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INTERVIEW/451: Trumps Amerika - die sterbenden Rüstungskontrollen ...    Matt Korda im Gespräch (SB)


Interview mit Matt Korda am 13. August 2019 in Washington D. C.


1945 gründeten ehemalige Beteiligte am Manhattan Project die Federation of American Scientists, um die Verbreitung und Nutzung der Atombombe einzudämmen. Seitdem ist die in der US-Hauptstadt Washington ansässige FAS international zu einem der wichtigsten Institute im Bereich der strategischen Rüstungskontrolle geworden. Matt Korda arbeitet als Forscher bei der FAS. Zusammen mit Hans Kristensen, dem Leiter des FAS-eigenen Nuclear Information Project, erstellt Korda für das renommierte Bulletin of Atomic Scientists dessen alljährlich erscheinendes Nuclear Notebook, eine detaillierte Aufstellung aller Kernwaffen samt Trägerraketen auf der Welt. Am 13. August traf der Schattenblick in der Imbißstube Pete's Coffee & Tee in der Washingtoner Innenstadt mit dem kanadischen Rüstungsexperten zu einem längeren Gespräch zusammen.


Matt Korda im Porträt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Matt Korda
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick: Das Unglück bei einem russischen Militärexperiment vor der Kola-Halbinsel im arktischen Nordmeer, bei dem mehrere Wissenschaftler ums Leben gekommen sind, macht seit Bekanntwerden vor vier Tagen weltweit Schlagzeilen. Im Westen herrscht die Annahme vor, beim Test eines atomgetriebenen Marschflugkörpers namens Skyfall sei etwas fürchterlich schiefgegangen. Wie weit sind die Russen Ihrer Meinung nach davon entfernt, eine derart mächtige Waffe tatsächlich in Betrieb zu nehmen, und könnten Sie vielleicht erklären, auf welche Weise allein die Drohung mit der Existenz einer solchen Waffe Rußlands Sicherheitsinteressen dienlich wäre?

Matt Korda: Die USA haben bereits Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre im Rahmen von Project Pluto versucht, einen atomgetriebenen Marschflugkörper zu entwickeln. Das Konzept war im Grunde genommen dasselbe wie dasjenige, das die Russen mit dem Skyfall-Programm verfolgen. Im Mittelpunkt steht ein Marschflugkörper, der seinen Schub von einem atomaren Staustrahltriebwerk erhält. Weil die einströmende Luft durch den Mini-Atomreaktor aufgeheizt wird und der Marschflugkörper deshalb keinen Treibstoff an Bord haben muß, sind seiner Flugzeit praktisch keine Grenzen gesetzt. Er kann theoretisch Wochen oder Monate in der Luft bleiben. In der Praxis stellt sich jedoch die Entwicklung eines technisch derart anspruchsvollen Geräts als enorm schwierig heraus.

Die USA sind bei Project Pluto nicht über eine kleine Anzahl von Bodentests mit den Triebwerkprototypen hinausgekommen. 1964 hat das Pentagon das Programm eingestellt, weil es extrem teuer war, die zu lösenden Herausforderungen im Bereich der Aerodynamik damals nicht zu meistern waren und die Idee, einen ungeschützten Nuklearmotor, der im Betrieb unablässig radioaktives Material ausspuckt, über den Köpfen der Menschheit herumkurven zu lassen, völliger Irrsinn ist.

SB: Also setzt der Marschflugkörper Spaltmaterial nicht nur beim eventuellen Aufprall, sondern während der gesamten Flugzeit frei?

MK: So ist es. Das Objekt würde während des ganzen Flugs ionisierende Strahlung freisetzen, die toxische Auswirkungen auf Menschen haben kann. 2013 hat das US-Militär des fünfzigsten Jahrestags der Entscheidung zur Beendigung von Project Pluto und der Stillegung des Testgeländes im Bundesstaat Nevada mit einem für Außenstehende seltsam anmutenden Flugblatt gedacht. Darin stand zu lesen, wie aberwitzig das Projekt nicht zuletzt deswegen gewesen sei, weil das Einatmen der vom Atomtriebwerk erzeugten radioaktiven Luft tödlich hätte sein können.

Angesichts des technologischen Fortschritts der letzten Jahrzehnte - Stichwort Miniaturisierung - glauben die Russen offenbar, das Konzept doch noch verwirklichen zu können, stoßen dabei jedoch immer wieder auf Probleme. Mitte 2018 soll der experimentelle Marschflugkörper mit dem russischen Namen 9M730-Burevestnik und der NATO-Bezeichnung SSC-X-Skyfall bei einem Testflug abgestürzt sein. Beim jüngsten Unglück sollen mehrere Personen, Wissenschaftler, aber vielleicht auch einige Zivilisten, tragischerweise ums Leben gekommen sein.

Die Russen räumen den tödlichen Vorfall ein, behaupten aber, daß es zu einem Unglück mit einem neuartigen Treibstoff gekommen sei. In der westlichen Berichterstattung, die sich auf alle Nachrichten aus Rußland, darunter auch nicht-staatliche, bezieht, wird spekuliert, daß der Unfall den Minireaktor betrifft und der gemessene Anstieg der Radioaktivität daher rührt. Letztendlich wissen nur die Beteiligten, was vorgefallen ist. Und weil das Geschehen staatlicher Geheimhaltung unterliegt, werden wir Außenstehende die Wahrheit erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten erfahren.

