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INTERVIEW/244: NYC Climate Convergence - Das Wagenburg-Dilemma ...    William Hartung im Gespräch (SB)


Gehen die USA am Streben nach Full Spectrum Dominance zugrunde?

Interview mit William Hartung am 24. September 2014 in New York



William Hartung gehört zu den führenden Militär- und Rüstungsexperten der USA. Bei der Denkfabrik Center for International Policy (CIP), die Büros in Washington und New York unterhält und die 1975 in Reaktion auf den Vietnamkrieg mit dem Ziel des Eintretens für Diplomatie, internationale Zusammenarbeit und Menschenrechte und gegen den Militarismus gegründet wurde, leitet Hartung das Arms and Security Project. Er hat mehrere Bücher über den militärisch-industriellen Komplex der USA geschrieben, und seine Artikel und Gastkommentare sind unter anderem bei dem Bulletin of Atomic Scientists, der New York Times, der Washington Post, der Los Angeles Times sowie den beiden linksliberalen Zeitschriften The Nation und Mother Jones erschienen. Er tritt häufig im US-Fernsehen zu Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik als Analytiker auf. Auf der NYC Climate Convergence moderierte Hartung am 20. September den Workshop "Climate Change and Militarism: Following the Money and Understanding the Costs". Vier Tage später stellte sich der New Yorker dem Schattenblick für das folgende Interview zur Verfügung:

William Hartung hinter dem Stehpult - Foto: © 2014 by Schattenblick

William Hartung in seiner Funktion als Moderator auf der NYC Climate Convergence
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: 2002 hat das Office of National Assessment (ONA) im US-Verteidigungsministerium unter der Leitung des großen Strategiegurus des Pentagons Andrew Marshall die 85seitige Studie "Military Advantage in History" erstellt. Darin wurde die Situation der USA seit dem Ende des kalten Krieges mit den vier großen Imperialreichen der Geschichte - Alexander der Große, Rom, der Mongolenführer Dschingis Khan und das Frankreich Napoleons - verglichen, woraus man vermeintliche Rückschlüsse auf die Möglichkeit der Durchsetzung und Haltbarkeit einer amerikanischen Welthegemonie zog. Im Auftrag der linken US-Zeitschrift Mother Jones haben Sie damals die ONA-Studie analysiert und sind zu folgendem Ergebnis gekommen: "Die Anmaßung, daß die USA, sozusagen mit dem Schwert in der Hand, für die absehbare Zukunft über die ganze Welt herrschen soll, ist keine Grundlage einer gerechten und ausgewogenen Außenpolitik." Bereits 2000 hatte das Pentagon im Strategiepapier mit dem Titel "Joint Vision 2020" als Ziel die "Full Spectrum Dominance" anvisiert. Bleibt fast 15 Jahre später, nach schweren und verlustreichen Kriegen in Afghanistan und im Irak, die militärische Überlegenheit zu Lande, zu Wasser und in der Luft, im erdnahen Weltraum sowie im Cyberspace oberstes Gebot für die US-Generalität?

William Hartung: Ich denke schon. Das Problem dabei ist, daß diese Ambitionen die USA dazu verleiten, immer wieder mit militärischen Mitteln, die dafür vollkommen ungeeignet sind, Probleme lösen zu wollen. Die USA sind derzeit mit Abstand die stärkste Militärmacht auf Erden. Sie verfügen über Waffensysteme und militärisches Know-how in einem solch ungeheuren Ausmaß, daß es bei fast jeder Krise der erste Impuls Washingtons ist, auf die Kapazitäten der Streitkräfte zurückzugreifen. Das aktuelle Vorgehen gegen die Gotteskrieger vom Islamischen Staat (IS) ist ein Paradebeispiel dieses Phänomens. Jeder weiß, daß das Problem IS das Resultat der Schwächung der staatlichen Institutionen im Irak und in Syrien bei gleichzeitigem Aufflammen des sunnitisch-schiitischen Konfliktes ist, wofür die USA und ihre Verbündeten zum guten Teil verantwortlich sind. Statt diese Ursachen etwa diplomatisch durch die Herbeiführung einer Versöhnung zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran und politisch durch einen interkonfessionellen Friedensprozeß in Syrien und im Irak anzugehen, wird erst einmal bombardiert und eine großangelegte Waffenschau für die Fernsehzuschauer daheim in den USA sowie in aller Welt inszeniert. Daß die Luftangriffe den IS in die Knie zwingen werden, ist stark zu bezweifeln. Es besteht vielmehr die Gefahr, daß sie ähnlich den CIA-Drohnenangriffen in Pakistan und im Jemen durch die Tötung unschuldiger Zivilisten noch mehr Menschen in die Arme der Aufständischen treiben werden.

