Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REPORT


INTERVIEW/469: Die Linke - Widerspruchsspektren ...    Fabian Blunck im Gespräch (SB)


Gespräch am 15. Dezember 2019 in Berlin


Fabian Blunck war Jugendpolitischer Sprecher der Partei Die Linke in Sachsen. Er ist Sprecher der Linken-Landesarbeitsgemeinschaft Queer Sachsen und Mitglied der Kommission Politische Bildung seiner Partei.

Als Aktivist ist er Teil des linXXnet-Kollektivs [1], das in Leipzig zwei offene Projekt- und Abgeordnetenbüros betreibt. Er gehört zum Team des Arbeitskreises "Collage zur Utopie des kommunistischen Begehrens" [2].

In Heft 7 der Reihe Bildungsmaterialien "Selber machen - Jugendbildung - Politische Weiterbildung" der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema "Perspektiven emanzipatorischer Jugendbildung. Involvierte Pädagogik und eingreifende Praxis", das im Mai 2019 erschienen ist, ist er mit einem Kapitel vertreten, das er gemeinsam mit Janis Walter verfaßt hat. [3]

Im Rahmen der Gründungsversammlung der Bewegungslinken [4], die am 14. und 15. Dezember 2019 in Berlin stattfand, nahm Fabian Blunck verschiedene Aufgaben auf dem Podium wahr. Zum Abschluß der Konferenz beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.


Auf dem Podium der Gründungsversammlung - Foto: © 2019 by Schattenblick

Fabian Blunck
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Fabian, die Gründungsversammlung der Bewegungslinken ist nun unter Dach und Fach. Wie ist dein Eindruck von der Tagung?

Fabian Blunck (FB): Gut!

SB: Was hat dir besonders gefallen?

FB: Das Spannende an der Bewegungslinken ist vor allem, daß sie ihren Fokus auf eine andere Praxis dessen richtet, wie sich eine Partei einerseits selbst in Bewegung bringen kann und andererseits ihr Verständnis von außerparlamentarischen Zusammenhängen und Bewegungen auf den Prüfstand stellt und schärft. Sie wird damit der Breite und Vielfalt von Initiativen, Projekten und Protesten gerecht, was ich sehr begrüße.

SB: Bei dieser Konferenz sind Leute aus zahlreichen Landesverbänden zusammengekommen, um ein gemeinsames Projekt auf den Weg zu bringen. Gegen Ende der Diskussionen klang die Frage möglicher Bündnisse an. Einmal vorausgesetzt, daß die Bewegungslinke Zuspruch zu ihrem Vorhaben findet und damit Schule macht: Könnte sich dann irgendwann auch die Frage stellen, mit wem sie zusammenarbeiten will und wen sie eher nicht mit im Boot haben möchte?

FB: Dazu könnte es natürlich kommen, wobei sich das aber vor allem an der Frage festmacht, welchen Anspruch an Politik und Praxis man vertritt und umzusetzen versucht. Es ist also eine inhaltliche Frage, die jedoch gar nicht so sehr von der jeweiligen Zugehörigkeit zu politischen Lagern des linken Spektrums abhängt. Es ist keine abstrakte Frage dessen, ob man sich zu Position A oder B bekennt, sondern wird anhand der praktischen Konsequenzen zu beantworten sein. Arbeitet man, um ein Beispiel zu nennen, mit einer Queer-Gruppe zusammen oder nicht?

SB: In der Vergangenheit war es unter Linken gang und gäbe, zwischen Haupt- und Nebenwiderspruch zu unterscheiden. Das führte beispielsweise dazu, daß die Frauen- oder die Umweltfrage von Teilen der Linken in den zweiten Rang verwiesen oder sogar abgewürgt wurde. Ist das Erbe dieser Hierarchisierung deines Erachtens noch heute präsent, wo doch die Klimagerechtigkeitsbewegung und die Kämpfe der Frauen weltweit zu den bedeutendsten und sichtbarsten Bewegungen gehören?

FB: Die Bewegungslinke zeichnet aus, daß sie diese Unterscheidung und Hierarchisierung gerade nicht vornimmt. Sie verbindet die Klassenfrage mit identitätspolitischen Fragen und dazu gehört auch, die Frage des Patriarchats verschränkt mit dem Kapitalismus und mit Rassismus zu betrachten und zu behandeln. Insofern stellt sich die Frage des Haupt- und Nebenwiderspruchs nicht, denn meines Erachtens ist die Bewegungslinke wahrscheinlich der Zusammenhang, der am deutlichsten diesem Gerede von vor- und nachrangigen Problemkomplexen eine andere Praxis entgegenstellt und versucht, die atomisierten Ansätze und Kämpfe zusammenzubringen.

SB: Auf vielen linken Konferenzen sind die älteren Herrschaften eher unter sich. Vom gefühlten Altersdurchschnitt her kam es mir vor, als sei die Bewegungslinke demgegenüber eine vergleichsweise junge Initiative, was sehr erfrischend ist. Würdest du das auch so sehen, daß hier viele Impulse aus der jüngeren Generation kommen und sich das Klima des Umgangs miteinander dadurch ändert?

FB: Als gutes Beispiel und deutliches Zeichen, eine andere Praxis des Umgangs zu etablieren, würde ich insbesondere die Herangehensweise anführen, auch Frauen ein Podium zu geben. Wir hatten bei dieser Gründungsversammlung zum zweiten Mal in Folge ein Eröffnungspodium mit rein weiblicher Besetzung. Das, würde ich sagen, folgt aus dem bewußten Anspruch, daß solche zentralen Momente eben auch von Frauen gestaltet werden.

SB: Im Laufe der Tagung wurden sehr viele Arbeitsaufgaben verteilt. Wenn man sich überlegt, wie groß der Kreis der Leute ist, die heute beteiligt waren, wird jede Menge Arbeit auf euch zukommen. Hast du da manchmal ein mulmiges Gefühl oder sagst du eher, jetzt geht es erst recht mit Volldampf voran?

FB: Im Grunde genommen arbeiten die meisten Leute, die an dieser Gründungsversammlung der Bewegungslinken teilgenommen haben, sowieso schon zu den verschiedenen Themen, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind oder berücksichtigt werden sollten. Insofern geht es nicht so sehr darum, künftig noch viel stärker belastet zu werden. Es dreht sich vielmehr um die Frage, auf welche Weise wir uns noch besser vernetzen, noch enger zusammenarbeiten und möglicherweise voneinander profitieren können. Wenn ich mich beispielsweise damit vertraut mache, wie andere zu entsprechenden Themen arbeiten oder mit anfallenden Problemen umgehen, könnte das dazu führen, daß ich diese Ansätze in meinem Arbeitsfeld konkret und sofort umsetzen kann. Insofern läuft es im Idealfall gar nicht auf zusätzliche Arbeit hinaus, sondern auf eine engere Zusammenarbeit bei Themen, mit denen man ohnehin befaßt ist.

SB: Fabian, vielen Dank für dieses Gespräch.

(Weitere Berichte und Interviews zur Gründungsversammlung folgen)


Fußnoten:


[1] www.linxxnet.de

[2] www.stressfaktor.squat.net/node/203775

[3] www.rosalux.de/publikation/id/40408/perspektiven-emanzipatorischer-jugendbildung/

[4] www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0355.html


Berichte und Interviews zur Gründungsversammlung der Bewegungslinken im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT

BERICHT/354: Die Linke - beteiligt, bewegt und präsent ... (SB)
BERICHT/355: Die Linke - als Partei gesellschaftlich begründeter Probleme ... (SB)
BERICHT/356: Die Linke - Mieter auf der Überholspur ... (SB)
INTERVIEW/466: Die Linke - in die Hände des Volkes ...    Janine Wissler im Gespräch (SB)
INTERVIEW/467: Die Linke - Demokratieverheißung und Parteienlogik ...    Katharina Dahme im Gespräch (SB)
INTERVIEW/468: Die Linke - menschen- und alltagsnah ...    Raul Zelik im Gespräch (SB)


9. Januar 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang