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INTERVIEW/335: Der schleichende Krieg - Ein Befehl, und niemand will ...    Siglinde Cüppers im Gespräch (SB)


Kriege werden stets mit denkbar besten Absichten geführt ...

Interview am 11. Februar 2017 in Jagel


Die Friedensaktivistin Siglinde Cüppers ist im DFG-VK organisiert und hielt bei der jüngsten Mahnwache am Fliegerhorst Jagel in Schleswig-Holstein [1] ein Referat über die kriegsstrategische und waffentechnische Bedeutung dieses Militärflughafens. Im Anschluß an die Protestaktion beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen zu den Aktivitäten der Friedensbewegung und der Legitimationsnöte der Bundeswehr.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Siglinde Cüppers
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Cüppers, wie sind Sie zu Ihrem antimilitaristischen und friedenspolitischen Engagement gekommen?

Siglinde Cüppers (SC): Ich bin seit 24 Jahren Mitglied der Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK). Ich habe mich immer schon mit Militärkritik beschäftigt und dachte irgendwann, daß man das mit einer Organisation machen muß und nicht als Einzelkämpferin tun kann. In die DFG-VK bin ich eingetreten, weil es dort Menschen gibt, die wie ich die Bundeswehr abschaffen wollen.

SB: Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer antimilitaristischen Arbeit in Schleswig-Holstein?

SC: Ich bin in der DFG-VK-Gruppe Flensburg aktiv. Unser Schwerpunkt besteht darin, alle Aktionen, die wir machen, mit dem Motto "Bundeswehr abschaffen" zu verknüpfen. Auch wenn hier kein Krieg ist, muß man immer wieder darauf hinweisen, daß diese Bundeswehr trotzdem militärisch agiert. So haben wir viele Jahre lang bis zur Aussetzung der Wehrpflicht einmal die Woche Beratung für Kriegsdienstverweigerer angeboten. Ich denke, wir haben dazu beigetragen, daß es nicht selbstverständlich ist, zur Bundeswehr zu gehen und die Bundeswehr inzwischen große Probleme damit hat, Personal zu bekommen. In Flensburg machen wir, wenn die Bundeswehr zum Job-Center oder in Schulen geht, auch Antirekrutierungsarbeit. Zum Glück wirbt die Bundeswehr in Flensburg nur noch an einem Gymnasium. Über zig Jahre mit unserer Kriegsdienstverweigerungsberatung haben wir es geschafft, daß Jugendliche ein Bewußtsein dafür entwickeln, daß es nicht normal ist, Soldat zu sein. Neben direkten Aktionen verteilen wir auch Flugblätter und kleistern die Umgebung mit Plakaten zu.

SB: Versucht die DFG-VK, sich mit anderen Gruppen, die gegen Krieg aktiv werden, etwa aus dem links-autonomen Spektrum oder in kirchlichen Kreisen, zu vernetzen, um die Friedensbewegung wieder auf breitere Füße zu stellen?

SC: In Flensburg ist es so, daß wir arbeitsteilig vorgehen. Heute ist zum Beispiel eine Aktionskonferenz in Kiel, wo es um die Frage geht, wie man sich gegen Auftritte der AfD engagiert. Die Arbeitsteilung funktioniert dann nach dem Motto: Ein Teil fährt nach Kiel und ein anderer macht hier in Jagel eine Aktion. Aber es sind auch immer wieder Leute aus der Autonomen Szene hier in Jagel. Ein zweiter Schwerpunkt unseres Engagements ist die Elektronische Kampfführung der Bundeswehr, die in Bramstedtlund und Stadum konzentriert angesiedelt ist. Auch dagegen machen wir immer wieder Aktionen.

SB: Die Bundeswehr hat mit Frau von der Leyen als sogenannte Verteidigungsministerin einen Imagewandel vollzogen. Wie bewerten Sie als langjährige Friedensaktivistin dieses Manöver der Bundeswehr, sich fürsorglich, harmlos und familienbetont darzustellen?