SB: Vor diesem Hintergrund läßt sich demnach gar nicht präsize beurteilen, wie weit die Russen bei der Entwicklung und der Indienststellung eines atomar betriebenen Marschflugkörpers sind?

MK: In der Tat. Uns fehlen völlig die technischen Daten des Geräts, also wissen wir gar nicht genau, woran die russischen Wissenschaftler arbeiten und wie sie die verschiedenen Herausforderungen des Projekts zu bewältigen gedenken. Es sieht jedenfalls so aus, als seien sie bereits in der Testphase auf schwerwiegende Probleme gestoßen, was mir Anlaß zur Hoffnung gibt, daß sie es sich vielleicht anders überlegen und so wie die USA in den sechziger Jahren entscheiden, das hochgefährliche Projekt einzustellen.


Gleißende Kettenreaktion und Atompilz vor schwarzem Himmel - Foto: © 2010 by CTBTO, freigegeben nach Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license

Zündung der allerersten Atombombe am 16. Juli 1945 in New Mexico
Foto: © 2010 by CTBTO, freigegeben nach Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license

SB: Die nächste Frage setzt sich aus drei Teilen zusammen. Würde eine Ratifizierung des Kernwaffenteststopp-Vertrags durch die USA nicht Washington einen größeren Einblick in die geheimen Waffenprogramme Rußlands gewähren? Was ist der aktuelle Stand des Open Skies Treaty, der Rußland und den USA gegenseitige militärische Überflugrechte zwecks Rüstungskontrolle gewährt? Was halten Sie von den Vorwürfen aus Washington, wonach Rußland in letzter Zeit einige subkritische und potential illegale Atomtests durchgeführt hat?

MK: Auf die Frage, ob die Ratifizierung des Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty (CTBT) die USA in den Stand versetzen würde, Inspekteure auf die Kola-Halbinsel zu schicken und selbst nachzuschauen, was dort letzte Woche vor der Küste passiert ist, lautet die Antwort nein. Das Gute am Teststoppabkommen ist die Existenz einer Organisation, die über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen und damit die Einhaltung des Abkommens wacht wie auch alle diesbezüglichen Fragen behandelt. Die CTBTO hat rund um die Welt Meßstationen eingerichtet, die in der Umgebung seismische Aktivitäten und erhöhte Radioaktivität in der Atmosphäre messen können. Bei den letzten Atomtests Nordkoreas haben wir von der FAS die Meßdaten der CTBTO erhalten, die wir dann untersuchen konnten, um Rückschlüsse auf Größe und Art der getesteten Sprengköpfe zu ziehen.

Immer wieder verweisen die Trump-Regierung und die Republikaner im Kongreß auf angebliche Verstöße Rußlands, um zu begründen, warum strategische Rüstungskontrolle keinen Zweck habe und die USA ihre Geheimnisse für sich behalten sowie jede Form des informationellen Austausches streichen sollten. Meiner Meinung nach wäre das ein Riesenfehler. Allein der Rückzug vom Atomabkommen mit dem Iran im vergangenen Jahr und das Auslaufenlassen des INF-Vertrags mit Rußland Anfang August sind schwere Rückschläge für das Bemühen um weniger Krieg und mehr Diplomatie. Aktuell macht die Trump-Administration Anstalten, den New-START-Vertrag mit Rußland, der die Anzahl der einsatzfähigen russischen und amerikanischen Atomsprengköpfe auf jeweils 1550 begrenzt und der 2020 verlängert werden müßte, ebenfalls auslaufen zu lassen. Nur so könnten die USA ihre volle Souveränität und Handlungsfreiheit zurückerlangen, behaupten die Hardliner. Ich halte diese Sichtweise für einen absoluten Trugschluß.

Die Open-Skies-Vereinbarung erlaubt den Russen und Amerikanern nach Anmeldung und Genehmigung Kontrollflüge über das Territorium des jeweils anderen Staats durchzuführen, um zu kontrollieren, daß bestehende Rüstungsverträge eingehalten werden und keine unangenehmen militärischen Überraschungen vorbereitet werden. Die Trump-Regierung hat die russischen Überflüge letztes Jahr mit der Behauptung blockiert, die Russen würden in ihren Aufklärungsflugzeugen ein neues, besonders leistungsstarkes Radar benutzen, wodurch sie mehr über die amerikanischen Installationen am Boden erfahren könnten als die USA bei ihren Flügen über Rußland. Wegen der Entscheidung des Pentagons haben die Russen ihrerseits die Kontrollflüge der USA bei sich ausgesetzt. Das Ganze war natürlich Unsinn, demonstriert aber den Widerstand bestimmter Kreise in den USA gegen sinnvolle, vertrauensbildende Maßnahmen. Soweit ich informiert bin, konnte der Disput beigelegt werden. Die Open-Skies-Überflüge finden wieder statt.

SB: Wie besorgt sollte man wegen der vor kurzem erfolgten Veröffentlichung der jüngsten Atomkriegsplanung des Pentagons auf der Webseite des US-Verteidigungsministeriums sein, die nach wenigen Stunden wieder verschwand? Was können wir aus diesem ungewöhnlichen Vorgang herauslesen?

MK: Mein Kollege, Stephen Aftergood, ist ein wahrer Meister des Aufstöberns und Entdeckens brisanter Regierungsdokumente. Er ist derjenige, der als erster über besagtes Papier zur neuen Atomkriegsplanung des Pentagons gestolpert ist. Wegen der darin enthaltenen, besorgniserregenden Angaben hat er das Dokument gleich darauf auf der FAS-Website veröffentlicht und mit einer ersten eigenen Bewertung versehen. Kurz danach hat das Büro der Vereinigten Stabschefs im Pentagon das Papier von seiner Webseite entfernt. Die Planungsrichtlinien sind nicht unbedingt neu. Einige der Ideen waren schon an anderer Stelle bekannt geworden. Was die Veröffentlichung dennoch brisant macht sind der Zeitpunkt und die aktuelle politische Großwetterlage. Besonders eine Passage des Texts hat für aufgeregte Kommentare gesorgt. Da ging es um die Feststellung, daß unter bestimmten Umständen US-Feldkommandeure nach eigenem Gutdünken und ohne vorher in Washington die Zustimmung einzuholen auf den Einsatz von Atomwaffen zurückgreifen könnten, um wieder die Oberhand zu gewinnen bzw. eine Niederlage abzuwenden. Dieser Gedanke ist nicht gerade neu, wurde bisher jedoch nicht so explizit formuliert.

Die Offenheit, mit der unter der Trump-Regierung das US-Militär über die mögliche Verwendung von Kernwaffen diskutiert, gibt Anlaß zur Sorge - nicht nur bei uns in der FAS, sondern bei allen Leuten, die sich für Rüstungskontrolle stark machen. Die Formulierungen in der Nuclear Posture Review von 2018 waren weit aggressiver als zur Zeit der Administration Barack Obamas. Seitdem bereitet sich das Pentagon auf den Bau und die Indienststellung neuer atomarer Mittelstreckenraketen vor, was durch den Austritt aus dem INF-Vertrag möglich wurde, während die Generäle laut über eventuelle Verwendungsoptionen nachdenken. Auch wenn die Sprengkraft solcher taktischen Schlachtfeldwaffen geringer als die der strategischen Varianten ist, kann man als Kriegsgegner eine gezielte Reduzierung der Hemmschwelle für ihre Nutzung nicht begrüßen. Je mehr über "flexible" Handlungsoptionen bei Atomwaffen debattiert wird, um so größer die Wahrscheinlichkeit, daß sie im Ernstfall auch benutzt werden - was natürlich das Risiko einer unkontrollierbaren Eskalationskette birgt.


Staatschefs der Sowjetunion und der USA über großen Schreibtisch gebeugt - Foto: © 1987 by White House Photographic Office, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Gorbatschow und Reagan unterzeichnen den INF-Vertrag am 8. Dezember 1987
Foto: © 1987 by White House Photographic Office, gemeinfrei via Wikimedia Commons

SB: Ist nach dem Auslaufen des INF-Vertrags die Stationierung amerikanischer Interkontinentalraketen im westlichen Pazifik unvermeidbar?

MK: Das ist eine schwierige Frage, denn wo sollen sie hin?

SB: Südkorea? Japan?

MK: Wollen die Südkoreaner und die Japaner sie wirklich haben? Werden sie einer Stationierung zustimmen?

SB: Guam?

MK: Wollten die USA nukleare Mittelstreckenraketen in Guam stationieren, könnten sie das in Handumdrehen tun. Die Inseln sind US-Überseeterritorien, da gibt es keine rechtlichen Hürden. Aber es stellt sich die Frage nach Sinn und Zweck. Warum solche Waffen auf einer winzig kleinen Inselgruppe stationieren, die längst als Angriffsziel in den Kriegsplänen potentieller Gegner wie China gilt, wenn man die eigenen Kriegschiffe und U-Boote, die im riesigen pazifischen Meer unterwegs sind und schwerer zu treffen wären, mit seegestützten Mittelstreckenraketen aufrüsten kann? Von daher kann ich keinen strategischen Vorteil infolge einer Stationierung auf Guam erkennen. Das macht für mich keinen Sinn.

Die Befürworter der Beschaffung einer neuen Generation von Mittelstreckenraketen in der Trump-Administration und in republikanischen Denkfabriken gehen einfach davon aus, daß Washington die Regierungen in Seoul und Japan zu einer Stationierung dieser Waffen auf südkoreanischem bzw. japanischem Boden bewegen kann, um sie angeblich vor China zu schützen. Ich habe aber von keinen Gesprächen zwischen offiziellen Vertretern der USA auf der einen sowie Japans und Südkoreas auf der anderen Seite gehört, die einer derart kontroversen Maßnahme den Boden bereiten würden. Ich denke, das Ansinnen der USA wird zu einem heftigen politischen Streit in beiden Staaten führen, dessen Ausgang offen ist. Sowohl in Südkorea als auch in Japan will ein Teil der Bevölkerung, daß die bereits existierende Militärpräsenz entweder stark reduziert oder gänzlich abgeschafft wird. Der Versuch, dort Mittelstreckenraketen zu stationieren, welche für beide Bevölkerungen die Gefahr eines Krieges mit Nordkorea und/oder China erhöht, dürfte auf großen öffentlichen Widerstand stoßen. Ich höre US-Regierungsvertreter reden, als sei die Zustimmung zu einer Stationierung bereits eine ausgemachte Sache, und frage mich, ob sie beispielsweise nichts von der Dauerkontroverse um die US-Militärbasen auf Okinawa mitbekommen haben.

