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INTERVIEW/229: Weggenossen unverdrossen - Wo ich auch stehe ... Konstantin Wecker im Gespräch (SB)


"Es geht ums Tun und nicht ums Siegen ..."

Interview am 28. Juni 2014 auf dem UZ-Pressefest in Dortmund



Einführende Worte über Leben und Werk Konstantin Weckers zu verlieren, hieße in diesem Zusammenhang wohl, Eulen nach Athen zu tragen. Hervorzuheben bleibt indessen doch, daß sich der Münchner Musiker, Liedermacher, Komponist, Autor und Schauspieler wie eh und je ohne Berührungsängste zur politischen Linken bekennt und sie mit seinen Liedern und Auftritten unterstützt. Nur wer sich ändert, bleibt sich treu - dieses wetterwendische Motto opportunistischen Wankelmuts ist seine Sache nicht.

Auf dem 18. UZ-Pressefest in Dortmund gehörte der als "Widerstandskonzert" angekündigte Auftritt "Gegen Krieg und Krise - Gemeinsam gegen Rechts!" am Samstagabend mit den Rappern der Microphone Mafia, der fast 90 Jahre alten Esther Bejarano und Konstantin Wecker fraglos zu den Höhepunkten des gesamten Wochenendes im Revierpark Wischlingen.

Ungeachtet seiner ersten Reaktion, er gebe nach einem Konzert und ein, zwei Gläschen Wein eigentlich nie ein Interview, erklärte sich Konstantin Wecker zwischen Autogrammwünschen und Gesprächen mit Freunden dann aber doch zugewandt bereit, dem Schattenblick einige Fragen zum Aussterben politischer Liedermacher, einem Brückenschlag zur jüngeren Generation und den Gründen, warum er auch in schwierigen Zeiten wie diesen nicht verzweifelt, zu beantworten.

Beim Konzert auf der Bühne - Foto: © 2014 by Schattenblick

Konstantin Wecker
Foto: © 2014 by Schattenblick


Schattenblick: Du trittst bereits seit mehreren Jahren bei den UZ-Pressefesten auf und bist unter anderem auch ein politischer Liedermacher. Gehörst du in dieser Hinsicht in Deutschland einer aussterbenden Generation an?

Konstantin Wecker: Ich fürchte (lacht). Nein, es stimmt nicht ganz. In meinem Label [1] habe ich jetzt vier junge Künstlerinnen und Künstler unter Vertrag - ein häßliches Wort - die eben in diesem Label singen und die ich fördern möchte. Es sind junge Liedermacher mit deutschen Texten, und alle sind - das war unsere Grundbedingung - revolutionsbereit. Jeder macht es natürlich auf seine eigene Art und Weise - ein junges Mädchen von 25 Jahren, die Straßensängerin Cynthia, dann ist Prinz Chaos II. mit dabei -, jeder hat ein politisches Bewußtsein [2]. Es ist also nicht so, daß das politische Lied ausstirbt.

Meine Generation stirbt natürlich irgendwann aus, das ist gar keine Frage, und vielleicht auch die Art und Weise, wie wir das machen. Aber es gibt schon Junge, die sich ihrerseits in der Tradition sehen. Was man natürlich einräumen muß, ist folgendes: Mein vierzehnjähriger Sohn, der jetzt der SDAJ nahesteht, erzählte mir neulich, er habe mit jungen Genossinnen und Genossen gesprochen, die das Wort "Liedermacher" gar nicht mehr kannten. Selbst dieses Wort stirbt schon aus!

SB: Glaubst du, daß mit der Erinnerung daran buchstäblich eine ganze Tradition aussterben könnte, wenn es nicht gelingt, eine Brücke zu schlagen?

KW: Es wird alles aussterben, wenn der Neoliberalismus weiter sein schreckliches Unwesen treibt. Denn dann wird alles, was auch nur den Ansatz von etwas Interessantem aufweist, sofort vermarktet. Man kann also wirklich im Sinne Adornos sagen, daß dieses System mittlerweile - das konnte sich Adorno noch gar nicht vorstellen, was inzwischen aus dem Kapitalismus geworden ist -, alles verschlingt. Das ist die große Gefahr.

Man kann es auch jungen Menschen gar nicht übelnehmen, wenn sie Talent haben und auf die Bühne rauswollen, da sie die Chance wittern, vielleicht schnell berühmt zu werden und ein großes Publikum zu haben. Da gehört schon sehr viel Bewußtsein dazu, ein bestimmtes politisches Bewußtsein, dem zu widerstehen, denn heutzutage ist man ja als politischer Sänger ein regelrechter Außenseiter. Auch ein junger politischer Sänger ist ein Außenseiter. Wir damals, das muß man schon sagen, in den 70er Jahren, hatten einfach andere Voraussetzungen. Damals war es ja fast in, politisch zu sein. Da war es schon ein bißchen leichter.

