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INTERVIEW/370: Initiativvorschläge - kein zahnloser Tiger ...    David Schuster im Gespräch (SB)


David Schuster ist ein Aktivist der Gruppe "Zwangsräumung verhindern". Auf dem Kongreß "Selber machen - Konzepte von Basisorganisierung, Gegenmacht und Autonomie", der vom 28. bis 30. April im offenen Zentrum Bethanien in Berlin-Kreuzberg stattfand, stellte er im Workshop "Widerstand hat viele Gesichter - 5 Jahre Zwangsräumung verhindern in Berlin" gemeinsam mit einer Aktivistin die Gruppe vor und diskutierte mit den Anwesenden. Im Anschluß daran beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu konkreten Aktionsformen, zur Reaktion der Medien, zum Verhältnis zwischen Basisarbeit und politischem Anspruch sowie zum Umgang mit Behörden und Parteien.



Schild 'Stop Zwangsräumungen' - Grafik: © Bündnis Zwangsräumung verhindern

Grafik: © Bündnis Zwangsräumung verhindern


Schattenblick (SB): Wie ist es bei dir lebensgeschichtlich dazu gekommen, daß du dich gegen Zwangsräumungen engagierst?

David Schuster (DS): Ich war schon länger in Mieten- und Stadtteilgruppen aktiv, und dabei haben wir uns immer wieder gefragt, wieso es eigentlich mit der Organisierung und dem Widerstand nicht so richtig klappt. Es war natürlich offensichtlich, daß Mieter nicht an sich ein revolutionäres Subjekt sind. Mieter schlagen sich immer mit individuellen Geschichten herum, das ist hier so angelegt, daß du solche Probleme individuell auf dem Rechtsweg lösen mußt. Das machen die meisten Mieter auch. Sie sind zwar empört über die hohen Mieten und die Verdrängung, aber solange sich noch eine Möglichkeit bietet, daß man sich irgendwohin verdrängen lassen kann, macht man das auch. Denn wer hat schon Bock, sich in dem ganzen Lebensstreß auch noch den Kampf um die Wohnung an den Arsch zu binden. Erst dann, wenn du wirklich mit dem Rücken an der Wand stehst und keine Möglichkeit mehr hast, bleibt dir nichts anderes mehr übrig, als dich zu wehren, oder du hast zumindest die Motivation dazu: Entweder kämpfen oder auf die Straße. Und das hat sich in den Zwangsräumungen zugespitzt. Ständig über Gewalt zu reden, ist ein Diskurs in dieser Gesellschaft. Dann sollte man aber auch nicht davon schweigen, daß Zwangsräumung eine gewalttätige Art ist, in der sich Kapitalismus durchsetzt, und die finde ich zum Kotzen.

SB: Wenn ihr Menschen zur Seite steht, die sich gegen Zwangsräumung wehren, bedient ihr euch verschiedener Vorgehensweisen und Aktionsformen. Was passiert denn da?

DS: Wir führen beispielsweise Go-ins durch. Dabei tauchen wir mit zehn oder zwanzig Leuten auf, setzen oder stellen uns hin und sagen, wir sind heute unangemeldet hier, weil wir dagegen sind, daß diese Person oder diese Familie zwangsgeräumt werden soll. Was dann passiert, ist ganz unterschiedlich. Bei einigen gibt es Diskussionen, manchmal werden die Bullen gerufen, aber wir haben gemerkt, wie wichtig diese Konfrontation ist. Das zeigt der Gegenseite, daß wir einen gewissen Grad an Entschlossenheit haben und jetzt Öffentlichkeit entsteht. Und Öffentlichkeit ist das Pfund, mit dem wir wuchern.

SB: Ihr habt im Workshop berichtet, daß ein erheblicher Teil der Betroffenen solange mitmacht, bis ihr Problem gelöst ist, danach aber wegbleibt. Wie geht ihr damit um und was könnte man vielleicht anders machen?

DS: Dieses Problem wäre sicher lösbar, indem man mehr auf die Lebensrealität der Leute eingeht, also noch weitere Angebote macht. Man könnte sich zu anderen Zeiten treffen, nicht so ein strenges Politplenum wie wir machen, aber das ergibt sich bei uns einfach aus dem Arbeitspensum. Wenn beispielsweise drei Leute gleichzeitig zwangsgeräumt werden, müssen wir halt etwas unternehmen. Wir können nicht bei allen drei Leuten gleich viel machen, und manche Dinge eignen sich besser als andere, um einzugreifen und etwas zu skandalisieren. Aber trotzdem können wir niemanden ganz hängen lassen, denn das stünde im Widerspruch zu unserem Anspruch. Und da ergibt es sich einfach, daß Sachen zu kurz kommen. Das ist eine Ressourcenfrage, aus der wir nicht herauskommen, weil wir einfach zu wenige sind. Und wenn wir mehr Leute wären, hätten wir vielleicht auch mehr Ideen oder würden nicht in diesem Getriebensein verhaftet bleiben.