In Afghanistan und im Irak sind die USA auf Schwierigkeiten gestoßen, die sich aus der asymmetrischen Kriegsführung ergeben. Die US-Streitkräfte sind vom Aufbau und der Philosophie her auf die Auseinandersetzung mit einem möglichst großen staatlichen Gegner ausgerichtet, dessen Armee ähnlich wie sie konstituiert ist. Der Kampf gegen irreguläre Konfliktteilnehmer, die aus dem Hinterhalt agieren, keine Uniformen tragen und nur schwer bis gar nicht von der Zivilbevölkerung zu unterscheiden sind, bereitet ihnen erhebliche Probleme. Die Aufstandsbekämpfung in einem fremden Land ist nicht nur enorm aufwendig, sondern fast aussichtslos. Die Erfahrungen, welche die NATO in Afghanistan hat machen müssen, sind ernüchternd. 2001 dachte man in Washington, die USA und ihre Verbündeten würden am Hindukusch zu einem ganz anderen Ergebnis als zwanzig Jahre zuvor die Sowjetunion kommen, was sich als großer Irrtum erwies. Das Resultat ist praktisch dasselbe. Die staatlichen Strukturen, die man aufgebaut hat, stehen auf wackligen Füßen, während die gegnerischen Taliban nach wie vor unbesiegt sind und weite Teile des Landes kontrollieren.

SB: Im vergangenen Juli haben die USA Rußland formell bezichtigt, gegen den Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty, der die Erforschung, den Besitz und die Indienststellung von ballistischen Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometer stark einschränkt, zu verstoßen. Konkret lautet der Vorwurf, die russischen Streitkräfte hätten den Hyperschall-Marschflugkörper P-500 auf die Mittelstreckenrakete Iskander montiert und getestet. Moskau weist den Vorwurf, die im INF-Abkommen getroffenen Vereinbarungen nicht eingehalten zu haben, zurück, verlangt aber seit einiger Zeit eine Revidierung des Vertrages, weil er Rußland angeblich einseitig benachteiligt. Ist der Vorwurf der USA Ihrer Meinung nach begründet, und was sagt uns dieser Disput über den aktuellen Stand der strategischen Rüstungskontrolle?

WH: Was den konkreten Vorwurf betrifft, so kann ich ihn nicht bestätigen, denn ich habe mich mit dem Fall nicht ausgiebig auseinandergesetzt. Ich glaube, daß wir es hier mit unterschiedlichen Auslegungen zu tun haben. In einer bestimmten Konstellation zählt die Verbindung von Marschflugkörper und Iskander-Rakete als Langstreckenwaffe und würde so nicht mehr als Verstoß gegen den INF-Vertrag gelten. Das ist, soweit ich weiß, die Argumentationslinie Moskaus. Die strategischen Streitkräfte Rußlands und der USA führen derlei Tests regelmäßig durch und informieren die jeweils andere Seite laufend darüber. Wegen eines solchen Tests den INF-Vertrag in Frage zu stellen, ist übertrieben und ein Beleg für das angespannte Verhältnis zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml angesichts der Krise in der Ukraine. Meines Erachtens sollte der Test von den Rüstungskontrolleuren beider Seiten in einer unaufgeregten Atmosphäre diskutiert und ausgewertet werden. Nur so läßt sich die Sachlage klären.

Alle Podiumsteilnehmer des Workshops 'Climate Change and Militarism: Following the Money and Understanding the Costs' zusammen - Foto: © 2014 by Schattenblick

William Hartung stellt Michael Klare, Tamara Lorincz, Ellen Powell und Judith LeBlanc vor
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Derzeit werden im Rahmen der NATO Teile des ballistischen Raketenabwehrsystems der USA, auch National Missile Defense (NMD) genannt, in Osteuropa, am Baltikum und am Schwarzen Meer, installiert. Dazu gehören X-Band-Radaranlagen, Raketensilos und Lenkwaffenzerstörer mit dem elektronischen Warn- und Feuerleitsystem Aegis. Jahrelang hieß es, das System richte sich ausschließlich gegen eine postulierte Bedrohung aus dem Iran. Deswegen haben sich die USA stets geweigert, die von Moskau verlangte schriftliche Zusicherung zu geben, daß das System nicht genutzt werde, um Rußlands Zweitschlagkapazität auszuschalten. Mit dem Ausbruch der Ukraine-Krise geben nun NATO-Politiker und -Militärs plötzlich vor, die Nützlichkeit des Raketenabwehrsystems gegen Rußland zu entdecken. Gleichzeitig gibt es namhafte Wissenschaftler, allen voran der Physiker und Raketenexperte Theodore Postol vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), die starke Zweifel an der Funktionsfähigkeit und Realisierbarbeit von NMD vorbringen. Vor diesem Hintergrund die Frage an Sie: Sind Rußlands Ängste vor den Raketenabwehrkapazitäten der NATO begründet oder überzogen?