SC: Ich denke, daß diese Werbestrategie die beste ist, die die Bundeswehr je hatte. Das ist für uns ein großes Problem, um mit unseren Themen weiterzukommen. Ich halte Frau von der Leyen für eine sehr fähige Verteidigungsministerin. Sie ist klug und geschickt darin, die Trennung von Krieg und Frieden aufrechtzuerhalten, auch dann, wenn eigentlich klar ist, daß die Bundeswehr mit Frieden oder auch nur Verteidigung gar nichts mehr zu tun hat. Denn die Elektronische Kampfführung bzw. Cyberkrieg sind eindeutig kriegerische Handlungen. Sie versteht es, all das so zu verpacken, daß die Bevölkerung tatsächlich meint, daß es nicht um Krieg geht, obwohl wir eigentlich mittendrin sind.

SB: Seit dem Jahr 2000 dürfen Frauen aufgrund eines Urteils des EuGH in der Bundeswehr nicht mehr vom Dienst an der Waffe ausgeschlossen werden. Wie beurteilen Sie diesen Wandel auch vor dem Hintergrund dessen, daß als fortschrittlich geltende Kräfte mehr Gleichstellung von Frauen bei der Bundeswehr fordern?

SC: Ich gehöre in der DFG-VK ja zur Fraktion der Feministinnen, und als Feministin ist es für mich unvereinbar, in militärischen Strukturen als Frau zu denken, daß es irgend etwas mit Emanzipation zu tun hat. Der ganze Militärapparat hat damit nichts zu tun. Das ist eine Befehls- und Gehorsamsstruktur, die auf patriarchalen Strukturen beruht und bei der es darum geht, mit Krieg und Militär Interessen durchzusetzen. Beim Feminismus hingegen geht es eher darum, einen Konsens zu finden, sich für Minderheiten einzusetzen und für Gleichberechtigung zu sorgen, das ist das genaue Gegenteil davon. In dieser Hinsicht bin ich auch eine absolute Gegnerin von Alice Schwarzer [1].

SB: Auch die Grünen waren einmal antimilitaristisch oder mindestens pazifistisch eingestellt, propagieren die Gleichstellungsstrategie der Bundeswehr jedoch heute offensiv. Soll die Akzeptanz des Militärs wieder maßgeblich erhöht werden?

SC: Es ist doch so, daß die Frauen in der Bundeswehr eine ganz einfache Stellung haben. Es geht schlicht darum, daß die Bundeswehr Personal braucht, weil sie keines mehr kriegt. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß wir eine Gesellschaft von Kriegsdienstverweigerern sind. Es haben mehr Männer den Kriegsdienst verweigert als zur Bundeswehr gegangen sind. Und diesen Mangel muß man auffüllen, wenn man wie Frau von der Leyen und auch ihre Vorgänger die Bundeswehr zu einer kampffähigen Angriffsarmee machen will. So gibt es auf der einen Seite diese konzeptionelle Ausrichtung und auf der anderen Seite eine Bevölkerung, die das gar nicht will. Daher holt man sich halt alles, was man kriegen kann. Inzwischen rekrutiert die Bundeswehr selbst Menschen mit einem Intelligenzquotienten von 70, die früher ausgemustert worden sind. So haben Frauen wirklich die Aufgabe, Lückenbüßer zu sein.

SB: Was wissen Sie darüber, daß Frauen innerhalb der Bundeswehr durch patriarchalische Strukturen oder entsprechende Verhaltensweisen nach wie vor benachteiligt werden?

SC: Das betrifft nicht nur Frauen, sondern auch Homosexuelle, Transsexuelle, überhaupt alle Menschen, die nicht in diese Norm passen. Und es ist nun einmal so, daß Frauen im Patriarchat nicht in die Norm passen, es sind ja sozusagen andere Wesen. Es ist natürlich klar, daß Gewaltstrukturen, in denen der Mensch ja eigentlich nichts wert ist, wo man nicht darüber nachdenkt, was man tut, wen man verletzt und wen man tötet und sich auch dafür hergibt, sich darin ausbilden zu lassen, am ehesten die treffen, die Minderheiten sind.

