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INTERNATIONAL/169: El Salvador - Risse im Waffenstillstandsabkommen der größten Verbrecherbanden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Mai 2014

El Salvador: Risse im Waffenstillstandsabkommen der größten Verbrecherbanden - Herausforderung für neue Regierung

von Edgardo Ayala


Bild: © Tomás Andréu/IPS

Die Anführer der Gang 'Mara Salvatrucha' im Gefängnis der Stadt Ciudad Barrios im ostsalvadorianischen Departement San Miguel 2012
Bild: © Tomás Andréu/IPS

San Salvador, 14. Mai (IPS) - Wenn Salvador Sánchez Cerén am 1. Juni sein Amt als neuer Staatspräsident von El Salvador übernimmt, steht er vor der Aufgabe, die Risse im Waffenstillstandsvertrag zwischen den größten kriminellen Banden im Land zu kitten. Die Initiative seines Amtsvorgängers Mauricio Funes hatte einem deutlichen Rückgang der hohen Mordrate in dem zentralamerikanischen Land bewirkt. Doch in jüngster Zeit nimmt die Gewalt wieder zu.

Der im März 2012 erzielte Friedenspakt steht derzeit vor seiner bislang größten Herausforderung. Noch hält er, doch seitdem die beiden Parteien ihren Dialog abgebrochen haben, besteht Handlungsbedarf, wie Raúl Mijango gegenüber IPS erklärte. Er hatte die Waffenruhe zusammen mit dem katholischen Bischof Fabio Colindres vermittelt. "Die neue Regierung wird sicherstellen müssen, dass der Friedensprozess weitergeht."

Sánchez Cerén ist Vorsitzender der ehemaligen Rebellenorganisation und derzeitigen Regierungspartei Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN), die 2009 an die Macht gelangte. Das designierte Staatsoberhaupt ist der Vizepräsident der scheidenden Regierung.

Während der Wahlkampagne, die mit dem Sieg von Sánchez Cerén am 9. März endete, kündigte er einen umsichtigen Umgang mit dem Problem an. Damit distanzierte er sich wie sein Amtsvorgänger von der Politik der eisernen Faust, wie sie die rechten Vorläuferregierungen der Nationalen Republikanischen Allianz (ARENA) von 1989 bis zum Amtsantritt von Funes praktiziert hatten. Erwartet wird nun eine Strategie aus Präventiv- und Sicherheitsmaßnahmen.


Regierung unter Druck

Die künftige Regierung steht unter dem wachsenden Druck, den erneuten Anstieg der Mordrate wieder umzukehren, und zwar nicht nur, weil sie dies im Wahlkampf versprochen hatte, sondern weil im nächsten Jahr Gemeinde- und Parlamentswahlen anstehen.

Der Friedensvertrag zwischen den beiden größten Gangs 'Mara Salvatrucha' und 'Barrio 18' beinhaltet einen gegenseitigen Nicht-Angriffspakt und die Verpflichtung, von Angriffen auf Zivilisten, Polizei und Militär abzusehen. Die Regierung hatte als Gegenleistung die Verlegung mehrerer Bandenführer aus den Hochsicherheitsgefängnissen des Landes in andere Anstalten sowie weitere Hafterleichterungen wie den Besuch von Familienangehörigen ermöglicht.

Tatsächlich ging die Zahl der Morde von durchschnittlich 14 pro Tag auf fünf zurück. Das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) berichtete im Mai, dass sie statistisch gesehen von 69,2 Morden pro 100.000 Einwohnern im Jahr 2011 auf 41,2 pro 100.000 gedrückt werden konnte.

Doch seit vergangenem Februar kommt es zu durchschnittlich zehn Morden pro Tag. Nach Polizeiangaben, die zum Teil in Zweifel gezogen werden, stehen 50 Prozent aller in El Salvador begangenen tödlichen Gewaltverbrechen mit den kriminellen Banden in Verbindung. 35 der Opfer waren Gangmitglieder, deren Gesamtzahl auf 60.000 geschätzt wird. In El Salvador leben 6,2 Millionen Menschen.

Mijango zufolge hat das Waffenstillstandsabkommen erste Risse bekommen, als das Justizministerium die Regierung während des Wahlkampfes von der Rolle des 'Faszilitators' entband, über den die Bandenführer mit ihren Anhängern außerhalb der Gefängnismauern kommunizieren konnten.


