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FRAUEN/491: Afghanistan - Behörde will Frauen vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz schützen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Mai 2013

Afghanistan: Behörde will Frauen vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz schützen

von Shelly Kittleson


Bild: © Shelly Kittleson/IPS

Afghanische Frauen in Burkas in der Stadt Herat
Bild: © Shelly Kittleson/IPS

Kabul, 29. Mai (IPS) - Wenn die Welt auf Afghanistan schaut, steht der für 2014 geplante Abzug der US- und Nato-Truppen im Vordergrund. Die Frauen im Land haben jedoch ganz andere Sorgen. Viele wissen nicht, ob sie den nächsten Arbeitstag unbeschadet überstehen.

Berufstätig zu sein ist für die meisten Frauen auf der Welt längst Normalität. In Afghanistan jedoch sehen sich weibliche Beschäftigte oftmals mit Diskriminierung und Gewalt konfrontiert. Sie müssen sexuellen Belästigungen ausweichen und sogar Vergewaltigungen fürchten.

Im April machte die Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) auf die Zwangslage afghanischer Polizistinnen aufmerksam, die bei der Arbeit sexuell bedrängt und angegriffen werden, insbesondere weil es keine nach Geschlechtern getrennte Toilettenräume gibt.

Die rege Medienberichterstattung über das Thema hatte verärgerte Reaktionen des Innenministeriums in Kabul zur Folge. Widerwillig versprach die Behörde Verbesserungen, doch bislang wurden weder Sicherheitsmaßnahmen für die betroffenen Frauen veranlasst noch die Täter zur Rechenschaft gezogen.

Angesichts der offenkundigen Gleichgültigkeit ist zumindest eine Behörde in Kabul aktiv geworden. Die Unabhängige Abteilung für lokale Regierungsführung (IDLG) hat eine Reihe von Richtlinien zur Bekämpfung von sexueller Belästigung entworfen.

Geleitet wird die Behörde von Matin Bek, der mit 26 Jahren der jüngste Vize-Minister im Lande ist. Aus dem Entwurf für die neuen Bestimmungen geht hervor, dass Sicherheit am Arbeitsplatz ein grundlegendes Recht ist. Wenn dieses missachtet wird, sollen Frauen demnach in der Lage sein, Abhilfe zu schaffen.

Beks Vater, ein Mudschaheddin-Führer aus der nördlichen Provinz Takhar, hatte sich während des Bürgerkriegs Ende der siebziger Jahre bis zum Sturz der Taliban 2001 massiv dafür eingesetzt, dass die Mädchenschulen in der Provinz geöffnet blieben.


Vergewaltigungsopfer zu Tätern gemacht

Der Sohn geht nun noch einen Schritt weiter. Er ist sich der Probleme bewusst, die sein Vorstoß hervorrufen kann. Afghanistan ist ein Land, in dem die meisten Frauen wegen 'moralischer Verfehlungen' im Gefängnis sitzen. Die Sittenwächter gehen etwa gegen Frauen vor, die vergewaltigt wurden, einen gewalttätigen Ehemann verließen oder selbst einen Partner wählten. Bek befürchtet, dass Bemühungen, die Sicherheit für Frauen am Arbeitsplatz zu verbessern, als absonderlich wahrgenommen werden könnten.

Die IDGL engagiert sich für die Ernennung von Staatsdienern auf der Grundlage ihrer persönlichen Verdienste. In diesem Jahr stellte Beks Behörde wenige Tage nach dem Internationalen Frauentag am 8. März die Richtlinien gegen sexuelle Belästigung vor und signalisierte damit seine Entschlossenheit, zu handeln.

Nach der Definition der Behörde sind sowohl verbale als auch tätliche Einschüchterungsversuche als Belästigungen zu verstehen. Darunter fallen unter anderem unnötige körperliche Annäherungen sowie Bemerkungen über die äußere Erscheinung von Mitarbeiterinnen. Die Arbeitgeber werden dazu angehalten, Beschwerden von Beschäftigten nachzugehen und Disziplinarmaßnahmen gegen Verantwortliche einzuleiten.

Beobachter sind davon überzeugt, dass die Belästigung bei der Arbeit und die Gefahr des Ehrverlusts afghanische Frauen noch mehr als religiöse Gründe dazu bewegen, zu Hause zu bleiben. Beunruhigend sei, dass viele Afghaninnen diese Übergriffe lieber schweigend ertrügen als bei Beschwerden mit harschen Reaktionen rechnen zu müssen.


Übergriffe in den Städten

Sexuelle Übergriffe sind vor allem in größeren Städten wie Kabul, Mazar-e-Sharif und Herat an der Tagesordnung. Eine Mitarbeiterin einer unabhängigen Organisation, die ihren Namen nicht nennen wollte, sagte, dass die Belästigungen in der Hauptstadt so schlimm seien, dass sie nicht mehr in Afghanistan arbeiten wolle.

Ein Großteil der berufstätigen Frauen in Afghanistan arbeitet für die Regierung. Gegenüber ihren männlichen Kollegen sind sie deutlich in der Minderheit. Aus einem Bericht der Weltbank geht hervor, dass der Anteil afghanischer Frauen über 15 Jahren am Erwerbsleben im vergangenen Jahr 14,4 Prozent betrug. Bei den Männern der gleichen Altersgruppe waren es dagegen 80 Prozent. Und die wenigen Frauen, die Arbeit gefunden haben, werden von ihren männlichen Verwandten zunehmend unter Druck gesetzt, zu Hause zu bleiben.

Bek warnt vor den hohen wirtschaftlichen Verlusten einer solchen Entwicklung. In einem Land, in dem das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bei gerade einmal 1.000 US-Dollar liegt, kann das Einkommen einer Frau entscheidend dazu beitragen, dass Kinder nicht mangelernährt sind und zur Schule gehen können. Die Regelungen gegen Belästigungen, die in Hunderten regionalen Behörden umgesetzt werden sollen, würden somit nicht nur die persönlichen Rechte von Frauen stärken, sondern auch das Wirtschaftswachstum fördern. (Ende/IPS/ck/2013) Ende Spaltenformat


Links:

http://www.hrw.org/news/2013/04/25/afghanistan-urgent-need-safe-facilities-female-police
http://www.tradingeconomics.com/afghanistan/employment-to-population-ratio-ages-15-24-female-percent-wb-data.html
http://www.ipsnews.net/2013/05/afghan-women-harassed-into-unemployment/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2013