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FRAUEN/301: Sexarbeiterinnenrechte sind Frauenrechte (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 113, 3/10

Sexarbeiterinnenrechte sind Frauenrechte
Plädoyer für eine differenzierte und gründliche Wahrnehmung


In der historischen Konstruktion und in der sozialpolitischen und gesellschaftlichen Wahrnehmung war und ist Prostitution/Sexarbeit(1) verbunden mit einem Konzept von Opfern und Gewalt. Diese problematische Identifizierung verschiedener Themen weicht einer differenzierten gesamtgesellschaftlichen und politischen Wahrnehmung von Sexarbeit aus, wie die Autorinnen im folgenden Beitrag anhand aktueller Trends in Europa konstatieren.


"Menschenrechte von Frauen und Mädchen sind ein unveräußerlicher, integraler und unteilbarer Bestandteil der universellen Menschenrechte", so die Abschlusserklärung der UN-Menschenrechtskonferenz in Wien im Jahr 1993. Sexarbeiterinnen werden allerdings als Objekte gesehen und nicht als Subjekte von Rechten. Sie werden marginalisiert, kontrolliert und diskriminiert: durch Gesetze, Regelungen, gesellschaftspolitische Aktivitäten und Strömungen.

Die Instrumentalisierung der AkteurInnen - der (mehrheitlich migrantischen) SexarbeiterInnen - wird durch Gesetze unterstützt, die verschiedenen AkteurInnen Profit ermöglichen, die SexarbeiterInnen aber weitgehend rechtlos lassen. Verschärft wird diese Situation durch Unklarheiten und Repressionen einer restriktiven Migrationspolitik. Gleichzeitig toleriert die in der Gesellschaft institutionalisierte Doppelmoral die Präsenz von SexarbeiterInnen - ohne aber, dass der Staat ihre Rechte und ihren Schutz garantiert.


Sexarbeit bedeutet Arbeit

Das Konzept der Prostitution - in dem das Stigma bereits festgeschrieben ist - muss dekonstruiert werden: Wenn über andere Berufe gesprochen wird, entsteht ein inhaltlicher Bezug zur Tätigkeit. Bei Prostitution entsteht eine Assoziation zu Moral, Gewalt und Kriminalität. Zudem hat sich das "Prostitutionskonzept" mit einer negativen sozialen Bedeutung verfestigt und wird allgemein für Personen verwendet, die "sich verkaufen". Das Konzept erfährt also eine zusätzliche emotional negative Besetzung. Die stigmatisierte Bedeutung wird in bestimmten Ländern - u. a. in Österreich - durch die gesetzliche Verortung von Prostitution im Bereich der Sittenwidrigkeit(2) verstärkt. In diesem Sinn ist das Konzept der Sexarbeit transparenter, weil es den Arbeitsbereich betont.

Seit den 1970er Jahren bildeten sich in einigen europäischen Ländern wichtige Bewegungen von SexarbeiterInnen, die - um ihre Rechte zu verteidigen und aus der Marginalisierung auszubrechen - in die Öffentlichkeit traten und ihre Rechte als Frauen und als SexarbeiterInnen forderten. Das Recht auf Selbstbestimmung ist dabei zentral - und nicht die Frage nach den Gründen, aus denen die Tätigkeit ausgeübt wird. Mitte bzw. Ende der 1980er Jahre wurden in Europa mehrere NGOs gegründet, die sich für die Rechte von SexarbeiterInnen einsetzten. Statt einer Politik des Ausschlusses forderten und fordern sie die aktive Einbeziehung von SexarbeiterInnen in alle für sie relevanten Entscheidungsabläufe.


Sexarbeit und Migration

Transnationalität im Bereich der Prostitution ist eine globale Realität auf einer interkontinentalen, kontinentalen und regionalen Ebene, die in den vergangenen Jahrzehnten auf beinahe allen Kontinenten zu beobachten war, anwächst und sich vervielfacht.

Die Internationalisierung der Sexarbeit bedeutet, Migrationsprozesse von Frauen und die bestehende Nachfrage in europäischen Ländern und anderen Zentren der Weltwirtschaft in Betracht zu ziehen. Es bedeutet einen Wechsel in der Quantität wie auch in der Qualität innerhalb der Prostitutionsszene und eine Auseinandersetzung mit Frauenmigration.

