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FRAUEN/360: Afghanistan - Flucht vor Ehemann führt ins Gefängnis, Rechte von Frauen missachtet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Januar 2012

Afghanistan: Flucht vor Ehemann führt ins Gefängnis - Rechte von Frauen missachtet

von Rebecca Murray

Burka-Trägerinnen in Herat - Bild: © Rebecca Murray/IPS

Burka-Trägerinnen in Herat
Bild: © Rebecca Murray/IPS

Kabul, 3. Januar (IPS) - Nach der Vertreibung der Taliban aus Afghanistan 2001 wurde den Rechten der Frauen zunächst große Aufmerksamkeit geschenkt. Doch mit den Jahren ging das Interesse an der Gleichheit der Geschlechter merklich zurück. Kein Wunder also, dass Afghaninnen auch weiterhin stark diskriminiert werden - eine Realität, die sich bestens im Rechtssystem des zentralasiatischen Landes widerspiegelt.

Yasmin steht stellvertretend für viele Afghaninnen. Junge Frauen müssen nach dem Gesetz eigentlich mindestens 16 Jahre alt sein, um heiraten zu können. Doch Yasmin war erst acht Jahre alt, als ihre Eltern eine Ehe mit einem 60 Jahre alten Mann arrangierten. Nach vier unglücklichen Jahren brannte das Mädchen mit einem Dorfnachbarn durch, in den es sich verliebt hatte.

Als das Paar, das inzwischen geheiratet hatte, schließlich festgenommen wurde, war Yasmin schwanger. Nach der Geburt im Gefängnis kam sie frei und versteckt sich seitdem in Kabul. Sie lebt in ständiger Angst davor, dass ihre Eltern und ihr mittlerweile 70-jähriger erster Mann sie aufspüren und töten könnten, um ihre 'Ehre' wiederherzustellen.

"Zuerst planen wir ihre Scheidung. Sie ist 18 und hat ein Anrecht darauf", sagte Huma Safi, Programmmanagerin bei der Organisation 'Women for Afghan Women', die Frauen Unterkünfte und Rechtsberatung gewährt. "Der zweite Schritt wird sein, die rechtskräftige Heirat mit dem zweiten Mann, den sie liebt, zu vollziehen. Diese Eheschließung wird auch die Strafe für den Mann mildern."


Wenig Gehör für Frauen auf Bonner Afghanistan-Konferenz

Als am 5. Dezember in Bonn die Delegierten der Afghanistan-Konferenz zusammenkamen, kämpften Afghaninnen darum, mit am Verhandlungstisch zu sitzen. Das war genau zehn Jahre nach der ersten Konferenz, auf der am Rhein die politische Zukunft des Landes geplant und eine Stärkung der bürgerlichen Rechte beschlossen worden war. Ausgehend von dem vorgesehenen Abzug der internationalen Truppen bis 2014 wurde auf dem jüngsten Treffen in Bonn über die Zeit des Übergangs, mögliche Friedensgespräche mit den Taliban und künftige regionale Partnerschaften diskutiert.

Die Weltbank bemängelt, dass Afghanistan zu sehr von internationaler Hilfe abhängig ist, die den jährlichen Haushalt von insgesamt 17,1 Milliarden US-Dollar zu 90 Prozent finanziert. Kürzungen der Hilfszahlungen sind wahrscheinlich. Frauenorganisationen bangen nun um die weitere Finanzierung ihrer Projekte in Afghanistan.

Selay Gaffar vom Afghanischen Frauennetzwerk (AWN), einem landesweiten Bündnis aus unabhängigen Organisationen, hatte in Bonn lediglich drei Minuten Zeit, um Fortsetzung der Hilfe für die Stärkung von Frauenrechten anzumahnen. In der Abschlusserklärung der Konferenz wurde die Gleichbehandlung der Geschlechter nur kurz im Zusammenhang mit der afghanischen Verfassung und den Friedensverhandlungen angesprochen.

Dabei haben Frauenrechtlerinnen in dem Land schon einiges erreicht. Vor allem in den Städten steht ihnen der Weg zu Bildung und Gesundheitsversorgung offen. Für Frauen, die etwa aus dem Gefängnis entlassen werden und nicht mehr zu ihren Familien zurückkehren können, sind spezielle Unterkünfte eingerichtet worden. Diejenigen, die dort wohnen, beklagen allerdings, dass sie sich nicht sicher fühlen und keine Bewegungsfreiheit haben.