WH: Ich denke, daß die Russen aus militärischer Sicht vom schlimmstmöglichen Szenario ausgehen müssen. Das heißt, sie müssen annehmen, daß im Ernstfall die NATO-Abfangraketen die russische Zweitschlagkapazität teilweise oder ganz unbrauchbar machen könnten. Das ist brandgefährlich, denn die Möglichkeit eines solchen Szenarios zwingt die militärische und politische Führung in Moskau, stärker in Richtung Erstschlag zu denken. Und das ungeachtet der Tatsache, daß das System seit seiner Konzipierung als Strategic Defense Initiative (SDI) vor mehr dreißig Jahren unter Ronald Reagan, die als "Krieg der Sterne" verspottet wurde, bei den meisten Tests versagt hat. Die wenigen Erfolge fanden unter optimierten Bedingungen statt, die im Kriegsfall nicht zu erwarten wären. Das Hauptproblem hier ist für mich nicht die Raketenabwehr an sich, sondern das fehlende Vertrauen zwischen Rußland und den USA. Ohne entsprechende Garantien seitens des Westens müssen die Russen davon ausgehen, daß das System funktionieren könnte und entsprechende Gegenmaßnahmen für den Ernstfall vorbereiten. Daß ein Wettrüsten im Bereich der Raketentechnologie den jahrelangen Bemühungen um strategische Rüstungskontrolle abträglich ist, versteht sich von selbst.

SB: Vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise streiten in den USA in den letzten Monaten Verteidigungsministerium, Rüstungsindustrie und Kongreß erbittert um eventuelle Kürzungen des Wehretats. In diesem Zusammenhang könnten Sie uns vielleicht erklären, wie sich die Ausgaben für die Overseas Contingency Operations (OCO) zum regulären Haushalt des Pentagons verhalten?

WH: Es sind im Grunde genommen zwei getrennte Ausgabenposten. Alle zwölf Monate legt die Regierung im Herbst den geplanten Staatshaushalt für das kommende Fiskaljahr dem Kongreß zur Abstimmung vor. Nach Beratungen zwischen Vertretern des Repräsentantenhauses, des Senats und des jeweiligen Ministeriums werden die einzelnen Teilhaushalte abgesegnet, eventuell mit leichten Veränderungen. In den letzten Jahren hat das Verteidigungsministerium dem Kongreß aber zwei Haushalte vorgelegt; einen für den regulären Betrieb der US-Streitkräfte im In- und Ausland und einen zur Deckung der laufenden Kosten des Antiterrorkrieges, auch OCO genannt. Aufgrund der automatischen Ausgabenkürzungen, die Kongreß und Weißes Haus allen Ministerien infolge der Finanzkrise auferlegten und die 2013 in Kraft traten, ist der reguläre Haushalt des Pentagons um 6,4 Prozent von 670 Milliarden Dollar auf 627 Milliarden zurückgegangen. Darin enthalten sind mehr als 80 Milliarden, die für die OCO vorgesehen waren.

Wie mehrere Studien gezeigt haben, ist der OCO-Sonderhaushalt dermaßen üppig ausgestattet und so wenig von den automatischen Kürzungen betroffen, daß das Pentagon seit einiger Zeit daraus Gelder nimmt, um einige Lieblingsprojekte im Bereich des regulären Haushaltes weiterzufinanzieren und damit am Leben zu erhalten, die eigentlich nichts mit den laufenden Kriegen im Irak und Afghanistan zu tun haben. Durch den Griff in den OCO-Topf können die Generäle den von der Politik angeordneten Sparzwang sozusagen umgehen. Man schätzt, daß die laufenden Kriegskosten den OCO-Haushalt mit nur rund 50 Milliarden Dollar belasten. Das läßt ein Polster von rund 30 Milliarden Dollar übrig, welche die Militärs sozusagen nach Belieben anderweitig einsetzen können. Also funktioniert der OCO-Haushalt quasi wie ein Reptilienfonds des Pentagons.

SB: Woraus sich ein starkes Interesse, die Overseas Contingency Operations am laufen zu halten, ergibt.

WH: Ganz genau. Teilen des Militärapparats und der Rüstungsindustrie in den USA kommt der Vormarsch des IS in Syrien und im Irak mehr als gelegen.

SB: Im Global War on Terror (GWoT) kommt den US-Spezialstreitkräften, die in mehr als 70 Ländern unterwegs sind - sei es offiziell oder inoffiziell - eine große Rolle zu. Die Finanzierung eines Großteils der Aktivitäten des Joint Special Operations Command (JSOC) kommt aus dem OCO-Haushalt. Aber wie werden diese Gelder beantragt bzw. bewilligt? Schließlich laufen viele JSOC-Missionen streng geheim ab.

WH: Aus nämlichem Grund wird der OCO-Haushaltsentwurf recht schwammig formuliert. Er gleicht nicht den Finanzierungsanträgen der anderen Ministerien, wo praktisch jede geplante Einzelausgabe auf Heller und Pfennig dezidiert aufgelistet werden muß. Statt dessen findet man im OCO-Haushaltsentwurf erstaunlich wenig informative Einzelanträge wie "CENTCOM-Ausgaben - 18 Milliarden Dollar" vor. Das Zentralkommando erstreckt sich von Ägypten nach Kasachstan und vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf. Ihm obliegt die Hauptverantwortung für den "Kampf gegen den islamischen Extremismus". Und es fragt später praktisch niemand, wofür diese 18 Milliarden Dollar im einzelnen ausgegeben wurden. Es kann sein, daß sich hinter verschlossenen Türen die Mitglieder der Verteidigungsausschüsse im Repräsentantenhaus und Senat damit befassen und vielleicht die eine oder andere weitergehende Frage stellen. Aber weil das die Gelder für den großen Antiterrorkrieg sind, gilt es praktisch als unpatriotisch und als Verrat an den Soldaten, diesen Finanzbedarf zu sehr unter die Lupe zu nehmen. Das ganze Verfahren ist im höchsten Maße undemokratisch.

SB: Sie haben in den letzten Jahren die Entwicklung des Joint Strike Fighters F-35, des teuersten Rüstungsprojektes der Geschichte - dessen prognostiziertes Gesamtvolumen auf mehr als eine Billion Dollar geschätzt wird - als verschwenderisch und technisch unausgereift kritisiert. Es fällt auf, daß beim Auftakt der US-Luftangriffe gegen IS-Stellungen in Syrien vor wenigen Tagen die amerikanischen Nachrichtensender auch den erstmaligen Kampfeinsatz des F-22 Raptor gemeldet und bejubelt haben. Als Rüstungsgegner hat man den Eindruck, es ginge dem Pentagon hier nicht in erster Linie um militärische Notwendigkeit, sondern darum, die enormen Kosten für dieses Flugzeug zu rechtfertigen. Schließlich handelt es sich beim F-22 um eine hochmoderne Tarnkappenmaschine, die für den Luftkampf gegen chinesische und russische Kampfjets der vierten und fünften Generation entwickelt wurde und niemals dafür gedacht war, aus großer Höhe Bomben und Raketen auf irgendwelche muslimischen Hasardeure in den Wüsten Westasiens abzuwerfen.

WH: Ich stimme mit Ihnen überein. Ich denke, daß das Pentagon wahnsinnig darauf erpicht war, die Verwendung des Waffensystems F-22 im Krieg zu demonstrieren, um sich vor dem Vorwurf der Geldverschwendung schützen zu können. Dennoch läßt sich feststellen, daß die allermeisten Luftangriffe auf Stellungen und Fahrzeuge des IS mit Kampfjets wie der F-15 und F-16 durchgeführt worden sind, deren Entwicklung und Bau bei weitem nicht soviel Geld verschlungen haben wie die des Raptor. Im Grunde genommen handelt es sich hier um eine PR-Inszenierung.

SB: Oder ist der F-22 vielleicht viel weiter als die anderen alliierten Kampfjets in den syrischen Luftraum eingedrungen, was seine Tarnkappenfähigkeit erforderlich machte?

WH: Nein, das glaube ich nicht. Nach allen Informationen, die mir vorliegen, griffen die alliierten Flugzeuge bisher Ziele unweit der irakischen Grenze in der Region um die IS-Hochburg Raqqa an.

William Hartung im Porträt - Foto: © 2014 by Schattenblick

William Hartung
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Vor zwei Tagen hat die Regierung in Washington eine großangelegte Modernisierung des US-Kernwaffenarsenals angekündigt. Hat sich damit Präsident Barack Obamas Vision einer atomwaffenfreien Welt, wie er sie im Frühjahr 2009, kurz nach dem Einzug ins Weiße Haus, verkündet hat, als Totgeburt erwiesen?

WH: Im Grunde genommen ja. In Obamas letzten zwei Amtsjahren ist keine neue Initiative seinerseits in Richtung Atomabrüstung zu erwarten. Eigentlich ist der Traum nach nur einem Jahr gestorben, als Obama 2010 in Prag zusammen mit dem damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew den New-START-Vertrag unterzeichnete. Um das Abkommen, das die Zahl der gefechtsbereiten Atomsprengköpfe auf beiden Seiten von mehr als 2200 auf 1550 reduzierte, mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit durch den Senat zu bekommen, war Obama dort auf die Unterstützung der republikanischen Opposition angewiesen. Damit genügend Republikaner der Ratifizierung zustimmten, statt sie zu blockieren, mußte er deren Forderung nach einer umfangreichen Generalüberholung der Infrastruktur der US-Atomwaffenproduktions- und Lagerstätten nachgeben. Damit hat sich Obama in eine Sackgasse manövriert, aus der er seitdem nicht herausgefunden hat. Die gerade angekündigte Modernisierung des amerikanischen Atomwaffenarsenals ist die logische Konsequenz dieser Entwicklung. Obama hat vielleicht gehofft, weitere Reduzierungen mit Rußland erzielen zu können, nur daß die Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zwischen Washington und Moskau das nicht erlaubt haben. Doch auch hierfür trägt er selbst einen Teil der Verantwortung. Das wachsende Mißtrauen Rußlands ist nicht zuletzt auf die Ausweitung des US-Raketenabwehrsystems auf Osteuropa zurückzuführen, die Obama, wenn auch in leicht veränderter Form, genauso wie sein Vorgänger George W. Bush vorangetrieben hat.

