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GENDER/005: Herausforderungen für eine internationale Lesbenbewegung (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 108, 2/09

Thinking globally, acting locally
Herausforderungen für eine internationale Lesbenbewegung

Von Elisabeth Freudenschuß


Anfang November 2008 trafen sich in Wien 200 LGBTI-Aktivist_innen(1) aus 80 Ländern Asiens, Afrikas, Lateinamerikas, dem karibischen Raum sowie Ost- und Zentraleuropas. Im Rahmen der 24. Weltkonferenz der International Lesbian and Gay Association (ILGA)(2) wurden Wahlen abgehalten und inhaltliche Themen der Vernetzung und des Aktivismus debattiert. Gloria Careaga aus Mexiko, Generalsekretärin von ILGA, Fikile Vilakazi aus Südafrika, Vorsitzende von CAL(3), und Syinat Sultanalieva aus Kirgisistan, Advocacy-Managerin von Labrys(4), unterhielten sich mit Andrea Hiller und Elisabeth Freudenschuß über Herausforderungen für Lesbenbewegungen auf lokaler Ebene und im Kontext einer internationalen Vernetzung.


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Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen wurde im Dezember 2008 die "Erklärung über Menschenrechte, sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität" von 66 Mitgliedsstaaten unterzeichnet und in der Generalversammlung vorgestellt. Wenngleich dies als wichtiger Schritt gesehen wird, sind es nicht einmal die Hälfte der 192 UN-Mitgliedsstaaten, die diesem Schutz vor Gewalt zugestimmt haben.(5)

Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass eine rechtliche Anerkennung verschiedenster Lebensweisen und Geschlechtsidentitäten noch keine Veränderungen der tatsächlichen Lebensrealitäten bedeutet. Der symbolische Akt einer Erklärung unterstützt zwar den Kampf gegen Diskriminierung, verhindert diese aber nicht.


Lokales Handeln

Südafrika war das erste Land der Welt, das ein Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuellen Orientierung in seiner Verfassung verankert hat. "Hate crimes", soziale Diskriminierungen, Diskriminierungen im Arbeitsleben oder polizeiliche Repressionen sind trotz allem Lebensrealitäten vieler LGBTI-Menschen. Hauptanliegen der Lesbenbewegungen in Südafrika muss es nach Fikile Vilakazi sein, die männliche und auch weiße Dominanz in den LGBTI-Bewegungen aufzubrechen, patriarchale gesellschaftliche Strukturen anzugreifen und aufzulösen und einen Feminismus zu entwickeln, der nicht heterozentriert und homophob ist.

In Mexiko hat die Zahl an Lesbenorganisationen in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Ihre Zusammenarbeit mit anderen sozialen und politischen Bewegungen und somit auch ihre Stärke haben jedoch deutlich abgenommen. Ob dies an einer wachsenden Homophobie in Mexiko oder am Verlust gemeinsamer Vorstellungen liegt, ist für Gloria Careaga nicht klar. Seit Ende der 1980er Jahre habe sich aber ein verstärkter Pragmatismus breit gemacht. Die derzeitige Strategie laufe darauf hinaus, einen Konflikt zu vermeiden, indem sich die einzelnen Gruppen nicht vernetzen. Neben den internen Problemen haben die Lesbenbewegungen Mexikos vor allem mit einer stark konservativen Politik der Regierung im Bereich Sexualität zu kämpfen.

In Kirgisistan wurde Homosexualität 1998 als Straftat aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Obwohl die rechtliche Situation keine Diskriminierung erkennen lässt, spricht Syinat Sultanalieva von einer stark homophoben Gesellschaft. In den letzten Jahren kam es zu einer steigenden Sichtbarkeit von LGBTI-Personen. Diese Sichtbarkeit hat jedoch auch eine Zunahme an Diskriminierungen zur Folge.

Die Art und Weise, wie Sexualitäten in Gesellschaften verhandelt und wahrgenommen werden, hängt immer stark mit anderen, die Gesellschaften strukturierenden Aspekten zusammen. So haben beispielsweise auch gesellschaftlich normierte Geschlechterverhältnisse eine zentrale Auswirkung auf die Art der (Un-)Sichtbarkeit von Sexualitäten. Sultanalieva sieht in der patriarchalen Gesellschaftsstruktur Kirgisistans den Nährboden für die Unsichtbarkeit lesbischen Begehrens. Männliche Homosexualität ist aufgrund der gesellschaftlichen Dominanz von Männern präsent. Lesben werden nicht primär wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert, sondern weil sie nicht der Norm entsprechen. Der Unterschied liegt darin, dass sie nicht als lesbisch beschrieben werden, sondern als nicht-hetero. Lesbische Sexualitäten werden somit lediglich als Defizite markiert und nicht als eigenständige Lebensweisen gesehen.

