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INTERVIEW/445: Trumps Amerika - The Squad, Rebellion im Kongreß ...    Eric Josephson im Gespräch (SB)


Interview mit Eric Josephson am 5. August 2019 in New York


Als 2016 in den USA der politische Quereinsteiger Donald Trump überraschend die Präsidentenwahl gegen Hillary Clinton gewann, tat er dies weniger mit den Stimmen der Einwohner seiner Heimatstadt New York, als vielmehr der Menschen auf dem flachen Land, die auf sein dumpfbackiges Versprechen "Make America Great Again" hereinfielen. Beim Urnengang im Bundesstaat New York erhielt die eigentlich unbeliebte Demokratin Clinton immerhin 80 Prozent der abgegebenen Stimmen, der reaktionäre, rassistisch argumentierende Republikaner Trump dagegen lediglich 20 Prozent. Im Wahlbezirk Manhattan, dem Herzen von New York City, wo die Einwohner seit mehr als drei Jahrzehnten die hochkorrupten Eskapaden des Dauerpleitiers Trump in der Immobilienbranche hautnah miterleben dürfen, bekam der Bauunternehmer aus Queens weniger als zehn Prozent der Stimmen. Das war das schlechteste Wahlergebnis, das jemals ein Kandidat der Demokraten oder Republikaner in Manhattan bei einer Präsidentenwahl eingefahren hatte.


Aktivisten halten vor dem Trump International Hotel and Tower das Transparent mit der Aufschrift 'IMPEACH TRUMP' hoch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Trump - in seiner Heimatstadt New York unbeliebt
Foto: © 2019 by Schattenblick

Im präsidialen Wahlkampf hatte Trump vor allem drei Hauptthemen, auf denen er herumgeritten ist: Erstens die "illegale" Einwanderung von Lateinamerikanern über die Grenze zu Mexiko, wogegen er in der Manier eines John Wayne 2.0 entlang des Rio Grande eine unüberwindliche "Mauer" bauen wollte. Zweitens die angebliche Dauerbenachteiligung der USA im Handel durch die Volksrepublik China und die Europäische Union. Drittens die "muslimische Gefahr". Seit bei den Zwischenwahlen zum Kongreß im November 2018 mit Ilhan Omar aus Minnesota und Rashida Tlaib aus Michigan die ersten beiden Musliminnen ins US-Repräsentantenhaus gewählt wurden und dort zusammen mit den Kongreßneulingen Alexandria Ocasio-Cortez aus New York und Ayanna Pressley aus Massachusetts den Kern einer neuen linken Bewegung bilden, hat Trump eine bevorzugte Zielscheibe gefunden. Mit Dauerattacken auf die vier farbigen Frauen, die sich "The Squad" nennen, hofft Trump seine mehrheitlich weiße und männliche Anhängerschaft mobilisieren zu können und somit 2020 wiedergewählt zu werden.

Doch da könnte er sich verrechnet haben. Die Positionen, welche die Squad-Mitglieder beziehen, nämlich ihr Eintreten für eine kostengünstige Gesundheitsversorgung für alle, einen nachhaltig klimagerechten Umbau der Wirtschaft - Stichwort Green New Deal -, eine kritischere Haltung Washingtons gegenüber Israel sowie für einen weniger drakonischen Umgang mit den Bürgerkriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen aus Mittel- und Südamerika sind in weiten Teilen der US-Gesellschaft inzwischen mehrheitsfähig. Hinzu kommt, daß sich die vier jungen Kongreßabgeordneten geschickt in Szene zu setzen wissen und die sozialen Medien mindestens ebenso gekonnt bedienen wie der Twitter-süchtige Trump. Dies haben in den vergangenen Monaten zum Beispiel Ilhan Omars provokanter Tweet über die finanzielle Macht der zionistischen Lobby - "It's all about the Benjamins" (mit diesem Slangbegriff sind 100-Dollar-Scheine gemeint) - und ihre keinerlei Widerspruch duldende Vorführung des Iran-Kontra-Haudegens Elliott Abrams bei einer Kongreßanhörung über die Putsch-Bemühungen der Trump-Administration in Venezuela eindrucksvoll gezeigt.


