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INTERNATIONAL/112: Gazastreifen - Eine Braut am Ende des Tunnels (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. August 2012

Nahost: Eine Braut am Ende des Tunnels - Zwischen Gaza und Ägypten werden nicht nur Waren geschleust

von Mohammed Omer

Für einige junge Menschen im Gaza-Streifen sind die Tunnel Wege zum Glück - Bild: © Mohammed Omer/IPS

Für einige junge Menschen im Gaza-Streifen sind die Tunnel Wege zum Glück
Bild: © Mohammed Omer/IPS

Gaza-Stadt, 30. August (IPS) - Die 26-jährige Mai Ahmed aus dem Westjordanland verliebte sich übers Internet in Mohammed Warda, einen Palästinenser aus dem Nussirat-Flüchtlingslager im Gazastreifen. Als sie ihren Liebsten persönlich kennenlernen wollte, verweigerten ihr die israelischen Behörden die Besuchserlaubnis. Für Ahmed kein Grund, ihr Vorhaben aufzugeben. Sie reiste nach Jordanien, flog von dort aus nach Ägypten und fuhr zum Sinai, wo sie in einem der Tunnel verschwand, die Ägypten mit dem Gazastreifen verbinden. "Das ist eine Geschichte, die ich meinen Enkelkindern erzählen werde", sagt die junge Frau lächelnd, die in den Gazastreifen kam - und blieb.

Seit mehr als fünf Jahren werden die Tunnel genutzt, um den von Israel seit 2007 abgeriegelten Gazastreifen mit allem zu versorgen, was die dort lebenden Palästinenser dringend brauchen wie Nahrungsmittel, Medikamente, Autoersatzteile, Zement und Schafe. Doch seit einiger Zeit führen die unterirdischen Gänge auch Paare zusammen, die überirdisch nicht zueinander finden können.

Wie der 29-jährige Tunnelbauer Abu Saleem bestätigt, wählen immer mehr Frauen den Weg über die Tunnel, um von Ägypten aus zu ihren Verlobten im Gazastreifen zu gelangen. Und aus dem 140 Quadratkilometer großen Gazastreifen werden immer häufiger Bräutigame nach Ägypten geschmuggelt. Erst kürzlich habe er einen Anruf von seinem Chef erhalten, ihm bei der Zusammenführung eines Brautpaars behilflich zu sein.

Dass sich Männer aus dem Gazastreifen in Ägypten nach einer passenden Frau umsehen, hat auch finanzielle Gründe. Die Mitgiften in Ägypten sind längst nicht so hoch wie daheim. Das hat auch den 37-jährigen Adel Al-Ahmed veranlasst, sich auf der anderen Seite der Grenze nach einer Frau umzusehen. "Ich bin jetzt glücklich mit Shymaa verheiratet", sagt er. Die Ägypterin habe kein Problem damit, in einfachen Verhältnissen zu leben, sagt er. Die Mitgift habe ihn 30.000 ägyptische Pfund (rund 5.000 US-Dollar) gekostet. Das Brautgeld für eine Frau aus dem Gazastreifen hätte er nie aufbringen können.


Tunnel als Tor zur Welt

Die Schwierigkeiten, an Besuchsgenehmigungen heranzukommen, haben die Tunnel zu wichtigen Handelsrouten gemacht - auch wenn sie in Ägypten eigentlich verboten sind. Die israelische Regierung schickt mit dem Argument, durch die Tunnel gelangten auch Waffen in den Gazastreifen, regelmäßig F-16 Kampfjets zur Tunnelzerstörung in das Grenzgebiet.

Die Angriffe machen die Zusammenführung von Brautleuten, die von der Regierung im Gazastreifen genehmigt werden muss, zu einem gefährlichen Geschäft. Tunneleigentümer, die gegen das Gebot verstoßen, müssen mit Strafgeldern in Höhe von 1.500 Dollar rechnen.

Adel, dessen erste Ehe mit einer Palästinenserin gescheitert ist, hat seine jetzige Frau über seine Schwester kennengelernt, die selbst mit einem Ägypter in El-Arish verheiratet ist. Als er zu einer Hochzeit in Ägypten eingeladen wurde, wählte er den Tunnelweg. "Damals wurde ich einer wunderbaren jungen Frau vorgestellt, die nun die meine ist", schwärmt er. Nach der Heirat kroch das Paar auf Händen und Knien durch einen 200 Meter langen Tunnel in den Gazastreifen. Das Geld, das Adel an der Mitgift sparte, hat er in eine Wohnung in Rafah investiert. "Ich kann nur allen jungen Leuten im Gazastreifen empfehlen, sich eine Braut in Ägypten zu suchen."

Hadeel, eine Palästinenserin aus Rafah, hatte sich während eines offiziellen Besuchs einer Nichtregierungsorganisation mit einer Ägypterin befreundet, die ihr eines Tages mitteilte, dass ihre Familie den Gazastreifen besuchen und den Weg über einen Tunnel nehmen wolle. Bei dieser Gelegenheit lernte Hadeel den Bruder ihrer Freundin kennen. Einige Tunnelbesuche später hielt er um ihre Hand an. Geheiratet wird im Oktober. Viele Menschen im Gazastreifen sehen Licht und Liebe am Ende der Tunnel. (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2012