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FRAUEN/575: Indien - Frauen im Berufsleben außen vor (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. April 2015

Indien:
Frauen im Berufsleben außen vor - Schlechtere Chancen als in anderen Schwellenländern

von Neeta Lal



Bild: © Neeta Lal/IPS

Die Mechanisierung von Branchen wie der Bauwirtschaft macht die Jobsuche für Frauen schwieriger
Bild: © Neeta Lal/IPS

Neu-Delhi, 2. April (IPS) - Indien bezeichnet sich gern als die "größte Demokratie der Welt". Die 380 Millionen Frauen im erwerbsfähigen Alter könnten da allerdings anderer Meinung sein. Neue Untersuchungen zeigen, dass nur etwa 125 Millionen von ihnen einer bezahlten Arbeit nachgehen. Und seit 2004 ist die Zahl der weiblichen Berufstätigen rückläufig.

Experten sehen diese Entwicklung als Warnsignal für die drittgrößte Volkswirtschaft Asiens. Wenn das Land mit rund 1,2 Milliarden Einwohnern Frauen keine Chancengleichheit garantiere, werde es grundlegende Entwicklungs- und Armutsbekämpfungsziele verfehlen.

Wie aus einem Anfang März vom Internationalen Währungsfonds (IWF) veröffentlichten Bericht hervorgeht, ist die Arbeitsmarktpartizipation von Frauen in Indien so niedrig wie in kaum einem anderen Schwellenland. Nur 33 Prozent aller Frauen im erwerbsfähigen Alter gehen demnach einer Arbeit nach oder suchen einen Job. Im Durchschnitt ist der Anteil in Ostasien mit 63 Prozent fast doppelt so hoch. Der globale Durchschnittswert bewegt sich bei 50 Prozent.


Kaum Frauen in Vorstandsetagen

Derzeit wird in Indien heftig darüber diskutiert, weshalb keine fünf Prozent Frauen in den Vorstandsetagen der Unternehmen anzutreffen sind. Das ist ein niedrigerer Prozentsatz als in allen anderen Mitgliedsstaaten der so genannten BRICS-Gruppe, der Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika angehören.

2013 wurde in Indien ein neues Gesetz verabschiedet, das allen an der Börse notierten Unternehmen vorschreibt, ab August 2014 jeweils mindestens eine Frau in den Vorstand zu berufen. Die Frist wurde inzwischen jedoch bis April 2015 verlängert, da nur wenige Firmen diese Auflage erfüllt haben.

Aufgrund des Mangels an berufstätigen Frauen verspiele Indien eine große Chance für sein Wirtschaftswachstum, kritisierte die geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine Lagarde, kürzlich während eines Besuchs in Indien. Ökonomen sehen die Gleichberechtigung von Frauen in der Arbeitswelt nicht nur als Zeichen politischer Korrektheit, sondern auch als wirtschaftlichen Imperativ.


Wirtschaftswachstum gebremst

Laut einer IWF-Studie von 2013 wird das Wachstum des Landes durch die Ausgrenzung weiblicher Arbeitskräfte verlangsamt. "Wenn die Kluft zwischen den Geschlechtern bis 2017 halbiert und bis 2027 auf ein Viertel des Stands von 2008 reduziert werden kann, wird das Pro-Kopf-Einkommen in Indien um zehn bis 13 Prozent steigen", heißt es in dem Report.

Einigen Stimmen zufolge sind Frauen vor allem deshalb im Berufsleben unsichtbar, weil sie in den Statistiken zum informellen Sektor nicht berücksichtigt werden. Die meisten Inderinnen leisten auf regelmäßiger Basis unbezahlte Hausarbeit. Ihr Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt fällt somit unter den Tisch.


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Frauen leisten in erster Linie unbezahlte Haushaltsarbeit
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"Die Arbeit einer Frau im eigenen Haushalt wird nicht zu den Wirtschaftsleistungen gerechnet. Somit sind sie schlechter gestellt als die bezahlten Haushaltshilfen, deren Arbeit als Beitrag zum nationalen Einkommen betrachtet wird", erläutert Preet Rustagi, Direktorin des Instituts für menschliche Entwicklung in Neu-Delhi. "Sie kochen, versorgen ältere Angehörige und erziehen ihre Kinder. In ländlichen Regionen kümmern sie sich zudem um das Vieh. Auch diese ihre Arbeit taucht in den Statistiken nicht auf."

Experten sehen den Zugang von Frauen zum Arbeitsmarkt auch durch kulturelle Normen behindert. Die patriarchalisch ausgerichtete indische Gesellschaft sehe Frauen vor allem als Hausfrauen und Mütter, erklärt Bhim Reddy vom 'Indian Journal of Human Development'. Einen Grund für die sinkende Zahl berufstätiger Frauen sieht er andererseits auch darin, dass mehr Mädchen und junge Frauen Schulen oder Universitäten besuchen.


Frauen mit Uni-Abschluss fassen im Berufsleben kaum Fuß

Einer Untersuchung der Investmentfirma 'Everstone Capital' zufolge schreiben sich zwar mehr Studentinnen an Hochschulen ein, doch ist der Anteil der Universitätsabsolventinnen mit Studienabschluss im Arbeitsleben mit 22 Prozent niedrig geblieben. Selbst der Anteil von Frauen ohne Schulbildung, die einen Job finden, ist höher.

Laut Vereinten Nationen ist die Beschäftigung von Frauen in Indien im Zeitraum 1991 bis 2012 von 33,7 Prozent auf 27 Prozent gesunken. 2011/2012 waren weniger als 20 Prozent aller Arbeitskräfte im nicht-landwirtschaftlichen Bereich weiblich.

Auch die Integration der gut ausgebildeten Städterinnen ins Berufsleben ist erstaunlich gering. Offiziellen Angaben zufolge gingen 2009/2010 57 Prozent aller erwerbsfähigen indischen Städterinnen mit höherem Bildungsabschluss ausschließlich Tätigkeiten im Haushalt nach. Auf Frauen in ländlichen Gebieten mit Grundschul- und mittlerem Bildungsabschluss traf dies für nur 31 Prozent zu.

Nach Ansicht von Experten hat die fortschreitende Einführung neuer Technologien in Landwirtschaft und Baugewerbe dazu geführt, dass männliche Arbeitskräfte bevorzugt werden.

Ausbeutung und Belästigung am Arbeitsplatz verschlechtern die Lage. Indien hat im letzten Jahr zwar ein Gesetz gegen sexuelle Belästigung verabschiedet, das Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten dazu verpflichtet, eine entsprechende Beschwerdestelle einzurichten. Doch einer Untersuchung der Jawaharlal-Nehru-Universität zufolge halten sich keine 20 Prozent der Arbeitgeber in der Hauptstadt Neu-Delhi an die Auflage.

Umfragen zeigen, dass ein frauenfreundlicheres Arbeitsumfeld mehr Inderinnen ermutigen würde, außer Haus zu arbeiten. Könnten sie sich etwa in den öffentlichen Transportmitteln und am Arbeitsplatz sicherer fühlen, würden sich mehr Frauen für eine Vollzeitbeschäftigung entscheiden. (Ende/IPS/ck/2015)


Link:
http://www.ipsnews.net/2015/03/theres-no-such-thing-as-equality-in-indias-labour-force/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2015

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