Auch Vilakazi sieht in der Verhandlung von Homosexualität einen geschlechtsspezifischen Unterschied. Sie meint, dass es nach wie vor einen Mangel an Sichtbarkeit lesbischer Sexualitäten gibt und ein geringes Verständnis dafür. HIV/Aids wird beispielsweise in Zusammenhang mit Lesben kaum debattiert. Die Tatsache, dass neun Prozent der lesbischen Frauen in Südafrika HIV-positiv sind, hat nicht zur Folge, dass sie als Risikogruppen von HIV-Infektionen verstanden werden. So werden auch keine gezielten Strategien der Prävention entwickelt.


Globales Denken: ein Ziel?

Der ungleiche Zugang zu finanziellen Ressourcen stellt vor allem in der internationalen Vernetzung und Zusammenarbeit von Organisationen eine Herausforderung dar. So ist es für viele Organisationen des Südens überlebensnotwendig, finanzielle Unterstützung aus dem Norden zu bekommen. Gleichzeitig führt dies in bestimmten Fällen zu Abhängigkeiten, die eine eigenständige Entwicklung der Agenden einschränken.

Wie kann aber eine Vernetzung funktionieren, ohne eine Dominanzbeziehung entstehen zu lassen? Und wie kann diese so gestaltet werden, dass alle Interessen gleichberechtigt mitgedacht werden?

Vilakazi sieht das Vorhandensein eines entsprechenden politischen Willens als zentrale Voraussetzung einer funktionierenden Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd. Vor allem von Seiten des Nordens muss die Bereitschaft bestehen, marginalisierten Stimmen einen Raum zur Artikulation zu bieten. Es ist wichtig, das Zentrum der globalen Kämpfe um Gerechtigkeit im Süden anzusiedeln und zu zeigen, dass dies nicht auf einer Instrumentalisierung des Südens durch den Norden beruht. Auch Sultanalieva sieht das Bestehen eines internationalen Netzwerkes als ausgesprochen wichtig an. Der Austausch an Informationen muss gefördert werden sowie das Wissen um die jeweiligen Strategien anderer Bewegungen.

Auch wenn der politische Wille vorhanden ist und eine Plattform des Austauschs Organisationen aus den unterschiedlichsten Ländern verbindet, werden doch wieder Ausgrenzungsmechanismen wirksam, die besonders marginalisierte Gruppen ausschließen. Labrys ist beispielsweise die einzige LBT-Organisation Kirgisistans, deren Kapazitäten ausreichen, um Teil eines internationalen Netzwerks zu sein. Die meisten anderen Gruppen scheitern an der Sprachbarriere. Fehlende Ressourcen wie Geld, Zeit, Informationen oder technische Mittel können ebenso als Barrieren verstanden werden, die trotz bestehendem Raum eine Teilnahme am Vernetzungsprozess und somit eine Sichtbarkeit behindern.

Gloria Careaga verweist auf die positiven Seiten einer Vernetzung am Beispiel der ILGA. Die ILGA bietet den Raum, um sich darüber bewusst zu werden, was es in unterschiedlichen Umgebungen bedeuten kann, als Lesbe zu leben. Die steigende Zahl der Mitglieder, eine zunehmende Institutionalisierung sowie mehr Gelder verweisen auf die bedeutende Rolle der ILGA. Dadurch entstehen aber neue Herausforderungen. Careaga betont, dass es eine bessere Koordination, eine klarere Struktur und vor allem eine gemeinsame Agenda braucht. Es ist wichtig, zentrale Themen zu identifizieren, die in der Welt-ILGA sowie in den jeweiligen Regionen umgesetzt werden. Sichtbarkeit und Anerkennung zu fordern, ist nicht genug. Es müssen die spezifischen Themen, die die Lebensrealitäten von LGBTI-Menschen betreffen, benannt und darauf aufbauend entsprechende Strategien entwickelt werden.


Vision

Als eine starke Bewegung, die gemeinsam gesetzte Ziele nach außen trägt und Raum lässt für lokal unterschiedliche Entwicklungen, wollen die drei Aktivistinnen die ILGA sehen. Hetero-normative Strukturen zu brechen und somit konkrete Veränderungen im persönlichen Lebensumfeld aller Menschen - gleich welcher sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität - zu schaffen, ist die Vision und das Ziel des gemeinsamen Aktivismus. Vilakazi blickt optimistisch in die Zukunft der heterogenen Bewegung(en): "Unsere Differenzen und Diversitäten sollten nichts sein, was uns auseinander bringt. Eigentlich sollten sie genau das sein, was uns zusammenbringt."


Anmerkungen:
(1) LGBTI = Lesbian Gay Bisexual Transgender Intersex
(2) ILGA: www.ilga.org
(3) CAL = Coalition of African Lesbians
(4) Labrys: LBT-Organisation
(5) Staaten, die die Erklärung unterzeichnet haben:
www.ilga.org/news_results.asp?Language/D=1&File/D=121O&FileCategory=1&Zone/D=7


Zur Autorin:
Elisabeth Freudenschuß studiert internationale Entwicklung mit Studienschwerpunkt Gender Studien. Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 108, 2/2009, S. 6-7
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-355
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Inland 20,- Euro; Ausland 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2009