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FRAGEN/015: Widerstand in Rosa - Frauen-Gang in Indien (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 134, 4/15

Widerstand in Rosa
Frauen-Gang in Indien

Von Claudia Dal-Bianco


In Indien setzen sich Frauen in pinkfarbenen Saris und mit Bambusstöcken gegen die Herrschaft der Männer zur Wehr. Die Gulabi Gang(1) ist eine indische Frauengruppe, die sich für Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit einsetzt sowie Gewalt gegen Frauen und Korruption bekämpft. Sie agiert in Uttar Pradesh, dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Indiens, der gekennzeichnet ist von kastenbedingter Diskriminierung, Armut und Rechtlosigkeit. In einem Interview gibt sie Einblicke in die Widerstandsstrategien der "Rosa Band".


Sampat Pal, die selbst aus ärmlichen Verhältnissen stammt, gründete diese Frauen-Gang. Davor arbeitete sie als Sozialarbeiterin und organisierte Selbsthilfegruppen. 2003 rief sie die NGO Tribal Women Uplift and Empowerment of Women ins Leben. Daraus entstand 2006 die Gulabi Gang mit heute cirka 40.000 Mitgliedern in elf Bezirken von Uttar Pradesh.

Die pinkfarbenen Saris sind das Charakteristikum, eine Art Uniform, und stärken die Identität der Frauengruppe. Die Frauen tragen aber nicht nur rosa Saris, sondern haben auch einen Schlagstock, einen Lathi, wie Polizeiangehörige. Sampat Pal meint in einem Interview, dass dieses Erscheinungsbild zum Bekanntheitsgrad der Gang in der Öffentlichkeit entscheidend beigetragen habe.

Unkonventionell sind auch die Methoden und Taktiken zur Durchsetzung der Frauenrechte: Märsche, Blockaden, Sitins, Gheraos, auch Prügel. Das sogenannte Gherao, eine wichtige Protestform der Gang, hat in Indien Tradition. Es bedeutet "Einkreisung": Aktivist_innen stellen Forderungen an Politiker_innen, Polizist_innen, Regierungsvertreter_innen und belagern so lange immer wieder das Regierungsgebäude oder die Polizeistation, bis ihre Forderungen Gehör finden. So agieren auch die Frauen der Gulabi Gang. Je mächtiger die Gegner_innen sind, desto mehr Frauen treten gemeinsam auf. Ihre Stärke liegt auch in ihrer Zahl. Selten - wie Sampat Pal meint, nur als letztes Mittel - kommen die Schlagstöcke zum Einsatz. Gewalttätige Männer und Polizisten, die sich weigerten, Vergewaltigungs- und Missbrauchsfälle zu untersuchen, wurden von den Frauen verprügelt. Amana Fontanella-Khan ist Ehrenmitglied der Gulabi Gang und schrieb 2013 das Buch "Pink Sari Revolution". Sie verbrachte viereinhalb Jahre in Indien und lebte zeitweise mit Sampat Pal und ihrer Familie zusammen.


Dal-Bianco: Die Gulabi Gang verwendet verschiedene Strategien des Protests, wie Sitins, Straßenblockaden, Lathis usw., um ihre Ziele zu erreichen. Wann wird welche Strategie eingesetzt?

Amana Fontanella-Khan: Die Gang setzt oft humorvolle Strategien ein, um ihre Ziele zu erreichen. Einmal wurde ein Protest gegen die Polizei organisiert, indem rosa bemalte Hunde durch die Straßen gejagt wurden. Auf diese ironische Weise zeigten die Frauen auf, dass sie Hunden mehr vertrauen können als der Polizei - Hunde würden sie besser schützen. Über diesen Protest wurde viel gesprochen und in den Medien berichtet. Ein andermal hat Sampat Pal Journalist_innen zu einem Tempel eingeladen. Politiker_innen und Polizist_innen hatten die Frauen der Gang für verrückt erklärt und gemeint, dass für diese gebetet werden sollte. Daraufhin hat die Gang eine solche Zeremonie organisiert. Eine weitere Widerstandsmethode ist das Spucken von Frauen auf der Straße, beispielsweise auf das Polizeigebäude. Dies sei das einzige, was man gegen die Korruption tun könne.


Dal-Bianco: Die Gulabi Gang löst Konflikte nicht immer gewaltfrei. Wann setzt die Gang Gewalt ein?

Amana Fontanella-Khan: Wenn Frauen mit Lathis durch die Straßen gehen, wird darüber geredet und geschrieben. Diese Stöcke sind wirkungsvoll und transportieren ein bestimmtes Image: "Wir sind stark!" Es hat sich gezeigt, dass die Frauen mit den Stöcken nicht ignoriert werden können. Die Gang benützt das Image von Gewaltbereitschaft und Wehrhaftigkeit, um zu zeigen, dass Frauen ihre Interessen durchsetzen können. Und ganz wichtig ist es, dass darüber berichtet wird. Um effektvoll und erfolgreich handeln zu können, braucht es die Berichterstattung in den Medien. Die Gulabi Gang versteht es, die Medien sehr gut zu nützen.


Dal-Bianco: Kann die Gulabi Gang die indische Gesellschaft verändern?

Amana Fontanella-Khan: Für einzelne Frauen bewirkt die Frauen- Gang Veränderungen: im Kampf gegen Politiker_innen und Polizist_innen, die ihre Arbeit nicht machen. Die Gang hat gesellschaftliche Probleme ans Licht und auf die Agenda gebracht - so zum Beispiel, dass über Vergewaltigungen gesprochen wird, unter anderem durch ihre Medienpräsenz. Die größte und langfristigste Herausforderung für die Gulabi Gang ist aber, dass die Menschen verstehen, dass Frauen ebenso wichtig sind wie Männer und dass sie die gleichen Rechte haben.


Dal-Bianco: Vielen Dank für das Interview!


Anmerkung:
(1) Gulabi ist das Hindi-Wort für Pink.

Lesetipp:
Fontanella-Khan, Amana (2014): Pink Sari Revolution. Die Geschichte von Sampat Pal, der Gulabi Gang und ihrem Kampf für die Frauen Indiens.

Webtipp:
http://www.gulabigang.in/

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 134, 4/2015, S. 12-13
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2016

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