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FAMILIE/283: Frühe Elternschaft - riskant, gewagt und instabil (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2014 - Nr. 108

Frühe Elternschaft: riskant, gewagt und instabil

Von Waltraud Cornelißen und Walter Bien


Viele junge Frauen und Männer, die bis zum 25. Lebensjahr eine Familie gründen, stehen in Deutschland nicht nur vor finanziellen Problemen. Oft haben sie keine qualifizierte (Berufs-)Ausbildung oder brechen diese vorzeitig ab. Auch die Beziehung der jungen Eltern ist häufig brüchiger als bei älteren Lebenspartnern.


Seit Mitte der 1970er-Jahre ist sowohl in West- als auch in Ostdeutschland das Durchschnittsalter von Müttern bei der Geburt des ersten Kindes um etwa drei Jahre gestiegen. Nach den Daten des Statistischen Bundesamts liegt es Ende 2014 bei 29,2 Jahren - mit einer Bandbreite von 27,4 in Sachsen-Anhalt bis 30,2 Jahren in Hamburg (Statistisches Bundesamt 2014). Frühe Elternschaft wird immer seltener: Von den westdeutschen Frauenjahrgängen, die zwischen 1944 und 1948 geboren wurden, bekamen etwa 16 Prozent ihr erstes Kind bis zum 20. Lebensjahr. Doch schon bei den Jahrgängen, die Mitte der 1970er-Jahre geboren wurden, waren es deutlich weniger: nur noch 6,5 Prozent. In der DDR, in der im Durchschnitt Kinder früher geboren wurden, zeichnete sich im gleichen Zeitraum ein ähnlicher Trend ab (Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen 2011).


Die deutsche Gesellschaft sieht junge Eltern als Problemfälle

Junge Eltern gibt es nicht nur immer seltener, sie werden in der Gesellschaft häufig auch als eine "Problemgruppe" angesehen. Eine frühe Familiengründung erscheint vielen als leichtsinnig, wenn nicht gar als verantwortungslos. Dahinter steht die in der deutschen Gesellschaft weit verbreitete Vorstellung, dass Frauen und Männer eine Ausbildung abgeschlossen und einen (sicheren) Arbeitsplatz gefunden haben sollten, bevor sie eine Familie gründen. Eine frühe Elternschaft wird als Lebensform "jenseits der Norm" bezeichnet (Thiessen 2010, S. 25).

Gegen solche abwertenden Zuschreibungen wird aber auch ein positiver Aspekt von früher Elternschaft benannt: Junge Frauen und Männer können in ihrer Identitätsfindung bestärkt werden, sie können und müssen Verantwortung übernehmen und finden in ihrer Elternschaft eine Brücke zum Erwachsenwerden (Stauber 2010; Thiessen 2010). Das kann allerdings nur gelingen, wenn dieser Prozess des Erwachsenwerdens nicht durch äußere problematische und/oder Krisen erzeugende Widrigkeiten gefährdet wird (zum Beispiel durch Geldmangel, belastende Arbeitsanforderungen oder Konflikte in der Familie).

Die Daten des Mikrozensus zeigen, dass die soziale Lage junger Eltern immer noch prekär ist - trotz Förderprogrammen und Modellprojekten zur besseren Vereinbarkeit von Ausbildung/Studium und Elternschaft sowie der Einführung des Elterngeldes (Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen 2011). Dies kann anhand von Daten des Mikrozensus 2009 gezeigt werden. Dabei wird die soziale Lage von Familien betrachtet, in deren Haushalt Mütter leben, die bei der Geburt ihres ersten Kindes unter 22 Jahre alt waren, oder Väter, die zu diesem Zeitpunkt unter 25 Jahre alt waren. Es handelt sich um die Mütter und Väter mit Kindern unter sieben Jahren, die bei der Geburt ihres Kindes zu den jüngsten 10 Prozent der Mütter und Väter gehörten. Ihre Situation wird in der erweiterten Familiengründungsphase betrachtet, in der ihr erstes Kind das siebte Lebensjahr noch nicht erreicht hatte (siehe Abbildung 1[*]).

