Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REPORT


INTERVIEW/292: Treffen um Rosa Luxemburg - Etablierte Fronten ...    Talip Güngör im Gespräch (SB)


Türkisch-deutsche Verhältnisse links gewendet

21. Rosa Luxemburg Konferenz in Berlin


In der Türkei werden heute soziale und geostrategische Konflikte in einer Härte und Brutalität ausgetragen, die die dort aktiven linken und emanzipatorischen Bewegungen akut in ihrer Handlungsfreiheit und körperlichen Unversehrtheit bedroht. Die Unterstützung der AKP-Regierung durch die Bundesregierung zeigt, daß die Bundesrepublik an der Eskalation der Gewalt im Lande nicht unbeteiligt ist, sondern aktiv Partei für die herrschenden Kräfte und gegen die soziale und linke Opposition ergreift. Die Positionen und Praktiken der Organisationen und Parteien der türkischen und kurdischen Linken kennenzulernen, ist daher nicht nur von akademischem Interesse, sondern ein Gebot aktiver Solidarität.

Zudem bilden die sozialen Kämpfe, die die Gesellschaft des Landes durchwogen, zahlreiche historische und aktuelle Parallelen zu Auseinandersetzungen ab, die in den reichen Metropolengesellschaften Westeuropas wieder deutlicher Kontur annehmen. Der kulturalistische Tenor, mit dem die soziale Frage hierzulande gegen flüchtende Menschen und in der Bundesrepublik lebende Türken, Kurden und Araber gewendet wird, verleiht dem analogen Verlauf dieser Entwicklung zusätzliche Bedeutung. Sich die eigene, im Bewußtsein der großen Mehrheit der deutschen Gesellschaft völlig verschüttgegangene revolutionäre Geschichte in Erinnerung zu rufen, steht mithin ebenso auf der Agenda linker Bewegungen wie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Linken in anderen Ländern Europas und seiner Peripherie, sind die dort herrschenden Lebens- und Produktionsverhältnisse doch nicht zu trennen von den Verwertungs- und Vergesellschaftungsbedingungen hierzulande.

Ihrem internationalistischen Anspruch gemäß waren auch auf der diesjährigen Rosa Luxemburg Konferenz zahlreiche Aktivistinnen und Aktivisten aus anderen Ländern und der migrantischen Linken vertreten. Der Schattenblick hatte Gelegenheit, einem Vertreter der Kommunistischen Partei (Türkei) einige Fragen zu stellen, die Geschichte und Gegenwart der radikalen Linken in der Türkei vor dem Hintergrund heutiger Kämpfe zum Gegenstand haben.


Videostill Fahne der KKE und KP (Türkei) - Foto: 2016 by Schattenblick

Kommunistische Solidarität hebt nationale Konflikte auf
Foto: 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Herr Güngör, Sie sind Mitglied des Deutschlandkomitees der Kommunistischen Partei (Türkei), die aus der Türkischen Kommunistischen Partei (TKP) hervorgegangen ist. Wie kam es zu diesem Schritt?

Talip Güngör (TG): Hervorgegangen hieße, daß eine Art Bruch stattgefunden hätte. Das sehen wir aber nicht so, vielmehr ist unsere Partei eine organische Fortsetzung der Kommunistischen Partei Türkei, die vor 18 Monaten eine innerparteiliche Krise durchlebt hat. Daraus ist die Kommunistische Partei (KP) entstanden, was juristische und auch personale Aspekte miteinschließt, aber insgesamt setzt die KP die Tradition der TKP sowohl im ideologischen, politischen als auch organisatorischen Bereich fort. Es hat keinen Abbruch gegeben.

SB: Handelt es sich demzufolge bei der KP im wesentlichen um eine klassenkämpferische Partei, die aber zugleich auf eine parlamentarische Arbeit orientiert ist?

TG: Man muß den politischen Kampf nicht in Sektoren einteilen, das wäre zu schablonenhaft. In dem Sinne, daß wir nicht an eine Systemüberwindung durch bürgerliche Wahlen glauben, könnte man den Schluß ziehen, daß wir keine parlamentarische Partei sind. Dennoch sehen wir den Wahlkampf bzw. die Tribüne des Parlaments als einen Aspekt des Klassenkampfs. Das haben schon die Bolschewiki und die vielen Parteien im Komintern so gesehen. Die eigentliche Tragödie begann erst, als die Parteien die klassenkämpferische Position ins Absurde führten und sich nur noch auf den parlamentarischen Weg konzentrierten. Von diesen Parteien wird im Moment keine einzige mehr in einem Parlament vertreten. Interessanterweise ist die KKE in Griechenland eine Partei mit klassenkämpferischem Hintergrund, die das Parlament in dieser Form sehr erfolgreich nutzt, was wir uns durchaus als Vorbild nehmen.