Demoteilnehmerinnen halten zur Unterstützung der 'Squad' Bilder von drei der vier Kongreßabgeordneten mit der Aufforderung 'Schluß mit den Attacken' hoch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Hands off the Squad!
Foto: © 2019 by Schattenblick

Die selbstbewußte Aufmüpfigkeit von Ocasio-Cortez, Omar, Pressley und Tlaib hat Unbehagen und Widerwillen bei der demokratischen Führung im Kongreß wachgerufen, die trotz allen scheinbaren "Widerstands" gegen Trump auf gute Zusammenarbeit mit dem Weißen Haus setzt - siehe die vor kurzem erfolgte überparteiliche Verabschiedung eines Wehretats von sage und schreibe mehr als 700 Milliarden Dollar. Die Spannungen zwischen der Squad und den Altvorderen in der eigenen Fraktion entluden sich Ende Juni/Anfang Juli, als die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus 4,6 Milliarden Dollar bewilligte, die Trump zur Bewältigung der Flüchtlingskrise an der Südgrenze der USA beantragt hatte. Auf die Kritik seitens der Squad reagierte Nancy Pelosi, die 79jährige Mehrheitsführerin der Demokraten und Sprecherin im Repräsentantenhaus, die seit 1989 dem Kongreß angehört, bei einem Interview mit Star-Kolumnistin Maureen Dowd in der New York Times verschnupft. Ungeachtet der Tatsache, daß Ocasio-Cortez allein 4,7 Millionen Twitter-Follower vorweisen kann, schnaubte die Duzfreundin Hillary Clintons: "All diese Leute haben ihr Publikum und ihre Twitter-Welt. Doch sie haben keine Anhängerschaft. Das sind einfach vier Leute. Mehr Stimmen haben die nicht."

Für das politische Raubtier Trump war der aufgekommene Streit der Demokraten zwischen Establishment und jungen Wilden die Gelegenheit, um zuzuschnappen. Auf Twitter verurteilte er die vier Squad-Mitglieder, ohne sie namentlich zu nennen, wegen der angeblichen Anmaßung, "den Menschen der Vereinigten Staaten, des größten und mächtigsten Landes der Erde" sagen zu wollen, wie es geführt bzw. organisiert werden soll. "Warum gehen sie nicht zurück und helfen dabei, die völlig zerrütteten und von Verbrechen durchsetzten Orte, von denen sie herkommen, wieder aufzubauen?" Nancy Pelosi wäre bestimmt "hocherfreut", die Details der Reise organisieren zu dürfen, setzte Trump nach.

Weite Teile der amerikanischen Politik und Medien reagierten vor allem deshalb mit Empörung auf die Hetztirade des Präsidenten, weil Trump dazu übergangenen war, nicht mehr versteckt, sondern offen rassistische Ressentiments zu schüren. Hinzu kommt, daß lediglich Tlaib und Omar in jungen Jahren mit ihren Familien in die USA eingewandert sind. Ocasio-Cortez und Pressley dagegen sind als Kinder amerikanischer Eltern in den USA geboren worden. Doch weil sie lateinamerikanischer respektive afro-amerikaner Herkunft sind, gelten sie aus der Sicht Trumps offenbar als unerwünschte Eindringlinge in den amerikanischen Volkskörper. Trump greift die vier Squad-Mitglieder seitdem regelmäßig bei jedem Wahlkampfauftritt an, bezeichnet sie als Antisemiten, Feinde Israels und "Judenhasser", wirft ihnen Verharmlosung der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 vor und unterstellt ihnen eine Nähe zum Al-Kaida-"Netzwerk" und zur "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS). Auf Drängen Trumps hat die Regierung Benjamin Netanjahus Mitte August sogar die Einreise von Omar und Tlaib verboten, die Tlaibs Großmutter besuchen und sich vor Ort ein Bild von der Lage im besetzten palästinensischen Westjordanland machen wollten.