Der transnationale Charakter der Sexarbeit wird offensichtlich in der Mobilität der einzelnen Frauen und des Marktes, in der Ausweitung in neue Länder, in der ständigen Erneuerung von Zugangswegen von einem Land zum anderen, in Handelsabkommen zwischen transnationalen Gesellschaften, in den neuen Formen von Lokalitäten, in der wachsenden Nachfrage und der Versorgung, mit der darauf geantwortet wird. Die Akteurinnen sind nicht nur Frauen, sie sind auch mehrheitlich Migrantinnen. Diese Tatsache bedeutet, dass sie nicht nur von Marginalisierung und Stigmatisierung betroffen und Straf- und Prostitutionsgesetzen unterworfen sind, sondern sie sind auch ständig von restriktiven Migrationsgesetzen bedroht. Dies schließt Migrantinnen in der Sexarbeit auch von rechtlichen, sozialen und gesundheitlichen Angeboten aus. Schutz vor Ausbeutung und Gewalt bedeutet nicht, Sexarbeit abzuschaffen, sondern die Frauen-/Menschenrechte von SexarbeiterInnen sicherzustellen und zu schützen. Der Anteil von Migrantinnen in der Sexarbeit in den "alten" EU-Ländern lag im Jahr 2008(3) durchschnittlich bei ca. 70% und ist durch eine große Heterogenität gekennzeichnet: bezüglich Herkunft, Arbeitskontext, Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsstatus. Im selben Jahr waren in Österreich etwa 78% der SexarbeiterInnen Migrantinnen.

Restriktive Einwanderungs- und Prostitutionsgesetzgebungen sind entscheidende Faktoren, die dazu beitragen, dass die Rechte von Migrantinnen verletzt werden. Um dem entgegen zu wirken, braucht es eine Politik, die auf die Einbeziehung von SexarbeiterInnen fokussiert ist und die AkteurInnen als soziale Subjekte und nicht als Objekte des Ausschlusses betrachtet.

Gleichzeitig verhindert eine permanente Vermischung von Sexarbeit mit organisierter Kriminalität und mit illegalisierter Migration eine differenzierte Behandlung des Themas. Es braucht eine Perspektive, die das Thema Migration in der Sexarbeit außerhalb eines kriminellen Rahmens verortet. Es muss als eine soziale Realität wahrgenommen werden, für die adäquate Zugänge gefunden werden müssen.


Eine europäische Perspektive

Im Rahmen der Arbeit von TAMPEP(4) wurde im vergangenen Jahr eine Studie präsentiert, die eine Zusammenschau und Analyse zum Bereich Sexarbeit, Migration und Gesundheit in 25 europäischen Ländern beinhaltet. Darin wurde u. a. die Tendenz in den europäischen Gesetzgebungen festgestellt, dass anstelle von Gesetzgebungen, die Autonomie, Unabhängigkeit und Empowerment von SexarbeiterInnen unterstützen, Maßnahmen getroffen werden, die die Würde und Selbstbestimmung von SexarbeiterInnen untergraben und verhindern: Es werden vermehrt repressive Gesetze beschlossen, die SexarbeiterInnen kriminalisieren.

Kunden von SexarbeiterInnen werden zunehmend kriminalisiert. Straßenprostitution wird per Gesetz und mittels gesellschaftspolitischen Aktionen unterbunden. Die Bereiche Sexarbeit und Menschenhandel werden inhaltlich aneinander gekoppelt. Mit dem Argument, gegen Menschenhandel vorzugehen, wird vor allem gegen SexarbeiterInnen vorgegangen.

Um diesen europäischen Trends entgegenzuwirken, fordern engagierte Organisationen und Projekte (u. a.) in Österreich, dass die Frauen-/Menschenrechte von SexarbeiterInnen endlich anerkannt werden. Dazu braucht es gesetzliche Regelungen, die eine Grundlage und einen Rahmen bieten, damit diese überhaupt umgesetzt werden können.



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Anmerkungen:

(1) Wir sprechen von Sexarbeit, um einen akzeptierenden und unterstützenden Zugang gegenüber sexuellen DienstleisterInnen begrifflich zu transportieren.

(2) Laut einem OGH-Urteil von 1989 gilt Prostitution in Österreich als sittenwidrig. OGH 28.06.1989, 3 Ob 516/89, Fundstelle JBI 1989, 784 (1989).

(3) TAMPEP-Studie (2009): Sex Work in Europe. A mapping of the prostitution scene in 25 European countries / www.tampep.eu

(4) European Network for HIV/ STI Prevention and Health Promotion among Migrant Sex Workers / www.tampep.eu


Zur Information:
Der Verein LEFÖ arbeitet seit 1985 für die Rechte von Migrantinnen in Österreich. Die hohe Präsenz von weiblichen Migrantinnen in Westeuropa und die oft ausbeuterische Arbeits- und Lebenssituation, in der sie sich befinden, ist bis heute ein unterbelichteter Aspekt der Verletzung von Menschen- und Frauenrechten und bildet die Grundlage für die Arbeit von LEFÖ. LEFÖ fordert Rechte für SexarbeiterInnen, abseits von sensationalistischen Klischees oder pauschalen Opferzuschreibungen. LEFÖ arbeitet seit 1993 für die Rechte von Migrantinnen in der Sexarbeit und ist Teil des europäischen Netzwerks TAMPEP.


Zu den Autorinnen:

Maria Cristina Boidi ist Gründungsmitglied und Koordinatorin von LEFÖ und Mitglied des Steering Committees der TAMPEP Foundation. Sie lebt in Wien.

Renate Blum ist im Verein LEFÖ zuständig für den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und ist Koordinatorin des Ziel 2 Netzwerkprojektes "Lernzentren für Migrantinnen". Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 113, 3/2010, S. 10-11
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2010