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INTERVIEW/384: G20-Resümee - Ungehorsam, Widerstand ohne Gewalt ...    Karsten Smid im Gespräch (SB)


Gespräch am 14. September in Hamburg


Karsten Smid ist Kampagnenleiter für Klima & Energie bei Greenpeace Deutschland und Delegierter auf internationalen Klimakonferenzen für Greenpeace International. Seine Arbeitsfelder sind internationale Energie- und Klimapolitik sowie die Corporate Social Responsibility (CSR) von Energiekonzernen. Am 14. September wurde in der Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg unter dem Titel "Die G20 und das Treffen der 2000 - der Alternativgipfel blickt nach vorn" ein Blick zurück auf den "Gipfel für globale Solidarität" geworfen, der als Gegenentwurf zum G20-Gipfel Anfang Juli am gleichen Ort stattfand, und gefragt, wie es weitergehen soll. Nach der Veranstaltung beantwortete Karsten Smid dem Schattenblick einige Fragen zum Thema ökologischer Aktivismus und zur Arbeit von Greenpeace.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Karsten Smid
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Während des Klimacamps im Rheinland fegte der Hurrikan Harvey über die Karibik und den Südosten der USA, aber es gab auch eine schwere Überschwemmungskatastrophe in Südasien. In den Tagesthemen gab es Berichte zu Harvey, nicht aber zu Südasien, was bemerkenswert war, denn für die Menschen dort fielen die Verwüstungen viel gravierender aus als auf der anderen Seite des Globus. Wenn an diesem Abend noch etwas über das Klimacamp gebracht worden wäre, hätten die Zuschauer sich davon überzeugen können, daß die Aktivistinnen und Aktivisten das Richtige tun, weil die manifesten Wirkungen des Klimawandels nicht mehr wegzuleugnen sind. Das geschah jedoch nicht. In gewisser Weise entspricht das der Haltung von Frau Merkel, die weiter auf Wachstum und noch für eine geraume Zeit auf Verbrennungsmotoren setzt. Wie erklären Sie sich den Widerspruch zwischen den rasant ansteigenden Klimaschäden und dem Alltagsbewußtsein der Menschen, die das nicht wahrnehmen wollen?

Karsten Smid (KS): Hier sind zwei Fragen zu erörtern. Zunächst einmal ist zu fragen, wie unterschiedlich Leid infolge von klimabedingten Wetterkatastrophen wahrgenommen wird. In beiden Fällen hatte der Mensch ja seine Hand im Spiel. Jeder Klimawissenschaftler sagt heute, daß die Hurrikans infolge der Klimaerhitzung und der wärmer werdenden Meere stärker geworden sind. Das gleiche gilt auch für die sintflutartigen Monsunregenfälle in Nepal, Bangladesch, Pakistan und Indien. Wie die Medien darauf reagieren, ist wirklich erstaunlich. Einerseits wird in der US-fixierten Berichterstattung kein Detail ausgelassen, während die Toten und Millionen vor Überschwemmungen flüchtenden Menschen in Südasien in den Tagesthemen bzw. in der Tagesschau kaum Platz finden. Dabei sind die überschwemmten Gebiete fast so groß wie die Bundesrepublik. Das empfinde ich als eine völlige Verschiebung der Problemlage.

Medienwissenschaftler erklären dies damit, daß wir zu Florida ein anderes Verhältnis haben, jedenfalls über ein besseres Korrespondentennetz verfügen. Ich halte das für ungenügend und finde es viel wichtiger, auch auf die weltweiten Klimafolgen hinzuweisen. Wir haben dazu einmal eine Infografik gemacht, die die Flächenverhältnisse zur Anzahl der Toten aufzeigt. 1500 Tote allein durch die Monsunregenfälle in Südasien stehen 50 bis 60 Toten durch Hurrikan Harvey gegenüber. Das ist ein klares Mißverhältnis, wo Leid und Ungerechtigkeit dann noch einmal ganz anders reflektiert und wahrgenommen werden.