Selbst in seiner berühmten Prag-Rede im Frühjahr 2009, als Obama eine Welt ohne Atomwaffen in Aussicht stellte, war er Politiker genug, um von einer Vision zu sprechen, deren Verwirklichung er vermutlich nicht mehr erleben würde. Doch warum soll es leichter sein, alle Atomwaffen binnen 50 Jahren anstelle von 10 Jahren zu verschrotten? Eigentlich ist das widersinnig. Zehn Jahre wären ein Zeitraum, in dem ein Präsident den Lauf der Dinge aktiv gestalten könnte. Mit einem Zeitplan von 50 Jahren gibt man die Umsetzung eines Vorhabens aus der Hand und überläßt sie im Grunde dem Schicksal. Am Vorgehen Obamas kann man erkennen, daß das Gerede von einem Ende der Atomwaffenbedrohung von Anfang an ein frommer Wunsch gewesen ist, der niemals wirklich ernst gemeint oder zu Ende gedacht war. Zu Beginn seiner ersten Amtszeit hat er sich für die weltweite Sicherung von atomwaffenfähigem Material stark gemacht, hat Konferenzen angeschoben und Geld für dieses lobenswerte Projekt bereitgestellt. Doch zuletzt hat die Obama-Regierung mehr Geld in die Modernisierung des US-Atomwaffenarsenals als in derlei internationale Sicherungsmaßnahmen investiert, was bezeichnend ist. Beim Amtsantritt als Präsident hat Obama bescheidene Schritte Richtung Atomabrüstung unternommen, das Problem der Sicherung von waffenfähigem Material international thematisiert und den New-START-Vertrag mit Rußland unter Dach und Fach gebracht. Es sollten weitere Schritte folgen, doch haben sich andere Dinge dazwischengeschoben - innenpolitisch der Streit mit dem Kongreß um die Reform des US-Gesundheitssystems und außenpolitisch die zunehmende Konfrontation mit Rußland. Dadurch ist das Ziel einer atomwaffenfreien Welt so ziemlich in den Hintergrund gedrängt worden, was auch zeigt, daß es von vornherein nicht so wichtig war.

SB: In seiner jüngsten Fernsehrede an die Nation hat Obama die neue Militärintervention gegen IS in Syrien und im Irak mit derjenigen gegen Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel im Jemen und gegen Al-Schabaab in Somalia verglichen, sie quasi als erfolgreiche Modelle der modernen Aufstandsbekämpfung präsentiert. Viele Militärexperten und auch Menschenrechtsaktivisten kritisieren jedoch die CIA-Drohnenangriffe in diesen beiden Ländern sowie übrigens auch in Pakistan, weil sie viele Opfer unter der Zivilbevölkerung verursachen und dadurch die Menschen in die Arme der Aufständischen treiben. Wie sehen Sie das? Kann man die Missionen im Jemen und in Somalia aus Sicht des Pentagons als erfolgreich bezeichnen oder ist nicht das Gegenteil der Fall?

WH: Die Obama-Regierung argumentiert, daß sie eine ganze Reihe von Anführern der extremistischen Gruppen hat liquidieren können und dies das maßgebliche Kriterium für den Erfolg des Programms sei. Dabei wird übersehen, daß aufgrund der Drohnenangriffe sowohl Al Kaida auf der arabischen Halbinsel, als auch Al-Schabaab als auch die pakistanischen Taliban den geographischen Radius ihrer Aktivitäten ausgeweitet haben, flexibler geworden sind und einen größeren Rückhalt bei der einheimischen Bevölkerung genießen, die das selbstherrliche Vorgehen Amerikas ablehnt. Nach dem engen Maßstab der vereinzelten Ausschaltung irgendwelcher "Terroristen" könnte man die Drohnenangriffe vielleicht als effektiv bezeichnen. Wenn man jedoch den größeren Zusammenhang betrachtet, läßt sich dieses Urteil nicht mehr aufrechterhalten.

Jedenfalls war die Tötung Osama Bin Ladens 2011 im pakistanischen Abbottabad durch die U. S. Navy Seals ein riesiger PR-Erfolg. Das kann man nicht bestreiten. Auf ähnliche Weise senden die aktuellen Fernsehbilder der Angriffe der US-Luftwaffe auf Stellungen des IS in Syrien und im Irak eine eindeutige Botschaft aus, nach dem Motto, wer amerikanische Journalisten tötet und ihre Hinrichtung durch die Veröffentlichung per Internet-Video zur Schau stellt, muß sich auf schwerste Vergeltungsschläge seitens des US-Militärs gefaßt machen. Das deckt sich mit den Vorstellungen eines Teils der amerikanischen Bevölkerung und der US-Medien, die in solchen Fällen stets nach Rache schreien. Als ich zum Beispiel auf dem Weg hierher war, habe ich in der heutigen Ausgabe der Boulevardzeitung New York Daily News geblättert. Darin wurde genüßlich berichtet, wie die IS-Kämpfer, die als "Ratten" und "Ungeziefer" bezeichnet wurden, vor den US-Luftangriffen flohen.

