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INTERNATIONAL/045: Vietnam - Geberstaaten indirekte Beihilfe zur Zwangsarbeit vorgeworfen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. September 2011

Vietnam: Geberstaaten indirekte Beihilfe zur Zwangsarbeit vorgeworfen

von Marwaan Macan-Markar


Bangkok, 12. September (IPS) - Eine führende internationale Menschenrechtsorganisation hat den USA, der Weltbank und anderen internationalen Gebern vorgeworfen, indirekt zur Finanzierung von Zwangsarbeit in vietnamesischen Drogenrehabilitationszentren beizutragen. Heroinsüchtige und andere Drogenabhängige würden gegen ihren Willen festgehalten und als Arbeitskräfte missbraucht.

Nach Erkenntnissen von 'Human Rights Watch' (HRW) haben in den letzten elf Jahren etwa 309.000 Menschen die vermeintlichen Resozialisierungszentren durchlaufen. Doch anstatt dort Hilfe zu finden, wurden sie nach Angaben von Opfern oft über Jahre als billige oder unbezahlte Cashewnussschäler oder Näher ausgebeutet.

Dem HRW-Bericht zufolge basiert das vietnamesische Zwangsarbeitssystem für Drogenkonsumenten auf der Doktrin 'Umerziehung durch Arbeit', die nach dem Sieg Nordvietnams im Jahr 1975 den Alltag in den Arbeitslagern für Drogenkonsumenten und Sexarbeiter bestimmte. "Diese Verwahrungseinrichtungen erhielten Mitte der 1990er Jahre neuerliche politische Unterstützung, als die Regierung dafür eintrat, 'soziale Missstände' wie Drogenkonsum auszumerzen."

In Vietnam, einem der letzten fünf kommunistisch regierten Länder, sind schätzungsweise 125.000 Menschen heroinabhängig. Hinzu kommt eine nicht näher bestimmte Zahl von Personen, die Cannabis, Opium und Amphetamine konsumieren. Wer den Sicherheitskräften ins Netz geht - manchmal mit Hilfe von Angehörigen - wird in der Regel an den Gerichten vorbei in die Verwahrungsanstalten gebracht.

Zehntausende Männer, Frauen und Kinder würden gegen ihren Willen in regierungseigenen Arbeitslagern in Vietnam festgehalten, kritisierte Joe Amon, bei HRW Leiter der Abteilung Gesundheit und Menschenrechte. "Das hat nichts mit der Behandlung Drogenabhängiger zu tun. Diese Einrichtungen müssen geschlossen und ihre Insassen freigelassen werden."


Misshandlung und Folter

Der HRW-Report 'The Rehab Archipelago: Forced Labor and Other Abuses in Drug Detention Centers in Southern Vietnam', dokumentiert die Erfahrungen von Betroffenen, die unter der Ho-Chi-Minh-Stadtregierung in 14 Verwahrungseinrichtungen über Jahre festgehalten wurden. Arbeitsverweigerer oder Personen, die sich nicht regelkonform verhalten, werden bestraft und sogar gefoltert.

"Als erstes schlugen sie mir auf die Beine, damit ich nicht noch einmal weglaufen konnte. (Dann) versetzten sie mir mit einem Elektroschocker Stromschläge und hielten mich einen Monat lang in Isolationshaft", schildert Quynh Luu, ein ehemaliger Häftling, seine Bestrafung nach einem Fluchtversuch.

Auch Que Phong saß in einem der 'Rehabiliationszentren' ein. Sechs Stunden pro Tag knackte und schälte er Cashewnüsse. Obwohl ihm der stundenlange Kontakt mit dem Saft der Nuss die Hände verätzte, musste er weitermachen. Er gehört zu den zehntausenden vietnamesischen Zwangsarbeitern, die sich als ein Segen der vietnamesischen Cashew-Industrie herausgestellt haben. Die Exporteinnahmen beliefen sich im letzten Jahr auf 1,4 Milliarden US-Dollar.

Der HRW-Bericht wirft den internationalen Gebern vor, mit ihrer finanziellen Unterstützung der Verwahrungseinrichtungen und des zuständigen Ministeriums für Arbeit, Kriegsinvalide und soziale Wohlfahrt dazu beizutragen, dass die Regierung unter anderem HIV-positive Drogenkonsumenten inhaftiert, obwohl sie nach vietnamesischem Recht sofort entlassen werden müssten, wenn ihre medizinische Versorgung in den Haftanstalten nicht gewährleistet ist.


Hilfe ohne Verwendungscheck

Die HRW-Kritik richtet sich explizit gegen das US-Aids-Nothilfeprogramm PEPFAR, die US-Entwicklungsbehörde USAID, den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, die Weltbank, das UN-Büro zur Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) und die australische Entwicklungsbehörde AusAID. Es fehlten Kontrollmechanismen, mit deren Hilfe sich Übergriffe gegen inhaftierte Drogenkonsumenten feststellen ließen, bemängelte Amon.

Vietnam gehört zu den weltweit 15 Ländern, die von PEPFAR profitieren. Im Rahmen des Programms sollen in diesem Jahr fast 102 Millionen Dollar ausgeschüttet werden. Die USA sind Vietnams größter Finanzier von HIV-Aids-Programmen, die über PEPFAR abgewickelt werden.

Die Weltbank wiederum stellt seit 2005 Gelder für die HIV/Aids-Prävention und die Behandlungsmethoden in den Zentren inhaftierter Drogenkonsumenten bereit. UNODC führt seit 2007 Projekte in den Anstalten durch. Beide Organisationen wollen von den dortigen Zuständen nichts gewusst haben.

"Uns liegen bisher noch keine Berichte über Menschenrechtsverletzungen in den Drogenrehabilitationszentren vor, die von unserem Projekt profitieren", kommentierte Victoria Kwakwa, die Vietnam-Landeschefin der Weltbank, den Bericht. "Gäbe es Hinweise, würden wir eine Untersuchungskommission hinschicken, um sicherzustellen, dass unsere Vorgaben eingehalten und die Vorwürfe überprüft werden."

Auch Gary Lewis, Chef des UNODC-Büros für Asien und Pazifik, zufolge liegen seiner Organisation bisher ebenfalls keine Informationen über mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen in den Haftzentren vor. Der HRW-Bericht über illegale Festnahmen, willkürliche Verhaftungen und Folter in diesen Zentren habe jedoch bei der UNODC Besorgnis ausgelöst. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.hrw.org/reports/2011/09/07/rehab-archipelago-0
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105023

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. September 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2011