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KIND/217: Parteien ignorieren Forderungen von Sozialverbänden zur effektiven Bekämpfung der Kinderarmut (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 37 vom 17. September 2021
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

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Parteien ignorieren Forderungen von Sozialverbänden zur effektiven Bekämpfung der Kinderarmut

von Markus Bernhardt


In einer jüngst veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa haben sich über 76 Prozent der Befragten für die Einführung einer Kindergrundsicherung ausgesprochen. Fast alle Befragten sprechen sich dafür aus, Kinderarmut zu bekämpfen. Dennoch lebt in Deutschland jedes fünfte Kind in Armut.

Ende August erneuerte eine Allianz aus 22 Organisationen, Verbänden und Gewerkschaften ihre Forderung, eine Kindergrundsicherung einzuführen. "Die Kindergrundsicherung gehört in den nächsten Koalitionsvertrag und muss als prioritäres Vorhaben in der kommenden Legislaturperiode umgesetzt werden", heißt es in der Erklärung. Schließlich erreichten die "vielen familienbezogenen Leistungen (...) ihr Ziel, Armut von Kindern zu vermeiden, nicht". Auch die Anpassungen einzelner Leistungen hätten in der letzten Legislaturperiode keinen grundlegenden Durchbruch bei der Überwindung der Kinderarmut gebracht. Angesichts der anhaltend hohen Kinderarmut und ihrer gravierenden Auswirkungen fordern die unterzeichnenden Organisationen daher "eine große und umfassende Reform". So müsse die Kindergrundsicherung eine eigenständige Leistung für jedes Kind sowie "einfach, unbürokratisch und sozial gerecht" sein. Im April 2009 hatte das Bündnis erstmalig die Forderung nach einer Kindergrundsicherung in Höhe von 500 Euro aufgestellt.

"Der VdK fordert eine echte Kindergrundsicherung, die sozial benachteiligten Familien unkompliziert hilft. Das bestehende System der Familienförderung hat versagt - es ist viel zu bürokratisch und gleicht einem Behörden-Dschungel. Außerdem bevorzugt es Gutverdienende und berücksichtigt die Bedürfnisse von Familien mit Kindern mit Behinderungen zu wenig", sagte Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, anlässlich der Vorstellung der gemeinsamen Erklärung zur Kindergrundsicherung.

Ähnlich äußerte sich DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel: "Für uns ist es ein entscheidendes Wesensmerkmal der Kindergrundsicherung, dass die Kinder von Besserverdienenden nicht länger bevorzugt werden. Die Erfolge von Kindern aus Haushalten mit mittleren und kleinen Einkommen müssen dem Staat genauso viel wert sein", betonte die Gewerkschafterin. Es sei "zutiefst ungerecht, dass Spitzenverdiener über den Kinderfreibetrag im Steuerrecht derzeit stärker profitieren als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das Kindergeld erhalten", so Piel weiter. Dies müsse mit einer Kindergrundsicherung überwunden werden, bei der das neue Kindergeld und der Vorteil des Kinderfreibetrags gleich hoch sind.

In ihrem Konzept der Kindergrundsicherung geht die Allianz vom "kindlichen Existenzminimum" aus, dessen Höhe nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts derzeit 695 Euro monatlich beträgt. Es setzt sich zusammen aus dem sachlichen Existenzminimum und dem Freibetrag für die Betreuung und Erziehung beziehungsweise Ausbildung (BEA). Es gibt keine einheitliche Festlegung dieses Bedarfs - geregelt ist er im Sozial-, Steuer- und Unterhaltsrecht. Dadurch kommt es zur Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen, deren Eltern keine oder nur wenig Steuern zahlen, da der BEA als Steuerfreibetrag gewährt wird.

Als Gegenmaßnahme wird eine Kindergrundsicherung in Höhe von 451 Euro vorgeschlagen, die bis zur wirklich gebührenfreien Bereitstellung von Betreuung und Bildung um 244 Euro aufgestockt wird. Um einen sozialen Ausgleich zu schaffen, soll die Grundsicherung mit dem Steuersatz der Eltern versteuert werden. Dies würde einen Mindestbetrag von 330 Euro für alle Minderjährigen und alle in Ausbildung oder Studium bis 25 garantieren. Je geringer das Einkommen der Familie wäre, desto mehr Kindergrundsicherung würde den Kindern zur Verfügung stehen.

Neben der Kindergrundsicherung hält die Allianz den Ausbau des Bildungs- und Erziehungswesens für dringend notwendig. Bund, Länder und Kommunen müssten ein gebührenfreies und qualitativ gutes Bildungssystem garantieren.

SPD und Grüne, die mit der Einführung des Hartz-IV-Systems der Kinderarmut in Deutschland einen kräftigen Schub gegeben haben, haben die Kindergrundsicherung in ihre Wahlprogramme aufgenommen. Die SPD verspricht einen monatlichen Basisbetrag von 250 Euro; der Höchstbetrag soll sich nach dem Einkommen der Eltern und Alter der Kinder richten und maximal 478 Euro betragen. Auch die Grünen werben mit einem Garantiebetrag und einer sozialen Staffelung; eine genaue Summe wird nicht genannt. Die Linke schlägt ein Konzept mit vier Säulen vor, das neben einem Kindergeld in Höhe von 328 Euro einen Zuschlag für Einkommensschwache, die Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten und die Absicherung des besonderen Bedarfs vorsieht.

Damit bleiben die Wahlversprechen schon hinter den Forderungen der Sozialverbände und Gewerkschaften zurück - und ob sie überhaupt eingehalten werden? Aber wir wissen ja ohnehin seit dem früheren SPD-Vorsitzenden und Vizekanzler Franz Müntefering, dass es "unfair" ist, "Politiker an ihren Wahlversprechen zu messen".


Weitere Informationen unter:
www.kinderarmut-hat-folgen.de

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 53. Jahrgang,
Nr. 37 vom 17. September 2021, Seite 13
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 5. Oktober 2021

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