Die Idee, daß der Einsatz der Luftwaffe der USA und der arabischen Golfstaaten den Vormarsch des IS stoppen könnte, ist reine Fantasie. Nach den ersten wenigen Luftangriffen gab es bereits Meldungen von zivilen Opfern. Das Pentagon versuchte sie zu leugnen, aber solche bedauerlichen Vorfälle sind das zwangsläufige Ergebnis derartiger Militärinterventionen. Seit dem Vietnamkrieg strebt das Militär nach chirurgischen Angriffen, die lediglich den oder die militärischen Gegner töten und sonst niemanden. Aber das Ziel ist ein Wunschtraum und wird es immer bleiben. Und je mehr die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wird, um so mehr gerät die ausländische Militärintervention aus Sicht der Menschen im Kriegsgebiet in Mißkredit.

Nahaufnahme von William Hartung im Gespräch am Kaffeetisch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Was glauben Sie, worum es der Obama-Regierung bei ihrer direkten Einmischung in den Konflikt im Irak und in Syrien geht? Wie lautet Ihrer Meinung nach das strategische Ziel Washingtons? Wollen die USA nach dem Rücktritt des bisherigen irakischen Premierministers Nuri Al Maliki doch noch ein Abkommen mit Bagdad über eine dauerhafte amerikanische Militärpräsenz im Zweistromland aushandeln? Wollen sie immer noch Baschar Al Assad stürzen und einen Regimewechsel in Damaskus herbeiführen? Soll nach wie vor der "schiitische Bogen" vom Iran über Syrien bis zu den Hisb-Allah-Hochburgen im Süden des Libanons zerschlagen werden?

WH: Ein wesentlicher Faktor in den Überlegungen der USA sind stets die Energiereserven der Region. Gäbe es das ganze Öl im Irak nicht, wären die US-Streitkräfte vermutlich niemals dort einmarschiert. Seit Jahrzehnten gehört es zu den vordringlichsten Zielen der USA, den bestimmenden Zugriff auf das Öl und Gas rund um den Persischen Golf zu haben und den internationalen Handel mit ihnen - Stichwort Dollar-Bindung - zu kontrollieren. Daher rührt auch die enge Partnerschaft zwischen den USA und Saudi-Arabien, dem weltweit größten Ölexporteur. Daher auch die Feindschaft Washingtons gegenüber jedem Land, das dieses Ziel gefährdet - sei es der Iran nach dem Sturz des Schahs und der Ausrufung der Islamischen Republik 1979, Saddam Husseins Irak oder Baschar Al Assads Syrien.

Als Saddam in den achtziger Jahren mit brutaler Gewalt gegen Kurden und Schiiten vorging, haben die USA einfach darüber hinweggesehen, denn er war ihr Verbündeter gegen Ajatollah Khomeinis Iran. Erst als seine Truppen 1990 in Kuwait einfielen und die Ölfelder Saudi-Arabiens bedrohten, wurde er für Washington zum Problem. Zu der strategischen Kontrolle über die Region gehören für die USA Regime, die sich dem Willen Washingtons unterordnen. Da spielt es für die USA letztlich keine Rolle, ob es sich um autoritäre Regime oder demokratisch legitimierte Regierungen handelt, solange sie sich nicht den Interessen Washingtons widersetzen. Tun sie das, müssen sie weg.

Der Einmarsch angloamerikanischer Streitkräfte 2003 in den Irak sollte die Hegemonie der USA im Nahen und Mittleren Osten festigen, hat aber statt dessen das Gegenteil bewirkt. Zwar konnte man endlich Saddam Hussein loswerden, dafür hat der Irak infolge der Invasion, der Auflösung seiner Streitkräfte, des Aufstands gegen die Besatzungstruppen und dem später aufgeflammten Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten quasi aufgehört, als Staat zu funktionieren. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Kurden im Norden haben sich fast selbständig gemacht, während sich die sunnitischen Provinzen in der Mitte des Landes durch das Aufkommen des IS der Kontrolle durch die Zentralregierung in Bagdad entzogen haben. Die jahrelange Instabilität des Iraks ist auf Syrien übergesprungen und hat dort 2011 einen Bürgerkrieg ausgelöst, der inzwischen zum regionalen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten mutiert ist. Wie die Lage in der Region wieder stabilisiert werden könnte, weiß derzeit niemand, auch nicht die Militaristen in den USA.

Derzeit ist Washington vor allem darauf erpicht, den Vormarsch des IS-Kalifats zu stoppen. Denn sonst droht die Gefahr, daß die sunnitischen Dschihadisten in Saudi-Arabien einmarschieren, König Abdullah vom Thron stürzen und die heiligen Städte des Islam, Mekka und Medina, sowie die größten Ölfelder der Erde erobern. Das wäre für die USA das absolut Schlimmste, was passieren könnte. Gleichzeitig will man eine Regierung in Bagdad installieren, die das Vertrauen aller Volksgruppen genießt und das Land halbwegs passabel regieren kann. Je mehr die USA jedoch diese Ziele auf dem militärischen Weg zu erreichen versuchen, um so mehr Probleme schaffen sie.

