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FRAUEN/354: Nepal - Mama trägt kein Gewehr mehr, Ex-Guerillakämpferinnen vor unsicherer Zukunft (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Dezember 2011

Nepal: Mama trägt kein Gewehr mehr - Ex-Guerillakämpferinnen vor unsicherer Zukunft

von Sudeshna Sarkar

Ex-Rebellin Rama Thakuri will sich um ihre Tochter kümmern - Bild: © Gopal Gartoula/IPS

Ex-Rebellin Rama Thakuri will sich um ihre Tochter kümmern
Bild: © Gopal Gartoula/IPS

Katmandu, 9. Dezember (IPS) - Sonikumari Jha schlüpft in ihren grünen Tarnanzug, bindet sich rasch die Schuhe zu und startet in ihr neues Leben. "Mama, du hast dein Gewehr vergessen", ruft ihr vierjähriger Sohn. "Nein, mein Schatz", sagt die 26-Jährige. "Ab heute werde ich kein Gewehr mehr tragen."

Vor acht Jahren hatte sich Sonikumari den Maoisten-Rebellen angeschlossen, die einen Untergrundkrieg gegen die Monarchie in dem Himalaja-Staat führte. Ihr Ziel war eine neue Verfassung - von den Bürgern für die Bürger entworfen. Fünf Jahre nach dem Friedenschluss legt die Gruppenkommandantin der zweiten Division der Volksbefreiungsarmee PLA die Waffen nieder.

Sonikumari ist eine von hunderten Kämpferinnen, die ihren Abschied nehmen, um sich ihren Kindern zu widmen. Einst waren sie auf die Seite der Guerilla gewechselt, die ihnen während des zehnjährigen Bürgerkriegs Gleichheit und Freiheit versprochen hatte. Nun ist gerade die Zukunft der ehemaligen Kämpferinnen oftmals unsicherer als die der Männer.

"Nach Kriegsende 2006 lebten die Kämpfer in Quartieren zusammen und warteten darauf, in die nationale Armee aufgenommen zu werden", berichtet Yam Bahadur Adhikari, der die erste Division der PLA befehligt. "Bis sich etwas bewegte, vergingen fast fünf Jahre. In der Zwischenzeit haben viele Frauen geheiratet und Kinder bekommen. Nun kümmert sich endlich die Regierung um das Schicksal der ehemaligen Rebellen. Die meisten von ihnen sind Mütter, die nicht ins Militär eintreten wollen."


Nicht alle früheren Rebellen können Soldaten werden

Als die Rebellenführer das Friedensabkommen unterzeichneten, wurde entschieden, dass die rund 19.500 Kämpfer in die nepalesische Armee eintreten sollten. Als die Streitkräfte und die großen politischen Parteien dies jedoch ablehnten, wurde festgelegt, dass nur noch bis zu 6.500 Ex-Guerilleros Soldaten werden sollten.

Die übrigen können entscheiden, ob sie mit einer Abfindung in den Ruhestand treten oder Unterstützung beim Abschluss der Schulbildung und dem Start in ein ziviles Berufsleben annehmen. Im November besuchten Mitglieder eines Sonderausschusses der Armee die sieben größten PLA-Lager und sprachen mit den Rebellen über ihre Zukunftsvorstellungen. Längst nicht alle sind mit den ihnen angebotenen Optionen zufrieden.

Nach Ansicht des Koordinators des Komitees, Generalleutnant Balananda Sharma, wollen mehr als 60 Prozent der früheren Kämpfer in die Streitkräfte eintreten. Der Rest will ins zivile Leben zurückkehren. Auch diejenigen unter den 3.525 weiblichen Guerilleros, die verheiratet sind und Familie haben, wollen mehr Zeit für ihr Privatleben haben.

Muna Limbu, die Tochter eines armen Bauern in Ilam im Osten des Landes, war als Neuntklässlerin in die PLA aufgenommen worden. Vor drei Jahren heiratete die heute 26-Jährige einen Guerillero, mit dem sie inzwischen eine elfmonatige Tochter hat.

Da ihr Mann Birnal unbedingt zur Armee will, hat Muna entschieden, die Waffe niederzulegen. Wirklich glücklich ist sie damit allerdings nicht. "Meine Träume haben sich nicht erfüllt", gesteht sie. "Ich schloss mich den Maoisten an, um das Entstehen einer Volksrepublik mitzuerleben, in der es weder Unterdrückung noch Ungerechtigkeit geben würde. Ich habe die besten Jahre meines Lebens geopfert und werde jetzt von der Partei aufgefordert, noch ein Opfer für den Frieden und die neue Verfassung zu bringen."

Ihre Zusagen, die PLA binnen sechs Monaten nach Friedensschluss aufzulösen und sich an der Ausarbeitung einer neuen Verfassung bis 2010 zu beteiligen, haben die Maoisten nicht eingehalten. Inzwischen hat das Oberste Gericht entschieden, dass die Regierung die Verfassung bis Mai 2012 fertigstellen muss. Ansonsten muss neu gewählt werden. Die regierenden Maoisten haben daraufhin begonnen, die PLA abzuwickeln.


Kriegsversehrte fühlen sich allein gelassen

Die ehemaligen Kämpfer sehen sich von der Maoistenpartei unter Druck gesetzt. Kamala Shama wird ihren Traum, als Soldatin zu dienen, aus gesundheitlichen Gründen nicht weiterverfolgen können. Nach einer Schussverletzung im Knie, die sie sich im Bürgerkrieg zuzog, ist sie schwer behindert. Auch andere Rebellen, die aufgrund von Amputationen oder schlecht behandelten Wunden nicht voll leistungsfähig sind, blicken mit Sorge in die Zukunft.

Wie Adhikari erklärt, gibt es allein in seiner Division 19 behinderte Frauen. Die Zahl wird noch weiter steigen, rechnet man ähnliche Fälle aus den sieben PLA-Lagern und den 21 kleineren Camps hinzu. "Behinderte Frauen fühlen sich ungerecht behandelt und erniedrigt", meint Adhikari. "Sie sind gezwungen, sich in den vorzeitigen Ruhestand versetzen zu lassen. Die Rente fließt dann allerdings in ärztliche Behandlungen - zur Sicherung ihrer Zukunft bleibt nichts übrig."

Die PLA drängt die Regierung und die maoistische Partei, früheren Guerillakämpferinnen bessere Chancen zu bieten. "Die Frauen mit kleinen Kindern können entlassen werden, während die Behinderten Jobs in zivilen Bereichen des Staates erhalten sollten. Andernfalls drohen gravierende Folgen." (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2011