SB: Ihr seid in einer politischen Arbeit aktiv, die sich mit konkreten Aktionen an der Basis beschäftigt. Wie verträgt sich das mit dem Anspruch mancher linker Gruppen, die der Auffassung sind, man müßte die ideologische Auseinandersetzung auf einer höheren Ebene führen und vorantreiben?

DS: Wir verstehen uns als eine politische Gruppe und sind der Auffassung, daß es politisch im besten Sinn ist, der konkreten Scheiße etwas entgegenzusetzen. Das ist einmal die Solidarität mit den Betroffenen, aber zugleich auch der Angriff aufs Eigentum, weil wir nicht akzeptieren wollen, daß Leute, nur weil sie ein Haus besitzen, andere Leute in die Obdachlosigkeit schmeißen können.

SB: Die linken Gruppen halten oftmals die Theorie vor und fordern, man müßte noch sehr viel tiefer fassen, um Menschen zu politisieren.

DS: Da, würde ich sagen, kenne ich mich nicht so aus. Für mich gilt jedoch, daß die bestehenden Eigentums- und Machtverhältnisse geändert werden müssen. Vorher wird sich an der beschissenen Situation für viele Leute nichts ändern. Hier nicht und weltweit auch nicht.

SB: Wie ist euer Verhältnis zu Behörden? Es gibt ja offizielle Beratungsstellen auch für Mieterinnen und Mieter. Bestehen da Möglichkeiten der Zusammenarbeit?

DS: Wir arbeiten im Grunde nicht mit Behörden zusammen. Mitunter suchen wir aber die entsprechende Stelle auf oder gehen am besten gleich auf die höchste Ebene zum Sozialstadtrat und sagen: Diese Frau braucht eine Wohnung. Das hat auch tatsächlich schon mal geklappt. Wir versuchen, diesen Druck auch in die Behörden auszuweiten, aber möglichst nicht auf einer unteren Ebene, weil die Leute dort in ihren bürokratischen Mechanismen gefangen sind. Wir haben auch schon einmal ein Go-in beim damaligen Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Müller, gemacht, das war aber nicht erfolgreich. Wir versuchen jedenfalls, auf einer höheren politischen Ebene anzugreifen.

SB: Eine Diskussionsteilnehmerin schlug im Workshop vor, auch die Partei Die Linke und andere eher etablierte Gruppen mit einzubeziehen. Wäre das deiner Ansicht nach ein gangbarer und sinnvoller Weg?

DS: Ich bin da kein Prinzipienreiter, aber politische Parteien haben eine Eigendynamik. Wir haben beispielsweise damals, als die Familie Gülbol [1] zwangsgeräumt werden sollte, einen Aufruf gemacht: Die Leute sollen nicht nur sagen, daß sie es scheiße finden, sondern zusagen, daß sie sich konkret an diesem Tag davorsetzen und den Zugang blockieren. Da haben auch Politiker unterschrieben, Linke, Grüne - SPDler nicht, denen ginge das zu weit -, doch waren sie im Endeffekt nicht vor Ort präsent. Trotz dieser Erfahrung finde ich, daß es einen Unterschied macht, ob wir hier in Berlin Rot-Rot-Grün oder am Ende eine AfD-CDU-Regierung haben. Das ist zwar kein grundsätzlicher Unterschied, macht aber manchmal schon etwas aus. Wenn wir ein Go-in machen, dann ist das Hausfriedensbruch und die holen trotzdem die Bullen, ob das jetzt Rot-Rot-Grün oder eine andere Regierung ist. Blockieren wir eine Zwangsräumung, kann die Gerichtsvollzieherin oder der Gerichtsvollzieher Amtshilfe beantragen, und das machen die auch. Dann kommen die Bullen, so ist es einfach. Da kann sich auch eine Regierung oder eine Partei nicht dagegenstellen. Deswegen glaube ich, daß man punktuell bestimmt etwas zusammen machen kann, aber im großen und ganzen habe ich keine Hoffnung, daß sich irgend etwas durch Parteien und Wahlen verändern würde. Allerdings kann es noch schlimmer werden.

SB: Wie du berichtet hast, stoßt ihr in bestimmten Bereichen an eure Grenzen und achtet insbesondere darauf, daß ein Anwalt eingeschaltet wird. Wie verhält sich die Kompetenz und Ermächtigung in der Basisarbeit zu solchen professionellen Berufsgruppen?