Der Anteil der Mütter und Väter mit ausländischem Pass ist unter diesen frühen Eltern überdurchschnittlich hoch: Während der Ausländerinnenanteil unter allen Müttern mit Kindern unter sieben Jahren im Haushalt im Durchschnitt bei 14,8 Prozent liegt, erreicht er bei den jungen Müttern 20,3 Prozent. Ähnlich sieht es bei den Vätern aus: Der Anteil der ausländischen Väter mit Kindern unter sieben Jahren im Haushalt liegt bei 13 Prozent, bei den frühen Vätern aber bei 17,8 Prozent. Ein Grund dafür könnte sein, dass eine Familiengründung, die vielen in der deutschen Mehrheitsgesellschaft als sehr früh erscheint, in anderen Kulturen relativ normal ist.

In Bezug auf die frühe Elternschaft zeigt der Mikrozensus noch ein weiteres interessantes Ergebnis: Sie ist in Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern überrepräsentiert und kommt in Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern sehr viel seltener vor. Zudem ist ein regionaler Unterschied zu erkennen: In Ostdeutschland gibt es mehr junge Eltern als in Westdeutschland. Die in den Jahrzehnten der Teilung Deutschlands entstandenen unterschiedlichen Muster der Familiengründung sind offensichtlich auch noch bei Eltern wirksam, deren Kinder im Jahr 2009 noch keine sieben Jahre alt waren.


Der Wunsch nach Anerkennung durch frühe Elternschaft

Die Lebensläufe junger Eltern sind in Deutschland wie auch in anderen Ländern (Rönkå u.a. 1998) überproportional häufig von Bildungsbenachteiligung geprägt. Das zeigt der große Anteil unter ihnen, der maximal einen Hauptschulabschluss erreicht hat: Bei den frühen Müttern sind dies 54,9 Prozent. Im Gegensatz dazu haben Mütter allgemein in der Familiengründungsphase nur in 21,1 Prozent der Fälle keinen oder nur einen Hauptschulabschluss. Bei den frühen Vätern ist die Bildungsbenachteiligung nicht ganz so ausgeprägt (siehe Abbildung 2[*]).

Für diese ungünstige Ausgangssituation gibt es mehrere Gründe: In die Lebenspläne der jungen Frauen und Männer mit einer kurzen Schulbildung "passt" frühe Elternschaft am ehesten. Sie vollziehen alle Übergänge ins Erwachsenenleben früher als der Durchschnitt ihrer Generation. Insbesondere unter den jungen Frauen ohne beziehungsweise mit einfachen Bildungsabschlüssen dürfte teilweise auch die Hoffnung bestehen, sich durch eine frühe Familiengründung Anerkennung als Erwachsene zu verschaffen, die sie im Bildungs- und Erwerbssystem nur mühselig - oder gar nicht - erreichen können.

Oft entsteht die Bildungsbenachteiligung allerdings auch erst als Folge einer frühen Familiengründung. Vor allem die frühe Mutterschaft hindert daran, eine geplante oder begonnene Berufsausbildung oder ein Studium abzuschließen: Fast zwei Drittel der Frauen (62,9 Prozent) haben nach einer frühen Familiengründung (noch) keinen Berufsabschluss (siehe Abbildung 2[*]). Die frühen Väter bleiben nicht so weit hinter 12 DJI Impulse 4.2014 dem Durchschnitt der Väter zurück: Ein Drittel der frühen Väter hat keinen Berufsabschluss, während dies für Väter allgemein nur in 11,9 Prozent der Fälle gilt.

