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FRAUEN/552: Bangladesch - Junge Mädchen wollen Rechte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. August 2014

Bangladesch: Junge Mädchen wollen Rechte

von Naimul Haq


Bild: © Naimul Haq/IPS

Junge Frauen im bangladeschischen Bezirk Mymensingh treffen sich einmal pro Woche, um über ihre Rechte zu sprechen
Bild: © Naimul Haq/IPS

Rangpur, Bangladesch, 29. August (IPS) - Bis vor fünf Jahren führte die heute 16-jährige Shima Aktar aus dem Bezirk Rangpur in Bangladesch ein ganz normales Leben. Doch als ihr Vater entschied, sie von der Schule zu nehmen und im Sinne des islamischen Gebots der Geschlechtertrennung ('Pardah') zu erziehen, wurde alles anders.

Aktar sollte damals mit einem älteren Mann verheiratet werden - zu ihrem eigenen Schutz, wie der Vater erklärte. Als Tochter streng gläubiger Muslime hätte das schüchterne Mädchen sicherlich nichts gegen die Pläne ihrer Eltern unternommen, wenn es nicht in Kontakt mit einer Jugendorganisation gekommen wäre.

Das Projekt 'Kishori Abhijan', das die Rechte Jugendlicher in dem südasiatischen Land mit rund 160 Millionen Einwohnern stärken soll, geht auf eine Idee des Weltkinderhilfswerks UNICEF zurück. Junge Menschen werden auf diesem Weg über Themen wie die Rolle der Geschlechter, Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts, Kinderehen, reproduktive Gesundheit, persönliche Hygiene und die Prävention von Kinderarbeit informiert.


Sensibilisierung durch Theaterstücke

Shima kämpft inzwischen mit aller Kraft für ihre Rechte, wie auch zahlreiche andere junge Bangladescherinnen, die die traditionelle Sicht auf die Geschlechterrollen verändern wollen. Mehrere Graswurzelorganisationen arbeiten auf dieses Ziel hin und bieten beispielsweise auch Theatergruppen an, um soziale Probleme auf lokaler Ebene zu thematisieren. Die Schauspieler, die Märchen erzählen und traditionelle Gesänge und Tänze aufführen, treten vor ihren Eltern und einflussreichen Mitgliedern ihrer Gemeinschaften auf.

Das Zentrum für Massenbildung in der Wissenschaft (CMES), das in einem abgelegenen Teil von Rangpur arbeitet, hat kürzlich im Rahmen einer öffentlichen Aufführung die Notwendigkeit der Abschaffung der Mitgift thematisiert. Tausenden Frauen in Bangladesch drohen gewaltsame Übergriffe durch Mitgiftjäger. Das in Hongkong ansässige asiatische Rechtszentrum ALRC berichtete vor einigen Jahren, dass die Praxis der Mitgift Folter, Säureangriffe und sogar Morde und Selbstmorde nach sich ziehe.

Nach Erkenntnissen der größten Frauenvereinigung des Landes, 'Bangladesh Mahila Parishad', wurden im vergangenen Jahr 439 Bangladescherinnen Opfer solcher Gewalttaten. Oft werden die Frauen getötet oder in den Selbstmord getrieben, wenn ihre Familien die volle Mitgift nicht zahlen können. Mohammed Rashed von CMES ist überzeugt, dass solche Tragödien durch eine Aufklärung der Bevölkerung über die Folgen traditioneller Bräuche vermieden werden könnten.

Die Kampagnen zur Sensibilisierung zeigen erste Erfolge. Laut UNICEF werden rund 600.000 Jugendliche im ganzen Land, zu etwa 60 Prozent Mädchen, über Themen wie die Verheiratung von Jungen und Mädchen sowie die Bedeutung von Bildung und Familienplanung informiert. Zwischen 64 und 84 Prozent der Jugendlichen, die von der in Dhaka ansässigen Organisation 'Unnayan Onneshan' befragt wurden, gaben an, dass Mitgiftzahlungen in ihren Gemeinden seit 2010 immer seltener geworden sind.


Schulstipendien für Mädchen

Politische Strategien, die Mädchen eine bessere Bildung garantieren sollen, haben zu einer höheren Einschulungsrate geführt. 1994 führte die Regierung Stipendien für Mädchen an weiterführenden Schulen ein. Das Programm wird von der Weltbank, der Asiatischen Entwicklungsbank (AsDB) und der Regierung Norwegens finanziert. Jungen Frauen wird alle sechs Monate ein kleiner Geldbetrag ausgezahlt, um ihnen den Schulbesuch zu ermöglichen.

Auch wenn es weiterhin ein Gefälle zwischen den Lebensbedingungen in ländlichen Gebieten und in den Städten gibt, werden durchschnittlich 97 Prozent aller Mädchen an Grundschulen angemeldet. Damit liegt Bangladesch im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern am oberen Ende der Skala.

Auch im Bereich der reproduktiven Gesundheit sind Fortschritte zu verzeichnen. Die Präsenz ausgebildeter Geburtshelfer in ländlichen Regionen hat sich seit den frühen 1990er Jahren von weniger als fünf Prozent auf mittlerweile 23 Prozent erhöht. Die Anwendung von Verhütungsmitteln bei Frauen ist von knapp acht Prozent in 1975 auf 62 Prozent im Jahr 2011 deutlich gestiegen.

Dennoch geraten Mädchen im Vergleich zu ihren männlichen Altersgenossen nach wie vor ins Hintertreffen. Die Sterblichkeitsrate bei Mädchen ist mit 20 pro 1.000 Lebendgeburten höher als die von Jungen mit 16 pro 1.000 Lebendgeburten, wie aus einer 2010 verbreiteten Studie von Unnayan Onneshan hervorgeht. Daten der Weltbank aus dem gleichen Jahr belegen, dass 57 Prozent der Frauen und 88 Prozent der Männer erwerbstätig sind.


Hohe Müttersterblichkeit

Die bekannte Frauenrechtlerin Shireen Huq erklärt, dass trotz beeindruckender Fortschritte in dem Land Frauen und Mädchen immer noch diskriminiert werden. Darauf deuteten die unannehmbar hohe Müttersterblichkeit und die Abbrecherquote bei Mädchen an weiterführenden Schulen hin, sagt Huq. Laut einem 2013 verbreiteten Bericht des Gesundheitsministeriums ist die Müttersterblichkeit seit 1990 immerhin von 574 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten auf 170 pro 100.000 Lebendgeburten gesunken.

Etwa 66 Prozent aller Mädchen in Bangladesch werden vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet. Diese Rate ist eine der höchsten auf der ganzen Welt. Huq, Gründungsmitglied der Frauenrechtsorganisation 'Naripokkho', kritisiert den Mangel an politischem Willen, eindeutigen Konzepten, angemessenen institutionellen Regelungen und Zuschüssen. Diese Faktoren stünden der Gleichstellung von Mann und Frau im Wege.

Experten halten es für wichtig, Frauen in Bangladesch auf jeder Ebene der Entscheidungsfindung einzubinden und auch in die so genannten 'Union Councils', die kleinsten Verwaltungseinheiten des Landes, aufzunehmen. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/08/bangladeshi-girls-seek-equal-opportunity/

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IPS-Tagesdienst vom 29. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2014