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FRAUEN/538: Ruanda - Die Angst ist geblieben, Völkermord-Vergewaltigungsopfer traumatisiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. April 2014

Ruanda: Die Angst ist geblieben - Völkermord-Vergewaltigungsopfer traumatisiert

von Fabíola Ortiz


Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Völkermord-Überlebende Claudine Umuhoza hofft auf eine sichere Zukunft
Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Kigali, 15. April (IPS) - Claudine Umuhoza gehört zu den 100.000 bis 250.000 Ruanderinnen, die während des Völkermordes an der ethnischen Minderheit der Tutsi vor 20 Jahren vergewaltigt wurden. Außerdem ist sie eine von vielen Frauen ihres Landes, die von ihren Angreifern geschwängert und mit Aids angesteckt wurden. Das Grauen ist zwar inzwischen vorbei, Trauma und Stigmatisierung sind jedoch geblieben.

Umuhoza lebt im Bezirk Gasabo nahe der ruandischen Hauptstadt Kigali. Sie war 23 Jahre alt, als am 6. April 1994 das Massaker begann. Auslöser war der Abschuss des Flugzeugs von Staatspräsident Juvenal Habyarimana über Kigali, der auch dem burundischen Staatschef Cyprien Ntaryamira den Tod brachte.

Im Verlauf des 100-tägigen Gemetzels wurde sie selbst von sieben Männern vergewaltigt. Einer der Täter rammte ihr eine Machete in den Leib. Hätte ihr nicht ein Nachbar vom Volk der Hutu geholfen, wäre sie mit Sicherheit verblutet. Außerdem verschaffte er ihr einen gefälschten Ausweis, in dem sie als Hutu ausgewiesen war.

"Mein Retter lebt nicht mehr in Ruanda", berichtet sie. "Er ist mit seiner Familie nach Mosambik gezogen", erläutert Umuhoza, die durch das Blutbad im Frühjahr 1994 vier Geschwister und andere Verwandte verloren hat. "Ich würde ihm gern danken. Denn ohne ihn wäre ich nicht mehr an Leben."

Inzwischen ist Umuhoza 43 Jahre alt. Ihrem Sohn hat sie nichts von den Umständen seiner Geburt erzählt. "Ich habe es einfach nicht fertiggebracht", sagt sie heute. Im September, zwei Monate nach dem Völkermord, hatte sie geheiratet. Als ihr Sohn zur Welt kam, war ihrem Mann klar, dass er unmöglich der Vater sein konnte. Daraufhin verließ er die beiden.


HIV-positive Vergewaltigungsopfer stigmatisiert

Umuhoza hat nie wieder geheiratet, was auch darauf zurückzuführen ist, dass eine HIV-Infektion in Verbindung mit einer Vergewaltigung in Ruanda nach wie vor ein Tabuthema ist. "Das Land kann zwar bemerkenswerte Erfolge beim Wiederaufbau vorweisen, doch Frauen, die durch eine Vergewaltigung HIV-positiv sind, werden massiv stigmatisiert", berichtet Jules Shell, der Geschäftsführer und Mitbegründer der Stiftung Ruanda. Die 2008 ins Leben gerufene US-Organisation hatte 2009 einer ersten Gruppe von 150 Kindern von Vergewaltigungsopfern den Schulbesuch ermöglicht.

"Eine unverhältnismäßig hohe Zahl vergewaltigter Frauen wurde mit HIV infiziert", berichtet Shell. Zwar fehlen verlässliche Zahlen, doch wird davon ausgegangen, dass ein Viertel der ruandischen Frauen betroffen sind.

Nach offiziellen Angaben stellen Frauen mit 51,8 Prozent die Mehrheit der 11,5 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung. Retrovirale Aidsmedikamente sind erst seit zehn Jahren über das nationale Gesundheitssystem erhältlich. "Wir werden wohl nie herausfinden, wie viele Kinder aus Vergewaltigungen hervorgegangen sind", meint Shell. "Die Überlebenden ziehen es vor zu schweigen, was dazu führt, dass ihre Kinder ähnlich wie die der Holocaust-Opfer an einem Phänomen leiden, das als 'vererbtes Trauma' bezeichnet wird."

