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JUGEND/326: Quinceañera - Feier und Ritual in Mexiko (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 132, 2/15

Quinceañera
Feier und Ritual in Mexiko

Von Bibiana Camacho


Eines der Rituale, die in alten und modernen Zivilisationen immer noch existieren, ist der Initiationsritus, der den individuellen Übergang der Entwicklung eines Menschen markiert, beispielsweise den Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter. In einigen Gesellschaften war das etwa die Einführung eines Jünglings als Krieger oder Jäger, durch die er als Mann anerkannt wurde und dadurch Privilegien erhielt. Mädchen wurden meist erst ab dem Zeitpunkt, ab dem sie Mütter waren, als Frau anerkannt. Diese Initiation bedeutete eine Veränderung der Persönlichkeit. Heutzutage existieren solche Riten noch immer. Die Feier der Quinceañera (Feier zum 15. Geburtstag) ist ein sozialer Initiationsritus in Mexiko.


Der 15. Geburtstag in Mexiko

Die Quinceañera ist durch den Debütant_innenball des englischen Adels und des französischen Großbürgertums des 19. Jahrhunderts inspiriert, in dem junge Frauen von 14 bis 16 Jahren ihren ersten offiziellen Auftritt in der Gesellschaft begehen. Dabei wurden ihre sozialen Fähigkeiten und ihr Verhalten geprüft, und die soziale Stellung der Eltern war entscheidend für eine profitable Ehe.

In Mexiko vereinnahmte Anfang des 20. Jahrhunderts die obere Gesellschaftsschicht des Porfiriato(1) die "Ballsaison" als eigene Tradition, mit dem Ziel, junge Männer und Frauen miteinander bekannt zu machen und Heiratsvereinbarungen zu schließen. Diese Tradition wurde dann von den unteren Gesellschaftsschichten adaptiert, aber nur für junge Frauen.

Der Ablauf dieser Feier ist bis heute gültig: die Dankmesse Tedeum, ein erster Tanz mit dem Vater, die Vorstellung der jungen Frau durch eine Rede des Vaters, die Durchführung eines choreografierten Walzers und ein oder mehrere Kostümwechsel.

Die Choreografie muss monatelang mit Hilfe eines/r professionellen Choreografen/in geübt werden. Normalerweise wird die Quinceañera - das Geburtstagskind - von Brautjungfern und einer Gruppe von Chambelanes - einer Gruppe junger Männer nach dem Vorbild der österreichischen Kadetten in Zeiten von Kaiser Franz Joseph - begleitet. Heutzutage gibt es eigene Unternehmen, die Chambelanes anbieten, die das Geburtstagskind nicht nur begleiten, sondern auch professionelle Tänzer sind.

Die Quinceañera trägt ein von europäischen Bällen inspiriertes Kleid, einige erinnern an Kostüme von Prinzessinnen in Walt-Disney-Filmen oder von Pop-Künstlerinnen wie Madonna, an griechische Göttinnen oder Hofdamen von Louis XV. Der gemeinsame Nenner dabei ist jedoch immer, die Großzügigkeit und die "Sexualität" der Quinceañera hervorzuheben. Die Brautjungfern sind ähnlich, aber weniger auffällig gekleidet, während die Chambelanes Sakko oder Anzug tragen.


Soziale Bedeutung

Unabhängig von der sozialen Klasse, zu der das gefeierte Mädchen gehört, bietet das Fest der Familie die Möglichkeit, ihr wirtschaftliches Niveau und ihre finanzielle Lage zu beweisen, was an der Qualität der Feier erkennbar wird. Andererseits stärkt die Feier soziale Beziehungen, da die Pat_innen als offizielle Sponsor_innen der Messe ihre Patentochter auch finanziell unterstützen. Neben dem/r "offiziellen" Paten/in, übernehmen andere Pat_innen die Kosten von Getränken, Musik, Kleidern und was sonst noch so anfällt. Werden nur wenige Sponsor_innen gebraucht, bedeutet dies, dass die Familie finanziell gut dasteht und sich die Feier ohne monetäre Unterstützung leisten kann - da kommt dann wenig Kritik von den Gästen. Auch der Ort der Feier spiegelt den sozioökonomischen Status der Familie wider - ob es ein Bankettsaal (der Preis variiert stark), das Haus der Quinceañera oder einer/s reichen Verwandten ist.

