frauensolidarität - Nr. 140, 2/17
Wir müssen unsere Menschenrechte vereint fordern
Remei Sipi Mayo im Interview
von Jenny Olaya-Peickner
Äquatorialguineerin, Spanierin, Aktivistin, Schriftstellerin und Buchhalterin. Diese Beschreibung passt auf Remei Sipi Mayo [1]. Sie ist Zeugin von kolonialer Geschichte, da Äquatorialguinea erst 1968 die Unabhängigkeit erlangte. Ihr Leben ist geprägt von Aktivismus, Verteidigung von Migrant_innenrechten, Kämpfen gegen strukturelle Gewalt, Vorurteilen und Diskriminierungen. Jenny Olaya-Peickner befragte sie zu ihrem Engagement in unterschiedlichen Vereinen und dazu, wieso Migrant_innenvereine wichtig sind.
Remei Sipi Mayo ist in vielen verschiedenen
Frauenorganisationen aktiv, wie z. B. E'Waiso Ipola und Yemanyá.
E'Waiso Ipola wurde gegründet, um Frauen aus Äquatorialguinea in
Spanien und speziell in der katalanischen Gegend zusammenzubringen
und sich an ihrem neuen Heimatort zurechtzufinden. Ein weiteres Ziel
ist es, Migrantinnen sichtbar zu machen und Ausbildungsmöglichkeiten
anzubieten, die darüber informieren, welche Rechte und
Verpflichtungen sie in Spanien haben. Yemanyá ist ein
interkultureller Verein von Frauen aus Lateinamerika, Afrika und
Asien. Sie organisieren Kooperationsprojekte, wie z. B. eines zu FGM
im Senegal, eines zu genderspezifischer Gewalt in Kolumbien und eines
zu Femiziden in Peru.
Remei Sipi Mayo (RS): Ich beschränke mich hier auf einen afrikanischen Kontext. Die Vereinsbewegungen wurden nicht vom Westen "erfunden". In afrikanischen Gesellschaften sind Vereine sehr präsent. Es ist ein ständiger Teil unseres Alltags. Sich in einem "neuen" Land zurechtzufinden ist nicht so einfach. Und wir sind auch keine homogene Gruppe, weil die Gründe der Migration nicht die gleichen sind. Aber es gibt Grundbedürfnisse, die einheitlich sind. Deshalb dachte ich damals, als ich vor fast 50 Jahren nach Spanien gekommen bin, dass es eine gute Idee ist, einen Verein zu gründen, damit das Selbstwertgefühl von Migrantinnen gestärkt wird. Denn selten migrieren Frauen nur aus Vergnügen ins Ausland.
Ein verbreitetes Problem bei Afrikaner_innen ist es, dass sie sich für ihre Migrationsentscheidung schämen. Aber wir halten ihnen immer vor Augen, dass der Norden zuerst nach Afrika gekommen ist und geplündert hat. Jetzt übersiedeln wir in den Norden, um arbeiten zu können. Uns das vor Augen zu halten ist wichtig! Wir müssen zusammenarbeiten und uns nicht dafür schämen, dass wir migrieren.
RS: Ja, das ist noch immer so. Wir sollten in der Lage sein, in unseren Vereinen eigene Arbeitsplätze zu haben und mit zwei oder drei Kolleg_innen arbeiten zu können, und, und, und. Aber was passiert? Wenn engagierte Frauen für unsere Vereine arbeiten, werden sie von anderen NGOs abgeworben. Sie bekommen dann Gehalt, was gut ist, weil wir das leider nicht zahlen können, aber wir kommen nicht weiter. Jeder Tag ist ein neuer Anfang für uns.
RS: Es gibt selten Verständnis für die Situation von Migrant_innen. Was es gibt, ist Paternalismus und Wohltätigkeit! Das ist die eine Ebene. Die andere ist, dass unter Migrant_innen selbst auch stark zwischen gut Ausgebildeten und "Anderen" unterschieden wird. Wenn Migrant_innen Ärzt_innen, Lehrer_innen oder Krankenpfleger_innen sind, dann wollen sie z. B. nicht mit Sexarbeiter_innen in Verbindung gebracht werden. In ihrer Wahrnehmung sind sie keine Migrant_innen mehr, weil sie ihre Rechte nicht einfordern müssen. Sie selber schließen sich aus dem Kampf aus.