Frühe Mütter sind in der Familiengründungsphase weit seltener erwerbstätig als Mütter, die ihre Kinder später bekommen haben. Dazu trägt mit Sicherheit die schlechtere, eventuell auch eine abgebrochene Schul- und Berufsausbildung bei. Die vergleichsweise niedrigen Einkommen beziehungsweise Einkommenserwartungen der oft schlecht qualifizierten frühen Mütter dürfte es ihnen zudem erschweren, mit dem geringen Lohn eine Kinderbetreuung zu finanzieren und mit ihren Partnern eine Aufteilung von Hausarbeit und Kinderbetreuung auszuhandeln, die ihnen die Weiterführung ihrer Ausbildung oder Erwerbstätigkeit und/oder einen Berufseinstieg ermöglichen würde. Der vergleichsweise hohe Anteil befristeter Arbeitsverträge (37,8 Prozent) - bei im Durchschnitt sehr niedrigen Einkommen - erlaubt frühen Müttern in den allermeisten Fällen keine eigenständige langfristige Lebensplanung. Nur für knapp 20 Prozent der frühen Mütter ist das eigene Einkommen die Grundlage für die Finanzierung der Familie. Mütter, die vor dem 22. Lebensjahr ihr erstes Kind bekommen und ihre Partnerwahl treffen, sind nicht einmal dann besser versorgt, wenn ihr Partner schon etwas älter ist.

Die ökonomische Situation der Väter, die ihr erstes Kind vor dem 25. Lebensjahr bekommen haben, ist nicht ganz so prekär. Sie sind in der Familiengründungsphase mehrheitlich erwerbstätig, häufiger auch schon unbefristet beschäftigt (73,8 Prozent). Immerhin 73 Prozent dieser Väter können ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie überwiegend aus eigener Erwerbstätigkeit bestreiten. Das Haushalteinkommen ist in ihren Familien allerdings deutlich geringer als das der Väter, die erst nach dem 25. Lebensjahr eine Familie gründen. 59 Prozent der frühen Väter geben ein Haushaltseinkommen von unter 2.000 Euro netto an. Familien von Vätern, die ihr erstes Kind zwischen dem 36. und 41. Lebensjahr bekommen haben, verfügen in der Familiengründungsphase häufig über ein höheres Haushaltseinkommen (in 85 Prozent der Fälle). Die frühen Väter erfüllen also die an sie gemäß dem traditionellen Rollenverständnis gerichteten Erwartungen, eine Familie zu ernähren, deutlich schlechter als Väter, die erst später eine Familie gründen.

Die Einkommenssituation junger Eltern ist insgesamt also deutlich prekärer als von Eltern, die erst später eine Familie gründen. Offensichtlich reichen die nach einem einfachen Schul- und Berufsabschluss in den ersten Erwerbsjahren erzielbaren Erwerbseinkommen kaum aus, einer Familie ein durchschnittliches Auskommen zu sichern. Dies gilt ganz besonders dann, wenn nur eine Person erwerbstätig ist.


Junge Eltern leben häufig in instabilen Paarbeziehungen

Neben der prekären wirtschaftlichen Situation vieler junger Familien fällt die weitverbreitete Instabilität ihrer Paarbeziehungen auf: Unter den frühen Müttern sind sehr viel mehr alleinerziehend (42 Prozent), als dies allgemein bei Müttern mit Kindern unter 7 Jahren der Fall ist (16 Prozent). Dies verschärft nicht nur die wirtschaftliche Lage von Mutter und Kind. Es bedeutet gleichzeitig, dass die Bindung zwischen Vater und Kind bei frühen Vätern häufiger in Frage steht. Die "externen" Väter können mühsamer in die alltägliche Betreuung und Versorgung des Kindes einbezogen werden, so dass alleinerziehenden Müttern die Entlastung fehlt, die ihnen den erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung oder die berufliche Etablierung erleichtern könnte.

Eine Mutterschaft vor dem 22. Lebensjahr mag einer jungen Frau mit noch schlechten Berufsperspektiven zwar schnell die erhoffte Anerkennung als erwachsene Frau bringen; die frühe Familiengründung geht aber unter den gegebenen Bedingungen mit erheblichen ökonomischen Nachteilen für sie und ihre Kinder einher. Sowohl die Vater-Kind-Beziehung als auch die Beziehung der Eltern untereinander ist wegen der Instabilität der Paarbeziehung erschwert.

