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FRAUEN/351: Mehr Mitsprache von Frauen beim Klimaschutz - Interview mit 'UN Women'-Chefin Bachelet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. November 2011

Klima: Mehr Mitsprache von Frauen beim Klimaschutz - Interview mit 'UN Women'-Chefin Bachelet

von Rousbeh Legatis

Michelle Bachelet - Bild: © Sriyantha Walpola/IPS

Michelle Bachelet
Bild: © Sriyantha Walpola/IPS

New York, 29. November (IPS) - Die Exekutivdirektorin von 'UN Women', Michelle Bachelet, hat die politischen Entscheidungsträger aufgerufen, Frauen auf allen Ebenen an den laufenden Klimaverhandlungen zu beteiligen. Sie erwarte ein Ergebnis der Beratungen, "das den Bedürfnissen von Frauen entspricht und deren Verantwortung weiter stärkt", sagt sie im Interview mit IPS.

Frauen in die Entscheidungsfindung und das Ressourcenmanagement einzubinden, sei eine grundlegende Voraussetzung dafür, auf die lebensbedrohenden Folgen des Klimawandels reagieren zu können, erklärte die ehemalige Präsidentin Chiles. Auf dem Gipfel im südafrikanischen Durban beraten vom 28. November bis zum 9. Dezember Staats- und Regierungschefs über künftige Strategien im Kampf gegen die Erderwärmung.


Frauen häufiger Opfer von Klimakatastrophen

"Die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen muss gerecht sein und den dringenden Bedürfnissen aller Mitglieder der Gesellschaft entsprechen", forderte Bachelet. "Fragen, die die Gleichberechtigung der Geschlechter betreffen, sollten in allen Stadien des Finanzierungsprozesses berücksichtigt werden." Sie bezog sich damit unter anderem auf die Entwicklung von Finanzierungsinstrumenten wie dem Grünen Klimafonds.

Die Chilenin kritisierte, dass Frauen und Mädchen, die den größten Teil der Armen auf der Welt ausmachen, weitaus weniger Zugang zu Informationen und Finanzmitteln haben als Männer. Die Auswirkungen der Klimaveränderungen brächten für sie viel höhere Risiken mit sich, meinte sie. Frauen und Kinder würden häufiger Opfer von Überschwemmungen, Dürren und Erdrutschen. "In Gesellschaften, in denen keine Gleichbehandlung besteht, sterben mehr Frauen als Männer bei Katastrophen."

"Vor allem in ländlichen Regionen trägt die weibliche Bevölkerung eine besonders schwere Bürde des Klimawandels", betonte Bachelet. Frauen verbrächten viele Stunden am Tag damit, sauberes Trinkwasser, Nahrung und Energie zum Kochen und Heizen zu beschaffen. In den von Dürre betroffenen Gebieten werde es zudem immer schwieriger, überhaupt an Wasser zu kommen. "Viele Mädchen können deshalb nicht zur Schule gehen und erhalten keine Bildung."

"Frauen brauchen gerechte Chancen und gleiche Rechte. Das beinhaltet das Recht auf Partizipation an Entscheidungen, die sich auf den Klimawandel beziehen", sagte die Chefin der UN-Frauenorganisation. "Frauen müssen aktiv in Prozesse einbezogen werden, die ihr Leben betreffen - von der Stadtplanung, die Gemeinden widerstandsfähiger gegen den Klimaschock macht, über Dienstleistungen wie Trinkwasserversorgung und Bewässerungspläne in ländlichen Gebieten bis hin zur Entwicklung von 'sauberen' Energien, die den Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren sollen."


Von Verhandlungen ausgeschlossen

Viel zu oft werden Frauen bei Beratungen außen vor gelassen. Sie sitzen nicht an den Tischen, an denen Entscheidungen getroffen werden. "Dadurch werden Programme und Strategien weniger effizient", so Bachelet. Es sei empirisch belegt, dass die Einbeziehung von Frauen in die Entscheidungsfindung und das Ressourcenmanagement positive Auswirkungen auf die Umwelt haben könnten.