Andere Komponenten sind genauso wichtig für dieses Fest: Wird das Geburtstagskind mit einer Limousine, einem Luxusauto oder einem Kürbistransporter in die Kirche chauffiert? Werden Studiofotos gemacht? Bekommen die Gäste Erinnerungsgeschenke? Wie war das Abendessen, der Kuchen und natürlich der Toast des Vaters?


Kritik

Die Quinceañera wird von einigen feministischen Gruppen und Frauenbewegungen mit der Begründung kritisiert, dass diese Feier das Konzept der Frau als sexualisiertes Objekt widerspiegelt, denn durch seine Symbolik würden Werte wie Jungfräulichkeit und Gehorsamkeit gefördert und die Mädchen zum Kauf an den Meistbietenden ausgestellt. Die Feier hat sich aber mit der Zeit verändert, denn obwohl das Fest seinen rituellen Charakter behalten hat, hat seine Bedeutung an Kraft verloren, da die Feier als Vorwand dient, um die finanzielle Lage der Familie zu demonstrieren. Es wird die Gefeierte in den Vordergrund gestellt, um eine große Party zu veranstalten, aber ohne die Erwartung, eine gute Partie für das Mädchen zu gewinnen.

Mit oder ohne Kritik, an dem Fest wird noch immer festgehalten. Obwohl ein Rückgang bei der mittleren Gesellschaftsschicht Mexikos zu erkennen ist, die eine Reise oder einfach nur Partys mit Freund_innen bevorzugen, ist es dennoch eine große Veranstaltung für die ärmere Schicht, nicht nur in Mexiko, sondern auch am restlichen amerikanischen Kontinent. Die Kraft der sozialen und emotionalen Symbole, die die Feier mit sich bringt, hat sich nicht verringert, aber drastisch verändert. Es geht nicht mehr darum, eine heiratsfähige Frau der Gesellschaft zu präsentieren, sondern um ein feierliches, soziales und wirtschaftliches System.


Verlust von Tradition?

In unserem Land wird erwartet, dass die Quinceañera auf Kosten der Gastgeber_innen gefeiert wird. Der Ritus ist immer noch gültig, aber ihre Bedeutung ging verloren. Der 15. Geburtstag eines Mädchen bedeutet heutzutage nicht eine Veränderung in der Persönlichkeit, dahinter steht nicht mehr die Absicht, das Kind zu verehelichen, und es hat keinen Zusammenhang mehr mit seiner Jungfräulichkeit. Es handelt sich dabei um eine Feier der ganzen Familie. Durch dieses gemeinschaftliche Feiern werden die emotionalen Bindungen und die Solidarität gestärkt, da in vielen Fällen die Party mit Sachleistungen von mehreren Personen durchgeführt wird. In den normalerweise monatelangen Vorbereitungen arbeiten alle Beteiligen gemeinsam für ein Ziel. So ist es nicht verwunderlich, dass eine Feier dieser Art die soziale Ordnung und Identität einer Gemeinschaft stärkt. In einigen Teilen der Welt, vor allem in den Vereinigten Staaten, feiern Migrant_innen die Quinceañera mit allen typischen Elementen - Festkleid, Walzermusik, Sponsor_innen, Rede des Vaters. Dies ist ein Weg, um die eigene Identität und Kultur zu erhalten.


ANMERKUNG:
(1) Porfiriato wird die Periode in der Geschichte von Mexiko genannt, in der Porfirio Diaz Präsident des Landes war (1830-1915).


ZUR AUTORIN:
Bibiana Camacho ist Schriftstellerin, geboren in Mexiko. Zu ihren Werken gehören Tu ropa en mi armario (Jus, 2010), Tras las huellas de mi olvido (Almadía, 2010) und La sonámbula (Almadía, 2014).

Übersetzung aus dem Spanischen: Tania Pilz

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 132, 2/2015, S. 15-16
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2015

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