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INTERNATIONAL/078: USA - Gefängnisse quellen über, Bundesstaaten gehen Strafrechtsreform an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Februar 2012

USA: Gefängnisse quellen über - Bundesstaaten gehen Strafrechtsreform an

von Matthew Cardinale


Atlanta, Georgia 28. Februar (IPS) - Haushaltsengpässe und die enorm ansteigende Belegung der Haftanstalten haben mehrere US-Bundesstaaten insbesondere im konservativen Süden dazu gebracht, eine Reform des Strafrechts in Angriff zu nehmen.

In etwa 15 Staaten habe es bereits Änderungen gegeben, sagte Alison Lawrence von der Organisation 'National Conference of State Legislatures', die die Bundesstaatenbehörden politisch berät. Unter anderem seien Haftstrafen bei bestimmten Eigentumsdelikten und Drogenvergehen reduziert oder aufgehoben worden. In einigen Fällen sei dem Rauschgiftentzug der Vorrang vor einer Gefängnisstrafe gegeben.

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Menschenrechtsgruppe 'Southern Center for Human Rights' (SCHR) hebt hervor, dass beispielsweise Alabama, Colorado, Kentucky, Pennsylvania und Rhode Island die Haftstrafen bei Verstößen gegen Bewährungsauflagen gemildert oder ganz abgeschafft haben. Als bessere Optionen wurden eine schärfere Überwachung und alternative Strafen wie gemeinnützige Arbeit betrachtet.

In Alabama, Florida, Kentucky, South Carolina und Tennessee werden alternative Strafen bei Kriminellen aus unteren sozialen Schichten vorgesehen, wenn sie kein hohes Risiko für die Gesellschaft darstellen. Arkansas, Louisiana, South Carolina und Texas bemühen sich zudem, die Zahl der Wiederholungstäter zu begrenzen, indem Vorbereitungen zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft individuell zugeschnitten werden.


Hardliner-Politik trieb Zahl der Gefangenen hoch

Dass die Zahl der Strafgefangenen in den USA förmlich explodiert ist, wird allgemein auf eine gescheiterte Anti-Drogenstrategie der Regierung sowie auf die 'Politik der harten Hand' zurückgeführt, die vor allem in den achtziger und neunziger Jahren von vielen Republikanern und einigen Demokraten auf föderaler und bundesstaatlicher Ebene vorangetrieben wurde.

Zurzeit sitzen schätzungsweise zwei Millionen Menschen in den USA hinter Gittern. Das entspricht einem Viertel aller Gefangenen auf der Welt. Ein Anstieg der Haftstrafen wurde vor allem seit den achtziger Jahren verzeichnet, insbesondere für Drogendelikte.

Doch selbst bei den Republikanern macht sich ein Umdenken bemerkbar. Präsidentschaftskandidat Newt Gingrich und der konservative Lobbyist Grover Norquist forderten gemeinsam mit der 'National Association for the Advancement of Colored People' (NAACP), einer Bürgerrechtsorganisation für ethnische Minderheiten, substanzielle Reformen.

Wie aus einem 2010 veröffentlichten NAACP-Bericht hervorgeht, haben sich die staatlichen Ausgaben für Gefängnisse im Verhältnis zu den Aufwendungen für höhere Bildung versechsfacht. Das 'Pew Center on the States' erklärte in einem Bericht von 2009, dass der Betrieb der Haftanstalten in den USA jährlich mehr als 500 Milliarden Dollar kostet.

In Georgia nutzte der neue Gouverneur Nathan Deal, der den Republikanern angehört, seine erste Ansprache zur Lage in dem Staat dafür, um Strafrechtsreformen zu fordern, die den öffentlichen Haushalt entlasten könnten. Er setzte dazu ein Sondergremium ein, das im vergangenen November einen Bericht mit zahlreichen Empfehlungen veröffentlichte.

Sara Totonchi, die Geschäftsführerin von SCHR, äußerte sich zufrieden darüber, dass der Bericht viele Empfehlungen des Menschenrechtszentrums enthalte. In Kürze soll das Parlament von Georgia mit Beratungen über ein entsprechendes Gesetz beginnen. "Das ist ein sehr notwendiger Schritt in die richtige Richtung", sagte sie IPS. "Gefängnisse sind zu einer Lösung für alle Probleme in unserer Gesellschaft geworden - und diese Lösung ist unangemessen."

SCHR verlangt unter anderem, dass der Staat Georgia vollständig für die Pflichtverteidiger aufkommt und die Regelungen zu den obligatorischen Mindeststrafen überprüft. Auch Maßnahmen zur Wiedereingliederung entlassener Häftlinge in die Gesellschaft sollten ausschließlich staatlich finanziert werden.


Rassendiskriminierung bei Verurteilungen angeprangert

Die Rechtsprofessorin Michelle Alexander von der 'Ohio State University' hatte im Mai 2011 in einem Leitartikel in der 'New York Times' führenden Republikanern vorgeworfen, die Strafrechtsreform nur voranzutreiben, um staatliche Gelder zu sparen. Dass bei der Verhängung von Haftstrafen häufig Rassismus im Spiel sei, werde nicht thematisiert.

Vorreiter bei den Reformen war der Bundesstaat Texas, der bereits 2005 Haftstrafen verringerte, mehr Mittel für die Behandlung von Drogensüchtigen bereitstellte und Strafen zur Bewährung aussetzte. Der Staat konnte damit zwei Milliarden Dollar sparen. Wie ein Bericht der Organisation 'Right on Crime' von 2010 belegt, sank der Anteil der Gewaltverbrechen in Texas seit 2003 um 12,3 Prozent.

In Kalifornien waren die Haftanstalten so überfüllt, dass Bundesgerichte den Bundesstaat dazu verpflichteten, die Belegung der Gefängnisse binnen zwei Jahren um 45.000 Insassen auf 137 Prozent der Kapazität zu senken. Diese Regelung wurde im Mai 2011 vom US-Supreme Court bestätigt. Zahlreiche Gefangene sind seitdem in Bezirksgefängnisse verlegt worden. Rechtlich gesehen gab es allerdings bisher keine großen Veränderungen. Der frühere Gouverneur Arnold Schwarzenegger schaffte an seinem letzten Tag im Amt lediglich die Regelung ab, den Besitz kleiner Mengen von Marihuana mit Gefängnis zu bestrafen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.ncsl.org/
http://www.schr.org/
http://www.naacp.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=106837

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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Februar 2012