SB: Bei der Bundeswehr wurde die innere Führung zum demokratischen Soldaten auch als eine Art von bürgerlicher Emanzipation innerhalb der Truppe verkauft. Spielt dieses Konzept wie auch die damit verbundene Idee, Befehle verweigern zu müssen, wenn sie gegen das Grundgesetz oder Internationales Recht verstoßen, heute überhaupt noch eine Rolle?

SC: Ich denke, daß das Konzept vom Staatsbürger in Uniform im Aussterben begriffen ist. Das ist auch so gewollt. Wenn man Krieg führen will, braucht man niemanden, der darüber nachdenkt, ob es jetzt noch gesetzlich ist, vielmehr braucht man einen kämpferischen Helden, der nicht nachdenkt. Wenn Menschen sich darüber Gedanken machten, was sie in diesen modernen Kriegen anrichten, würden sie schreiend davonlaufen. Im Rahmen von Psychotherapie haben wir immer wieder mit Bundeswehrsoldaten zu tun. Da erlebt man dann, daß die Älteren, die dieses Konzept noch verinnerlicht haben, damit argumentieren, daß ein Einsatz im Rahmen einer Rechtsordnung eingebunden sein muß, was auch überprüft wird, und ob die Bevölkerung dahintersteht. Ganz schlimm für Soldaten ist, wenn die Bevölkerung gar nicht will, was sie machen. Wenn dieser Staatsbürger in Uniform sich sozusagen verabschiedet hat, auch weil dieses Konzept keine weitere Verbreitung findet, wird es schlimm, weil wir es dann wirklich mit diesen kämpfenden Helden zu tun haben.

SB: Könnten Sie ein Beispiel dafür geben, wo die Bundeswehr unter vermeintlichen Friedensbedingungen Krieg führt?

SC: In dem Spannungsfeld, in dem man versucht, alle militärischen Handlungen, die man macht und auch machen will, irgendwie als Friedenshandlungen auszuweisen, ist auch die Elektronische Kampfführung (EloKa) angesiedelt. Wenn im Krieg gegen Piraten ein Schiff ins Visier gerät, von dem man annimmt, daß es ein Piratenschiff ist und dessen Funk, Radarstation und das GPS abschaltet, verliert dieses Schiff die Orientierung. Es kann keinen Notruf mehr absetzen und treibt irgendwo auf dem Meer herum. Das ist ja keine Friedenshandlung, sondern eindeutig eine Handlung, wo Menschen zu Schaden kommen können. Daher muß man es so verpacken, daß es etwas mit Verteidigung, mit unserem freien Zugang zu Handelswegen zu tun hat. Auf diese Weise muß man ständig Handlungen, die eigentlich kriegerisch sind, irgendwie als Friedensmission umdeuten. So hat die Bundeswehr immer ein Definitionsproblem, was übrigens auch für ihre Mandate in der Politik gilt. Wenn etwas eigentlich gegen das Grundgesetz verstößt, wird, wenn das Parlament ein Mandat dafür erteilen soll, dessen Wortlaut immer so formuliert, daß es noch in die Kategorie Frieden paßt.

SB: In der Bundeswehr wird eine Art rückwärtsgewandte Legitimationsstrategie verfolgt. Einerseits will man sich von den NS-Verbrechen abgrenzen, andererseits die Tradition der Wehrmacht hochhalten, also führt man Krieg für Menschenrechte. Haben Sie den Eindruck, daß diese Verklausulierung vordergründiger Motive heute noch Relevanz hat, oder ist die Normalisierung schon so weit fortgeschritten, daß Krieg inzwischen selbstverständlicher Ausdruck staatlicher Souveränität ist?