SB: Was sagen Sie zu der These, daß die Regierung von George W. Bush absichtlich das Agreed Framework, das die Vorgängeradministration Bill Clintons mit Pjöngjang vereinbart hatte, gezielt torpediert hat, um mit dem Argument der angeblichen Existenz einer Bedrohung durch nordkoreanische Atomwaffen vom Kongreß Milliarden von Dollar für den Aufbau eines enorm kostspieligen Raketenabwehrsystems in Alaska und Kalifornien bewilligt zu bekommen?

MK: Der entscheidende Schritt war 2002 der Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag, den Washington und Moskau bereits 1972 unterzeichnet hatten. Dieser Vertrag untersagte die Aufstellung von Raketenabwehrsystemen - bis auf jeweils eines für die Hauptstadt -, weil sie den Erstschlag, ohne einen Zweitschlag des Gegners befürchten zu müssen, möglich machten und damit die Abschreckungsdoktrin aushebelten. Damals hat die Regierung von Bush jun. den Schritt mit dem Hinweis auf angebliche Fortschritte der Iraner und Nordkoreaner in der Raketen- und Atomwaffentechnologie begründet. Ich denke, der Schritt war falsch, denn Raketenabwehr verspricht viel mehr als sie leisten kann. Die Abfangrakete ist bis heute lächerlich klein. Zudem kann das System leicht durch Sprengkopfattrappen überlistet werden.

Nach meinem Dafürhalten hat der Aufbau des Raketenabwehrsystems sowohl in den USA als auch in Osteuropa viel Mißtrauen wachgerufen und dafür Nordamerika um kein Jota sicherer vor Angriffen ballistischer Raketen gemacht. Erst vor wenigen Wochen hat das Government Accountability Office (vergleichbar dem Bundesrechnungshof in Deutschland - Anm. d. SB-Red.) eine Studie herausgegeben, in der es hieß, die Missile Defense Agency sei eine miserabel geführte Behörde, in der niemand einen genauen Überblick über den Verbleib der bewilligten Gelder habe und keine Transparenz bezüglich des tatsächlichen Werts der behaupteten Erfolgsquote bei den Tests der Abfangraketen herrsche. Es wurde bemängelt, daß man mit der Aufstellung der Abfangraketen in ihren Silos in Kalifornien und Alaska begonnen habe, bevor all die technischen Unzulänglichkeiten des Systems ausgebügelt worden wären. Daher sei das System unausgereift und fehleranfällig.

SB: Das klingt wie das skandalumwitterte Programm zum Bau des neuen, hochmodernen Kampjets F-35.

MK: Ganz genau. In beiden Fällen wurde die vorgesehene Testphase, als dort Probleme auftauchten, einfach übersprungen, wodurch sich die Probleme und Kosten potenzierten. Das Ganze ist irrsinnig. Die USA haben den ABM-Vertrag 2002 aufgekündigt, um ein Raketenabwehrsystem aufstellen und in Betrieb nehmen zu können, von dem niemand sagen kann, ob es überhaupt funktioniert. 17 Jahre später weiß man es immer noch nicht, während sich das strategische Umfeld in Form der Beziehungen zu Rußland und China verschlechtert und die Kriegsgefahr wächst - nicht zuletzt wegen der einseitigen Abkehr der USA vom Prinzip der gegenseitigen Rüstungskontrolle. An dieser Entwicklung sind Medien und Politik der USA mitschuldig. Sie haben die Bedeutung der Bedrohung für Rußland heruntergespielt und die Beschwerden und Warnungen Wladimir Putins als Ausdruck von Neid und Hilflosigkeit abgetan. Die Ängste und Sorgen Rußlands wurden nicht ernst genommen. Das hat sich durch die russischen Sprünge auf dem Feld der Hyperschallwaffen gerächt.


Raketenexponate im Washingtoner National Air and Space Museum - Foto: © 2016 by xiquinhosilva, freigegeben nach Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license

Links eine sowjetische SS-20-Rakete, rechts daneben eine Pershing II
Foto: © 2016 by xiquinhosilva, freigegeben nach Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license

SB: Über die Jahre hat Moskau Washington mehrmals um eine schriftliche Zusicherung gebeten, daß das Raketenabwehrsystem in Osteuropa, wie behauptet, ausschließlich gegen den Iran und nicht gegen Rußland gerichtet sei. Die USA haben sich geweigert, diese Garantie abzugeben. Was sagen Sie zu der Behauptung Theodore Postols im Bulletin of Atomic Scientists, daß das Aegis-on-Land-System in Rumänien mit wenigen Handgriffen bzw. Umprogrammmierungen von einer Defensiv- in eine Offensivewaffe umfunktioniert werden kann?

