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INTERNATIONAL/140: Libanon - Erste Zivilehe löst landesweite Kontroverse aus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Februar 2013

Libanon: Erste Zivilehe löst landesweite Kontroverse aus

von Zak Brophy


Bild: © Zak Brophy/IPS

Demonstration in Beirut für die Einführung der Zivilehe
Bild: © Zak Brophy/IPS

Beirut, 11. Februar (IPS) - Im Libanon hat die Hochzeit eines Paares das ganze Land in Aufruhr versetzt. Die Entscheidung von Kholoud Sukkariyeh und Nidal Darwish, außerhalb einer Kirche, Moschee oder Synagoge zu heiraten, hat eine Kontroverse zwischen dem Staatschef und dem Regierungschef des Landes ausgelöst und die Religionsführer auf die Barrikaden gehen lassen.

Im Libanon ist die soziale und politische Integration eine Frage der religiösen Zugehörigkeit. Hochzeiten fallen in den Zuständigkeitsbereich der insgesamt 18 anerkannten konfessionellen Gruppen. Standesämter gibt es nicht. Sukkariyeh und Darwish wollten sich mit diesen Realitäten nicht abfinden und gaben sich im letzten Monat im Haus der Braut heimlich das Jawort.

Anwesend waren der Bruder der Braut, der als Zeuge auftrat, und ein Notar, der der Unterzeichnung des Ehevertrags beiwohnte. Seit Bekanntwerden der Hochzeit tobt in dem Land ein heftiger Streit über das Für und Wider ziviler Ehen. Was in vielen Gesellschaften trivial erscheinen würde, ist im Libanon in sozialer, politischer und religiöser Hinsicht ein heißes Eisen.

Für den Bräutigam Darwish hatte die zivile Eheschließung vor allem einen besonders hohen symbolischen Wert. "Es ist schon ein anderes Gefühl, jemanden auf der Grundlage der Menschenrechte und nicht auf der Grundlage religiöser Rechte zu heiraten", meinte er gegenüber IPS.


Die mächtigsten Männer im Lande uneins

Der libanesische Staatspräsident Michel Sleiman hat sich hinter die Entscheidung des Paares gestellt. "Wir sollten zivile Ehen legalisieren", meinte er. "Sie wären auch der richtige Weg gegen Sektierertum und für religiöse Koexistenz", meinte er. Doch Regierungschef Najib Mikati erklärte in seinem Tweet an den Staatschef, dass er eine Debatte über das Thema angesichts der derzeitigen politischen Probleme des Landes für nicht sinnvoll halte.

Wenig erbaut waren auch die lokalen Religionsgruppen. Der Großmufti der sunnitischen Muslime reagierte sogar mit einem religiösen Erlass, in dem es hieß: Jeder muslimische Staatsmann, der die Legalisierung der Zivilehe unterstütze, sei ein Abtrünniger und stehe jenseits des Islams.

Zivilehen sind an sich nichts Neues im Libanon. Doch anders als die vielen libanesischen Paare, die zur Schließung einer Zivilehe alljährlich nach Zypern oder in die Türkei reisen, gaben sich Sukkariyeh und Darwish im eigenen Land das Jawort. Der Libanon erkennt Zivilehen, die außerhalb des Landes geschlossen werden, mit den örtlichen Bestimmungen an.

Sukkariyeh, Darwish und der Anwalt Talal al-Husseini haben nach eigenen Angaben ein gesetzliches Schlupfloch gefunden. "Das libanesische Recht stammt aus der französischen Mandatszeit. Es sieht vor, dass Personen, die keiner Religionsgruppe angehörten, auch nicht von einer Religionsgruppe getraut werden konnten. In einem solchen Fall konnte eine Ehe nur zivilrechtlich vollzogen werden", erläuterte Husseini gegenüber IPS. Das Dekret Nummer 60 aus dem Jahre 1936 war ursprünglich Ausländern vorbehalten, die eine Ehe mit einer Libanesin eingehen wollten. Damals gab es im Libanon lediglich eine einzige Religion.

Seit einigen Jahren sind alle Libanesen berechtigt, ihre religiöse Zugehörigkeit aus ihren Ausweispapieren streichen zu lassen. Diejenigen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hätten, dürften ausschließlich zivilrechtlich getraut werden, so der Anwalt. Da es aber kein libanesisches Gesetz gibt, dass den Umgang mit Zivilehen regelt, sei es Sache des Paares zu entscheiden, nach welchem ausländischen Recht sie verheiratet werden wollten. Sukkariyeh und Darwish hatten das französische Zivilrecht gewählt.


Gerangel um Personenstandsgesetz

Doch die Ehe des Paares wird von den Behörden nicht anerkannt. In einem Interview in der lokalen Tageszeitung 'an-Nahar' erklärte Marwan Charbel, dass der Libanon zunächst ein eigenes Personenstandsgesetz brauche. Der Ruf nach einem Ausgleich zwischen religiösen und zivilen Rechten geht auf die Gründung des libanesischen Staates zurück. Ermutigt durch den Arabischen Frühling zogen 2001 Zehntausende Libanesen auf die Straßen, um gegen die Dominanz des religiösen Systems zu protestieren.

Das erste zivile Personenstandsrecht war dem Parlament bereits 1971 vorgelegt worden, stieß aber auf Ablehnung. Die religiösen Spaltungen innerhalb der Gesellschaft nahmen immer weiter zu und verschärften sich im Bürgerkrieg von 1975 bis 1991. Nach dem Konflikt brachte der ehemalige Präsident Elias Hrawi 1998 den Entwurf eines Personenstandgesetzes ein. Doch der damalige Ministerpräsident Rafiq Hariri kassierte die Vorlage und sorgte dafür, dass sie erst gar nicht dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt wurde.

"Das war zwar illegal. Doch Hariri handelte in seinem und im Interesse der konfessionellen Gruppen", erläuterte Tony Daoud von der Nichtregierungsorganisation 'Chaml'. Zusammen mit den Rechtsexperten Ugarit Younan und Walid Sleiby verfasste er einen neuen Gesetzentwurf, der alle Fragen berührt, die derzeit in den Zuständigkeitsbereich der religiösen Gerichte fallen.

Anders als 1971 soll die Einhaltung dieses Gesetzes diesmal freiwillig sein. "Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Dass das Gesetz verbindlich sein sollte, führte dazu, dass es nicht verabschiedet wurde", meinte Daoud.

Sukkariyeh hofft, mit ihrer Zivilehe den Grundstein für einen säkularen libanesischen Staat gelegt zu haben. Viele Politiker reagieren jedoch bisher nur mit Lippenbekenntnissen auf die Forderung. Im Grunde müssten sie nicht mehr tun, als dem zivilen Personenstandsgesetz, das dem Parlament seit 2011 vorliegt, ihre Stimme zu geben. (Ende/IPS/kb/2013)


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IPS-Tagesdienst vom 11. Februar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2013