Über die Klimacamps haben die Medien an einem anderen Tag sehr ausführlich berichtet und in dem Zusammenhang auch ganz wesentlich die Blockadeaktion gegen die Braunkohle thematisiert. Im Gegensatz zu den G20-Protesten stand die Gewaltdebatte nicht im Vordergrund. Ausdrücklich erwähnt wurden die friedlichen Proteste von Kohle ersetzen, Ende Gelände, überhaupt von den vielen jungen Leuten, die daran teilgenommen haben. Als Greenpeacer hat mich besonders erfreut, daß der Aktionskonsens klar und deutlich als Widerstand gegen die Braunkohle, nicht gegen die Mitarbeiter und auch nicht gegen die Polizisten formuliert war. Zwar wurde im Aktionskonsens Gewaltfreiheit nicht explizit erwähnt, aber es bestand dennoch eine größtmögliche Übereinstimmung mit dem gewaltfreien Grundkonsens von Greenpeace. Da sind die Inhalte richtig rübergekommen. Insofern empfand ich das an dieser Stelle als eine positive Berichterstattung. Natürlich kann man nicht alles von den Nachrichten erwarten, aber ich halte den Zuschauer für intelligent genug, diese Zusammenhänge selber herzustellen.

SB: Greenpeace ist durch seine Aktivistinnen und Aktivisten groß geworden, die auch zivilen Ungehorsam geübt haben. Auch die Aktionen von Ende Gelände waren nicht angemeldet. Man ist unter dem klaren Grundsatz losgegangen, daß man auch Regeln übertreten muß, wenn der weitere Abbau von Braunkohle anders nicht zu stoppen ist. Wenn solche Eingriffe eines Tages eine relevante Massenbasis erhielten und imstande wären, den Betrieb von Kohlekraftwerken dauerhaft zu blockieren, könnte das nicht auf eine Weise kontrovers eskalieren, daß auch die öffentliche Akzeptanz für derartige Aktionen schwindet?

KS: Ich halte es an der Stelle für wichtig, auf bestimmte Grundprinzipien zu achten. Es geht gegen das Prinzip der Kohleverstromung, nicht gegen die Mitarbeiter, nicht gegen die Polizei. Wenn es zur Überschreitung bestimmter zivilgesellschaftlicher Grenzen und Verbote kommt, dann muß diese Protestform gewaltfrei sein. Das war ja als Massenaktion auch toll und die jungen Leute haben sich dafür eingesetzt, das ist das Wichtigste. Aber irgendwie haben solche Aktionen im wesentlichen einen symbolischen Wert, aber das ist auch okay. Greenpeace hat das Prinzip der mindbombs schon in seinen frühen Anfangstagen praktiziert. Wir wollen Denkanstöße geben. Und es war toll, wie das dort funktioniert hat, als Widerstandsgruppen wie Kohle ersetzen, Ende Gelände, überhaupt die verschiedensten dezentralen Aktionen, die dort stattgefunden haben, diesem Grundkonsens entsprochen haben, ohne darauf zu verzichten, in aller Klarheit und Konsequenz die Kohleinfrastruktur anzugehen. Dieses gesellschaftliche Zeichen brauchen wir für den Umstieg.

Jetzt lautet die Frage: Wie schaffen wir die nächsten Schritte? In der Sache bin ich sehr zuversichtlich, denn wir haben die technischen Alternativen, es fehlt nur der politische Wille. Noch immer überwiegt die Lobbymacht der Konzerne, aber mit gewaltfreien Aktionen können wir Punkte dagegen setzen. Ich bin mir sicher, daß wir am Ende gewinnen können. Es ging ja hier im Rheinland als auch letztes Jahr in der Lausitz darum, mit Blockaden zu erzwingen, daß Kraftwerke heruntergefahren werden mußten, weil die Kohlezufuhr unterbrochen war. Ob ein Kraftwerk jetzt zu 70 oder 100 Prozent vom Netz genommen werden muß, ist eher zweitrangig. Hier wächst eine Antikohlebewegung durch junge engagierte Menschen, die sagen, durch die Braunkohle wird das Klima und damit unsere Zukunft zerstört. Ein besseres Zeichen kann es gar nicht geben.