MK: Was die Technik betrifft, möchte ich kein endgültiges Urteil fällen. Da kennt sich Postol, einer der führenden Raketenexperten der USA, besser aus als ich. Ich würde aber sagen, daß allein der Verdacht, daß die Raketen vom Abfangen irgendwelcher Objekte in der Luft auf den Angriff auf Bodenziele in Rußland umfunktioniert werden können, für Spannungen und Mißtrauen gesorgt und notwendige, aber gefährliche Gegenmaßnahmen seitens Moskaus veranlaßt hat. Das erklärt vielleicht, warum die Russen in der Raketenforschung die Bedingungen des INF-Vertrags ausgereizt bis eventuell überschritten haben, aber wenn man die Reden und Stellungnahmen Putins liest, geht daraus ganz klar hervor, daß die Verschlechterung der Beziehungen und der Anstieg des gegenseitigen Mißtrauens eindeutig auf den einseitigen Rücktritt der USA aus dem ABM-Vertrag im Jahr 2002 zurückzuführen sind. Die USA und Rußland müssen zur Zusammenarbeit auf dem Feld der Rüstungskontrolle zurückkehren, sonst dürfte der bereits begonnene Rüstungswettlauf ganz böse enden.

SB: Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand der Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea? Wird sich die Trump-Regierung auf eine Lockerung der Wirtschaftssanktionen bei entsprechendem Entgegenkommen Pjöngjangs in der Abrüstungsfrage einlassen müssen und wird Kim Jong-un zusätzlich zu seinem in Hanoi gemachten Angebot, die Atomanlage Yongbyon stillzulegen, auch die bisher geheimgehaltene Einrichtung Kangson für internationale Inspekteure öffnen und eventuell aufgeben müssen?

MK: Was den Stand betrifft, so bin ich zufriedener als 2017, als Washington und Pjöngjang offene Kriegsdrohungen von sich gaben. Dennoch darf man nicht vergessen, daß es die Trump-Administration war, die damals mit Provokationen die Eskalation herbeiführte. Trump hat die Krise geschaffen, um gleich darauf als die Person aufzutreten, die sie aus der Welt schaffen könne. Kim zu treffen war ein mutiger Schritt von Trump, doch das Scheitern des zweiten Gipfeltreffens im Frühjahr in Hanoi bedeutet, daß die Verhandlungen aktuell auf der Stelle treten. Es gibt viele wohlklingende Absichtserklärungen, aber keine echten Fortschritte.

Sie zu erzielen hängt von der Sequenzierung ab. Keine der beiden Seiten will als erste Zugeständnisse machen. Diese müssen zeitgleich und aufeinander abgestimmt erfolgen. Das hinzubekommen ist nicht einfach. Deshalb gestalten sich die Verhandlungen recht schwierig. Manche Experten in den USA meinen, erst müßten die nordkoreanischen Atomwaffen abgeschafft werden und danach könne ein wirtschaftliches Entgegenkommen erfolgen. Andere plädieren für wirtschaftliche Anreize bei gleichzeitigem Atom- und Raketenteststopp seitens Pjöngjang. Ich tendiere zur zweiten Option, denn mit der harten Tour wird man bei den Nordkoreanern nichts erreichen. Das haben sie in der Vergangenheit hinlänglich bewiesen. Mit all ihren Sanktionen und Drohgebärden haben die USA seit den Tagen George W. Bushs gehofft, Nordkorea in die Knie zu zwingen und in Pjöngjang eventuell sogar einen Regimewechsel herbeiführen zu können. Statt dessen haben die Nordkoreaner den USA den Stirn geboten und sich trotz aller massiven ökonomischen Probleme die Atombombe und Interkontinentalraketen aus eigener Produktion zugelegt. Washington wäre besser beraten, die Sanktionen zu lockern und den Koreakrieg offiziell zu beenden. Das würde viel mehr zu einer Entspannung auf der koreanischen Halbinsel beitragen und die Chancen für die Schaffung einer atomwaffenfreie Zone erhöhen als das ganze Säbelrasseln.

Die USA sollten auch stärker die Interessen Südkoreas und Japans an einer Entspannung in Ostasien berücksichtigen. Südkoreas Präsident Moon Jae-in hat sich sehr stark um eine Versöhnung mit dem Bruderstaat im Norden bemüht und dabei diplomatisch sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Er verdient deshalb von den USA und den anderen Großmächten wie China und Rußland unterstützt zu werden. Als sich Kim und Trump gegenseitig beschimpften, war Moon derjenige, der die diplomatischen Kontakte zu Pjöngjang nicht abreißen ließ. Inzwischen betrachten sich Trump und Kim als "beste Freunde", die mittels ihrer persönlichen Beziehung Frieden auf der koreanischen Halbinsel schaffen können. Da bin ich etwas skeptisch. Dennoch wäre sehr geholfen, wenn der telefonische Draht zwischen den beiden Staatschefs zu einem Gelingen der Verhandlungen und einer Vereinbarung, die sich als tragfähig erweist, führte. Ich gehe davon aus, daß die Entnuklearisierung Nordkoreas Jahre in Anspruch nehmen und nur begleitet von einer vorsichtigen Annäherung auch in wirtschaftlicher Hinsicht gelingen wird. Jedenfalls ist eine rasche Aufgabe aller Kernwaffen seitens der Nordkoreaner nicht zu erwarten.