SB: Das war eine Zeit, in der man denken mochte, die Revolution stehe vor der Tür. Aus diesem Lebensgefühl heraus stritt man nicht selten darüber, ob sie schon morgen oder erst übermorgen kommen werde. Inzwischen bricht sich mit wachsender Geschwindigkeit eine gegenteilige Entwicklung bahn. Die Krise spitzt sich zu, und in aller Offenheit werden Kriegsvorbereitungen betrieben. Wie erlebst du diese erschreckende Verengung der Verhältnisse?

KW: Es ist insofern erschreckend, als wir immer deutlicher sehen, wenn man nur ein bißchen Bewußtsein dafür hat und sich informiert, daß die Politik de facto nichts mehr zu sagen hat. Alles wird der Ökonomie untergeordnet, einer totalitären Ökonomie. Wir sind durchökonomisiert. Und wenn man die ungeheure Wucht und Kraft der Lobbyisten bedenkt, die auf die Politiker nicht nur einreden, sondern ihnen sogar teilweise die Gesetze vorschreiben, dann muß ich sagen, ist es nicht nur beunruhigend, sondern eigentlich so, daß man verzweifeln müßte.

SB: Aber du verzweifelst offensichtlich nicht.

KW: Nein, ich verzweifle nicht, weil ich großes Glück habe. Ich erlebe Abende wie diesen hier und merke immer wieder, daß Hunderte oder manchmal Tausende von Menschen die gleiche Sehnsucht haben. Wenn ich das nicht hätte, wenn ich, was weiß ich, mit meinen Gedanken irgendwo allein in irgendeinem Job eingesperrt säße, wo ich kaum Gesinnungsgenossen finde, dann könnte es schon sein, daß man aufgibt.

SB: Wenn du einen Blick zurückwirfst auf frühere Weggefährten, die einst linke Liedermacher waren, aber es heute nicht mehr sind - was empfindest du da?

KW: Na ja, da gibt's ja ein berühmtes Beispiel dafür (lacht), über den brauchen wir jetzt nicht zu reden. Andere wie mein Freund Hannes, der ist ja ein sehr aufrechter Mann geblieben in jeder Hinsicht. Und Degenhardt wäre es auch noch, wenn er nicht gestorben wäre. Das Problem ist, daß wir einfach altersgemäß aussterben.

SB: Könntest du dir vorstellen, daß mit den traditionellen politischen Liedermachern zunächst ihr Werk unwiederbringlich zu verschwinden scheint, jedoch eine jüngere Generation die alten Meister für sich und andere wiederentdeckt?

KW: Manchmal habe ich dieses Gefühl und das finde ich auch sehr schön an meinen jungen Künstlern, die in der Zusammenarbeit in unserem Label schon etwas mit mir und mit meinen Liedern verbindet. Ich habe sie, das muß man ehrlich sagen, auch danach ausgewählt, weil es ja keinen Sinn hat, wenn ich mit Leuten zusammenarbeite, die mit mir überhaupt nichts anfangen können. Die sagen auch, daß meine Lieder für sie zum Teil ein Vorbild waren, an dem sie sich auf jeden Fall abgearbeitet haben. Das gibt es sicher. Aber das ist natürlich schon ein verschwindend kleiner Prozentsatz. Das ist keine Frage.

Es wird etwas ganz Neues kommen. Ich bin eigentlich guter Dinge, weil ich glaube, daß sich das System im Moment selbst auffrißt. Die Gefahr dabei ist allerdings, daß es in einem riesigen Chaos endet, in einem schrecklichen Sturz - wahrscheinlich ist ökonomisch gesehen ein Krieg wieder notwendig. Diejenigen, die nur an die Ökonomie denken, brauchen einen, damit sie wieder neue Wirtschafts- und Aufbauhilfe leisten können, das kennen wir ja. Man hat seinen Marx gelesen, und das erschreckt natürlich jeden von uns sehr, der sich da ein bißchen auskennt.

Die Frage ist, wie können wir standhaft bleiben und nicht verzweifeln oder zum Zyniker werden. Da ist für mich mein Motto geworden, was ich einmal für die Weiße Rose geschrieben habe: Es geht ums Tun und nicht ums Siegen! Für mich ist das immer ein wunderbares Vorbild: Die Geschwister Scholl haben Hitler nicht verhindert, sie haben den Krieg nicht verhindert, sie haben nichts verhindern können. Und trotzdem sind sie unglaublich wichtig und haben wahnsinnig viel erreicht.

SB: Konstantin, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:

[1] "Sturm & Klang"
http://www.dermusikjournalist.de/2013/282-labelpraesentation-sturm-klang.html

[2] Cynthia Nickschas, Prinz Chaos II., Dominik Plangger, Roger Stein


Bisherige Beiträge zum 18. UZ-Pressefest in Dortmund im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

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