Demonstrant mit Bildplakat samt Botschaft 'Stop the Attack on Ocasio-Cortez' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Trumps Frauenfeindlichkeit ruft Widerstand hervor
Foto: © 2019 by Schattenblick

Vor dem Hintergrund einer von Trump aufgeheizten Debatte um Einwanderung und die Rechte von Migranten entlud sich am ersten Wochenende im August die Gewalt in einem noch nie dagewesenen Ausmaß. Offenbar fremdenfeindlich motiviert, liefen innerhalb von 48 Stunden in Gilroy, Kalifornien, El Paso, Texas, und Dayton, Ohio, drei junge weiße Männer mit Sturmgewehren Amok, töteten insgesamt 36 Menschen und ließen weitere 57 schwer verletzt zurück. Die Schützen von Gilroy und Dayton kamen beim Versuch der Polizei, sie festzunehmen bzw. unschädlich zu machen, selbst ums Leben. Der Amokläufer von El Paso, der 21jährige Patrick Crusius, der nach der Ermordung von 22 Menschen verhaftet werden konnte, hat unmittelbar vor dem Auftakt zum Massaker ein rassistisches Manifest ins Internet gestellt, darin sein Handeln als Notwehr im völkischen Sinne begründet und dabei auffallend viele der kruden Argumente Trumps verwendet.

Die schrecklichen Ereignisse von Gilroy, El Paso und Dayton haben die amerikanische Öffentlichkeit schwer erschüttert. Möglicherweise werden sie in einem späteren Rückblick eine Zäsur in der politischen Karriere Trumps markieren, denn inzwischen befinden sich die Umfragewerte des Republikaners im freien Fall. Trumps Masche, als Präsident das Volk nicht zu einen, sondern zu spalten, könnte ihn die Wiederwahl 2020 kosten. Aktuell schießt die Zahl der Gegner seines aggressiven Populismus in die Höhe. Immer mehr US-Bürger fühlen sich von der toxischen Stimmung im Lande angeekelt und wollen den Trump-Spuk so schnell wie möglich beenden, entweder durch Amtsenthebungsverfahren oder Abwahl. In diesem Sinne fand am 5. August vor dem Trump International Hotel and Tower am New Yorker Columbus Circle im Herzen Manhattans eine Protestveranstaltung unter dem Motto "Hands off the Squad" statt. Dort sprach der Schattenblick mit dem politischen Aktivisten Eric Josephson über den Stand der amerikanischen Innenpolitik.


Eine einsame Republikanerin hält ein Wahlplakat mit der Aufschrift 'Trump 2020' hoch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Als Trump-Fan in New York steht man ziemlich allein da
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Josephson, warum sind Sie zur heutigen Demonstration gekommen?

Eric Josephson: Vor allem, weil ich mir ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Trump wünsche und jede Bemühung in diese Richtung unterstützen möchte. Als Sozialist befürwortete ich die Massenmobilisierung der Mittel- und der Unterschicht zwecks Überwindung des kapitalistischen Systems, das uns alle zugrunde richtet. Trump ist aktuell der Sachwalter und wichtigste Repräsentant dieses Systems. Es gibt Menschen, für die der Sturz Trumps weniger wichtig als etwa die Einführung einer kostengünstigen Gesundheitsversorgung für alle oder ein ökologischer Umbau der Wirtschaft ist. Doch weil Trump der Verwirklichung solcher Ziele im Wege steht, muß er aus dem Weißen Haus gejagt werden.

SB: Sind Sie Mitglied einer Partei oder gehören Sie irgendeiner politischen Bewegung an?

EJ: Ich bin Mitglied der League for a Revolutionary Party. Zudem bin ich seit Jahrzehnten Mitglied der Transport Workers Union, Local 100 New York City Subway and Bus. Ich bin zwar inzwischen pensioniert, dennoch weiterhin aktives Gewerkschaftsmitglied. In unserer Gewerkschaft gibt es an der Basis Bestrebungen, die Führung der Organisation zum öffentlichen Eintreten für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump zu bewegen. Das wäre ein starkes Signal, denn die Transport Workers Union (TWU) gehört zwar nicht zu den größten Gewerkschaften landesweit, dennoch ist sie eine der stärksten in New York nicht zuletzt deshalb, weil wir die Stadt innerhalb von fünf Minuten lahmlegen können, wenn wir wollen.


Eric Josephson hält sein Flugblatt mit der Überschrift 'Impeach the M*therf*cker' für die Kamera hoch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Eric Josephson
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Was halten Sie von The Squad und ihrer Politik? Wie ist es Ihrer Meinung nach dazu gekommen, daß diese vier neuen Kongreßabgeordneten gemeinsam zu den bevorzugten Zielscheiben der rassistischen Attacken und der anti-sozialistischen Hetzreden Trumps wurden? Haben die vier Demokratinnen vielleicht einen taktischen Fehler gemacht, indem sie sich öffentlich mit dem Republikaner Trump anlegten, oder war der Zusammenprall dieser beiden Seiten vorprogrammiert?

