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KIND/118: Syrien - Bürgerkrieg befeuert regionale Kinderarbeit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Juli 2015

Syrien: Bürgerkrieg befeuert regionale Kinderarbeit

von Kanya D'Almeida


Bild: © Sam Tarling/IPS

Der zwölfjährige Aboudi verkauft Blumen vor den Kneipen Beiruts
Bild: © Sam Tarling/IPS

NEW YORK (IPS) - Zu den vielen verheerenden Folgen des syrischen Bürgerkriegs gehört auch der regionale Anstieg der Kinderarbeit. Ein neuer Bericht verdeutlicht den hohen Preis, den syrische Heranwachsende für das Versagen der internationalen Gemeinschaft zahlen, den Konflikt zu beenden.

Was vor vier Jahren als Konfrontation zwischen Pro-Demokratie-Aktivisten und dem diktatorischen Regime von Präsident Baschar al-Assad begann, hat inzwischen mehr als 220.000 Todesopfer gefordert. Weitere 840.000 Menschen (Stand Januar 2015) wurden verletzt. Hinzu kommt ein Flüchtlingsdrama, das laut UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) mehr als zwölf Millionen Syrer betrifft. Fast einem Drittel gelang die Flucht nach Jordanien, in den Libanon, in die Türkei oder in den Irak.

Das Weltkinderhilfswerk UNICEF und 'Save the Children' fanden im Rahmen ihrer Anfang Juli veröffentlichten Studie heraus, dass innerhalb Syriens in drei Viertel aller untersuchten Haushalte Kinder zum Familieneinkommen beitragen. In Jordanien traf dies für die Hälfte aller untersuchten Haushalte zu. Verschiedenen Berichten zufolge sind im Libanon bereits Sechsjährige erwerbstätig. Am schlimmsten ergeht es den Mädchen und Jungen, die direkt in den bewaffneten Konflikt involviert und Opfer von sexueller Ausbeutung und Kinderhandel sind.

Vor Kriegsausbruch war Syrien ein Land mittleren Einkommens gewesen. Der Lebensstandard war vergleichsweise hoch, die Alphabetisierungsrate lag bei 90 Prozent. Doch mittlerweile leben vier von fünf Syrern unterhalb der Armutsgrenze. Die Massenflucht aus vielen Städten verbunden mit dem Niedergang der Unternehmen und Industrien hat Arbeitslosenraten zwischen 14,9 und 57,7 Prozent geschaffen.

Die in der Heimat gebliebenen Syrer werden als 'extrem arm' eingestuft. Sie sind nicht in der Lage, ihren grundlegenden Bedarf an Nahrungsmitteln und Sanitärversorgung zu decken. Experten zufolge ist es somit kein Wunder, dass die Kinder zum Lebensunterhalt ihrer Familien beitragen und dies auch wollen. So erklärte Ahmed, ein zwölfjähriger Junge, gegenüber UNICEF, dass er sich für seine Familie verantwortlich fühle und aus der Not heraus ohnehin keine andere Wahl habe, als hart zu arbeiten.

Dem Bericht 'Small Hands, Heavy Burden: How the Syrian Conflict is Driving More Children into the Workforce' ('Kleine Hände, schwere Last: Wie der syrische Konflikt für mehr Kinderarbeit sorgt') zufolge können etwa 2,7 Millionen syrische Kinder nicht zur Schule gehen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie sich dem Heer der Kinderarbeiter anschließen werden, wenn sie dies nicht schon getan haben.


Sechs- bis Sieben-Tage-Woche

"In Jordanien arbeitet die Mehrheit der erwerbstätigen Kinder an sechs bis sieben Tage die Woche - ein Drittel von ihnen mehr als acht Stunden am Tag", heißt es in dem Report. "Ihr tägliches Einkommen liegt bei vier bis sieben US-Dollar."

Abgesehen davon, dass die Unterbrechung der Schulausbildung für die Betroffenen die künftigen Chancen auf bessere Jobs schmälert, gefährdet schwere Kinderarbeit die körperliche Entwicklung der Heranwachsenden. Save the Children zufolge haben rund 75 Prozent der Kinderarbeiter im jordanischen Flüchtlingslager Za'atari Gesundheitsprobleme. Fast 40 Prozent berichteten über Verletzungen, Krankheiten oder einen generell schlechten Gesundheitszustand. 35,8 Prozent der Kinderarbeiter im libanesischen Bekaa-Tal sind Analphabeten.

Angesichts der Angst der Familien, hungern zu müssen, ist ihnen jede Verdienstmöglichkeit recht. Im Bekaa-Tal etwa ist es üblich, dass erwachsene Landarbeiter zehn Dollar Lohn pro Tag erhalten. Bei oftmals gleicher Arbeit werden Kindern nur vier Dollar am Tag gezahlt. In den Städten sind vor allem Autoreparaturwerkstätten, Fabriken und Baustellen beliebte Arbeitsplätze für zehnjährige syrische Jungen. Eine weitere Untersuchung hatte in zwei größeren libanesischen Städten 1.500 Kinder ausgemacht, zu 73 Prozent Syrer, die mit Betteln oder Straßenhandel durchschnittlich elf Dollar pro Tag zusammenbekommen. Kleine Kinder können mit Prostitution bis zu 36 Dollar pro Tag verdienen.

UNICEF zufolge stellt Kinderarbeit eine der Hauptherausforderungen für die Umsetzung der 'No-Lost-Generation'-Initiative dar. Diese war 2013 mit dem Ziel, Kinderrechte und das Recht von Kindern auf Bildung in den Mittelpunkt der humanitären Bemühungen zu stellen, gestartet worden. (Ende/IPS/kb/06.07.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/07/child-labour-a-hidden-atrocity-of-the-syrian-crisis/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2015

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