SB: Ohne zu reduktionistisch klingen zu wollen, wie sehr ist die Neuausrichtung der Washingtoner Außen- und Sicherheitspolitik nach Asien, der sogenannte "Asia Pivot", vom Wunsch getragen, die amerikanischen Verbündeten in der Region - Australien, Neuseeland, Japan, Südkorea, Taiwan, die Philippinen und Indonesien - zum Kauf größerer Mengen High-Tech-Waffen wie Patriot-Abwehrraketen und des bereits erwähnten Kampfjet F-35 zu animieren?

WH: Die avisierten Waffenexporte haben einen großen Umfang und sind daher wohl wichtig, ich würde sie aber als erwünschten Nebeneffekt der neuen Asien-Politik der USA bezeichnen. Die Eindämmung Chinas dient vor allem dem übergeordneten Zweck, den USA einen neuen Hauptgegner zu verschaffen. Von allen Ländern der Erde hat nur die Volksrepublik die Voraussetzungen - geographische Größe, Bevölkerungszahl, Wirtschaftsstärke usw. -, den Status der USA als alleinige Supermacht in Frage zu stellen. Größter Nutznießer des "Asia Pivot" ist die US-Marine, die durch die Landkriege in Afghanistan und im Irak gegenüber den Teilstreitkräften Heer und Luftwaffe ins Hintertreffen geraten war. Wegen der Eindämmungspolitik gegenüber China gelangt die US-Marine wieder zur alten Würde zurück. Neue Schiffe und U-Boote werden gebaut. Die Zusammenarbeit mit Staaten um China herum wird forciert. Neue Stützpunkte für die US-Marineinfanterie - etwa im Norden Australiens nahe Darwin - werden eingerichtet. Flottenbesuche und Manöver stehen ganz groß auf dem Programm et cetera. Die traditionelle Seemacht USA läßt ihre Muskeln gegenüber der Landmacht China spielen. Hier haben die Rüstungsexporte eine wichtige Funktion, indem sie den USA Einfluß in Übersee verschaffen. Anstelle von Soldaten schicken das Pentagon und die amerikanischen Rüstungskonzerne Ausbilder, Techniker und Wartungsspezialisten in das jeweilige Land, das wiederum seine Offiziere zur Ausbildung in die USA entsendet. Es entsteht eine diplomatische, militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit, die starke Auswirkungen auf die Innenpolitik des jeweiligen US-Verbündeten hat. Washington verschafft sich Einfluß, ohne einen Krieg führen zu müssen, während sich die US-Waffenproduzenten dumm und dämlich verdienen.

Im Grunde genommen ist es eine klassische Win-Win-Situation, wenngleich mir selbst die Eindämmungsstrategie nicht so richtig einleuchtet. Die ganzen Streitereien um Hoheit und ausschließliche Wirtschaftszonen im ost- und südchinesischen Meer werden über kurz oder lang diplomatisch gelöst werden. Ich glaube nicht, daß es deshalb zum Krieg zwischen den USA und China kommen wird.

SB: 1910 hat auch niemand geglaubt, daß es zum verheerenden Krieg zwischen dem British Empire und dem kaiserlichen Deutschland kommen würde.

WH: Das ist wohl richtig. Manchmal haben bestimmte geostrategische Konstellationen ihre eigene Logik, der sich zu entziehen keiner der politischen Akteure richtig in der Lage zu sein scheint.

SB: Angesichts des zunehmenden Klimawandels plädieren einige Experten für eine Abkehr von Militarismus und Wettrüsten, um die eingesparten Milliarden in den Ausbau und die Erforschung von erneuerbaren Energien und von Linderungsmaßnahmen zu investieren. Andere wiederum sehen im Klimawandel die perfekte Gelegenheit, die eigene militärische und wirtschaftliche Position nach Art des von Naomi Klein beschriebenen "Katastrophen-Kapitalismus" zu verbessern. Welche dieser beiden Fraktionen befindet sich Ihrer Meinung nach derzeit im Aufwind, die der Kriegstauben oder der Kriegsfalken, und was könnte man tun, um ersterer zum Sieg zu verhelfen?

WH: Ich denke, daß der große People's Climate March am letzten Wochenende die Dringlichkeit des Klimawandels und die Probleme, die für die Menschheit daraus erwachsen, öffentlich unterstrichen hat. Das Thema kann somit nicht mehr einfach ignoriert werden. Es muß gehandelt werden. Die Frage ist nur wie. Argumentativ sowie institutionell liegen meines Erachtens derzeit die Militaristen vorne, denn sie studieren das Phänomen schon länger und haben es bereits als Quelle künftiger Konflikte identifiziert. Demnach wird der Klimawandel Probleme - zum Beispiel Konflikte um Wasser und andere knapper werdende Ressourcen sowie Flüchtlingsströme - mit sich bringen, die einer militärischen Lösung bedürfen.

SB: Aber haben Sie nicht auf der NYC Climate Convergence erklärt, daß es inzwischen innerhalb des US-Militärapparats auch namhafte Experten gibt, welche die militärische Option angesichts des Ausmaßes der Herausforderung, die der Klimawandel für die Menschheit darstellt, für zum Scheitern verurteilt halten und deshalb in ganz andere Richtungen denken?