SB: Das Pariser Abkommen wurde sehr bejubelt, aber zugleich ist es auch gekennzeichnet von einem Tenor der Unverbindlichkeit. Es gibt weder einklagbare Regulative noch durchsetzbare Ziele, letztlich beruht alles auf der Freiwilligkeit der Staaten. Ist das aus Ihrer Sicht überhaupt eine Basis, um eine Umkehr zu dem immer schwerer zu erreichenden 1,5-Grad-Ziel zu schaffen, auch in Anbetracht dessen, daß sich an der Zunahme von CO2-Output nicht sehr viel geändert hat?

KS: Paris hat es geschafft, zwei Grad als Temperaturobergrenze zu definieren und möglichst 1,5 Grad als maximale Temperaturerhöhung anzustreben. Das ist erst einmal ein Ziel. Natürlich wissen wir, daß Klimaextreme heute schon mit aller Wucht auf uns treffen, wir spüren die Veränderung des Klimas sehr deutlich, und so gesehen handelt es sich dabei um eine theoretische Obergrenze. Doch aus pragmatischer Sicht ist es erst einmal eine Obergrenze, die auch unter Zuhilfenahme der Klimawissenschaft definiert ist und durch einen verminderten Ausstoß von Treibhausgasen heruntergebrochen werden kann. Jetzt muß jedes Land seinen Beitrag dazu leisten.

Und das ist der Knackpunkt, denn diese Beiträge beruhen nur auf freiwilliger, unverbindlicher Basis. Man hat es auf der UN-Konferenz nicht geschafft, das Abkommen irgendwie mit Nachdruck zu versehen. An dieser Stelle müssen wir das selber machen. Genau hier verorte ich die Antikohlebewegung. Wir müssen die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse erkämpfen und haben alles moralische Recht dazu. Deutschland als das sogenannte Musterland des Klimaschutzes unter Frau Merkel, als das Energiewendeland, hat seit 2009 keine Treibhausgasreduzierung mehr hingekriegt. Das ist ein krachendes Verfehlen des 40-Prozent-Zieles, das international auf einer UN-Klimakonferenz angekündigt worden ist, ein Versagen beim Kohleausstieg aufgrund von Lobbydruck, ein Desaster in der Verkehrspolitik aufgrund eines Autokartells, das belogen und betrogen hat. An dieser Stelle muß man auch in bezug auf das international zugesagte UN-Klimaziel von einem Führungsversagen der Regierung, einem Governance-Versagen sprechen. Und hier sehe ich alles Recht bei den Menschen, die Widerstand gegen diese Infrastruktur leisten, weil sie sich so etwas nicht mehr bieten lassen.

SB: Die Ökonomisierung von Naturleistungen respektive der Emissionshandel haben gezeigt, daß der Handel mit Verschmutzungsrechten keine objektive Minderung im Output von Treibhausgasen bewirkt, sondern letztlich nur eine räumliche Verlagerung, vermittelt über Marktmechanismen, betreibt. Ist diese Art von Marktregulativ für Sie zum einen ein wirksames und zum anderen auch ein moralisch legitimes Mittel gegenüber Staaten, die einfach kein Geld haben, um den Klimawandel zu bekämpfen, oder müßten nicht grundlegendere Formen zum Schutz des Klimas vereinbart werden?