In Indien und Nepal beispielsweise hat die Beteiligung von Frauen zu einem besseren Umgang mit den Wäldern geführt. Eine Untersuchung in 130 Ländern ergab zudem, dass in Staaten mit einem höheren Anteil weiblicher Parlamentarier häufiger internationale Umweltabkommen ratifiziert werden.

Klimastrategien müssten außerdem auf die jeweiligen Situationen zugeschnittene Fragen der Gleichberechtigung der Geschlechter berücksichtigen, sagte die Chilenin. In ländlichen Regionen Afrikas sollten die Bedürfnisse von Bäuerinnen besonders beachtet werden. Sie seien verantwortlich für 60 bis 80 Prozent der gesamten Nahrungsproduktion und für die Versorgung ihrer Familien. Häufig hätten diese Frauen aber keinen Zugang zu Landbesitz und Krediten. "Deshalb sinken ihre Ernten, und die Nahrungssicherheit wird gefährdet."


Beteiligung lohnt sich

Die Weltagrarorganisation FAO weist darauf hin, dass die Überbrückung der Kluft zwischen Männern und Frauen beim Zugang zu landwirtschaftlichen Ressourcen die Erträge auf den von Frauen geführten Farmen um 20 bis 30 Prozent erhöhen könnte. Die Agrarproduktion in Entwicklungsländern würde somit um 2,5 bis vier Prozent steigen. Damit könnte die Zahl der hungernden Menschen auf der Welt um zwölf bis 17 Prozent - in absoluten Zahlen 100 bis 150 Millionen Menschen - gesenkt werden.

Bachelet erinnerte daran, dass UN-Generalsekretär Ban Ki-moon im Zusammenhang mit den Beratungen 2009 über Klimaschutzmaßnahmen eine umfangreiche Beteiligung von Frauen gefordert hatte. Mehrere Regierungen thematisierten zudem den Zusammenhang zwischen Gleichstellungsfragen und Klimaschutz. Die 'Gender'-Frage ist auch Teil des Abkommens von Cancún 2010.

"Als nächstes müssen wir garantieren, dass die Worte Realität werden und Frauen an Entscheidungsprozessen partizipieren können. In Bezug auf die Klimaschutzfinanzierung sind 'Gender'-Gesichtspunkte bisher nicht systematisch berücksichtigt worden", bedauerte die Chilenin.

Wie sie betonte, arbeitet UN Women mit Partnern zusammen, die sicherstellen, dass der neue Grüne Klimafonds die Geschlechterfrage von Anfang an berücksichtigt. "Das Prinzip der Gleichbehandlung von Mann und Frau muss in die Ergebniskontrolle einbezogen werden", forderte sie. "Frauen müssen nicht nur auf internationaler, sondern auch auf nationaler Ebene voll beteiligt werden - und zwar an der 'Heimatfront', Strategien für die jeweiligen Länder entworfen und umgesetzt sowie Budgets eingerichtet werden."


Frauen in den relevanten politischen Ämtern unterrepräsentiert

Leider sind Frauen in den Parlamenten und vor allem in Ministerien, die sich mit Klimawandel und Nachhaltigkeit befassen, nach wie vor unterrepräsentiert. Global betrachtet bekleiden Frauen nur 16 Prozent der Ämter in Ministerien. Davon sind nur 19 Prozent in den Bereichen Finanzen und Handel angesiedelt, sieben Prozent im Umwelt- und Energiesektor und lediglich drei Prozent in Wissenschaft und Technologie.

Auf die Frage, wie die Einbeziehung von Frauen verbessert werden kann, antwortete Bachelet: "Es ist wichtig, Frauenorganisationen zu unterstützen, die an Konsultationsprozessen für die Entwicklung von Klimaschutzstrategien beteiligt sind, insbesondere auf lokaler und nationaler Ebene. Maßnahmen wie Quotenregelungen können vorübergehend hilfreich sein. Wir brauchen auch bessere Statistiken, um über Klimaschutzstrategien zu informieren, die die Bedürfnisse von Frauen berücksichtigen." (Ende/IPS/ck/2011)


Link:
http://www.cop17-cmp7durban.com/
http://unfccc.int/cooperation_and_support/financial_mechanism/green_climate_fund/items/5869.php
http://www.unwomen.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105970

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. November 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2011