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DISKURS/005: Von Commons und öffentlichen Gütern (medico international)


medico international - rundschreiben 03/09

Von Commons und öffentlichen Gütern

Nur über die Verteidigung und Ausweitung des sozialen Eigentums
gelingt der Weg aus der Krise - eine Begriffsklärung.

Von Thomas Gebauer


Die Finanzkrise hat die destruktive Kraft des Kapitalismus noch einmal verdeutlicht. Nachhaltige Schäden allüberall. Allein in Afrika werden 50 Millionen Menschen aufgrund der Krise verarmen, rechnet die Weltbank; Hunderttausende werden verhungern.

Auch im eigenen Land sind die Folgen der Krise unübersehbar. Zwar ist der "Geschäftsklimaindex" rechtzeitig vor den Wahlen wieder leicht angestiegen, doch ist die Stimmung der Leute alles andere als gut. Viele haben sich ins Private zurückgezogen, und es gehört schon einige Chuzpe dazu, ängstliches Verharren als Zufriedenheit zu deuten, wie das neoliberale Kommentatoren tun.

Die mitunter gespenstisch anmutende Ruhe ist Ausdruck einer tiefen sozialen Verunsicherung, deren Ursachen weit über die akute Krise hinaus zurückreichen. Der Crash hat das forciert, was mit der neoliberalen Umgestaltung der Welt vor Jahren begonnen wurde: die Aushöhlung des großen sozialen Versprechens einer für alle gesicherten Existenz. Wenn nun ausgerechnet das Wirtschaftsmodell, das all das Unglück zu verantworten hat, gestärkt aus der Krise hervorgehen sollte, ist das schon demoralisierend. Nicht Banken wurden in den zurückliegenden Monaten verstaatlicht, sondern die öffentlichen Etats privatisiert. Dabei bilden die skurrilen Umbuchungen von Steuermitteln in Dividendenausschüttungen und Managergehälter wie in den USA nur die Spitze des Eisberges. Schlimmer wiegt die Nachhaltigkeit, mit der die öffentlichen Haushalte durch milliardenschwere Rettungspakete enteignet wurden. So sehr die Krise den Neoliberalismus ideologisch erschüttert hat, monetär hat sie ihm angesichts leerer Staatskassen vorerst zum Sieg verholfen.

Zum Wesen des Kapitalismus gehört neben der Entfaltung von technologischem Fortschritt und Wohlstand auch die systematische Produktion von Armut. Seine negativen Seiten waren hierzulande so lange nur vermittelt spürbar, wie sich die Erwirtschaftung von Rendite auch auf Massenkonsum und eine Beteiligung am produzierten Wohlstand gründete. Diese fordistische Phase des Kapitalismus ging zu Ende, als die Grenzen des Wachstums erreicht waren. Seitdem ist Kapitalverwertung zunehmend auf Prozesse der Enteignung angewiesen: auf den Raubbau an Gemeingütern, der Enteignung von Wissen, die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, die Kapitalisierung sozialer Sicherungssysteme - mit anderen Worten: die Enteignung sozialen Eigentums.

Die Alternative zur sozialen "Verunsicherung" liegt nicht in der Rückkehr zu einem autoritären Wohlfahrtsstaat. Auch die Einhegung des destruktiven Potentials des Kapitalismus muss nicht automatisch zu einer bürokratischen Kommandowirtschaft führen. So gerne solche Schreckgespenster in Talkshows bemüht werden, bleiben sie doch Unsinn. Nicht die Wiederholung alter Fehler steht auf der Tagesordnung, sondern die Entwicklung eines emanzipatorischen Gegenentwurfs, der eine Neubalancierung der Bedürfnisse der Einzelnen mit denen der Gesellschaft ermöglicht.

Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass der Reichtum der Welt allen Menschen gehört. Nur in öffentlicher Verantwortung kann über seine Nutzung entschieden werden. Nicht abstrakte Kapitalverwertungsinteressen dürfen dabei im Vordergrund stehen, sondern die Bedürfnisse und Rechte aller Menschen. Statt noch die letzten Bereiche des Lebens dem Renditedenken und damit betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien zu unterwerfen, bedarf es der Schaffung und Absicherung einer Sphäre von Gemeingütern, die aufgrund ihrer Bedeutung für das menschliche Leben vor marktförmigen Bereicherungsprozessen geschützt werden müssen. Solche Commons, die wie die Atmosphäre, das Land, das Wasser, die Bodenschätze, die Gene oder das Wissen zum Erbe der Menschheit gehören, werden bekanntlich vorgefunden, von niemandem gemacht und sollten deshalb weder eingezäunt, patentiert oder sonst wie privat angeeignet werden dürfen.