KS: Zwei Punkte dazu. Das Handeln mit Verschmutzungsrechten war der eine Part, der zweite gehörte immer dazu, nämlich das sukzessive Senken dieser Verschmutzungsrechte in Richtung auf eine drastische Reduktion. Der Rest sollte dann gehandelt werden. Das muß bei diesem Instrument dazu gesagt werden. Aber wir sehen auch ganz klar, daß dieses Instrument gescheitert ist. 20 Jahre lang ist versucht worden, mit Verschmutzungsrechten irgendwie voranzukommen. Das ist fehlgeschlagen. Der Preis bei CO2-Zertifikaten bietet ja überhaupt keine Lenkungsfunktion, weil er durch den Brüssler Lobbyismus kaputtgemacht worden ist. Allein aus diesem Grund halte ich dieses Instrument für unbrauchbar. So kann es nicht funktionieren. Statt dessen brauchen wir hier in Deutschland einen gesetzlich verankerten Kohleausstieg.

Ich will nochmal zur Grundsatzfrage kommen, ob der Klimawandel überhaupt marktwirtschaftlich über den Preis geregelt werden kann. Ich halte es für richtig, Grundsatzfragen über Wachstum zu stellen und sehe das, was in der Marktwirtschaft geschieht, sehr kritisch. Das Wirtschaftssystem, das wir im Moment haben, ist vielfach das Grundübel. Daher müssen wir auch sehr radikal an die Grundfragen herangehen, im übrigen auch an die Grundfragen unseres Konsums. Denn diese Konsumgesellschaft verbraucht und verheizt die Erde vielfach. Diesen Fragen müssen wir uns stellen. Wenn wir das nicht ändern, werden wir die Klimakatastrophe nicht in den Griff bekommen.

SB: Ist diese Grundsatzkritik bei Greenpeace ein Thema oder wird eher versucht, auf einzelnen Feldern aktiv zu werden?

KS: Wir sind eigentlich dafür bekannt, daß wir viel diskutieren, und tatsächlich finden diese Diskussionen auch statt. Wir versuchen aber auch immer, gesellschaftlich anschlußfähig zu sein und zu erklären, warum wir unsere Kampagnen machen, aber solche Grundsatzfragen gehören genauso dazu. Ich glaube, daß es durchaus Möglichkeiten gibt, bestimmte Erfolge zu zeitigen, und damit meine ich die Energiewende, die wir erkämpft haben.

Die Energiewende war hier in Deutschland von Anfang an gegen die Atommafia positioniert. Im Wissen um Alternativen wurde die Konzernstruktur als Hauptkritikpunkt angegangen und eine Bürgerenergiewende dagegen gesetzt. Insofern geht es auch immer um größere Zusammenhänge. Meines Erachtens speist sich daraus dann auch der Erfolg. Noch besser wäre es gewesen, wenn wir den Gedanken des Wenigers und der Effizienz stärker mit reingebracht hätten. Da sind wir nicht so gut gewesen, aber letztendlich hat es sich gelohnt.

Ich bin bei Greenpeace mit einer Ausstellung über Erneuerbare Energien angefangen, als Wind- und Sonnenenergie bei einem Prozent herumdümpelten. Die Atomlobby hat Anzeigen geschaltet: Mehr als vier Prozent mit Erneuerbaren Energien ist gar nicht möglich. Sie konnten das damals so schalten, weil es in der Gesellschaft akzeptiert war. Heute sind wir bei 30 bis 35 Prozent Erneuerbaren Energien im Netz, und keiner stellt mehr die Frage, ob nicht hundert Prozent möglich sind. Ja, das ist möglich, aber wir müssen, wenn wir Szenarien einer Vollversorgung durch Erneuerbare Energien aufstellen, auch aufpassen, daß wir den allgemeinen Verbrauch senken und begrenzen. Insofern glaube ich, daß für ein Erfolgsmodell technische Optionen mit gesellschaftlichen Veränderungspotentialen in Bürgerhand eine gute Kombination sind. Im übrigen gilt dies auch für die nächsten Transformationen auf dem Mobilitätssektor bzw. in der Automobilindustrie, wo uns die Elektromobilität, aber auch Sharing-Modelle in eine Richtung bringen, wo wir etwas verändern können. Aber es geht nicht ums Herumdoktorn beim Diesel oder noch einen Katalysator irgendwie hinten anzuhängen.

SB: Herr Smid, vielen Dank für das Gespräch.


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15. Oktober 2017


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