Aus einer Umfrage von Thompson-Reuters vom vergangenen Juni geht hervor, dass Frauen in Afghanistan verstärkt Gewalt und Armut ausgesetzt sind. Auch bei der ärztlichen Versorgung geraten sie ins Hintertreffen.

"Von 2001 bis 2003 fanden Frauenrechte große Aufmerksamkeit, die seitdem nachgelassen hat", sagte Safi. "Wir wollen auf keinen Fall wieder zu der Situation vor 15 Jahren zurückzukehren."

Nicht nur unter den Taliban, sondern auch in der Zeit davor wurden Afghaninnen Opfer von Repressalien und Übergriffen. "Während des Kriegs der Mudschaheddin wurden viele Frauen vergewaltigt", erklärte Safi. "Danach waren die Menschen kriegsmüde, und unser Land wurde von der Staatengemeinschaft vergessen."


Opfer geächtet

Kurz vor der letzten Afghanistan-Konferenz hatte Staatspräsident Hamid Karsai die 21-jährige Gulnaz begnadigt, die nach einer Vergewaltigung von einem afghanischen Gericht wegen Ehebruchs verurteilt wurde. Hinter Gittern brachte sie ein Kind zur Welt.

Ein Großteil der rund 700 weiblichen Häftlinge in den überfüllten afghanischen Gefängnissen sitzt wegen Ehebruchs oder außerehelichen Geschlechtsverkehrs ein. Die meisten waren vor Männern geflohen, von denen sie nach einer Zwangsheirat schlecht behandelt worden waren. Viele von ihnen haben ihre Kinder mit ins Gefängnis gebracht.

"Zum einen handelt es sich um ganz junge Frauen, die gegen ihren Willen verheiratet wurden. Sie laufen davon und lassen sich dabei manchmal von Männern helfen, zu denen sie keine engere Beziehung haben", erklärte Heather Barr von der Organisation 'Human Rights Watch'. Andere Frauen, die sich ihren Mann ebenfalls nicht hätten aussuchen können, würden zu Hause körperlich oder seelisch gequält. Sie setzen sich oft mit einem anderen Mann ab, zu dem sie eine Liebesbeziehung eingegangen seien.

Barr kritisierte, dass die Frauen vor Gericht oft von schlechten Verteidigern vertreten würden. Es werde zu wenig ermittelt, außerdem fehlten meist Beweise. "Ein Mann kann manchmal durch Bestechung einen Ausweg finden, eine Frau dagegen nicht." 'Zina' - der außereheliche Sex - ist ein Straftatbestand, nicht aber das Weglaufen von zu Hause. Die Richter sind oft so spitzfindig, dass sie Frauen, die die Flucht ergreifen, als besonders durch 'Zina' gefährdet einstufen.

Karsai hatte 2009 ein Gesetz unterzeichnet, das bereits 14-jährigen Mädchen die Eheschließung ermöglichte. Verheiratete Männer hatten demnach außerdem ein verbrieftes Anrecht darauf, ihre Frauen notfalls zum Geschlechtsverkehr zwingen zu können.


Gesetze ohne Wirkung

Erst nach Protesten der Zivilgesellschaft und der Staatengemeinschaft wurde dieses Gesetz wieder geändert. Noch im selben Jahr trat ein Gesetz in Kraft, das Zwangsheiraten und Vergewaltigung unter Strafe stellt. Doch den Vereinten Nationen zufolge spielt das Gesetz in Fällen von Gewalt gegen Frauen kaum eine Rolle.

Frauen wie Zuhra sind nach wie vor gesellschaftlich geächtet. Mit zwölf Jahren wurde das Mädchen in Kabul mit einem älteren Mann verheiratet, der bereits drei Frauen hatte. Zuhra wurde täglich zur Prostitution gezwungen, bevor ihr Haus überfallen wurde. Nach zweijähriger Haft lebt die inzwischen 17-Jährige nun in einer Frauenunterkunft. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.hrw.org/asia/afghanistan
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/AfghanistanZentralasien/Bonn_Konferenz_2011/Uebersicht_node.html
http://www.afghanwomennetwork.af/
http://www.womenforafghanwomen.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=106328

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 4. Januar 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2012