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FRAUEN/537: Ruanda - Akteurinnen der Versöhnung, beste Gestaltungsmöglichkeiten für Frauen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. April 2014

Ruanda: Akteurinnen der Versöhnung - Beste Gestaltungsmöglichkeiten für Frauen

von Fabiola Ortiz


Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Die ruandische Parlamentarierin Veneranda Nyirahirwa
Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Kigali, 8. April (IPS) - Als die ruandische Parlamentsabgeordnete Veneranda Nyirahirwa ein Mädchen war, durfte sie als Mitglied der Volksgruppe der Tutsi nicht die weiterführende Schule besuchen. Nach dem Völkermord an ihrer ethnischen Gemeinschaft im Frühjahr 1994 war alles anders. Sie machte als 23-Jährige von ihrem neuen Recht auf eine höhere Schulbildung Gebrauch.

Vor 20 Jahren waren innerhalb von 100 Tagen 800.000 Menschen getötet worden. Die Opfer waren mehrheitlich Mitglieder der Minderheit der Tutsi, doch auch moderate Hutu wurden von Angehörigen der eigenen Ethnie niedergemetzelt.

Erst seit dem Ende dieses traumatischen Erlebnisses ist es nicht nur mit der ethnischen Segregationspolitik vorbei, sondern auch mit der Benachteiligung der Frauen. Nyirahirwa ist inzwischen 43 Jahre alt. Sie steht am Anfang ihrer zweiten Amtszeit als Abgeordnete des Unterhauses des ruandischen Zwei-Kammer-Parlaments. Ihre Sozialdemokratische Partei (PSD) ist die zweitstärkste der insgesamt elf politischen Kräfte.

Die Politikerin, die im Bezirk Rukumberi in Ruandas Ost-Provinz aufgewachsen ist, erinnert sich noch gut an die vielen Hindernisse, die ihr und allen anderen Tutsi in den Weg gelegt wurden. "Es war damals sehr schwer für uns, in eine höhere Schule aufgenommen zu werden", berichtet sie. Im Grunde sei es die in ihrer Kindheit erlittene Enttäuschung gewesen, die sie angetrieben habe, um einen Sitz im Parlament zu kämpfen. "Es machte mich damals traurig, zu sehen, wie die Machthaber unser Land regierten. Ich wollte die Dinge ändern."

Wie viele Ruander hat auch Nyirahirwa Verwandte und Freunde während des Völkermords verloren. "Es ist wichtig, dass wir uns mit den Ursachen des Genozids auseinandersetzen und unser Bestes tun, damit sich so etwas nie wiederholt", sagt sie. "Ich bin eine Ruanderin und will auf keinen Fall mein Land verlassen müssen."


Entwicklung mit Hilfe der Frauen

Die Dinge haben sich inzwischen zum Besseren gewandelt. Wie Nyirahirwa betont, gibt es viele Ruanderinnen, die hohe politische Positionen erreicht haben. "Darüber sind wir sehr glücklich. Auch darüber, dass wir immer mehr werden. Es gab Zeiten, da wurde uns Frauen nicht zugetraut, dass wir die Entwicklung unseres Landes voranbringen können."

Bei den Wahlen im September 2013 gewann die PSD 30 Prozent aller Wählerstimmen, und Nyirahirwa war eines von vier weiblichen Parteimitgliedern, die ins Parlament einzogen. Sie ist eine von vielen, die es weit nach oben geschafft haben. So ist das zentralafrikanische Land in Sachen geschlechtliche Gleichstellung zu einem regionalen Trendsetter geworden. Frauen stehen an der Spitze der Bemühungen um Frieden, Wiederaufbau und Versöhnung.

Was die politische Partizipation der Frauen angeht, stellt Ruanda auch die Industriestaaten in den Schatten. Nach offiziellen Angaben liegt der Anteil von Frauen in Unterhäusern im weltweiten Durchschnitt bei 21 Prozent. Doch in Ruanda ist er mit 64 Prozent beziehungsweise 51 der 80 Sitze um das Dreifache höher. Damit hat das Land den eigenen Rekord von 2008 gebrochen, als die Frauen 56 Prozent der Sitze belegten.

