmten Gerichtsverhandlungen direkt Einfluß auf die Geschworenen und Richter genommen, um ihre Interessen durchzusetzen. Wichtiger ist jedoch auf theoretischer Ebene zu verstehen, daß die Trennlinie zwischen den Konzernen und dem Staat weltweit nicht mehr existiert. Ob sie sich mit dem Präsidenten der USA treffen oder nicht, spielt keine Rolle, denn die Macht der Konzerne manifestiert sich auf vielerlei Arten. Ich denke, der Staat dient nur als Mittelsmann der Konzernmacht. Die Konzerne benutzen die Regierungen, um ihre Bestrebungen umzusetzen. Manchmal stellen sie ihre Forderungen direkt, und manchmal müssen sie nicht einmal mehr das tun, weil ihre Macht bekannt ist.

SB: Ist deine Kritik eher antikapitalistisch ausgerichtet, also am systemischen Kriterium der Wertproduktion orientiert, oder richtet sie sich eher gegen den institutionellen Charakter dieser Unternehmen?

WP: Sie ist definitiv antikapitalistisch. Ich denke nicht, daß es darum geht, die Probleme bestimmter Regierungen oder Konzerne zu adressieren. Es ist ein systemisches Problem. So macht es keinen Sinn, über bescheidene Reformen in den Unternehmen zu sprechen, wenn das gesamte System so eingerichtet ist.

SB: Will, vielen Dank für das lange Gespräch.

(Aus dem Englischen von der Schattenblick-Redaktion)


Fußnoten:

[1] http://www.assoziation-daemmerung.de/tour/

[2] Will Potter auf dem Antirepressionskongreß 2010 in Hamburg siehe:
http//www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prber042.html
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0052.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0105.html

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prber046.html
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0058.html
http://www.schattenblick.de/infopool/redaktio/report/rrwg03.html

FBI-Dokument zu Will Potters Buch - Foto: 2012 by Schattenblick

Manchmal muß das Auge des Staates auch lesen ...
Foto: 2012 by Schattenblick

18. Juni 2012