DS: Wenn Leute zu uns kommen, fragen wir immer zuerst, ob sie rechtlich vertreten sind. Das ist ganz wichtig. Wir wollen aktiv gegen Zwangsräumungen vorgehen und diese politisieren, stellen das aber nicht in den Vordergrund. Im Vordergrund steht, daß Leute konkret von der Zwangsräumung betroffen sind, und das wollen wir gemeinsam mit ihnen durch vielfältige Aktionen verhindern. Wenn wir also wissen wollen, ob sie einen Anwalt haben, fragen wir weiter, wie gut dieser ist. Denn wir kennen auch Anwälte, die sehr engagiert und kompetent sind. Wenn Leute keinen Anwalt haben, müssen zuerst alle rechtliche Möglichkeiten geprüft werden. In dieser Hinsicht haben wir zwar eine gewisse Kompetenz, aber natürlich nicht im gleichen Maße wie ein Anwalt. Deshalb raten wir immer, zu einem Anwalt zu gehen. Die rechtlichen Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden, weil die Leute andernfalls Gefahr laufen, instrumentalisiert zu werden. Und das machen wir auf keinen Fall. Erst wenn die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, und das ist bei uns oft der Fall, schlagen wir andere Vorgehensweisen wie Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen und so weiter vor. Wir können solche Angebote machen, weil wir einfach mehr Erfahrung haben, aber die letztendliche Entscheidung liegt bei den Betroffenen. Beispielsweise kam vergangene Woche jemand in letzter Minute, da eine Zwangsräumung bevorstand. Im Vorfeld haben wir ein Go-in gemacht, die Hausverwaltung war aggressiv und hat gleich die Bullen geholt, die auch die Personalien aufnahmen. Am Tag der Zwangsräumung selbst wollte der Betroffene dann aber doch keine Aktion haben. Auch das respektieren wir völlig und machen dann nichts. Trotzdem standen an diesem Tag zehn Mann vor seiner Tür, weil sie dachten, wir machen etwas.

SB: Ihr habt einen guten Ruf in Berlin und darüber hinaus. Wie haben die Medien auf euch reagiert? Gibt es da auch eine positive Berichterstattung?

DS: Als wir damals bei der Zwangsräumung der Familie Gülbol mit 1000 Leuten dastanden, haben die Medien anfangs sehr positiv berichtet. Wir haben ihnen von uns aus verschiedene Dinge erklärt. Zum einen waren wir nicht als linke Politgruppe festzumachen, weil die Aktion auf die Medien eher diffus wirkte. Zum anderen war die Familie Gülbol ein Paradebeispiel gelungener Integration, sie hatte Arbeit, hat lange hier gelebt, die Kinder gingen zur Schule. Daß hohe Mieten ein Problem sind, ist langsam auch in den Medien angekommen. Hinzu kommt wohl auch noch, daß die Leute, die am Anfang über uns berichtet haben, wahrscheinlich selber prekär Beschäftigte waren, die möglicherweise Probleme mit ihrer Miete hatten und das verstehen konnten. Irgendwann drehte sich die Berichterstattung dann, als ein Redakteur plötzlich geschrieben hat: Auch Eigentümer haben Rechte. Sicher war es bei den Medien intern umkämpft, wie man einen derartigen Sachverhalt darstellt. Es ist aber schon so, daß sie seit etwa fünf Jahren begriffen haben und zugeben, daß die hohen Mieten ein Problem sind. Im Moment, würde ich sagen, haben wir eine gute Strategie, denn wir geben immer Pressemitteilungen heraus und versuchen, unseren Standpunkt deutlich zu machen: Das Problem heißt Kapitalismus und Wohnung als Ware. Wir sind oft schneller als die Bullen mit unseren Pressemitteilungen und haben Ansprechpartner bei den Medien, wir kennen auch Fotografen, die mitkommen und Fotos machen, wir haben eine Professionalität entwickelt und erleben recht häufig, daß die Medien das aufgreifen.

SB: Ich möchte dich gern abschließend fragen, wie dir der Workshop gefallen hat.

DS: Ich fand ihn super und hätte nie damit gerechnet, daß so viele Leute kommen. Ich bin überrascht, daß derart viele Menschen Selbstorganisierung, Basisorganisierung oder konkret mit Betroffenen zusammenzuarbeiten wichtig finden. Das stimmt mich sehr positiv. Ich fand auch die Atmosphäre angenehm und habe mich gefreut, daß viele Fragen gestellt wurden und wir eine intensive Diskussion führen konnten.

SB: David, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:


[1] http://berlin.zwangsraeumungverhindern.org/2012/10/22/interview-mit-ali-guelbol/


Beiträge zum Kongreß "Selber machen - Konzepte von Basisorganisierung, Gegenmacht und Autonomie" im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

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16. Juni 2017


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