SB: Es gibt innerhalb der Linken in der Türkei auch Parteien wie die DHKP-C, die verboten sind. Existieren im Spektrum der legalen sozialistischen oder kommunistischen Bewegungen neben Ihrer Partei, der TKP und der HDP aus Ihrer Sicht noch andere Zusammenschlüsse mit einem mehr oder weniger nennenswerten Einfluß auf die türkische Politik?

TG: Es gibt natürlich noch andere Parteien, aber das sind meistens Splittergruppen, die im Klassenkampf der Türkei keine wesentliche Rolle mehr spielen. Ich möchte aber noch etwas zur Frage des Parlamentarismus und der legalen Parteien sagen: Laut dem türkischen Parteiengesetz war es bis vor ungefähr 20 Jahren nicht möglich, legale sozialistische und kommunistische Parteien zu gründen. Das war schlichtweg gesetzlich verboten. Im Prinzip ist die Gründung einer Partei mit der Bezeichnung kommunistisch immer noch verboten. Als wir die TKP 2001 legalisierten, mußten wir dies erst durchsetzen. Es wurde auch ein Verbotsantrag vor dem Verfassungsgericht eingereicht, der aber abgeschmettert wurde. Dennoch gibt es im Augenblick immer noch keine rechtliche Grundlage dafür. Das heißt, wenn es hart auf hart kommt, kann meine Partei von heute auf morgen wieder verboten werden. Damit müssen wir leben und auch kämpfen.

SB: In Deutschland kam es 1955 zum Verbot der KPD. Könnten Sie etwas zur Geschichte des türkischen Antikommunismus sagen und ob dieser mit der Bündnispolitik in der NATO in Beziehung steht?

TG: Der Antikommunismus in der Türkei hat eine andere und tiefergehende Geschichte und entstand nicht erst mit der NATO und der Westorientierung der Türkei. Vielmehr gab es den Antikommunismus in der Türkei von Anfang an. Als der sogenannte Befreiungskrieg unter Mustafa Kemal in Anatolien stattfand, wollte auch die damalige kommunistische Partei der Türkei unter Führung von Mustafa Suphi daran teilnehmen. Die Parteidelegation hat sich nach Anatolien begeben, aber auf dem Weg dorthin wurden alle Führungspersönlichkeiten der Partei auf einen Schlag umgebracht und die Partei danach auf Jahrzehnte verboten.

Als die NATO nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde und die Westorientierung sich in den bürgerlichen Klassen durchsetzte, wurden auch in der Türkei die Stereotypen des Antikommunismus übernommen und angewandt. So konnte die Linke bis in die 80er Jahre hinein nicht legal tätig werden. Erst mit der Gründung der Arbeiterpartei der Türkei (TIP) konnte sich die türkische Linke wieder eine legale Plattform schaffen. Damals bildeten sich erstmals auch legale revolutionäre Gewerkschaften in der Türkei, die dem Klassenkampf eine gesellschaftliche Basis gaben. Die Gründungsmitglieder der TIP waren auch Mitglieder der KP gewesen. So gesehen gab es keinen organisatorischen oder personellen Bruch, sondern eine Fortsetzung des revolutionären Kampfes mit anderen Mitteln.

SB: Käme die CHP als sozialdemokratische und größte Oppositionspartei im türkischen Parlament aus Ihrer Sicht als Koalitions- oder Bündnispartner in Frage?

TG: Die Sozialdemokratie hat in der Türkei eine völlig andere historische Grundlage. Die Sozialdemokratie im deutschen Kaiserreich ist als revolutionäre Klassenpartei entstanden, die marxistisch orientiert war und bis zum Ersten Weltkrieg auch die Interessen der Arbeiterklasse in der einen oder anderen Weise vertreten hat. Erst mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten hat die deutsche Sozialdemokratie ihren Bruch mit dem revolutionären Marxismus vollzogen . In der Türkei haben die Kemalisten bis in die 60er Jahre hinein die Regierung gestellt. Erst als sich die Linke langsam durchzusetzen begann und die Idee des Sozialismus breitere Massen erreichen konnte, hat die CHP angefangen, sich sozialdemokratisch zu geben, um so die linke Strömung in der Türkei wieder unter Kontrolle zu bringen. Ob sie kemalistisch oder sozialdemokratisch ist, spielt im Endeffekt keine Rolle, weil die CHP eine bestimmte bürgerliche Politik und Sichtweise vertritt. Sie ist für uns weder Ansprech- noch Bündnispartner und war es auch nie gewesen.