Kim und Moon lächeln für die Kameras vor einer großen koreanischen Landschaftsmalerei - Foto: © 2018 by Cheongwadae/Blue House, freigegeben nach Korean Open Government License Type I: Attribution

Kim Jong-un und Moon Jae-im beim großen Koreagipfel am 27. April 2018
Foto: © 2018 by Cheongwadae/Blue House, freigegeben nach Korean Open Government License Type I: Attribution

SB: Je näher die US-Präsidentenwahl rückt, um so mehr könnte sich Trump auf einen wie auch immer gearteten Deal einlassen, um sich im Wahlkampf als großer Diplomat aufspielen zu können.

MK: Das stimmt. Die US-Innenpolitik könnte durchaus ihren Niederschlag in Washingtons Haltung gegenüber Pjöngjang finden. Das gleiche gilt aber auch für Amerikas Iran-Politik. Das Problem bei Trump ist, daß er so sprunghaft agiert und von einem Moment auf den nächsten von Versöhnung auf Konfrontation und umgekehrt schalten kann. Das macht alle nervös. Man kann die Entwicklung schwer einschätzen. Alles befindet sich in der Schwebe.

SB: Pentagon und Weißes Haus drängen seit einiger Zeit auf den Bau neuer kleiner Atomwaffen, sogenannter Mini-Nukes. Der Kongreß blockiert das Unterfangen, indem er sich weigert, die dafür nötigen Gelder zu bewilligen. Was meinen Sie, werden Repräsentantenhaus und Senat standhaft bleiben oder doch noch einknicken?

MK: Gute Frage. Nun, der Low-Yield Warhead, Bezeichnung W76-2, wurde explizit in der Nuclear Posture Review der Trump-Regierung von 2018 erwähnt. Es handelt sich um bereits existierende Sprengköpfe, von denen sich etwa 2000 Stück im Stockpile Stewardship Program des US-Energieministeriums befinden und von denen in den kommenden Jahren ein Teil in Betrieb genommen werden soll, nachdem man mittels einer Regulierungsapparatur die Sprengkraft gedrosselt hat, um sie als taktische Schlachtfeldwaffe einsetzen zu können. Die tatsächliche Zahl der so umfunktionierten Sprengköpfe wird vom Pentagon geheimgehalten; wir von der FSA schätzen sie auf etwa 50 Stück. Die angepeilte Sprengkraft des W76-2 liegt bei fünf bis sieben Kilotonnen, also ein Drittel derjenigen der Bombe, die Hiroshima zerstört und 100.000 Menschen getötet hat. Für eine solche Wasserstoffbombe den Begriff Low-Yield zu benutzen und von niedriger Sprengkraft zu reden ist für mich eine gezielte und irreführende Untertreibung, auch wenn der ursprüngliche W76, der sich bis heute als Standardwaffe der strategischen Streitkräfte der USA in Betrieb befindet, eine Sprengkraft von 100 Kilotonnen hat.

Derzeit befaßt sich der Kongreß mit dem National Defense Authorization Act (NDAA), dem Gesetz über den Wehretat. Das von den oppositionellen Demokraten kontrollierte Repräsentantenhaus hat dafür votiert, die Indienststellung derjenigen W76-2-Sprengköpfe, die das Pentagon bereits für den eventuellen Einsatz hat modernisieren lassen, zu blockieren. Die republikanische Mehrheit im Senat dagegen hat für die Indienststellung gestimmt. Nun müssen die Fraktionsvorsitzenden beider Parteien und deren führende Vertreter in den jeweiligen Verteidigungsausschüssen zusammenkommen und versuchen, einen Kompromiß zu finden.

SB: Gehört die Blockade der W76-2-Indienststellung zu den Punkten in bezug auf den Wehretat, an die sich die Demokraten klammern, oder eher zu den Themenkomplexen, bei denen man eventuell bereit wäre, nachzugeben, um bei einem Deal mit den Republikanern irgendeine wichtigere Forderung durchzubekommen?

MK: Wenn man das nur wüßte. Ich weiß es jedenfalls nicht. Der amtierende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Repräsentantenhaus, der demokratische Kongreßabgeordneter Adam Smith aus dem Bundesstaat Washington, hat sich sehr stark gegen die aggressive Atomkriegsdoktrin der Trump-Regierung einschließlich der geplanten Indienststellung "kleiner" Nuklearsprengköpfe ausgesprochen und positioniert. Ich habe nicht den Eindruck, daß er so schnell von dieser Position abrücken wird. Gleichzeitig gibt es eine republikanische Mehrheit im Senat, die genauso energisch den Einsatz dieser Waffe fordert. Man kann sich also auf ein spannendes politisches Ringen gefaßt machen.

Der Umstand, daß die neujustierten Sprengköpfe bereits vorrätig und einsatzbereit sind, dürfte es schwierig machen, die angepeilte Indienststellung zu verhindern. Ich bin jedenfalls in dieser Frage nicht allzu optimistisch. Man könnte sich eine Situation vorstellen, in der zum Beispiel die Demokraten der Indienstnahme des W76-2 im Gegenzug für eine Rücknahme des umstrittenen Gesetzes zur Autorisierung militärischer Gewalt gegen Terroristen (Authorization for Military Force against Terrorists - AUMF) aus dem Herbst 2001 zustimmen, das seitdem für zahlreiche Militärinterventionen rund um den Globus benutzt, man könnte sogar sagen mißbraucht, wurde. Ein solcher Deal, der die bisherige Fähigkeit des Präsidenten, nach Gusto und am Kongreß vorbei Kriege anzuzetteln, stark einschränkte, wäre es vielleicht wert.