Im ruandischen Senat ist der Anteil der Frauen verglichen mit dem internationalen Durchschnittswert mehr als doppelt so hoch. Er liegt bei 40 Prozent - weltweit sind es 18 Prozent - oder zehn von 25 Sitzen. Im Kabinett sitzen zehn Frauen, die Schlüsselministerien wie Inneres, Umwelt und Bergbau, Landwirtschaft und Gesundheit leiten.

Gestärkt wurde die Rolle der Frau nach dem Amtsantritt der derzeitigen Regierung von Staatspräsident Paul Kagame von der Ruandischen Patriotischen Front als Teil der Bemühungen um Einheit und Wiederaufbau. In der Verfassung von 2003 heißt es, dass Männern und Frauen jeweils mindestens 30 Prozent der politischen Entscheidungspositionen zustehen.

Wie die Ministerin für Landwirtschaft und Tierressourcen, Agnes Kalibata, betont, sind die Frauen ihres Landes nun in der Lage, mit Männern gleichberechtigt politisch zu konkurrieren. "Wir haben die politischen Voraussetzungen für Chancengleichheit geschaffen. Jetzt werden wir auf den privaten Sektor Einfluss nehmen, damit er dies auch zu schätzen lernt."


Kompetenzen nutzen

Ihrer Ansicht nach stehen Frauen im Mittelpunkt der nationalen Versöhnung. "Frauen zu befähigen, gehört zum Aufbau des Landes dazu. Frauen sind in unserem Land und in der Landwirtschaft in der Mehrheit. Wir verstehen uns darauf, unsere Kinder zu erziehen, mit unseren Gemeinschaften umzugehen und der Gesellschaft auf die Beine zu helfen."

"Heutzutage sind Frauen in der Lage, Einfluss auf die Entwicklungen in Ruanda zu nehmen", meint Kalibata, die seit sechs Jahren Landwirtschaftsministerin ist. "Indem wir die Denkweisen unserer Männer beeinflussen, können wir auch beeinflussen, was unsere Kinder denken. Und als politische Entscheidungsträgerinnen beeinflussen wir die Denkweisen der Gesellschaft. Wir sind Teil des Versöhnungsprozesses. Wir versöhnen und tragen dazu bei, dass sich andere versöhnen. Wir bringen das Land nach vorn."

Die Politikerin räumt ein, dass der Wiederaufbau noch immer eine große Herausforderung darstellt, vor allem im Bereich der Landwirtschaft. Schätzungen zufolge leben 70 Prozent der zwölf Millionen Ruander in ländlichen Gebieten. 65 Prozent von ihnen sind Frauen.

"Dieses Land hat einen schlimmen Alptraum durchlebt", meint Kalibata. "Es mit Hilfe der Landwirtschaft wieder aufzurichten, ist eine erfüllende Aufgabe. Es gibt so viele Menschen, die mit Hilfe der Landwirtschaft der Armut entkommen können."

Auf die Frage nach den Chancen, dass eine Frau die Präsidentschaft übernehmen könnte, antwortete sie, dass sie guten Mutes sei, vor allem seit es in Afrika mehrere weibliche Staatsoberhäupter gebe. So wird Liberia von Ellen Johnson Sirleaf, Malawi von Joyce Banda und die Zentralafrikanische Republik von Catherine Samba-Panza (Interimspräsidentin) geführt.


"Eine Präsidentin wäre eine feine Sache"

"Eine Präsidentin wäre eine feine Sache. Wenn eine Frau unser Land regiert, können wir davon ausgehen, dass sie außerordentlich kompetent sein wird", versicherte die ruandische Agrarministerin.

Bis es soweit ist, wird sich Nyirahirwa darum bemühen, das Leben der Menschen in der Ostprovinz zum Guten zu verändern. Sie hat sich vorgenommen, sich mindestens zehn Jahre als Parlamentsabgeordnete zu engagieren.

"Es gibt bereits eine wesentliche Veränderung: Jeder in Ruanda hat jetzt das Recht auf Bildung. Jetzt möchte ich sicherstellen, dass jeder Ruander die Chance bekommt, einen Job zu finden." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/04/20th-anniversary-genocide-rwandas-women-stand-strong/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2014