EJ: Es mußte so kommen. Seit einigen Jahren ist der Sozialismus in den USA kein Tabuthema mehr. Dies gilt insbesondere bei den jüngeren Menschen. Von daher war absehbar, daß Politiker mit einem offen sozialistischen Programm hier und dort Wahlerfolge haben würden, sei es auf der Ebene der Kommunen, der Einzelstaaten oder der Bundespolitik. Bereits 2015 wurde Kshama Sawant als Kandidatin der Socialist Alternative Party in den Stadtrat von Seattle gewählt.

Etwas, das immer dem Erfolg des Sozialismus in den USA im Wege gestanden hat und heute noch steht, ist die Einbindung linker Bewegungen an die demokratische Partei. Dadurch wird jeder progressive Ansatz dem Wohlergehen der Demokraten und ihrer Führung im Repräsentantenhaus und Senat geopfert. Das erleben wir gerade erneut in der Person von Alexandria Ocasio-Cortez. Um sich bei der demokratischen Führung im Kongreß einzuschmeicheln, hat sich die Abgeordnete aus Brooklyn, die sonst als Aushängeschild der neuen sozialistischen Linken Amerikas gilt, von ihrem Stabschef und wichtigsten Berater Saikat Chakrabarti getrennt. Das ist ein eindeutiger Kniefall AOCs gegenüber der demokratischen Sprecherin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, nachdem sich beide Politikerinnen in den letzten Monaten gefetzt hatten.


Mitglieder der Schwulen-Lesben-Gruppe Sing Out, Louise NYC beim öffentlichen Gesang - Foto: © 2019 by Schattenblick

Gegen Trump zusammen ansingen
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Also sind Sie der Meinung, daß die linken progressiven Kräfte bei den Demokraten, die zuletzt so aufmüpfig auftraten, dabei sind, sich wieder dem realpolitischen Ansatz der Parteiführung unterzuordnen?

EJ: Die Formulierung ist vielleicht etwas einfach und plakativ, beschreibt jedoch den allgemeinen Trend, würde ich schon sagen.

SB: Vielfach wird aktuell in Medien und Politik der USA der Vorwurf laut, die jüngsten schrecklichen Massenschießereien am Wochenende in El Paso, Texas, und Dayton, Ohio, seien die direkte Folge einer Aufwiegelung des rassistisch denkenden Teils der weißen Bevölkerung Amerikas durch Präsident Trump. Liegt man mit dieser These richtig oder ist sie überzeichnet?

EJ: Auch wenn andere Faktoren wie der allzu einfache Zugang zu schweren Schußwaffen sicherlich eine Rolle spielen, ist für mich der kausale Zusammenhang zwischen den Tiraden Trumps gegen Mexikaner, Muslime und Menschen anderer Hautfarbe und Religion unbestreitbar. Es gab in den USA immer Menschen, die fremdenfeindlich dachten. Doch Trump hat gezielt eine Atmosphäre geschürt, in der sich die Rassisten zum gewaltsamen Handeln gegen "illegale Einwanderer" et cetera aufgerufen fühlen. Schließlich ist Trump das gewählte Staatsoberhaupt. Diese Schützen sehen ihr Vorgehen durch die Äußerungen des Präsidenten, der höchsten Autorität des Landes, gedeckt. Als Trump vor kurzem bei einem Wahlkampfauftritt die rhetorische Frage aufwarf, was man gegen den vermeintlichen Migrantenansturm an der Grenze zu Mexiko unternehmen sollte, und einer seiner Anhänger "sie erschießen" rief, grinste der Präsident lang und breit. Das sagt alles und war überall in den Fernsehnachrichten zu sehen.

SB: Vielen Dank, Herr Josephson, für das Gespräch.


Sieben Trump-Gegner halten der Kamera schwarze Regenschirme entgegen, die jeweils in weißer Farbe einen Buchstaben der Forderung 'IMPEACH' tragen - Foto: © 2019 by Schattenblick

Amtsenthebung jetzt!
Foto: © 2019 by Schattenblick


Beiträge zur Serie "Trumps Amerika" im Schattenblick unter:
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BERICHT/346: Trumps Amerika - Liegenschaftskriege ... (SB)


30. August 2019


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