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ARMUT/207: Heizen oder Essen? (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 1 vom 2. Januar 2015
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Heizen oder Essen?
Mehr als 4,5 Millionen Menschen leiden unter "Energiearmut".
Betroffen sind vor allem Niedriglohn-Beschäftigte und Alleinerziehende

von Philipp Kissel



In Frankreich gibt es einen sogenannten "Weihnachtsfrieden". Vom 1. November bis zum 31. März sind Strom- und Gassperren verboten, ebenso wie Zwangsräumungen. Auch in Großbritannien gibt es Einschränkungen für Energieunternehmen, Stromsperren zu verhängen. Dort wird auch bereits seit 1996 "Energiearmut" erhoben. Ein Regierungsbericht von 2011 ging davon aus, dass die Abstellung von Strom und Heizung zu 2.700 mehr Todesfällen im Winter führt. In den USA stehen viele Haushalte vor der Alternative, zu heizen oder Lebensmittel zu kaufen - die bittere Frage "Heat or eat?". In Deutschland gibt es weder eine Beschränkung der Energieunternehmen noch eine statistische Erhebung oder eine Definition von sogenannter Energiearmut. In Großbritannien gelten Haushalte, die mehr als 10 Prozent ihrer Konsumausgaben für Energie ausgeben müssen, als energiearm.

In Deutschland leben 16 Prozent der Haushalte unter der Armutsrisikoschwelle. Sie wenden - verglichen mit wohlhabenden Haushalten - einen gut doppelt so hohen Anteil ihres Einkommens für Strom auf. Danach wären 4,5 Millionen Haushalte (rund elf Prozent) von Energiearmut betroffen. Laut Bund der Energieverbraucher e. V. sind vor allem Niedriglohn-Beschäftigte betroffen, die keine Kompensation über die Sozialsysteme erhalten können und Alleinerziehende, deren Anteil an den energiearmen Haushalten 20,7 Prozent ausmacht. Der Verein mit 12.000 Mitgliedern stellt fest, dass "Energiesparen im Winter eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben" darstellt und fordert, dass Gas- und Stromsperren zumindest im Winter untersagt werden sollen. Schlecht isolierte Wohnungen und alte, stromfressende Geräte verschärfen die Lage. Ein Viertel der armen Haushalte ist von Schimmelschäden betroffen, ein klarer Hinweis auf schlecht geheizte Räume. Laut einer Befragung des Wuppertal-Instituts von 2013 können 17 Prozent der deutschen Haushalte nach eigener Einschätzung es sich nicht leisten, ihre Wohnung angemessen zu heizen, auch sie stehen vor der Frage "heat or eat?".

Das Problem nimmt derweil zu. Nach den Daten der Bundesnetzagentur wurden 2013 45.890 Haushalten das Gas und fast 345.000 Stromkunden der Strom abgestellt. Gegenüber 2012 hat die Zahl der Stromsperren um 25.000 und gegenüber 2011 sogar um 40.000 zugenommen, wie die Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine kleine Anfrage der Fraktion der Partei "Die Linke" im Bundestag ergab. Insgesamt gab es 2013 über sieben Millionen Mahnverfahren wegen säumiger Forderungen für Haushaltenergie, das ist eine deutliche Erhöhung um eine Million gegenüber dem Vorjahr. Bereits bei einem Rückstand von 100 Euro kann der Strom oder die Heizung abgestellt werden. Während die Linksfraktion im Bundestag den Antrag eingereicht hat, Stromsperren zu verbieten, pocht die CDU auf die Einhaltung der Zahlungsverpflichtungen und das SPD-geführte Wirtschaftsministerium sieht "den Strombedarf von Empfängern staatlicher Transferleistungen durch das Sozialrecht angemessen gesichert". Dabei waren von den Haushalten, die von einer Stromsperre betroffen waren, 200.000 Haushalte von Empfängern von Arbeitslosengeld II. Der Erwerbslosenverein Tacheles fordert deshalb die Einführung einer bedarfsorientierten Haushaltsenergiepauschale, die ergänzend zum SGB IIRegelsatz gezahlt werden soll. Im Moment sind rund 30 Euro für Strom im Regelsatz vorgesehen. Um den mittleren Stromverbrauch von 1800 kWh im Jahr für einen Ein-Personen-Haushalt zu finanzieren, braucht man aber 43,69 Euro - eine Lücke von mehr als 13 Euro. Durch die Herausnahme der Haushaltsenergie aus dem Regelsatz, der aber nicht gleichzeitig abgesenkt werden soll, könnte laut Tacheles ein Spielraum entstehen, um langlebige energiesparsamere Haushaltsgeräte anzuschaffen. Die Pauschale soll durch die Ermittlung des durchschnittlichen Strompreises vom Bundesamt für Statistik jährlich angepasst werden.

Die Strompreise für Haushalte sind von 2010 bis Ende 2013 um rund 24 Prozent angestiegen, die gesamten Verbraucherpreise nur um 6,5 Prozent. Laut Bundeswirtschaftsministerium ist Strom für private Haushalte seit 2007 deutlich teurer geworden, während Großbetriebe in den Genuss stabiler Preise kommen. Es ist der Preis für den Aufbau von Energie-Monopolen, den die Verbraucher zahlen müssen. Die "Energie-Champions" EON und RWE haben allein 2013 mehr als 170 Milliarden Euro Umsatz eingefahren. Zwischen 2002 und 2010 haben sich die Gewinne der drei großen Energieversorger EON, RWE und ENBW versiebenfacht. Die Kriegskasse für Manöver auf dem Weltmarkt ist gefüllt. EON hatte sich bereits 2001 das Ziel gesetzt, "globaler Energieanbieter Nummer Eins" zu werden. Für billige Energie für die Konzerne und den weltweiten Konkurrenzkampf im Energiesektor müssen die Verbraucher zahlen.

Zugleich wird deutlich, dass das Kapital für höhere Profite die Löhne unter das Niveau drücken muss, das zur Reproduktion der Arbeitskraft nötig ist. Neben der Forderung nach einer Haushaltsenergiepauschale und einem Verbot von Stromsperren, müssen deshalb höhere Löhne - besonders im Niedriglohnbereich - erkämpft und die Macht der Monopole angegriffen werden, sowohl die des Energiesektors, als auch der anderen, die von der Energiearmut hunderttausender profitieren. Ein Beispiel der Organisierung der Bevölkerung für Gegenmaßnahmen gibt es in Griechenland, wo sich die Beschäftigten der Energieversorger weigern, Strom abzudrehen. Stadtteilkomitees haben ein Alarmsystem eingerichtet, wo drohende Stromsperren und Zwangsräumungen gemeldet werden können, die Kollegen der Versorger informiert werden und Solidarität der Nachbarschaft organisiert wird.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 47. Jahrgang, Nr. 1 vom 2. Januar 2015, Seite 3
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2015


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