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ARBEIT/615: Mensch oder Marke - Was ist mehr wert? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2017

Jobs, Jobs, Jobs
Gute Arbeitsplätze in einer nachhaltigen Zukunft?

Mensch oder Marke: Was ist mehr wert?
Knappe Frage und komplexe Antwort, doch Komplexität ist kein Argument für's Nichtstun

von Berndt Hinzmann


Globalisierung und globale Produktionsketten sind geprägt von Konkurrenz um Märkte und InvestorInnen sowie der Orientierung auf kurzfristige Wettbewerbsvorteile. Das Interesse der AktienbesitzerInnen wird höher bewertet als Mensch und Umwelt und dabei die Missachtung grundlegender Rechte und von Sozial- und Umweltstandards in Kauf genommen. Sehr konkret wird auf diese Weise eine nachhaltige Entwicklung verhindert und des Menschen Rechte gebrochen.


Aus unserer internationalen Perspektive der 'Kampagne für Saubere Kleidung' können wir konkret feststellen, dass Regierungen der verschiedenen Länder verstärkt zu einer Wirtschaftspolitik übergegangen sind, die Investitionen und Unternehmen starke Anreize setzt. Die Maßnahmen reichen von Subventionen für die Ansiedlung von Produktionsstätten über Steuererleichterungen bis hin zur Deregulierung des Arbeitsmarktes. Damit einher geht eine offene Repression gegenüber Gewerkschaften und eine Politik, die ArbeitnehmerInnenrechte grundsätzlich infrage stellt. Aktuelle Beispiele sind das gewaltsame Vorgehen bei Protesten für einen höheren Lohn, die Verhaftungen von GewerkschaftsführerInnen und die Schließung von Gewerkschaftsbüros in Bangladesch Ende 2016 und zum Jahresbeginn 2017.(1) Die Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass sich gleichzeitig jenseits des Nationalstaates ein System wirtschaftlicher und sozialer Beziehungen herausgebildet hat, das von den Interessen internationaler Unternehmen dominiert wird.


Schluss mit den Ausreden: menschenwürdige Arbeit global

Ein zentrales Thema und Anlass für Arbeitskämpfe in den Produktionsländern ist die Forderung nach einem zum Leben ausreichenden Lohn. In vielen der Fälle wird die Armut trotz Arbeit, bei permanenten Überstunden und extremen Druck sowie gesundheitsgefährdenden Arbeitsplätzen fortgeschrieben. Keinesfalls ist dies eine neue Tatsache, und Menschenrechtsverletzungen seitens Unternehmen in globalen Lieferketten sind vor und seit der Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) im Jahr 1919 Gegenstand internationaler Proteste und Debatten.


Keine Zeit mehr für Lippenbekenntnisse

Trotz globaler Strategien und Erklärungen, der Milleniumsentwicklungsziele (MDGs) und umfangreicher Visionen auf politischer Bühne, wie zum Beispiel des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon mit dem Titel 'A life of dignity for all' (Ein Leben in Würde für alle, 2014), bestehen viele globale Herausforderungen weiter oder haben sich verschärft.

Doch unterdessen unbestritten: Soziale Mindeststandards sind ein Menschenrecht, mit dem alle Menschen ein Recht auf Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Entwicklungen haben. Die Verpflichtung der Weltgemeinschaft, dieses Versprechen zu gewährleisten, ist bereits im Pakt der Vereinten Nationen (UN) über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte von 1966 verankert. Mit der 'Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit' (1998) haben die ILO-Kernarbeitsnormen den Charakter eines universellen Menschenrechts erhalten und das Konzept 'Decent Work' (menschenwürdige Arbeit) forciert die Durchsetzung. Die UN-Leitprinzipien für 'Wirtschaft und Menschenrechte' wollen seit 2011 mit konkreten Aktionsplänen die Menschenrechte stärken.

Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag betonten besonders im Jahr der G7-Präsidentschaft 2015 und von G20 (Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) die Bedeutung von ökosozialen Standards in der globalen Wertschöpfungskette und die Umsetzung der UN-Leitlinien, sowie die Erarbeitung einer globalen Nachhaltigkeitsagenda voranzutreiben. Allerdings bleibt die Realität weit hinter den erklärten Zielen zurück. Und: Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung hat nicht das Format eines Top10-Hits. Das Thema Nachhaltige Entwicklung ist dennoch mithilfe der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) verstärkt ins Zentrum der politischen Handlungsnotwendigkeit geraten. Als Zivilgesellschaft müssen und können wir diesen Zeitpunkt nutzen.

Offensichtlicher denn je ist Nachhaltiges Wirtschaften unmittelbar mit der Reduzierung von Armut und der Schaffung von "guter, menschenwürdiger" Arbeit verbunden. Und eines steht fest: Vollmundige Erklärungen und Initiativen werden noch deutlicher daran gemessen, ob Maßnahmen erfolgen, die die richtige Wirkung erzielen. Das Thema Menschenrechte, Sorgfalts- und Haftungspflichten der Unternehmen wird deshalb auf der politischen Agenda bleiben und ganz besonders der Aspekt der verbindlichen Regelung. Das Dramatische ist doch, dass es alleinig Soft-Law-Standards, sprich nicht rechtsverbindliche Abkommen, Leitlinien etc. zum Schutz der Menschenrechte sowie der Umwelt gibt.


Asymmetrie im Schutz von Interessenssphären

Geht es um wirtschaftliche Interessen im Ausland, so besteht für Unternehmen die Möglichkeit, Schiedsgerichte anzurufen und auf Schadenersatz zu klagen.

