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INTERVIEW/290: Treffen um Rosa Luxemburg - Vergessen frißt Fortschritt auf ...    Ihsan Cibelik im Gespräch (SB)


Grup Yorum ... mehr als Musik

21. Rosa Luxemburg Konferenz in Berlin


Grup Yorum ist eine revolutionär und sozial bewegte Gruppe zahlreicher Musikerinnen und Musiker, die sich handelsüblichen Vergleichen mit anderen Bands fast vollständig entzieht. Obwohl die Konzerte der seit 1985 in verschiedenen Besetzungen existierenden Band in der Türkei von Hunderttausenden Menschen besucht werden, wird der offizielle und mediale Kulturbetrieb des Landes ihrer großen Bedeutung und Popularität kaum gerecht. Dennoch sind ihre Mitgliederinnen und Mitglieder so berühmt, daß sie erfolgreiche Solokarrieren antreten oder auf andere Weise in der Musikindustrie Geschäfte machen könnten. Statt dessen steckt die vor allem in Istanbul aktive Band einen Großteil ihrer Energie in den politischen Kampf. Sie hält kostenlose Volkskonzerte ab, unterstützt verfolgte Genossinnen und Genossen mit Solidaritätsauftritten, betreibt ein Kulturzentrum, beteiligt sich an Stadtteilkämpfen und setzt sich auf der Straße für die politischen Ziele der revolutionären Linken ein.

Auf der Bühne im Urania - Foto: © 2016 by Schattenblick

Trotz Einreiseverbot - Grup Yorum in kleiner Besetzung
Foto: © 2016 by Schattenblick

Daß ihre Mitgliederinnen und Mitglieder in einem Land, das von kurdischen Abgeordneten und Bürgermeistern über linke Journalisten und Anwälte bis zu Aktivistinnen und Aktivisten sozialistischer und kommunistischer Organisationen aus politischen Gründen zu Tausenden einsperrt, dabei stets mit einem Bein im Knast stehen, kann nicht weiter erstaunen. Gerade weil Grup Yorum die häufig genug untereinander zerstrittenen linken Strömungen und Bewegungen mit revolutionärem Liedgut vereint und darüber hinaus zahlreiche Menschen mit ihrer Musik politisiert, ist sie der AKP-Regierung ein Dorn im Auge. Daß Grup Yorum auch in der Bundesrepublik immer mehr Repression erfährt, dürfte damit zu tun haben, daß die türkische Regierung die EU-europäische Flüchtlingsabwehr in ihr Land vorverlagert hat. Im Gegenzug wird ihr freie Hand bei der Unterdrückung der kurdischen Befreiungsbewegung wie der linken Opposition gelassen, als auch dafür gesorgt, daß die Aktivistinnen und Aktivisten der türkischen und kurdischen Linken in der Bundesrepublik vom politischen Strafrecht bedroht und Haftstrafen über sie verhängt werden.

Um so bedeutsamer ist, daß die Musikerinnen und Musiker Grup Yorums unbeirrt an ihrem politischen Kampf festhalten und damit beweisen, daß Kunst und Kultur nicht notwendigerweise Spielwiesen der Ablenkung von sozialen und gesellschaftlichen Widersprüchen sein müssen. Indem sie den Finger in die Wunde blutiger Konflikte legen und gegen das häßliche Gesicht imperialistischer Politik ansingen, werden sie auch dem Traum vieler kreativer Menschen gerecht, die keine Trennung zwischen ihren künstlerischen Idealen und ihrer beruflichen Existenz machen wollen.


Musikerinnen und Musiker in Aktion - Foto: © 2016 by Schattenblick

Singen gegen Faschismus und Imperialismus ...
Foto: © 2016 by Schattenblick


Publikum bei Grup Yorum-Auftritt - Foto: © 2016 by Schattenblick

... und der Funke springt über
Foto: © 2016 by Schattenblick

Der Auftritt von Grup Yorum war einer der Höhepunkte auf der diesjährigen Rosa Luxemburg Konferenz. Die Gruppe war aufgrund der über viele ihrer Mitgliederinnen und Mitglieder verhängten Einreiseverbote zwar nur in einer kleinen Besetzung in Berlin präsent. Doch das ihren Fans in- und auswendig bekannte Repertoire verwandelte ihr kurzes Konzert in eine politische Manifestation, der die Freude darüber, daß die Stimme Grup Yorums auch durch Verbote deutscher Behörden nicht zum Verstummen gebracht werden kann, deutlich anzumerken war.