Die Rahmenbedingungen für eine frühe Familiengründung sind ungünstig - sehr viel ungünstiger als für Eltern, die ihre Kinder später bekommen und damit zumeist in stabileren Paarbeziehungen, nach einer besseren Ausbildung und nach einem ersten Berufseinstieg. Insofern ist nachvollziehbar, dass frühe Eltern - insbesondere die jungen alleinerziehenden Mütter - von der Gesellschaft als Problemfall betrachtet werden. Als Gruppe, die Verantwortung auch unter schwierigen Bedingungen übernehmen möchte, verdienen sie allerdings Unterstützung - und zwar deutlich mehr, als es in den vergangenen Jahren der Fall war. Es ist wichtig, dass sich die jungen Paare mit Kind(ern) bei Beziehungskrisen beraten lassen können, um die Chancen für eine längerfristige Beziehung beider Eltern zu ihrem Kind zu wahren. Von Vorteil sind die Verfügbarkeit passender und verlässlicher Unterstützungsnetzwerke, um Schul- und Ausbildungsabschlüsse nachzuholen und einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu finden. Eine weitere wichtige Voraussetzung wäre die Familienfreundlichkeit von Ausbildungs- und Arbeitsplatzangeboten sowie eine angemessene Entlohnung von gering- oder nicht-qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dazu könnte der mittlerweile gesetzlich verankerte Mindestlohn beitragen.


DIE AUTORIN, DER AUTOR

PD Dr. Waltraud Cornelißen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung "Familie und Familienpolitik" des Deutschen Jugendinstituts (DJI). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Geschlechterforschung und Familienforschung.
Kontakt: cornelissen@dji.de

Dr. Walter Bien ist Leiter der Abteilung "Zentrum für Dauerbeobachtung und Methoden" des DJIs. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Sozialberichterstattung und Familienforschung.
Kontakt: bien@dji.de


Literatur

AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG (2012): Bildung in Deutschland 2012. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur kulturellen Bildung im Lebenslauf. Im Internet verfügbar unter:
www.bildungsbericht. de/daten2012/bb_2012.pdf (Zugriff: 05.11.2014)

INSTITUT FÜR DEMOSKOPIE ALLENSBACH (2004): Einflussfaktoren auf die Geburtenrate. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung der 18- bis 44-jährigen Bevölkerung. Im Internet verfügbar unter:
www.ifd-allensbach.de/ uploads/tx_studies/6544_Geburtenrate.pdf (Zugriff: 25.11.2014)

RÖNKÅ, ANNA/PULKKINEN, LEA (1998): Work involvement and timing of motherhood in the accumulation of problems in social functioning in young women. In: Journal of Research on Adolescence, Heft 2, S. 221-239

STATISTISCHES BUNDESAMT (2014): Destatis.de. Im Internet verfügbar unter:
www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Geburten/Tabellen/GeburtenMutterAlterBundeslaender.html (Zugriff 18.11.2014)

STAUBER, BARBARA (2010): Unter widrigen Umständen - Entscheidungsfindungsprozesse junger Frauen und Männer im Hinblick auf Familiengründung. In: Spies, Anke (Hrsg.): Frühe Mutterschaft. Die Bandbreite der Perspektiven und Aufgaben angesichts einer ungewöhnlichen Lebenssituation. Baltmannsweiler, S. 76-100

THIESSEN, BARBARA (2010): Jenseits der Norm: Lebenslagen junger Mütter. In: Spies, Anke (Hrsg.): Frühe Mutterschaft. Die Bandbreite der Perspektiven und Aufgaben angesichts einer ungewöhnlichen Lebenssituation. Baltmannsweiler, S. 25-46

WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT FÜR FAMILIENFRAGEN (2011): Ausbildung, Studium und Elternschaft. Analysen und Empfehlungen zu einem Problemfeld im Schnittpunkt von Familien und Bildungspolitik. Gutachten für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wiesbaden


[*]DJI Impulse 4/2014 - Das komplette Heft finden Sie im Internet als PDF-Datei unter:
www.dji.de/impulse
Dort finden Sie auch im Schattenblick nicht veröffentlichte Tabellen und Graphiken der Printausgabe unter
http://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bulletin/d_bull_d/bull108_d/DJI_4_14_WEB.pdf

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2014 - Nr. 108, S. 10-13
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/623 06-140, Fax: 089/623 06-265
E-Mail: info@dji.de
Internet: www.dji.de
 
DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Hefte können kostenlos bestellt und auf Wunsch auch abonniert
werden unter vontz@dji.de.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2015

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