Die Bundesregierung sichert deutsche Unternehmen gegen politische und wirtschaftliche Risiken im Ausland ab, indem sie auf Antrag Garantien für Exportkredite, Investitionen und ungebundene Finanzkredite erteilt. An dieser Stelle wäre es möglich, im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung staatlich "zusätzliche Maßnahmen" zu ergreifen, um die Menschenrechte zu schützen und auch bezüglich außenwirtschaftlicher Aktivitäten von Unternehmen die Einhaltung der "gebotenen Sorgfalt" zu verlangen, so die UN-Leitprinzipien.

Wenn die Interessen und Rechte von Unternehmen im Ausland durch bilateralen Investitionsschutz oder Förderungsverträge geschützt werden, so muss dies doch auch für die Einhaltung der Menschenrechte möglich sein.


Regulierungslücken fördern Fehlverhalten und Missstände

Die fehlenden verbindlichen Rechtsansprüche innerhalb der Globalisierung sind eine Regulierungslücke, so John Ruggie, ehemaliger stellvertretender UN-Generalsekretär, und "bieten ein Umfeld, in dem fehlerhaftes Verhalten durch Unternehmen aller Art erlaubt ist sowie angemessene Sanktionen und Entschädigung ausbleiben".

Um die globale Produktionskette und die Wertschöpfung zukunftsfähig und menschenrechtskonform zu gestalten und bisherigen destruktiven Prozessen Einhalt zu gebieten, sind diese Lücken zu schließen. Das ist eine klare politische Herausforderung.

In den vergangenen Jahren gab es individuelle und grundsätzliche Versuche der Regulierung, die unterschiedlich gut gelungen sind. Dazu gehören beispielsweise das Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch, die Entschädigungszahlungen für die Opfer von Rana Plaza und Tazreen. Für strukturelle Verbesserungen und eine Schließung der Lücke sind diese jedoch nicht weitreichend genug. So steckt das Verfahren für die Opfer von Ali Enterprises trotz grundsätzlicher Klärung unterdessen wieder bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) fest. Eine völkerrechtlich verbindliche Regelung zur menschenrechtlichen Verpflichtung von Unternehmen ist dringend notwendig. Daran ändert auch ein Bündnis für nachhaltige Textilien und andere Sektorvorhaben wenig.


Verbindliche Regeln: Zum Schutz der Umwelt und des Menschen

Das Festhalten am Status quo reicht nicht. Eine Bundesregierung muss, wenn diese die Ziele der SDGs und die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ernstnimmt, die bestehenden Lücken und Umsetzungsprobleme umfassender und konkret identifizieren.

Es bedarf weiterer operativer Maßnahmen, die Unternehmen dazu zwingen, regelmäßige menschenrechtliche Risikoanalysen und Folgeabschätzungen durchzuführen, damit möglichen Risiken sowie negativen Auswirkungen entgegengewirkt werden kann. Ein wichtiges Element sind dabei die Offenlegung und Berichtspflichten, aus denen hervorgeht, ob und wie Menschenrechte in globalen Lieferketten eingehalten werden. Von der neuen Bundesregierung wird mehr erwartet. Denn wenn es darum ging, wirksame und verbindliche Regulierungen auf nationaler und EU-Ebene zu etablieren, schien nur die Bremse bekannt zu sein.


Transparenz und Berichtspflicht stärken die Rechte der ArbeiterInnen

Ja, die globalen Lieferketten sind komplex, aber sie müssen kein Geheimnis bleiben. Erst wenn wir wissen, welche Unternehmen von welchen Fabriken ihre Produkte beziehen, können Nichtregierungsorganisationen, Medien und Politik sie zur Rechenschaft ziehen. Durch bessere Transparenz können ArbeiterInnen ihre Rechte verteidigen, bessere Arbeitsbedingungen einfordern oder Entschädigungszahlungen verlangen.

Transparenz für sich ist kein Wundermittel, doch die konkrete Offenlegung des Ist-Standes innerhalb der Produktionskette und in den komplexen Strukturen ist ein wesentliches Element, wenn es um die Umsetzung sowie den Nachweis von sogenannten Soft-Law-Standards (nicht verbindliche Übereinkünfte) und die Sorgfaltspflicht der UN-Leitprinzipien geht. Dass prinzipiell weitergehende Offenlegungspflichten auf nationalstaatlicher Ebene durchsetzbar sind, verdeutlicht der Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act (2010) in den USA. Deshalb fordert INKOTA gemeinsam mit internationalen Partnern der Kampagne Change Your Shoes sowie der Kampagne für Saubere Kleidung mit der Petition 'Transparenz statt Versteckspiel' exemplarisch internationale Schuhunternehmen dazu auf, transparent über die Einhaltung der Menschenrechte bei der Arbeit zu berichten. Transparenz sowie Berichtspflicht sind erste wichtige Schritte, und kohärente Politik muss ergänzend stärker auf strukturelle Veränderungen drängen.


Der Autor arbeitet beim INKOTA-netzwerk und ist in der Kampagne für Saubere Kleidung sowie in Change Your Shoes aktiv.

Anmerkung:
(1) Aktuelle Studien von INKOTA-netzwerk und Change Your Shoes zum Thema: Hier läuft was schief ... - Arbeitsbedingungen in der türkischen Schuh- und Lederindustrie, sowie: Auf der Stelle (ge) treten. Arbeitsrechtsverletzungen in der indischen Schuh- und Lederindustrie.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2017, Seite 18-19
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2017

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