SB: Könnte man sagen, daß die AKP-Regierung heute noch rigider und repressiver gegen die radikale Linke vorgeht als ihre Vorgängerregierungen, die noch stark im Militär verankert waren?

TG: Der Form nach würde ich sagen, nein, aber im wesentlichen handelt es sich bei der AKP um eine organisatorische Fortsetzung der Repressionspolitik gegen links. Nach dem Militärputsch von 1980 begannen in der Türkei Jahre des Terrors gegen linke und revolutionäre Bewegungen. Jegliche kommunistische Tätigkeit war mit Folter, Tod oder Gefängnis bedroht. Erst Mitte der 90er Jahre konnte sich die Linke wieder einigermaßen durchsetzen und legale Positionen erringen, bis diese in der sogenannten Konterguerilla-Phase unter der Ministerpräsidentin Tansu Ciller von der Partei des Rechten Weges wieder rückgängig gemacht wurden.

Als die AKP-Regierung in ihrer Anfangsphase ihr Programm besser durchsetzen konnte, hat sie die alte kemalistische Elite als ihr eigentliches Angriffsziel deklariert. Darauf sind viele Linke und Linksliberale hereingefallen, die sich gesagt haben, vielleicht kann man mit der AKP die Macht des alten Regimes brechen und eine demokratische Verfassung durchsetzen. Auch ein Teil der kurdischen Bewegung hat die AKP-Regierung unterstützt und spätestens seit 2003 verdeckt oder auch offen Gespräche und Verhandlungen mit der AKP über einen sogenannten Friedensprozeß in der Türkei geführt. Das Ergebnis kann man im Moment überall in der Türkei beobachten. Dagegen hat meine Partei die AKP von Anfang an für eine durch und durch reaktionäre und proimperialistische Partei gehalten, die die Interessen der Großbourgeoisie und des Weltimperialismus in dieser sehr wichtigen Region vertritt, und daher keinerlei Verhandlungen mit der AKP geführt.

SB: Zu Beginn seiner ersten Regierung hat sich Erdogan stärker in Richtung EU orientiert, um sich möglicherweise Rückendeckung gegen die kemalistische Fraktion zu verschaffen. War damit nicht auch eine Art Liberalisierungsschub in der Türkei verbunden?

TG: Dieser Liberalisierungsschub war jedoch reaktionär fundiert, auch wenn der Westen bzw. linke Kreise in Europa dies anders wahrgenommen haben. Auf dem Radar der AKP standen dem Anschein nach die kemalistischen Eliten, aber im Grunde hatte sie die fortschrittlichen Reformen des Kemalismus ins Auge gefaßt. So hat die AKP in diesen Jahren den Laizismus als Staatsprinzip komplett unterwandert und das Erziehungswesen und gesellschaftliche Leben in die Zwangsjacke des religiösen Fundamentalismus hineingepreßt. Diese Schritte wurden mit dem Ruf nach Freiheit und Liberalisierung eingeleitet, womit auch viele Linke getäuscht wurden.

SB: Seit den 60er Jahren setzte eine starke Arbeitsmigration von der Türkei nach Deutschland ein. War damit für türkische Linke auch die Möglichkeit verbunden, in ein weniger repressives Umfeld auszuweichen, oder gab es damals unter den sogenannten Gastarbeitern ebensowenig Linke wie in der türkischen Gesellschaft?

TG: Man muß das im Kontext der damaligen Zeit sehen. Die 60er und 70er Jahre waren weltweit eine Zeit der Linken gewesen. Auch die Migranten-Organisationen von damals waren komplett von der türkischen Linken durchsetzt. So gingen die ersten Vereinsgründungen von Arbeitsmigranten in Deutschland auf Linke zurück, die auch die Interessen dieser Menschen vertreten haben. Wenn man Bilder dieser Arbeitsmigranten oder auch Frauen aus den 60er oder 70er Jahren betrachtet, wird man keine Frau mit einem Kopftuch oder einen Mann mit Vollbart finden. Diese religiöse Außenerscheinung, die man heutzutage von Migranten hat, gab es in den 60er Jahren nicht.

Man muß dazu wissen, daß die ersten wilden Streiks in der Bundesrepublik wie beispielsweise in den Kölner Fordbetrieben 1973 von den Arbeitsmigranten unter der Führung der türkischen Linken organisiert wurden. Das war keine spontane Maßnahme gewesen. Das heißt, sie haben im wesentlichen eine klassenkämpferische und aufklärerische Position vertreten. Aber mit der Niederschlagung der Linken Anfang der 80er Jahre in der Türkei und der Konterrevolution in den realsozialistischen Staaten Anfang der 90er Jahre hat sich die Linke mehr und mehr zurückgezogen und dieses Terrain kampflos den faschistischen und religiösen Kräften überlassen.

SB: Sind die in Deutschland lebenden aus der Türkei stammenden Menschen Ihrem Eindruck nach eher konservativ, reaktionär und religiös orientiert oder gibt es unter ihnen stärkere emanzipatorische und sozialistische Kräfte?

TG: Das ist schwer zu sagen. Wenn man sich die letzten Wahlergebnisse anschaut, ist die türkische Community in Deutschland genauso gespalten wie die Gesellschaft in der Türkei. Die AKP und faschistische Bewegungen haben ungefähr 50 Prozent Unterstützung unter den Migranten hier erhalten, fast ebensoviel wie die HDP oder die kemalistischen bzw. linken Kräfte. Das heißt, man kann diese Bevölkerungsschicht in Deutschland nicht komplett als reaktionär oder komplett als fortschrittlich bezeichnen, sondern muß sie als Kampffeld des Klassenkampfes sehen und dementsprechend danach handeln. In den 70er Jahren dagegen waren die Arbeitsmigranten noch durchweg fortschrittlich organisiert und orientiert gewesen, aber das war dem damaligen Zeitgeist geschuldet, der sich inzwischen gewendet hat.

Das heißt aber nicht, daß die sozialen Spannungen und Ausgrenzungen ad acta gelegt wurden, vielmehr haben sie sich verschärft. In den Zeiten der sogenannten Vollbeschäftigung in den 70er Jahren haben diese Arbeitsmigranten ihre Ausgrenzung durch die Linke zu kompensieren versucht. Seitdem ist die Arbeitslosigkeit gestiegen, und auch die Ausgrenzung von der Bevölkerungsmehrheit hat nicht ab-, sondern zugenommen. Das heißt, man muß dieses Feld für den Klassenkampf und für die Linke wieder eröffnen und das verlorene Terrain zurückgewinnen. Genau das versuchen wir hier in Deutschland.

SB: Vor kurzem kam es zu einem Angriff der Grauen Wölfe auf ein HDP-Büro in Berlin. In der Türkei droht aufgrund der massiven Unterdrückung der kurdischen Befreiungsbewegung ein Bürgerkrieg. Können Sie sich vorstellen, daß solche Auseinandersetzungen auch auf die Bundesrepublik übergreifen?

TG: Das wäre schon möglich, denn die Verbundenheit der Menschen mit ihren Heimatländern hat ungeachtet der Integrationsdebatte sogar noch zugenommen, was sicherlich auch den Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten geschuldet ist. Es ist ja heute nicht so wie in den 20er Jahren, als die Arbeitsmigranten aus Italien oder Polen in die USA ausgewandert und ein Teil der amerikanischen Gesellschaft geworden sind, weil sie keine andere Möglichkeit hatten. Aber heutzutage können Arbeitsmigranten in Deutschland türkisches Fernsehen empfangen oder türkische Zeitungen lesen. Wenn sie in ein Flugzeug steigen, sind sie in zwei Stunden wieder in ihrer Heimat. Das heißt, die Kontakte sind immer noch vorhanden.

Was in den Heimatländern passiert, spiegelt sich auch in der sogenannten neuen Heimat wider. Wenn die Krise in der Türkei sich verschärfen und Formen eines Bürgerkrieges annehmen würde, könnte ich mir gut vorstellen, daß ein Funke davon auch nach Europa überspringt. In Deutschland leben drei Millionen Menschen aus der Türkei, eine Million davon sind kurdischstämmig. Wenn es in der Türkei zu einer Balkanisierung wie in Jugoslawien kommen sollte, denke ich, wird sich eine entsprechende Reaktion in allen europäischen Ländern, wo diese Minderheiten leben, Bahn brechen.

SB: Wie schätzen Sie die deutsche Politik in der Türkei ein?

