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ARMUT/269: Armut ist in Deutschland vor allem ein Problem in den Großstädten (idw)


Bertelsmann Stiftung - 02.04.2019

Armut ist in Deutschland vor allem ein Problem in den Großstädten

Armut ist in Deutschland nach wie vor ungleich verteilt. Besonders in den deutschen Großstädten über 100.000 Einwohnern ist die Armutsquote höher als im Bundesdurchschnitt und die Bevölkerung in den Großstädten nimmt Armut verstärkt wahr. Verwaltungschefs der Großstädte geben an, dass sie bereits vielfältige Maßnahmen gegen Armut ergriffen haben.


Gütersloh, 02. April 2019. Die Armutsquote in den deutschen Großstädten liegt auf einem deutlich höheren Niveau als in Deutschland insgesamt. So betrug der Anteil der Sozialleistungsempfänger an der Bevölkerung 2016 deutschlandweit 10,1 Prozent. In den Großstädten über 100.000 Einwohner lag er dagegen bei 14,0 Prozent, also knapp vier Prozentpunkte höher. Die Armutsquote hat sich dabei in den einzelnen Großstädten im Zehn-Jahres-Vergleich unterschiedlich entwickelt: In 37 Kommunen (46 Prozent) ist die Quote der Sozialleistungsempfänger gestiegen, in 27 (34 Prozent) ist sie gesunken und in 16 (20 Prozent) ist sie in etwa gleich geblieben. Das sind die Ergebnisse des Monitors Nachhaltige Kommune der Bertelsmann Stiftung, der sich in seinem aktuellen Bericht mit dem ersten Nachhaltigkeitsziel ("Keine Armut") der 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen beschäftigt hat.

"Nachhaltige Entwicklung ist die große Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Ihr Prinzip setzt voraus, dass wirtschaftliche, soziale und ökologische Belange ausgewogen berücksichtigt werden. Unser Fokus muss dabei auf der Verbesserung der Lebensqualität für alle Menschen liegen. Transparenz ist hierfür der erste Schritt, den wir mit dem neuen SDG-Portal unterstützen", sagt Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Armut ist in Deutschland regional unterschiedlich verteilt

Unter den Großstädten, in denen die Armut zugenommen hat, befinden sich alle 13 Ruhrgebietskommunen mit mehr als 100.000 Einwohnern; demgegenüber zählen alle zehn ostdeutschen Großstädte zu den Kommunen mit einer geringeren Armutsquote als noch vor zehn Jahren. Der Anstieg der Armut im Ruhrgebiet kann vor allem auf den noch nicht vollständig bewältigten Strukturwandel zurückgeführt werden. In den ostdeutschen Großstädten haben sich die Lebensverhältnisse im Laufe der Jahre weiter an das Westniveau angeglichen. Da aktuell nur Daten bis 2016 vorliegen, konnten Auswirkungen der starken Zuwanderung ab 2015 auf die Armutssituation in den Großstädten nur zum Teil erfasst werden.

Großstädter nehmen Anstieg der Armut wahr

Die Bevölkerung der deutschen Großstädte nimmt Armut vor Ort größtenteils als steigend wahr: Laut einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2018 des Meinungsforschungsinstituts Kantar Emnid im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ist etwa die Hälfte (46 Prozent) der Großstädter der Meinung, dass die Armut in der Stadt - verglichen mit der Situation vor zehn Jahren - gestiegen sei; von allen Bürgern in Deutschland meint dies nur gut ein Drittel (34 Prozent). Dabei fällt auf: Das Armutsproblem wird für umso dringlicher gehalten, je mehr Einwohner der Wohnort hat. Für 27 Prozent aller Befragten ist die Armut vor Ort "ein großes" oder "sehr großes Problem". Bei den Befragten aus Großstädten liegt dieser Wert bei 51 Prozent und damit ungefähr doppelt so hoch wie im Durchschnitt.