Umuhoza ist eine von vielen ruandischen Frauen, die es vorziehen, sich nicht als Mütter von Kindern zu outen, die durch eine Vergewaltigung entstanden sind. Abgesehen von der psychischen Belastung der Töchter und Söhne, die instinktiv spüren, dass etwas nicht stimmt, bekommen sie ein weiteres Problem, wenn sie einen Personalausweis beantragen wollen. Denn dafür brauchen sie den Namen von Mutter und Vater.

Die Stiftung Ruanda hat inzwischen 600 Kindern von Müttern wie Umuhoza zu einer Schulbildung verholfen. "Ich bin so glücklich, dass mein Kind die weiterführende Schule besuchen konnte und nun vielleicht sogar zur Universität gehen kann", sagt sie.

In Ruanda sind mehr als 3.000 Freiwillige unterwegs, die sich landesweit um einen Dialog, um Frieden und Armutsbekämpfung bemühen. Richard Kananga, Leiter der Abteilung für Friedens- und Konfliktmanagement der Kommission für nationale Einheit und Versöhnung (NURC), ist der Meinung, dass ohne staatliche Inklusions- und Versöhnungsarbeit ein weiterer Völkermord nicht ausgeschlossen wäre. "Gespräche helfen, das Misstrauen abzubauen und ein Klima von Vertrauen und Heilung zu schaffen", unterstreicht er.

Umuhoza ist aufgrund ihrer Verletzung nur bedingt als Arbeitskraft einsatzfähig. Als Überlebende des Völkermords hat sie Anspruch auf medizinische Hilfe, die vom Staatlichen Fonds zur Unterstützung der Völkermord-Überlebenden (FARG) bezahlt wird. Dafür stellt die Regierung zwei Prozent ihres Haushalts zur Verfügung. Inzwischen befindet sie sich im Militärkrankenhaus von Kigali, um sich wegen ihrer Verletzung operieren zu lassen.

20 Jahre sind seit dem Völkermord vergangen. Doch wie Umuhoza meint, werden Tutsi nach wie vor diskriminiert und stigmatisiert, vor allem in den ländlichen Gebieten. Nach Erkenntnissen der NURC fürchten sich mindestes 40 Prozent der Ruander vor der Gefahr eines weiteren Völkermords.


Misstrauen und Traumata

"Misstrauen und Traumata sind nach wie vor eine Realität. Und es gibt entlassene Häftlinge, die noch nicht in die Gesellschaft integriert wurden", so Kananga gegenüber IPS. Die NURC war 1999 mit dem Ziel gegründet worden, die verfeindeten Volksgruppen miteinander auszusöhnen - ein langwieriger Prozess, wie Kananga betont. "Wir wissen nicht, wie lange er dauern wird und ob sich die Menschen in 20 Jahren zu 100 Prozent sicher fühlen werden."

Die Kinder, die aus dem Völkermord hervorgegangen sind, mögen zwar für ein düsteres Kapitel der ruandischen Geschichte stehen. Gleichzeitig jedoch stünden sie für Licht und Hoffnung auf bessere Zeiten, versichert Shell.

Umuhoza stimmt ihm zu. "Verglichen mit dem Zustand des Landes vor 20 Jahren gehe ich davon aus, dass uns eine bessere Zukunft bevorsteht. Ich wünsche mir Einheit und Versöhnung", sagt die Mutter. "Eine bessere Zukunft und Einheit bedeutet aber nicht, dass Tutsi und Hutu nicht wissen, wer sie sind." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/04/trauma-still-fresh-rwandas-survivors-genocidal-rape/

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IPS-Tagesdienst vom 15. April 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2014