RS: Weil die Empfänger_innengesellschaft nichts Positives mit Migration oder Einwanderung assoziiert. Wenn du die österreichischen Tageszeitungen in die Hand nimmst, findest du da gute Nachrichten aus Kolumbien? Über Afrika etwas zu lesen ist selten, und dann noch eine positive Nachricht ist sehr unwahrscheinlich. Es existiert eine Unwissenheit über "die Anderen", weil sie immer statisch in den Medien dargestellt werden. Die Bilder von Afrika sind: Kriege, Hungersnöte und ethnische Kämpfe. Somit bleiben bestimmte Klischees in den Köpfen erhalten. Auch in den Schulcurricula sind zwar andere Kontinente Thema, aber meist am Ende des Schuljahres, weshalb sie schnell oder oberflächlich behandelt werden.
RS: Weil Migrant_innen damit beschäftigt sind, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Jede übrige Stunde, die ihnen bleibt, ist Luxus. Das heißt, sie haben keine Kapazitäten, um sich mit Stereotypen zu beschäftigen. Wenn beispielsweise eine Frau aufgrund von Familienzusammenführung übersiedelt, muss sie alles organisieren. Sie flieht vor dem sozialen Druck ihres Heimatlandes, und wenn sie dann schlussendlich ankommt, dann muss sie sich einmal in der neuen Umgebung zurechtfinden. Die Zeit, um sich in Vereinen zu organisieren, wird ganz hinten angestellt, abgesehen davon, dass es oft Jahre dauert, bis einem diese Vereine unterkommen. Hinzu kommt, dass viele Ehemänner nicht wollen, dass sich ihre Frauen organisieren. Sie erpressen sie emotional: "Entweder du benimmst dich gut, oder ich schicke dich zurück!" Also Zeit, um Stereotype zu dekonstruieren, bleibt einfach nicht.
RS: Zwischen 2000 und 2010 florierte das Vereinswesen. Momentan ist kein Aufschwung zu spüren. Migrant_innenthemen stehen nicht an erster Stelle. Die größten Themen in Spanien sind derzeit Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise und Korruption. Migrant_innenvereine, die aktiv sind, werden immer weniger. Sie existieren zwar mit ihrer Registrierungsnummer, aber ich kann dir nicht sagen, ob sie ihren Job machen.
RS: Nein, die haben dieselben Schwierigkeiten, wie alle anderen Vereine. Frauen vernetzen sich, damit das gefördert wird, was nicht in privaten Räumen möglich ist. Die drei wichtigsten Themen für sie sind: dass ihre Dokumente unabhängig von denen ihres Mannes behandelt werden; die Freigabe der Dokumente aus ihrem Herkunftsland; Fragen bezüglich Kinder, die im Herkunftsland oder Empfängerland angekommen oder geboren sind. Ein weiteres Thema, das aufkommt, sind Fragen zu ihren Rechten. Überwiegend sind Migrantinnen in der Hausarbeit und Pflege tätig.
RS: Leider schlecht. Ich glaube, sie müssen existieren. Es sollte eine Gruppe von Vereinen geben, die sich allgemein mit den Rechten von vertriebenen Frauen beschäftigt. Wenn wir es schaffen, kollektiv zu arbeiten, egal ob du Sexarbeiterin, Reinigungskraft, Studentin oder Ärztin bist, können wir unsere Rechte einfordern. Ich glaube aber, dass wir Lichtjahre davon entfernt sind, die gleichen Rechte wie Einheimische zu bekommen. Wir müssen zusammenarbeiten. Bildung ist eine Waffe, die uns helfen wird, also müssen wir weiter arbeiten!
Anmerkung:
[1] Remei Sipi Mayo war im Mai 2017 auf Einladung vom Verein
birdlike*Flexible Cultural Creations bei der 6. Literaturwoche
Äquatorialguinea in Wien zu Gast.
Lesetipp:
Remei Sipi Mayo (2000): Las asociaciones de mujeres, ¿agentes de
integración social?
(http://www.raco.cat/index.php/papers/article/viewFile/25582/25416)
Zur Autorin:
Jenny Olaya-Peickner ist in Kolumbien geboren. Sie hat ihr
Philosophiestudium an der Universität Wien abgeschlossen und ist
Photographin. In ihrer Arbeit setzt sie sich mit den Themen Macht,
Gewalt, Migration, Menschenrechte, gegenseitige Verantwortung und
gegenseitige Anerkennung auseinander. Seit Februar 2016 leitet sie
auch unentgeltlich eine von ihr konzipierte Empowerment
Schreibwerkstatt für Frauen auf Spanisch. Derzeit macht sie ein
Arbeitstraining bei der Frauen*solidarität.
*
Quelle:
Frauensolidarität Nr. 140, 2/2017, S. 22-23
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2017
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