SB: Die Absicht der USA, Rußland in Osteuropa und in Ostasien dem Ausbau der Streitkräfte der Volksrepublik China nukleare Mittelstreckenraketen entgegenzusetzen, erstreckt sich nicht nur auf ballistische Raketen, sondern auch auf Marschflugkörper. Macht nicht ein solcher Schritt die Welt um einiges gefährlicher, denn im Ernstfall besteht die bisherige Annahme, angreifende Marschflugkörper seien konventionell bestückt, nicht mehr. In einer solchen Lage wären die chinesischen und russischen Militärs zu der Annahme gezwungen, daß ein atomarer Angriff bevorsteht. Hinzu kommt, daß die Vorwarnzeit bei Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern über kurze Distanz erheblich geringer ist als bei Interkontinentalraketen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?


Schiffsdeck und Bordkanone im Vordergrund, dahinter schießt die Tomahawk-Rakete in den blauen Himmel, hinter ihr ein weißer Schweif -Foto: © 2015 by National Museum of the U.S. Navy, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Start eines Tomahawk-Marschflugkörpers vom US-Kriegsschiff Missouri im Jahr 1988
Foto: © 2015 by National Museum of the U.S. Navy, gemeinfrei via Wikimedia Commons

MK: Die USA verfügten in der Vergangenheit über atomar bestückte Marschflugkörper - einmal die Pershing-II-Rakete, welche die Regierung Ronald Reagans in den achtziger Jahren trotz Protesten in Westeuropa stationieren ließ, und zum anderen die atomare Tomahawk Land Attack Missile - Nuclear (TLAM-N) der US-Marine. Letztere hat die Obama-Regierung zwischen 2011 und 2013 außer Dienst gestellt. Dafür gab es mehrere Gründe. Erstens waren die Raketen extrem teuer in der Anschaffung und Wartung. Zweitens schienen sie keinen strategischen Nutzen mehr zu haben. Drittens schränkten sie die Einsatzfähigkeit der Schiffe, die sie führten, ein, weil man damit nicht überall hin fahren durfte oder konnte.

In der Nuclear Posture Review der Trump-Regierung vom vergangenen Jahr wurde die Absicht bekundet, US-Kriegsschiffe wieder mit nuklearen Tomahawk-Marschflugkörpern auszustatten. Ich halte die Kehrtwende für extrem gefährlich. Marschflugkörper bewegen sich zwar langsamer als ballistische Raketen, dafür ist ihre Flugbahn aber unberechenbarer und sie können in relativer Bodennähe bleiben, womit sie für gegnerische Radarsysteme schwer oder gar nicht zu erfassen sind. Die Abwehr eines Marschflugkörpers gestaltet sich erheblich schwieriger als die einer ballistischen Rakete mit ihrer berechenbaren Flugbahn. Gegen das Ansinnen der Trump-Regierung regt sich erheblicher Widerstand bei den Rüstungsgegnern und den Befürwortern der strategischen Rüstungskontrolle. Mit Chance wird es lange dauern, bis diese Waffen gebaut werden - wenn überhaupt.

SB: Die Trump-Administration hat letztes Jahr den Joint Comprehensive Plan Of Action (JCPOA) mit dem Iran aufgekündigt und bemüht sich gleichzeitig um den Export nuklearer Technologie an Saudi-Arabien, der für die Kernkraft gedacht ist, jedoch auch eine militärische Nutzung einschließen könnte. Beide Maßnahmen scheinen nicht gerade dazu angetan zu sein, die Region um den Persischen Golf friedlicher zu machen. Wie müßte Ihrer Meinung nach eine stabile rüstungspolitische Ordnung im Nahen Osten aussehen und wie käme man dahin?

MK: Es hat den Anschein, als wollten die Kriegsfalken in der Trump-Regierung, allen voran Außenminister Mike Pompeo und der Nationale Sicherheitsberater John Bolton, eine Krise am Persischen Golf herbeiführen, die in einen militärischen Konflikt zwischen den USA und dem Iran mündet. In den letzten Monaten haben wir eine deutliche Zunahme der Spannungen in der Region im allgemeinen, an der Straße von Hormus im besonderen miterleben müssen. Den ersten Schritt in Richtung Eskalation machten die USA durch ihren einseitigen Austritt aus dem Atomabkommen. Erstaunlicherweise haben die Iraner ihrerseits lange Zeit nicht darauf reagiert. Erst mehr als ein Jahr nach dem Austritt der USA hat Teheran unter Verweis auf seine Rechte bei Nicht-Einhaltung der Gegenseite begonnen, einzelne Gegenmaßnahmen wie zum Beispiel eine Erhöhung der erzeugten Menge an angereichertem Uran, zu ergreifen.

Ich glaube, daß die Möglichkeit besteht, das Abkommen doch noch zu retten. Die Maßnahmen, welche die Iraner ergriffen haben, waren so dosiert, daß sie jederzeit leicht rückgängig gemacht werden können. Teheran hat sich zu Neuverhandlungen bereiterklärt, pocht jedoch auf die Aufhebung der US-Wirtschaftssanktionen. Präsident Trump will angeblich auch einen Deal und weiß nur nicht, wie er das hinbekommt, ohne sich von seiner "Politik des maximalen Drucks" verabschieden zu müssen. Im Kongreß und in den US-Medien gibt es viele Stimmen, die meinen, der Rücktritt vom JCPOA sei ein Fehler gewesen. Der zunehmende innenpolitische Druck und auch das Drängen der EU-3 - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - könnte Trump zum Handeln im positiven Sinne veranlassen. Wenn nicht, werden wir warten müssen, bis es eine neue US-Regierung gibt, bevor sich die Dinge zum besseren verändern. Hoffentlich kommt es vorher nicht zum Krieg.

