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KIND/051: D. R. Kongo - Von der Schwierigkeit, Kindersoldaten zu rehabilitieren (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. November 2011

D. R. Kongo: Spaß am Töten - Von der Schwierigkeit, Kindersoldaten zu rehabilitieren

von Kristin Palitza

Mulume*, ein ehemaliger Kindersoldat (vorne links) - Bild: © Einberger/argum/EED/IPS

Mulume*, ein ehemaliger Kindersoldat (vorne links)
Bild: © Einberger/argum/EED/IPS

Bukavu, D. R. Kongo, 3. November (IPS) - Als sich Murhulas* Leben von Grund auf änderte, war er gerade mal neun Jahre alt. Milizen überfielen sein Dorf, verschleppten ihn und andere Kinder, um sie im kongolesischen Busch zu Soldaten auszubilden. Ab jenem Jahr lernte er zu töten, zu foltern und zu vergewaltigen.

Das Dorf liegt in Süd-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) nahe der Stadt Bukavu. "Viele schlimme Dinge sind seither passiert, über die ich nicht sprechen kann", sagt Murhula, der inzwischen 25 Jahre alt ist. Er hat für unterschiedliche bewaffnete Gruppen gekämpft: erst für die im Osten des Landes aktiven Rebellen der 'Rally for Congolese Democracy', dann für die Mudundo, die Maï-Maï und zum Schluss für die kongolesische Nationalarmee.

Geschätzte 30.000 Kinder, mehr als ein Drittel Mädchen, wurden als Kindersoldaten rekrutiert, um an einem Krieg teilzunehmen, bei dem es um politische und ethnische Macht und um die Kontrolle über die natürlichen Ressourcen ging. Die bewaffneten Auseinandersetzungen kosteten bisher vier Millionen Menschenleben.

Die DRC hat etliche Abkommen zum Schutz der Rechte der Kinder ratifiziert. 2001 unterzeichnete das zentralafrikanische Land die UN-Sicherheitsresolution 1341, die ein Ende der Rekrutierung von Kindersoldaten und deren Demobilisierung und Rehabilitierung fordert. Doch bisher hat die kongolesische Regierung wenig getan, um ihren Verpflichtungen nachzukommen, wie die Menschenrechtsorganisation 'Amnesty International' kritisiert.

Nach den ersten demokratischen Wahlen 2006 und vor allem nach dem Friedensvertrag von Goma, der dem Osten ein gewisses Maß an Frieden brachte, kamen internationale Hilfsorganisationen wie UNICEF und Caritas ins Land, um bei der Demobilisierung der Kindersoldaten zu helfen. Die nächsten freien Wahlen nach der Unabhängigkeit im Jahre 1960 finden am 28. November statt.


Menschliche Bomben nicht entschärft

Doch die Entwaffnung der meisten Kindersoldaten und ihre Rückkehr ins normale Leben werden nicht von Psychologen begleitet. Dabei wären die jungen Menschen, die von den Trainingslagern der Rebellen einer Gehirnwäsche unterzogen worden sind, dringend auf Hilfe angewiesen.

Die DRC ist mit einer Generation von Kindern und jungen Erwachsenen geschlagen, die sich nicht an ein gewaltfreies Leben erinnern kann. Die traumatischen Erlebnisse, die kein menschliches Wesen durchleiden sollte, haben die Kindersoldaten zu gefürchteten Aggressoren, Dieben und Drogenabhängigen gemacht. Ihre Integration in die kongolesische Gesellschaft ist somit eine echte Herausforderung.

Oft sind die eigenen Eltern nicht gewillt, ihre zu Killern mutierten Kinder zurückzunehmen. Diese Erfahrung hat Murhula gemacht, der den eigenen Angaben zufolge "gern Soldat" gewesen ist. Nachdem ihm die Milizen Jahre lang ihre streng hierarchische und gewaltbereite Ideologie eingetrichtert hatten, kam der Punkt, an dem es der Junge offenbar genoss, andere zu quälen. "Ich weiß nicht, wie viele Menschen ich umgebracht habe. Wie viele es auch gewesen sein mögen - ich habe nur Befehle ausgeführt", sagt er heute.

Dass die meisten Kindersoldaten gleichzeitig Opfer und Täter waren, hat die beiden deutschen Psychologen Tobias Hecker und Katharin Hermenau von der Universität Konstanz veranlasst, der Frage nachzugehen, wie sich dieser Widerspruch auf die Psyche der Betroffenen auswirkt. Sie arbeiten derzeit mit Kindersoldaten in einem Rehabilitationszentrum in Goma zusammen, der Hauptstadt von Nord-Kivu.

"Wir sehen, dass diejenigen, die ihre Gewalttätigkeit genossen haben, weniger unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, dafür aber erheblich größere Probleme haben, sich ins normale Leben einzugliedern. Sie sind allzeit bereit, wieder gewalttätig zu werden", berichtet Hermenau.

Die beiden Wissenschaftler hatten mit ehemaligen Kindersoldaten mehr als 200 Interviews durchgeführt. Sie kamen zu dem Besorgnis erregenden Ergebnis, dass nur ein Viertel der Betroffenen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Das heißt, dass drei von vier Befragten auch heute noch Gewalt mit positiven Gefühlen verbinden. "Wir stellten jede Menge Stolz, Machtgier und Rachegelüste fest", so Hermenau.


Ausbildung zu Handwerkern

Die Untersuchungsergebnisse verdeutlichen, wie schwierig es ist, Kindersoldaten gesellschaftlich zu reintegrieren. Eine Nichtregierungsorganisation, die diese Herausforderung angenommen hat, ist das 'Centre for Professional and Artisanal Apprenticeship' (CAPA) in Bukavu 100 Kilometer südlich von Goma. Die Mitarbeiter bilden ehemalige Kindersoldaten zu Handwerkern aus.

CAPA-Direktor Vital Mukuza weiß genau, was es heißt, mit diesen Kindern und jungen Erwachsenen zu arbeiten. "Sie sind aggressiv, leicht reizbar, anfällig für Gewalt und Vandalismus und für alle anderen eine konstante Bedrohung", erläutert er. "Sie halten sich an keine Regeln, erkennen Autoritäten nicht an und sind es gewohnt, sich einfach zu nehmen, was sie sich wünschen."

CAPA ist für Murhula ein Ort der Hoffnung geworden. Hier wird er zum Gitarrenbauer ausgebildet. Eines Tages will er einen eigenen Laden öffnen und eine Familie gründen. "Ich will nicht mehr an die Vergangenheit denken", sagt er.

Doch die meisten Kindersoldaten sind auf sich allein gestellt. Viele führen ein Leben in gesellschaftlicher Isolation und Armut. Ein Beispiel ist der 22-jährige arbeitslose Mulume*, der als 17-Jähriger von den Maï-Maï rekrutiert wurde. Zwar durfte er in sein Heimatdorf Kahungu, 65 Kilometer nördlich von Bukavu, zurückkehren, doch wird er dort nur geduldet. Die Menschen gehen ihm aus dem Weg. Auf die Frage, ob er eine Zukunft für sich sieht, schüttelt er den Kopf. "Nein, ich denke nicht", sagt er. "Ich werde mich wohl in mein Schicksal fügen müssen." (Ende/IPS/kb/2011)

* Verzicht auf Nennung der Nachnamen zum Schutz der ehemaligen Kindersoldaten


Link:
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105686

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. November 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2011