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FRAUEN/316: Nepal - Religiöse Praktiken gefährden Frauen, Buddhisten in der Kritik (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Juli 2011

Nepal: Religiöse Praktiken gefährden Frauen - Buddhisten in der Kritik

Von Sudeshna Sarkar


Kathmandu, 29. Juli (IPS) - Die Nepalesische Buddhistische Vereinigung ist nach dem Ausschluss einer jungen Nonne, die einer Gruppenvergewaltigung zum Opfer fiel, in die Kritik geraten. Der Vorfall wirft ein Schlaglicht auf umstrittene religiöse Sichtweisen und Praktiken, die Frauen und Mädchen diskriminieren und gewaltsamen Übergriffen preisgeben.

Die Buddhistische Vereinigung lenkte inzwischen auf Druck der Öffentlichkeit ein und versicherte, der 21-Jährigen nach ihrer Genesung die Rückkehr in die Gemeinschaft zu erlauben. Die Frau war Ende Juni während einer Busreise im Osten des Landes von dem Fahrer und vier weiteren Männern vergewaltigt worden.

"Es war ein Albtraum", erklärte Surya Bahadur Tamang, der Onkel. Im Krankenhaus hätten sich die Ärzte geweigert, den Vorfall als Vergewaltigung zu behandeln, da sich seine Nichte geweigert habe, die Polizei einzuschalten. "Wie können wir ein Gerichtsverfahren gegen die Täter anstrengen, wenn die Ärzte uns nicht unterstützen?", fragte er. Eine staatliche Klinik in Kathmandu war nicht bereit, die 21-Jährige zur Weiterbehandlung stationär aufzunehmen.

Zu diesem Zeitpunkt begannen jedoch die lokalen Medien über den Fall zu berichten. Nepals Nationale Frauenkommission und verschiedene Indigenenvereinigungen schalteten sich in die Debatte ein und brachten die Ärzte schließlich dazu, der Nonne zu helfen.

Doch damit war der Leidensweg der jungen Frau noch nicht zu Ende. 15 Organisationen einschließlich buddhistische Vereinigungen wie 'Nepal Tamang Lama Ghedung' und 'Boudha Jagaran Kendra' gaben eine Erklärung heraus, in der sie die Gruppenvergewaltigung zwar verurteilten. Doch gleichzeitig sprachen sie sich gegen eine Rückkehr der jungen Frau in ihren Orden aus, da sie ihre Keuschheit und somit ihren religiösen Status verloren habe.

Mit ihrer Position lösten die Organisationen weltweit Kritik aus. Eine solche Haltung sei schockierend, kommentierte Matthew Frazer, der Gründer der Stiftung Yeshe Tsogyal, die Buddhisten vor Gewalt schützen will. Sie setze nicht nur Buddhisten in Nepal, sondern auch in anderen Ländern in ein schlechtes Licht. In Australien mobilisierte Antony Best - auch bekannt als Mönch Bhante Sugato - in Blogs und sozialen Netzwerken Unterstützung für das Vergewaltigungsopfer.


Aberglaube gedeiht in bildungsfernen Schichten

Die Nonne gehört dem Volk der Tamang an, das einst in hochgelegenen Himalaja-Regionen lebte und dann nach Tibet, Indien, Bhutan und Nepal weiterzog. Die Tamang zählen zu den ärmsten Bevölkerungsgruppen Nepals und haben kaum Zugang zu Bildung. Viele von ihnen sind für Menschenhändler eine leichte Beute.

Die große Armut hat die Tamang dazu bewogen, die religiöse 'Jhuma'-Tradition aufrecht zu erhalten. In großen Familien wird demnach das älteste Kind zum Familienoberhaupt bestimmt, während das mittlere Kind Mönch oder Nonne werden muss. Die Großfamilien in den Bergen wollten durch die Pflege ihrer Bräuche verhindern, auseinander gerissen zu werden, erläuterte Uttam Niraula, der die Gesellschaft für ein humanistisches Nepal (SOCH Nepal) leitet.

Die Organisation hat kürzlich einen Gesetzentwurf verfasst, um Diskriminierung und Gewalt im Namen der Religion zu verhindern. Zu den umstrittenen Traditionen gehört auch 'Kumari'. Die auf eine nepalesische Göttin zurückgehende Praxis sieht vor, dass Mädchen oft schon im Alter von drei Jahren zu Schutzgöttinnen ihrer Stadt ernannt und von ihren Familien getrennt werden. Sie dürfen weder eine Schule besuchen noch draußen spazieren gehen. Nähern sie sich der Pubertät, werden sie durch jüngere Mädchen ersetzt.

Im Westen Nepals übergeben Familien nach dem 'Deuki'-Brauch ihre Töchter Tempeln, in denen sie ein Sklavendasein in Armut fristen und häufig zur Prostitution gezwungen werden.


Verbriefte Kinderrechte missachtet

"All diese Traditionen verletzen die Kinderrechte und sind nach dem nepalesischen Kinderschutzgesetz von 1992 verboten", sagte Niraula. Demnach dürften Kinder nicht von ihren Eltern getrennt werden. Sie hätten das Recht, zur Schule zu gehen und zu spielen und dürften nicht einem Gott geweiht werden.

Wie der Menschenrechtsaktivist hervorhob, ist es klar untersagt, dass unter 16-Jährige Nonnen oder Mönche werden könnten. Bisher sei die Umsetzung des Gesetzes nicht ausreichend überwacht worden, kritisierte Niraula. Die geplante Neuregelung soll eine größere abschreckende Wirkung haben.

Selbst wenn das Gesetz das Parlament passiert, dürfte es nach Ansicht von Beobachtern aber schwierig werden, seine Einhaltung zu garantieren. 2005 hatte ein Jurist ein Gerichtsverfahren angestrengt, um 'Kumaris' den Schulbesuch und ein Leben innerhalb ihrer Familien zu ermöglichen. Obwohl der Oberste Gerichtshof dem Kläger Recht gab, werden die Kinder-Götter nach wie vor in Isolation gehalten. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2011