Gleichermaßen schützenswert sind öffentliche Güter, die den Zugang zu Gemeinressourcen sicherstellen: Bibliotheken, Schulen oder Universitäten zu Wissen, kommunale Wasserwerke zu Trinkwasser oder Krankenhäuser zum Erhalt des Lebens. Solche öffentlichen Dienstleistungen werden zwar von Menschen hergestellt, müssen aber aufgrund ihrer Bedeutung für den Zugang zu Gemeingütern in öffentlicher Verantwortung liegen.

Über ein Ensemble von öffentlichen Gütern entsteht schließlich eine soziale Infrastruktur, ohne die gesellschaftliches Zusammenleben auf Dauer nicht möglich ist. Gesundheit, Bildung, die Teilhabe an Kultur, - all das sind öffentliche Aufgaben, denen nur über öffentliche, steuer- bzw. umlagenfinanzierte Dienstleistungen entsprochen werden kann. So entscheidend demokratische Verhältnisse für die Gewährleistung der Freiheitsrechte sind, so notwendig ist die Schaffung einer sozialen Infrastruktur für die Verwirklichung des UN-Sozialpaktes. Ohne ihre institutionelle Absicherung bleiben die sozialen und kulturellen Menschenrechte bloßer Schein.

Ziel eines solchen Gegenentwurfs ist nicht eine Verstaatlichung der Gesellschaft, sondern im Gegenteil: die Re-Sozialisierung von Staat und Wirtschaft. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Umkehrung der politisch-ökonomischen Verhältnisse nicht vom Himmel fallen wird, sondern gegen machtvolle Interessen durchgesetzt werden muss. Nicht immer bedarf es dabei der sozialen Wiederaneignung von Gemeinressourcen, deren Nutzung durch Zäune, Patente und andere Formen der Enteignung von Gemeingütern eingeschränkt wurde. Oftmals geht es auch um die Verteidigung und den Ausbau noch bestehender öffentlicher Güter und Dienstleistungen: den Erhalt kommunaler Krankenhäuser, die Bekämpfung der Misere im öffentlichen Bildungswesen, die Verhinderung des Börsengangs öffentlicher Transportmittel, etc.

Angesichts des unterdessen erreichten Globalisierungsgrades wird auch die Durchsetzung einer sozialen Infrastruktur auf Dauer nur im Globalen möglich sein. Nicht ohne Grund bewegen sich die sozialen Auseinandersetzungen, die in der Welt stattfinden, aufeinander zu. Während hierzulande der Widerstand gegen die Privatisierung sozialer Sicherungssysteme wächst, bemühen sich andernorts Menschen darum, das "soziale Eigentum" solcher öffentlichen Güter aufzubauen. So haben sich beispielsweise in Bangladesh 8.000 Familien zu einem genossenschaftlichen Versicherungsverein zusammengeschlossen, in dem diejenigen, die ein wenig mehr haben, auch für die Gesundheitsbedürfnisse der gänzlich Mittellosen aufkommen. So unterschiedlich die Lebensumstände sein mögen, verfolgen die medico-Partner in Bangladesh doch das gleiche politische Ziel wie kritische Ärzteorganisationen, Sozialverbände und Gewerkschaften hier.

Solidarität mit solchen Projekten ist mehr als Hilfe in der Not: In den Solidargemeinschaften, die sich weltweit gegen die "organisierte Verantwortungslosigkeit" des Kapitalismus durchsetzen und behaupten müssen, liegt auch die Keimzelle für etwas, das in der Bekämpfung der globalen Gesundheitskatastrophe von großer Bedeutung werden könnte. Warum sollte das Prinzip gemeinsamer Risikoteilung, der Kerngedanke von Solidargemeinschaften, nicht auch im globalen Maßstab gelten? Was spräche denn dagegen, dass reichere Länder so lange auch für die Gesundheitsbedürfnisse der ärmeren mit aufkommen, wie diese dazu nicht aus eigener Kraft imstande sind? Wäre es nicht höchste Zeit für einen "Weltgesundheitsvertrag", der nicht wie all die anderen globalen Gesundheitsfonds auf Freiwilligkeit beruht, sondern ein verpflichtendes Finanzierungsinstrument - und damit soziale Sicherheit - schafft?

Ohne starke Öffentlichkeiten, die von unten auf die Aneignung von Gesundheit drängen, ohne Solidarität, verstanden als internationale Vernetzung lokaler Widerstandspunkte, die sich mit politischen Initiativen, Gegeninformationen und konkreten Hilfsaktionen gegenseitig unterstützen, wird weder der Krise begegnet werden können, noch das möglich werden, was heute keineswegs mehr utopisch ist: ein globaler Sozialvertrag als Grundlage jenes Weltbürgerrechtes, das schon Immanuel Kant eingefordert hat.


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Quelle:
medico international - rundschreiben 03/09, Seite 4-6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2009