TG: Deutschland versucht nach wie vor, sein altes Spielchen zu spielen, denn seit dem Kaiserreich hat die Bourgeoisie Deutschlands ihr Ziel nicht aufgegeben, in der imperialistischen Hierarchie aufzusteigen. In diesem Zusammenhang fällt der Türkei eine große Rolle zu, erstens, weil sie ökonomisch stark von Deutschland abhängig ist, und zweitens, weil sie für die strategischen Interessen der Bundesrepublik angesichts ihrer Nachbarschaft zum Kaukasus sowie zum Nahen Osten und dessen Erdölgebieten, also in ihrer Funktion als Brücke zu Europa und als Einfallstor für die Flüchtlingsströme, eine große Bedeutung hat. Wirft man all diese Faktoren in einen Topf, kann ich mir gut vorstellen, daß die Bundesrepublik gerne ihr eigenes Süppchen kochen würde, wenn da nicht der große Bruder USA im Hintergrund wäre. Daß die innerimperialistischen Spannungen auf jeden Fall zunehmen werden, steht jedoch fest. Welche Ziele die Bundesrepublik in der Türkei letztendlich verfolgen wird, bleibt abzuwarten. Es müssen keine demokratischen sein, denn über kurz oder lang wird die Bundesrepublik ein Teil dieses Bürgerkrieges werden, wenn sie es nicht schon ist. Die Bundesrepublik wird auf jeden Fall nicht als Schiedsrichter in diesem Konflikt auftreten.

SB: Die moderne Linke in der Bundesrepublik ist zunehmend an sozialökologischen Fragen, aber auch an Frauen- und Schwulenrechten interessiert. Findet diese Orientierung auch in Ihrer Partei eine Resonanz oder bleibt die türkische KP im wesentlichen auf den sozialen Klassenkampf ausgerichtet?

TG: Mit der weltweiten Niederlage der Linken Ende der 80er Jahre ist eine Suche nach Alternativen verbunden, die mit der Hoffnung einhergeht, daß man die alte klassenkämpferische Position aufweichen und andere Fragestellungen in den Vordergrund stellen könnte. Das ist sicherlich auch vom Wunsch getragen, auf diese Weise mehr Leute erreichen und so den Kampf auf anderen Wegen entscheiden zu können. Aber wenn man sich das Ergebnis dieser Politik nach 20, 30 Jahren anschaut, muß man sich auch die Frage stellen, was von diesen Ökolinken oder Paxlinken noch übriggeblieben ist. Nichts!

Die Parteien, die einst angetreten sind, die sogenannte alte oder orthodoxe Linke zu überwinden, existieren heute nicht mehr. Wenn man einen Blick nach Griechenland wirft, wo eine tiefe ökonomische und politische Krise herrscht, kommt man nicht umhin zu erkennen, welche Partei immer noch eine Alternative zum kapitalistischen System darstellt. Dort gibt die sogenannte altbackene, orthodoxe Partei KKE nach wie vor den Impuls für den Klassenkampf. In diesem Sinne ist auch meine Partei der Ansicht, daß diese Kampffelder und Problematiken eine unverminderte Rolle im Klassenkampf spielen werden. Der Gesamtzusammenhang, den man im Auge haben muß, besteht in der sozialen Frage. Es gibt keinen Zweifel daran, daß sich die soziale Frage im Weltmaßstab immer weiter verschärfen und vertiefen wird. Nicht nur die alte, die Linke insgesamt sollte auf die Weisheiten ihres revolutionären Weges zurückgreifen, denn die Antworten sind schon vorhanden.

SB: Herr Güngör, vielen Dank für das Gespräch.


Videostill am Stand der Partei - Foto: 2016 by Schattenblick

Versammlung der Kommunistischen Partei (Türkei)
Foto: 2016 by Schattenblick


21. Rosa Luxemburg Konferenz in Berlin im Schattenblick
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/223: Treffen um Rosa Luxemburg - Wasser predigen ... (SB)
BERICHT/224: Treffen um Rosa Luxemburg - Weichgespült ... (SB)
BERICHT/225: Treffen um Rosa Luxemburg - Eine Hälfte brennt ... (SB)
BERICHT/226: Treffen um Rosa Luxemburg - Multiform schlägt Uniform ... (SB)
BERICHT/227: Treffen um Rosa Luxemburg - Die Gier der Märkte ... (SB)
INTERVIEW/289: Treffen um Rosa Luxemburg - und niemand sieht hin ...    Nick Brauns im Gespräch (SB)
INTERVIEW/290: Treffen um Rosa Luxemburg - Vergessen frißt Fortschritt auf ...    Ihsan Cibelik im Gespräch (SB)
INTERVIEW/291: Treffen um Rosa Luxemburg - getrennt marschieren ...    S.E. Jorge Jurado im Gespräch (SB)

6. Februar 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang