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FRAUEN/692: Urbane Lebensstile und neue Handlungsräume für Frauen in Afrika (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 141, 3/17

Urbane Lebensstile und neue Handlungsräume für Frauen in Afrika

Innovative Forschungen afrikanischer Wissenschaftlerinnen

von Rita Schäfer


"Urbanes Afrika" lautete das Thema einer gigantischen Konferenz zur internationalen Afrikaforschung, ECAS, die im Juli 2017 in Basel stattfand. Dieser thematische Fokus spiegelt die Tatsache, dass Verstädterungsprozesse afrikanische Gesellschaften prägen und Migration häufig nicht auf Europa, sondern auf urbane Zentren im eigenen Land oder in den Nachbarländern ausgerichtet ist. Hier werden Geschlechterordnungen neu strukturiert, und Frauen unterschiedlichen Alters und Status suchen sich als Individuen und gemeinsam eigene Gestaltungsräume und Ausdrucksformen. Diese umfassen Kleidung, Kultur, Ökonomie und Bildung.


Bemerkenswert war, dass Gender-Themen sowohl mehrere Panels gewidmet wurden, aber auch in Diskussionsrunden, die eigentlich politische oder wirtschaftliche Fragen erörterten, Gender-Dimensionen beachtet und diskutiert wurden. Stadtforschung in Afrika wird maßgeblich von Wissenschaftlerinnen geprägt. Die jungen Forscherinnen ergründen weibliche Lebenswelten, Probleme und Lösungsansätze sowohl in Megacitys Westafrikas oder in Minenstädten Südafrikas, Sambias und Tansanias, aber auch in Kleinstädten auf dem Land sowie in Küstenstädten Ostafrikas.


Junge Kosmopolitinnen in Maputo

Sandra Manuel forscht in ihrer mosambikanischen Heimat, in der Hafen- und Hauptstadt Maputo. Sie illustrierte neue Freiheiten, die sich vor allem junge, gebildete Frauen erarbeiten. Darauf basiert deren kosmopolitisch orientierte Kleidung, Lebensstil und Selbstverständnis. Das schweißt sie zusammen.

Zwar hat keine als Einzelne das Einkommen, um in das ökonomische Raster von Mittelklasse zu passen und individuelle Träume von kostspieliger Mode aus westlichen Metropolen zu realisieren. Aber die jungen Frauen bilden informelle Spargruppen und legen das Geld zusammen. Damit finanzieren sie gemeinsame Freizeitvergnügen und die Teilnahme an Kulturveranstaltungen während der Wochenenden.

Kosmopolitische Interessen und Vorstellungen vom urbanen Lebensstil teilen sie mit ihren Partnern, wenngleich in Beziehungen Konflikte wegen konkurrierender Rollenerwartungen eskalieren. Denn die Eigenständigkeit der jungen Frauen verstärkt häufig Spannungen, zumal große Konkurrenz um die begrenzten beruflichen Optionen herrscht und ihre Partner sich auf patriarchale Machtansprüche und Rollenmuster zurückziehen, die sie als traditionell legitimieren und idealisieren - allen kosmopolitischen Orientierungen zum Trotz, die auch die jungen Männer in ihrer eigenen Kleidung zur Schau stellen.


Mode zwischen Moral und Macht

Junge Frauen im kamerunischen Yaoundé navigieren ebenfalls zwischen konkurrierenden Weiblichkeitsvorstellungen, wenn sie sich fürs Ausgehen kleiden. Den Rahmen bilden hier dominierende christliche Moralvorstellungen, darauf basierende staatliche Vorschriften und Kampagnen, etwa gegen Miniröcke, die einen "sexy style" als satanisch brandmarkten, und individuelle Interpretationen von Attraktivität und Respektabilität durch Kleidung. Dieses Spannungsfeld zwischen Repression und Agency lotete eine junge Forscherin aus.

Für verheiratete junge Frauen gilt es demnach abzuwägen, wie sie sich attraktiv für ihre Ehemänner kleiden können und dennoch die gesellschaftliche Etikette bewahren. Einige interpretieren ihre individuellen Kleider als "afrikanisch". Dafür sei das Bedecken der Schultern wichtig. Nackte Schultern, etwa bei ärmellosen T-Shirts gelten hingegen als riskant, aber auch als Ausdruck der Freude am eigenen Körper. Junge unverheiratete Stadtbewohnerinnen in Yaoundé würden dieses positive Körpergefühl vor allem in der Privatsphäre ausleben. In der Öffentlichkeit bedeutet es ihrer Meinung nach: Attraktivität bei der Partnerwahl und sichtbare Inszenierung der eigenen Weiblichkeit - aber nicht den Körper oder die eigene Sexualität zur Schau zu stellen.


Teenager als Forscherinnen

Lebensentwürfe, Selbstbilder und Auseinandersetzungen mit Gruppenprozessen standen im Mittelpunkt einer aktionsorientierten Forschung, die junge Mädchen in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa mit Gleichaltrigen durchführten. Sie fragten danach, was Empowerment - Selbstermächtigung und Machtgewinn - für Teenager in ärmeren Stadtteilen bedeutete. Dafür wurden sie gezielt in Interviewtechniken geschult. Ihre Ergebnisse boten eine wichtige Grundlage für ein größeres Empowerment-Projekt, das auch Rückbezüge zur familiären Situation und dem Lebensumfeld der Mädchen herstellte.

Grundsätzlich diskutierten die Koordinatorinnen, inwieweit finanzielle Förderung durch europäische Geber zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beitragen könne und was Partizipation junger, sozial marginalisierter Mädchen bedeute, die oftmals sogar aus Frauenprojekten ausgeschlossen werden. Das betrifft vor allem schwangere Teenager und Teen-Mütter, deren Respektabilität auch Gleichaltrige in Frage stellen. Umso dringlicher sind grundlegende Rechtsreformen und deren systematische Umsetzung im Alltag, denn noch immer schränken diskriminierende Gesetze Frauen und Mädchen in vieler Hinsicht ein. Umfassende Bildungsprogramme und Schutz vor Gewalt sind ebenfalls wichtig, nur so können lokal angepasste Empowerment-Ansätze realisiert werden.

Zudem diskutierten die jungen Forscherinnen die gegenseitige Kontrolle zwischen Mädchen, die gesellschaftliche Normen von vorbildlicher Weiblichkeit verinnerlicht haben und sich gegenseitig daran messen, obwohl sie diesen aufgrund wirtschaftlicher Probleme zumeist gar nicht entsprechen können.

Weibliche Kleidung spielt als Maßstab für die Einhaltung der Normen eine wichtige Rolle. Als Inbegriff für die gegenseitige Kontrolle gilt unter anderem die Frage: Was versteht die jeweilige Peergroup eines Mädchens situationsspezifisch unter angemessener Kleidung, und was prangert sie als Grenzüberschreitungen an? Gruppendruck und individuelle Reaktionen darauf ist ein Thema, dem sich die urbane Gender-Forschung zukünftig noch intensiver widmen kann.


Umfassende Gender-Konzepte

Städte bieten in vielen afrikanischen Ländern LGBTI-Menschen Nischen und mancherorts auch kulturelle Entfaltungsräume. Auf dem schmalen Grat zwischen Stigmatisierung, Kriminalisierung und innovativen künstlerischen Ausdrucksformen werden Gender-Zuordnungen neu verhandelt. Einerseits bedeutet das: Festschreibung von Stereotypen auf der Basis exklusiven Neo-Traditionalismus und Nationalismus sowie homophober Hetze, die vor allem Pfingstkirchen befeuern, über die Geldgeber aus dem Bible Belt in den USA ihre Füllhörner ausschütten.

Andererseits prangern vor allem junge Lesben und andere LGBTI-Menschen diesen religiösen Fundamentalismus und die Geldgier lokaler Kirchengründer an. Denn deren Predigten bieten einen Nährboden für Hassgewalt, wodurch lokale LGBTI-Initiativen immer wieder unter Druck geraten. Beispielsweise werden junge Lesben bedrängt und müssen die Schule verlassen. So ist auch die Kleidung oftmals ein Abwägen zwischen Sichtbarkeit und öffentlichem Bekennen zur eigenen Gender-Identität oder -Orientierung.

Die Konferenz bot eine inspirierende Plattform für den Austausch über Fragen zur Verbindung zwischen wissenschaftlichen und künstlerischen Artikulationen; Politik, Ökonomie und Menschenrechten; Gender-Zuschreibungen, Verortungen und Transformationen.

Insgesamt verdeutlichten die Konferenzbeiträge, wie Afrikanerinnen unterschiedlichen Alters und Status die vielschichtigen und oftmals gegenläufigen oder gar widersprüchlichen Transformationen im Kontext von Urbanisierungsprozessen mitgestalten; sei es, indem sie diese individuell nutzen oder Tendenzen aktiv gegensteuern, die sie unter Bezug auf ihre spezifischen Weiblichkeitsvorstellungen, Selbstbilder und Gender-Verortungen als problematisch einschätzen und ablehnen.


Anmerkung: Die Konferenz wurde vom Zentrum für Afrikastudien (ZASB) sowie dem Netzwerk europäischer Afrika-Institute (AEGIS) ausgerichtet.

Webtipps: Webseite der ECAS-Afrika-Konferenz:
www.ecas2017.ch // https://zasb.unibas.ch/home/

Zur Autorin: Rita Schäfer ist freiberufliche Wissenschaftlerin und arbeitet zu Gender insbesondere im südlichen Afrika.
https://www.liportal.de/suedafrika/gesellschaft/

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 141, 3/2017, S. 28-29
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2017

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