Im Anschluß an das Konzert bot sich dem Schattenblick die Gelegenheit, mit dem langjährigen Grup Yorum-Mitglied Ihsan Cibelik ein kurzes, von einer Genossin ins Deutsche übersetzte Gespräch zu führen.


Im Gespräch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Ihsan Cibelik
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Cibelik, Sie sind eines der ältesten Mitglieder von Grup Yorum. Seit wann gehören Sie der Formation an?

Ihsan Cibelik (IC): Grup Yorum gibt es jetzt seit 30 Jahren. Ich bin Grup Yorum kurz nach der Gründung beigetreten.

SB: Grup Yorum ist heute mit einer kleinen Besetzung hier in Berlin auf der Rosa Luxemburg Konferenz aufgetreten. Warum hat die Band für das am 14. November 2015 in Oberhausen geplante Konzert unter dem Motto "Eine Stimme und ein Herz gegen Rassismus" keine Visa von den deutschen Behörden erhalten? Welche offizielle Begründung wurde für das Einreiseverbot gegeben?

IC: Es stimmt, daß weder England, Holland noch Deutschland den Grup Yorum-Mitgliedern ein Visum erteilt haben. Begründet wurde das damit, daß 11 der insgesamt 14 Bandmitglieder im Schengener Informationssystem (SIS) gelistet seien. Das SIS ist eine Datenbank europäischer Polizei- und Sicherheitsbehörden, in der etwa zur Fahndung ausgeschriebene oder einfach "unerwünschte" Personen gespeichert werden. Das heißt, daß die Mitglieder von Grup Yorum als gefährliche Personen eingestuft werden, die die Sicherheit in diesen Ländern gefährden würden. Kurios daran ist, daß wir in den 30 Jahren unseres Bestehens Hunderte Male ins Ausland gereist sind, ohne daß es je zu Schwierigkeiten gekommen wäre.


Ihsan Cibelik mit Blasinstrument - Foto: © 2016 by Schattenblick

Versiert mit Stimme und Instrument
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Im Juni 2014 hat Grup Yorum in Oberhausen ein Konzert mit großer Besetzung von 40 Leuten gegeben. 15.000 Zuschauer feierten viele Stunden lang ein friedliches Fest, und einige deutsche Politiker hielten Solidaritätsreden. Wie erklären Sie sich die plötzliche Einschätzung von Grup Yorum als Sicherheitsrisiko?

IC: Wir hatten für das am 14. November geplante Konzert in Oberhausen Visumsanträge gestellt. Übrigens nicht zum ersten Mal, dreimal gab es keinerlei Probleme mit der Organisation des Konzerts, aber in diesem Jahr wurde unser Antrag vom deutschen Konsulat in der Türkei zunächst einmal völlig ignoriert. Wir blieben ohne Nachricht und haben dann mit Nachdruck bei den deutschen Behörden nachgefragt. Schließlich wurde uns mitgeteilt, daß uns die Einreise verweigert wird. Das amtliche Schreiben bestand im Grunde aus einer Auflistung der formalen Gründe für eine Visumsverweigerung, die eigentlich für jeden gelten. Zwei Begründungen waren jedoch markiert und galten insbesondere für Grup Yorum. Der Hauptgrund dafür, daß wir kein Visum erhielten, war, daß die Leute, die zum Konzert nach Deutschland reisen wollten, als nicht glaubwürdig eingestuft wurden. All unsere Vorbereitungen, ein ganzes Jahr der Konzertarbeit, waren mit einem Mal nichtig geworden.

SB: Ist die Besetzung, die heute hier aufgetreten ist, von der Türkei aus nach Deutschland gekommen?

IC: Nein, das sind Menschen, die hier seit langem leben und Grup Yorum unterstützen. Sie kennen alle Lieder der Gruppe. Ich selbst habe seit sieben Jahren politisches Asyl in Deutschland und kann nicht in die Türkei reisen. Wir haben hier in Deutschland sehr viele Freunde, die das, was Grup Yorum tut, schätzen, und wissen, wie wichtig unsere Musik ist. Diese Menschen würden die revolutionäre Tradition von Grup Yorum unter allen Umständen aufrechterhalten, auch wenn man ihnen mit Verhaftung drohen würde.


Musikerinnen in einer Reihe auf der Bühne - Foto: © 2016 by Schattenblick

Zusammen kämpfen ...
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Könnte man sagen, daß Grup Yorum zwar aus einem festgelegten Kollektiv besteht, aber dennoch eine offene Mitgliederstruktur besitzt?

IC: Grup Yorum besteht aus 14 Stammitgliedern, aber zur Gesamtstruktur gehören auch der Chor, die Auszubildenden und all die Freunde, die uns unterstützen. So gesehen ändert sich die Struktur immer wieder, aber zugleich ist sie ein Symbol dafür, daß die Gruppe in ihren Entwicklungsmöglichkeiten offen ist.

