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INTERNATIONAL/138: Libanon - Finanz- und Regierungskrise hemmt humanitäre Hilfen für syrische Flüchtlinge (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Januar 2013

Libanon: Finanz- und Regierungskrise hemmt humanitäre Hilfen für syrische Flüchtlinge

von Zak Brophy


Bild: © Zak Brophy/IPS

Syrische Kinder in einem Flüchtlingslager im Norden des Libanons
Bild: © Zak Brophy/IPS

Tripoli, 16. Januar (IPS) - Zuhur al-Khalaf ist im achten Monat schwanger und lebt mit ihrem Mann und fünf Kindern in einer winzigen, mit Pappe gedeckten Hütte im Norden des Libanons. Die Familie bewohnt einen einzigen Raum, dessen Wände aus Stoffplanen bestehen. In der Behausung hat sich nach heftigen Stürmen und Regenfällen Modergeruch ausgebreitet. Zwei der Kinder haben Fieber und Atemwegsinfektionen.

Die Familie ist vor dem Bürgerkrieg aus der syrischen Stadt Homs geflohen. Anfang des vergangenen Jahres legten Bomben ihr Haus in Schutt und Asche. Die syrische Armee hatte die Stadt damals eingekreist und unter schweren Beschuss genommen.

"Wir zogen von Ort zu Ort, bis wir nicht mehr wussten, wohin wir noch gehen konnten. Vor etwa drei Monaten kamen wir dann in den Libanon", berichtet al-Khalaf, die seither mit Mann und Kindern sowie mit weiteren 200 Flüchtlingen in einem provisorischen Auffanglager am Rand der libanesischen Stadt Tripoli lebt.

Die Lage der Menschen hat sich verschärft, seit die Stürme Schneefälle und Überschwemmungen mit sich brachten. "Die Unterkünfte bieten uns keinen Schutz", klagt al-Khalaf. "Alles ist nass geworden, und es ist immer noch so kalt."

Die beiden kranken Kinder haben sich neben ihr unter ihre Laken verkrochen. Auf Zeitungspapier, das an der Tür ausgebreitet wurde, liegen nasse Brotscheiben zum Trocknen. "Wir ernähren uns nur von Brot, Tee und Bananen", sagt ein Flüchtling, der neben ihnen wohnt. "Etwas davon wegzuwerfen, können wir uns nicht leisten."

Die Familien mieten die Zelte für umgerechnet 70 US-Dollar im Monat von einem libanesischen Bauern und suchen nach Arbeit, um über die Runden zu kommen. Männer können mit einem Verdienst von etwa zehn Dollar, Frauen mit sieben Dollar pro Tag rechnen. Doch die meisten Flüchtlinge finden keine Beschäftigung. Ohne Arbeit und Unterstützung hat sich ihr Leben nicht wesentlich verbessert.


Etwa 200.000 syrische Flüchtlinge im Libanon

Knapp 200.000 Syrer sind seit Beginn der Unruhen in ihrer Heimat vor etwa zwei Jahren in den benachbarten Libanon geflohen, wie das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) kürzlich berichtete. Viele Menschen, die in Lagern Zuflucht fanden, haben sich allerdings nicht bei den Vereinten Nationen registrieren lassen und erhalten daher keinerlei Unterstützung. "Wir haben unsere Papiere verloren, als unser Haus zerstört wurde. Deshalb können wir uns nicht mehr ausweisen", sagt Zuhurs Mann Mohammad al-Ahmad.

Einige Flüchtlinge melden sich nicht beim UNHCR, weil sie befürchten, von den Behörden überwacht zu werden. Nach den Erfahrungen mit dem syrischen Geheimdienst fühlen sich viele Menschen verfolgt. "Ich möchte lieber anonym bleiben", erklärt Abu Nidal, der aus der ländlichen syrischen Region Idlib stammt. "In der Zukunft kann alles passieren. Und was kommt, wenn wir zurück nach Syrien müssen?"

Libanesische Behördenvertreter haben sich am 13. Januar auf einer Sondersitzung der Arabischen Liga in Kairo an die Mitglieder des Staatenbundes gewandt, um finanzielle Hilfe für die Flüchtlinge zu mobilisieren. Sie warnten vor einer "gefährlichen humanitären Lage". Die Regierung in Beirut kündigte kürzlich einen Plan an, der eine grundlegende Gesundheitsversorgung, soziale Hilfe und Bildung für die Flüchtlinge vorsieht. Die Finanzierung wurde mit jährlich 180 Millionen Dollar veranschlagt.

Der Libanon steckt allerdings selbst in einer schweren Finanzkrise, die zu einer politischen Patt-Situation geführt hat. Die nötigen Dienstleistungen können aufgrund der schlechten Infrastruktur und Verwaltung kaum erbracht werden.


Keine staatlichen Auffanglager eingerichtet

Der Syrien-Konflikt hat im Libanon tiefe Gräben gezogen. Dadurch sind die humanitären Hilfsbemühungen für die Flüchtlinge weiter behindert worden. Da die Regierung keine kohärente Politik verfolgt, ist nur wenig Unterstützung für ankommende Flüchtlinge vorgesehen. Anders als in Jordanien und in der Türkei hat die Regierung im Libanon keine Auffanglager eingerichtet.

"In den anderen Nachbarländern gibt es ordentliche Lager. Die Organisationen wissen, wo sich die Flüchtlinge aufhalten und welche Hilfe sie brauchen", erklärt Ashraf Alhafny, Projektkoordinator bei der Hilfsorganisation 'Warad', die unter anderem Kleidung für die im Norden des Libanons gestrandeten Syrer sammelt.

Widrige Wetterbedingungen, wirtschaftliche Not und der Mangel an Unterstützung sind nicht die einzigen Belastungen für die Flüchtlinge. Viele von ihnen werden außerdem zu Zielscheiben für Rassismus. Verbale und sogar körperliche Angriffe sind keine Seltenheit. Daran wird sichtbar, dass die ohnehin seit langem angespannten Beziehungen zwischen den beiden Ländern durch den Syrien-Konflikt und den Zustrom der Flüchtlinge auf eine weitere harte Probe gestellt werden. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.unhcr.org/pages/49e486a76.html
http://www.arableagueonline.org/
http://www.ipsnews.net/2013/01/syrian-refugees-face-storms-with- cardboard/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. Januar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2013