SC: Ich denke, daß die Bundeswehr für jeden Militäreinsatz massive Rechtfertigungsgründe braucht gegenüber einer Bevölkerung, die bei Umfragen zu 60 bis 70 Prozent weder einen Afghanistan- noch einen Syrieneinsatz will. Darum muß man ständig Rechtfertigungen erfinden, die irgend etwas mit Frieden zu tun haben. In Jugoslawien mußte man halt einen Diktator sozusagen beseitigen, um die Jugoslawen bzw. Bosnien-Herzegowina zu befreien. Im Kosovo ist die Bundeswehr immer noch und schafft dort Frieden. Um Kriegseinsätze zu legitimieren, nimmt man als Vorwand gerne die Menschenrechte, weil sie diffus sind, oder argumentiert mit der Vorstellung, eine Demokratie einzuführen. Die deutsche Demokratie ist fast schon eine Art Exportschlager geworden, die man überallhin transportieren müsse. Letztlich geht es aber um Besatzungen, um Kolonialismus, um koloniale Kriege. Letztlich haben wir Afghanistan und den Kosovo militärisch besetzt. Und das rechtfertigen wir damit, daß wir denen die Demokratie oder Freiheit bringen.

Mit Menschenrechten und Demokratie grenzt man sich nach rechts ab, dennoch gibt es ganz viel Rechtsradikalismus in der Bundeswehr. Laut dem Buch "Heimatschutz" über die NSU-Morde hat die Bundeswehr vor zehn Jahren erklärt, daß sie, wenn sie den Rechtsradikalismus in der Truppe entschieden bekämpfte, eigentlich dichtmachen könnte. Und zu diesem Männerbild oder auch Frauenbild des Befreiers und des Retters paßt wieder diese nationalistische Ideologie nach dem Motto: Am deutschen Wesen kann die Welt genesen. Das hatten wir schon im Ersten Weltkrieg, diesen Export des deutschen Wesens, und den haben wir jetzt wieder.

SB: Was müßte Ihrer Ansicht nach passieren, damit es in der relativ wohlhabenden Bundesrepublik in absehbarer Zeit noch einmal zu einem Umschwung eines größeren Teils der Bevölkerung gegen Krieg und Militarismus und damit auch synonym gegen Rechts kommt?

SC: Ich glaube, daß wir so eine Diskrepanz haben. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die in Umfragen sagen, das wollen wir alles nicht, aber auf der anderen Seite gibt es wenig Engagement. Es gibt viele hunderttausend Männer, die den Kriegsdienst verweigert haben, aber sie engagieren sich nicht. Meines Erachtens steckt dahinter diese individuelle Vorstellung nach dem Motto: Ich bin zwar Kriegsdienstverweigerer, aber ich gehe nicht zu einer Friedensdemonstration. Diese Individualisierung führt dazu, daß sich die Menschen keinen Organisationen oder Gruppen anschließen, sondern ihr eigenes Ding machen.

SB: Haben Sie vielleicht eine Hoffnung, das sich das ändern könnte?

SC: Ich glaube, es könnte vielleicht durch irgendein Ereignis ausgelöst werden. Tschernobyl war ein solches Ereignis. Ich war damals in der Anti-AKW-Bewegung gegen Wackersdorf aktiv. Da haben wir eigentlich so vor uns hingedümpelt. Mit 50 oder 100 Leuten haben wir irgend etwas gemacht. Aber dann kam Tschernobyl, und das hat dazu geführt, daß die Menschen die Atomkraft nicht mehr wollten. Dennoch glaube ich nicht, daß es eine gesellschaftliche Entwicklung weg von dieser Individualisierung geben wird und sich die Menschen wieder zusammenschließen. Eine solche Entwicklung wäre wahrscheinlich nur über äußere Einflüsse zu erreichen.

SB: Frau Cüppers, vielen Dank für das Gespräch.


Sensemann mit Maske und Siglinde Cüppers - Foto: © 2017 by Schattenblick

Vortrag vor interessiertem Publikum
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0255.html

[2] Alice Schwarzer hat den Ausschluß von Frauen vom uneingeschränkten Kriegsdienst schon 1976 als Ausdruck weiblicher Diskriminierung, bei der es schlicht um den Erhalt männlicher Macht ginge, verurteilt.


15. Februar 2017


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