SB: Grup Yorum ist in der Türkei sehr populär. Konzerte mit mehreren hunderttausenden Zuschauern sind keine Seltenheit. Dennoch ist die Gruppe hier in der herkunftsdeutschen Bevölkerung, wie sich auch in Oberhausen gezeigt hat, kaum bekannt. Liegt das an kulturellen Vorbehalten oder politischen Schranken?

IC: Wir sind offen für alle Völker und Kulturen, aber wenn wir wie in Oberhausen ein Konzert gegen Rassismus geben, müssen wir erst einmal zu den Menschen gehen, die damit konfrontiert sind, und für sie eine Lösung finden. Das betrifft in erster Linie natürlich Menschen aus unserem Volk und die Flüchtlinge, die jetzt hier in Europa leben. Auch wenn sich die Politik im Augenblick hinter nationale Grenzen zurückzieht, verfolgen wir dennoch ein internationalistisches Ziel. Wir würden auch gern mit deutschen Gruppen zusammenarbeiten. So treten auf Grup Yorum-Konzerten durchaus auch internationale Gäste auf.

SB: Könnten Sie etwas zur Repression sagen, unter der Grup Yorum in der Türkei zu leiden hat?

IC: Um es ganz offen zu sagen, die Repression gegen uns ist in der Türkei nicht anders als hier, teilweise ist die Situation allerdings noch schlimmer. 2015 feierten wir unser 30jähriges Jubiläum. Zu diesem Zweck wollten wir in fünf Städten Auftritte in Stadien organisieren, was uns jedoch verboten wurde. Weil uns keine Stadien zur Verfügung gestellt wurden, haben wir Konzerte unter freiem Himmel abgehalten. Und was war die Folge? Statt in einem Stadion, wie es von uns geplant war, ein Konzert für 70.000 Zuschauer auszurichten, sind am Ende 750.000 Menschen gekommen. Tatsächlich haben die türkischen Behörden mit ihrem Verbot etwas ganz anderes erreicht. Wir werden die Willkür des Staates niemals akzeptieren. Natürlich müssen wir dabei bedenken, daß wir in einem faschistischen Land leben, wo täglich Kinder sterben. Damit diese Unterdrückung eines Tages endet, müssen wir als Gruppe bereit sein, mit allen Konsequenzen zu leben. Eines unserer Bandmitglieder ist vor zweieinhalb Jahren verhaftet worden. Und als wir neulich gegen die Massaker in Kurdistan protestierten, wurden wieder Mitglieder von uns festgenommen. Mit dieser Realität sind wir als Musikgruppe jeden Tag konfrontiert.

SB: Grup Yorum ist in einer Weise politisch konsequent, wie man es bei Musikern, deren Motivation oft an Erfolg und Plattenverkäufe gebunden ist, eher nicht vermuten würde. In welchem politischen Kontext steht das Bekenntnis von Grup Yorum gegen Faschismus und Rassismus?

IC: Natürlich gibt es auf dem Unterhaltungssektor Musiker, die nur für Geld arbeiten. Bei uns ist es nicht so. Wir sind Sozialisten und Revolutionäre und haben ein Ziel. Wir wollen mit unserer Musik etwas verändern. Wenn wir unsere Musik machen, bei der es natürlich auch um Liebe und Freude geht, dann dürfen wir niemals vergessen, daß es auf dieser Welt Armut und Kriege gibt. Unsere Lieder sind ein Ausdruck von den Problemen in dieser Welt. Wir erinnern in unseren Liedern aber auch an die Kämpfe in unserer Vergangenheit und die Folgen, die sie für die Menschen hatten. Es ist wichtig, die eigene Kultur und Vergangenheit nicht zu vergessen, weil wir sie für unsere Zukunft brauchen. Wir glauben daran, daß sich die Welt ändern wird, und daß unsere Musik einen Beitrag dazu leistet.

SB: Herr Cibelik, vielen Dank für das Gespräch.

Grup Yorum-Anstecker, Broschüre und CD am Stand der Gruppe - Fotos: 2016 by Schattenblick Grup Yorum-Anstecker, Broschüre und CD am Stand der Gruppe - Fotos: 2016 by Schattenblick

Erkennungszeichen ...
Fotos: 2016 by Schattenblick


Grup Yorum im Schattenblick:

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https://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0023.html

INTERVIEW/034: Grup Yorum - Unser Gesicht ..., Ibrahim Gökcek im Gespräch (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0034.html


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3. Februar 2016


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