WH: Innerhalb des Pentagons hat es bereits Ansätze geben, den Einsatz von Solarstrom zu erhöhen und neue Treibstoffe etwa auf Algen-Basis zu entwickeln. Dennoch denken die meisten Zuständigen im US-Verteidigungsministerium über das Phänomen des Klimawandels in militärischen Kategorien nach. Beim Thema Energie geht es für sie stets in allererster Linie um die Sicherung von genügend Treibstoff für die US-Streitkräfte. Als man im Pentagon Maßnahmen zur verstärkten Verwendung der Sonnenenergie ergriff, diskutierte man gleichzeitig eifrig über die Ölgewinnung aus kanadischem Teersand. Also ist es noch zu früh, von einer grünen Welle im Pentagon zu sprechen. Dort wird der Klimawandel inzwischen als potentielle Gefährdung der nationalen Sicherheit definiert. Man geht von wachsenden Turbulenzen im Staatengefüge aus, die den zunehmenden Zugriff auf den Militärapparat erforderlich machen werden - und sei es nur logistisch-technisch, wie 2013 nach dem verheerenden Super-Taifun Haiyan auf den Philippinen, als ein US-Flugzeugträger zur Nothilfe in die betroffene Region entsandt wurde.

Dessen ungeachtet gibt es innerhalb des Pentagons sehr wohl Kreise, zum Beispiel im Centre for Naval Analysis, die erkannt haben, daß das Phänomen des Klimawandels absolut gigantisch ist, jeden einzelnen treffen wird und ihm daher nur auf der gesellschaftlichen Ebene sowohl in den Einzelstaaten wie auch länderübergreifend zu begegnen ist. Im Vergleich zum reaktionären Teil der republikanischen Wählerschaft und Politikerkaste in Washington findet man interessanterweise im US-Offizierkorps praktisch niemanden, der die Realität des von den Menschen verursachten Klimawandels bestreitet. Im US-Verteidigungsministerium sind die Erkenntnisse der Klimaforscher angekommen und akzeptiert worden. Man streitet lediglich darüber, wie man am besten darauf reagieren sollte.

Doch selbst die vorsichtigen Ansätze des Pentagons in Richtung Energiesicherheit sind von den Klimawandelleugnern bei den Republikanern heftig kritisiert worden. Senator James Imhofe aus Oklahoma hat den Ausbau der Solarenergie bei den US-Streitkräften als unzulässige Einmischung des Staates in die Privatwirtschaft angeprangert. Das zeigt nur, wie rückständig das Denken beim konservativen Teil der US-Wählerschaft ist und warum jede Regierung in Washington Schwierigkeiten im eigenen Land bekommt, sobald sie sich auf internationale Verträge zur Eindämmung des Klimawandels einläßt.

SB: Auf der NYC Climate Convergence wurde die Rolle des pentagoneigenen Office of Economic Adjustment (OEA) hervorgehoben, wenn es um die Neuausrichtung von Stillegung bedrohter Rüstungsbetriebe auf die Produktion ziviler Güter geht. Solche Umstellungsprozesse wurden als Beispiele ins Feld geführt, wie man neue Technologien im Bereich der effektiveren Energiegewinnung und -konservierung entwickeln und die Gesellschaft ökologisch neu ausrichten könnte. Was halten Sie davon?

WH: Das OEA, das nach dem Ende des Kalten Krieges geschaffen wurde, hat über die Jahre eine ganze Reihe von Projekten erfolgreich begleitet und in Zusammenarbeit mit Politikern, Gewerkschaftern und Geschäftsleuten auf der Ebene des Bezirks und des Gliedstaats zum Erhalt von Arbeitsplätzen und Kaufkraft beigetragen. Betrachtet man das US-Verteidigungsministerium als Ganzes, ist das OEA nur eine winzige Behörde, deren ohnehin geringer Haushalt stets von Kürzungen bedroht ist. Zu der ungeheuren Anzahl an Rüstungsprojekten, die das Pentagon dauerhaft betreibt, kommen ständig neue hinzu, während andere wiederum eingestellt oder zurückgefahren werden. Vor diesem Hintergrund ist das OEA eine sinnvolle Einrichtung, welche die Folgen eines Produktionsendes für die Belegschaft eines Waffenherstellers und die betroffenen Gemeinden abmildern kann. Daraus ein Modell für einen gesellschaftlichen Umstellungsprozeß herzuleiten, der erforderlich wäre, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen, liegt vielleicht nahe, greift aber wegen der unterschiedlichen Größe und Komplexität beider Aufgaben meines Erachtens zu kurz.

SB: Recht vielen Dank, William Hartung, für dieses Interview.

Vorderansicht des Le Pain Quotidien, davor mehrere Tische samt Sonnenschirm - Foto: © 2014 by Schattenblick

Le Pain Quotidien, ein gemütliches Café an der Upper West Side von Manhattan
Foto: © 2014 by Schattenblick


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20. November 2014