Armut ist für Verwaltungschefs der Großstädte relevantes Thema Die Verwaltungschefs der 80 deutschen Großstädte haben das Problem Armut ebenfalls erkannt und Maßnahmen ergriffen. Das hat das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung anhand einer weiteren Befragung ermittelt. Während über alle Kommunen betrachtet die Armut vor Ort nur für sechs Prozent der Verwaltungschefs "ein großes" oder "sehr großes Problem" darstellt, ist dies in Großstädten über 100.000 Einwohner für fast jeden Vierten der Fall (22 Prozent). Alle befragten Verwaltungschefs von Großstädten geben an, dass sie bereits vielfältige Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und -vermeidung ergriffen haben. Hierzu gehören Pflichtaufgaben, wie vor allem die Umsetzung der Sozialgesetze des Bundes und der Länder, aber auch freiwillige Aufgaben, wie zum Beispiel die Förderung von Kinder- und Jugendeinrichtungen oder von Sport-, Kultur- und Verkehrsangeboten. Allerdings sehen die Verwaltungschefs noch weiteren Verbesserungsbedarf: In der verwaltungsinternen Zusammenarbeit sowie in freiwilligen sozialen Leistungen, die vielfältig, gut zugänglich und spezifisch auf einzelne Stadtteile angepasst sind.

Was sollten Großstädte tun?

"Großstädte sollten vor allem für mehr Transparenz darüber sorgen, wie Armut in der jeweiligen Kommune verteilt ist. Dies kann in Form von kleinräumigen Armutsberichten geschehen", sagt Kirsten Witte, Kommunal-Expertin bei der Bertelsmann Stiftung. So zeige sich immer öfter, dass es in Ballungsräumen einzelne Quartiere gibt, in denen sich soziale, aber auch wirtschaftliche und umweltbezogene Problemlagen bündeln. Transparenz über die Gesamtsituation in einzelnen Stadtteilen sei eine Grundvoraussetzung dafür, so Kirsten Witte weiter, dass Großstädte eine integrierte Strategie für die nachhaltige Bekämpfung und Vermeidung von Armut entwickeln könnten. Hierzu bietet sich vor allem der Aufbau eines kommunalen Nachhaltigkeitsmanagements an, das auf die 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) der Vereinten Nationen ausgerichtet ist, zumal das SDG 1 auf "Armut" bezogen und eng mit den übrigen SDGs verknüpft ist. So könnten die Chancen der Menschen auf Bildung, Gesundheit, Wohnungsversorgung, Freizeitangebote, soziale Gemeinschaft und berufliche Entwicklung systematisch verbessert werden.


Zusatzinformationen

Im Herbst 2015 haben die Vereinten Nationen die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Die Agenda 2030 enthält 17 Nachhaltigkeitsziele, die auf wirtschaftliche, ökologische und soziale Handlungsfelder ausgerichtet und gemeinsam zu betrachten sind. Das erste SDG lautet "Armut in allen ihren Formen und überall beenden" oder kurz: "Keine Armut". Alle Nachhaltigkeitsziele richten sich grundsätzlich an die internationale, nationale, regionale und lokale Ebene.

Mit dem Projekt "Monitor Nachhaltige Kommune" möchte die Bertelsmann Stiftung eine nachhaltige Entwicklung vor Ort unterstützen. Im Mittelpunkt steht dabei die Umsetzung der Agenda 2030 mit den SDGs. Hierzu werden Monitor-Berichte, Arbeitshilfen und Indikatoren für ein kommunales Nachhaltigkeitsmanagement veröffentlicht. Kommunale Daten zu den SDGs werden für alle Städte und Gemeinden über 5.000 Einwohner sowie alle Landkreise über das SDG-Portal (https://sdg-portal.de/) und den Wegweiser Kommune (http://www.wegweiser-kommune.de/) von der Bertelsmann Stiftung bereitgestellt.

Die SDG-Indikatoren für Kommunen wurden gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden (Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städte- und Gemeindebund), dem Deutschen Institut für Urbanistik, dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung sowie Engagement Global mit ihrer Servicestelle Kommunen in der Einen Welt entwickelt.

Für die Bevölkerungsbefragung des Meinungsforschungsinstituts Kantar Emnid wurden im Zeitraum vom 10. bis 14. September 2018 insgesamt 1.009 telefonische Interviews durchgeführt. Die Befragung ist repräsentativ für die deutschsprachige Bevölkerung in Privathaushalten ab 14 Jahren.

Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) hat im September und Oktober 2018 die Verwaltungschefs aller Städte und Gemeinden über 5.000 Einwohner sowie aller Landkreise in Deutschland zu einer Online-Befragung eingeladen. Insgesamt haben sich 388 von 3.222 Kommunen (12 Prozent) an der Umfrage beteiligt. Die Befragung ist nicht repräsentativ.


Weitere Informationen unter:
https://sdg-portal.de/
http://www.wegweiser-kommune.de/
http://www.bertelsmann-stiftung.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution605

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Bertelsmann Stiftung, 02.04.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2019

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