SB: Vor kurzem hat die Trump-Administration die Sicherheitsbestimmungen für die US-Kernkraftwerke gelockert. Inwieweit entsteht dadurch eine Gefahr im Sinne der Verbreitung von militärisch nutzbarer Technologie und/oder von Spaltmaterial? Wenn es um Länder wie Nordkorea oder Iran geht, sind die USA immer darauf erpicht, daß die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) genaueste Angaben über alle Aspekte der Kernkraftprogramme und den Verbleib jeden Mikrogramms radioaktiven Stoffs erhält. Warum soll der Umgang mit solchem Material in den USA anders sein?

MK: Die Bedenken sind vollkommen begründet. Erst vor wenigen Monaten sorgten Berichte über dubiose geplante Technologietransfers seitens US-Unternehmen im zivilen Atomsektor an Saudi-Arabien für Schlagzeilen. Es steht bis heute der Verdacht im Raum, daß sich irgendwelche Amigos von Trump, darunter ehemalige Generäle, mit dem Verkauf sensibler Nukleartechnologie an die Saudis eine goldene Nase verdienen wollen. Das Government Accountability Project hat einige wichtige Enthüllungsberichte darüber geschrieben. Die Art und Weise wie hier die Trump-Regierung agiert, einerseits den roten Teppich für die Saudis auszurollen und ihnen den Kauf sensibelster Atomtechnologie in Aussicht zu stellen, andererseits den Iranern, trotz deren Einhaltung des JCPOA und Teherans anstandsloser Zusammenarbeit mit der IAEA, ständig ein Streben nach Kernwaffen zu unterstellen, zeugt von zweierlei Maß und ist keine Basis einer stabilen Ordnung am Persischen Golf. Im Gegenteil schürt sie nur noch mehr Mißtrauen zwischen Riad und Teheran.


Das tropische Strandidyll auf Bikini birgt toxische Gefahren - Foto: © 2005 by UNESCO, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Das bis heute radioaktiv verseuchte und für Menschen unbewohnbare Bikini-Atoll
Foto: © 2005 by UNESCO, gemeinfrei via Wikimedia Commons

SB: 2020 findet die nächste, alle fünf Jahre stattfindende Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag statt. Was erhofft sich die FAS vom kommenden Treffen?

MK: Das ist schwer zu sagen, denn die Konferenz wird aller Voraussicht nach vor einem sehr negativen geopolitischen Hintergrund stattfinden. Fortschritte in der Nicht-Verbreitung von Atomwaffen zu erzielen, während gleichzeitig ein neues Wettrüsten Fahrt aufnimmt, stelle ich mir schwierig vor.

SB: Wenn die Diplomatie versagt, könnten die Vertreter der zivilgesellschaftlichen Gruppen vielleicht in Zusammenarbeit mit der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) die Initiative ergreifen und die Dinge anschieben?

MK: Keine schlechte Idee. Leider läuft die Zusammenarbeit zwischen den Verfechtern der Rüstungskontrolle und den Atomwaffengegnern in letzter Zeit nicht so gut. Eigentlich müßten sie auf derselben Seite stehen. Statt dessen wird viel gestritten. Von daher würde ich mir von der Überprüfungskonferenz tatsächlich eine verstärkte Zusammenarbeit aller Militarismuskritiker, Rüstungskontrolleure und Atomwaffengegner erhoffen. Solange die Zivilgesellschaft nicht mit einer Stimme spricht, können sich Politik und Militär leicht aus ihrer Verantwortung stehlen. Des weiteren bietet der Atomwaffensperrvertrag verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf Feldern wie Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und humanitäre Hilfe in Regionen, wo einst Atomwaffen getestet wurden. Man sollte diese eher alltäglichen Möglichkeiten der Zusammenarbeit nutzen und - metaphorisch gesprochen - Brücken bauen, um in der Frage der Abrüstung später vorankommen zu können.

SB: Recht vielen Dank, Herr Korda, für das Interview.


Außenansicht von Pete's Café samt Bürgersteig und Passanten - Foto: © 2019 by Schattenblick

Pete's Coffee & Tee
Foto: © 2019 by Schattenblick


Beiträge zur Serie "Trumps Amerika" im Schattenblick unter:
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BERICHT/346: Trumps Amerika - Liegenschaftskriege ... (SB)
BERICHT/347: Trumps Amerika - Angriffsspitze der Demokraten ... (SB)
INTERVIEW/445: Trumps Amerika - The Squad, Rebellion im Kongreß ...    Eric Josephson im Gespräch (SB)
INTERVIEW/448: Trumps Amerika - Besitzstreben und Krieg ... &nsbp; &nsbp; Ellen Cantarow im Gespräch (SB)
INTERVIEW/449: Trumps Amerika - Rüstung und Kriege ...    William Hartung im Gespräch (SB)


17. September 2019


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