Unterschiedliche Einschätzungen

Zudem wurden die Polizeieinsätze verschärft, die zu Zusammenstößen mit den lokalen Gemeinden führten. Nach Ansicht politischer Analysten handelte es sich dabei vor allem um wahltaktische Maßnahmen. Die Regierung habe den Bürgern zeigen wollen, dass sie zu einer kompromisslosen Haltung im Umgang mit dem organisierten Verbrechen fähig sei.

Die scheidende Regierung hingegen bringt den Anstieg der Gewalt mit Revierkämpfen zwischen den beiden Barrio-18-Fraktionen 'Sureños' und 'Revolucionarios' in Verbindung. Funes selbst erklärte in einer Radiosendung, dass der Waffenstillstand im Grunde zu Ende sei, während Justizminister Ricardo Perdomo berichtete, dass die Gangs waffentechnisch aufgerüstet hätten und bessere Feuerwaffen besäßen als die Polizei.

Was die Zusammenstöße vom 6. April in der Stadt Quezaltepeque im zentralen Departement La Libertad bestätigt haben. Dort kam im Verlauf eines Angriffs von Gangmitgliedern ein Polizeioffizier ums Leben, drei weitere wurden verletzt.

Doch die großen Banden widersprachen der Version, dass der Friedenspakt zerbrochen und es zu den von Funes und anderen Regierungsvertretern geschilderten internen Machtkämpfen gekommen sei. "Trotz der Angriffe gilt der Friedenspakt noch", heißt es in einer Mitteilung von Anführern der Mara Salavatrucha (MS), den beiden Barrio-18-Fraktionen sowie den 'Mao Mao', den 'La Maquina' und den 'Miradas Locos 13' aus dem letzten Monat.

Das Statement wurde auf einer geheimen Konfernez in San Salvador verlesen, zu der lediglich die Vertreter von vier Medien einschließlich IPS zugelassen worden waren. Die nationalen Sprecher der MS und der beiden Barrio-18-Fraktionen Sureños und Revolucionarios nahmen ebenfalls an der Konferenz teil und baten sich aus Sicherheitsgründen Anonymität aus.

"Würden sich unsere beiden Fraktionen im Krieg befinden, wären wir wohl kaum hier", meinte der Vertreter der Sureños. Er räumte jedoch ein, dass der Waffenstillstand nicht perfekt sei und es gewisse 'Cliquen' gebe, die sich nicht an die Anweisungen der Gang-Führer hielten. Ebenso wurde von dem Abfall einer Gruppe berichtet, die sich von den Revolucionarios in Zacatecoluca, einer Stadt im zentralen Departement La Paz, abgespalten habe und in der Region extrem gewalttätig vorgehe. Doch erkläre dieser Streit nicht den landesweiten Anstieg der Mordrate. "Wir halten uns an die Verpflichtungen, die wir gegenüber der Gesellschaft eingegangen sind", meinte der MS-Sprecher.

Doch der katholische Priester Antonio Rodríguez erklärte gegenüber IPS, dass das verlesene Kommuniqué nicht mit den nationalen Bandenführern abgesprochen worden sei. "Die Sureños ärgern sich über das Statement, weil es nicht repräsentativ ist", meinte er. Rodríguez war zunächst ein entschiedener Kritiker der Feuerpause gewesen. Später gab er wie Mijango and Colindres nach, um sich dann erneut zu distanzieren.


Neue Vermittler

Inzwischen unterstützt er die Bemühungen von Minister Perdomo, der den Friedensprozess zwischen den Gangs mit Hilfe des Bischofs von San Salvador, Gregorio Rosa Chávez, Vertretern der evangelikalischen Kirchen, dem UN-Entwicklungsprogramm und anderen wiederbeleben will. "Es handelt sich um einen gesellschaftlichen Pakt und nicht um ein Abkommen zwischen Gangs", meinte er.

Auf der Geheimkonferenz betonten die Gangführer, dass es Gerüchte über die Existenz von zwei Friedensprozessen gebe. "Wir erkennen jedoch nur den an, der im März 2012 gestartet wurde", hieß es. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnoticias.net/2014/05/grietas-en-tregua-entre-pandilla-recibe-nuevo-gobierno-en-el-salvador/
http://www.ipsnews.net/2014/05/el-salvadors-new-government-inherit-hot-potato-gang-truce/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2014